Dienstag, 11. Februar 2014

Chronik eines Rücktritts

Unter dem Titel: 
"Chronik eines Rücktritts , die Geheimnisträger des Papstes. Die Zeugen eines großen Abschieds. Vom Manuskript zum Staunen der Kardinäle. Die 24 Stunden, die die Kirche veränderten"
schreibt Gian Guido Vecchi  in Cronache/ Corriere Della Sera eine lesenswerte Beschreibung des bewegten Tages:     klicken

"Montag, 11. Februar 2013, Palazzo Apostolico.
Im dritten Stock steht Papst Benedikt XVI kurz nach 6:00 auf, um 6:50 verläßt er sein Zimmer, um vor dem Frühstück zur täglichen Feier der Hl. Messe mit der kleinen päpstlichen Familie, den Sekretären Georg Gänswein und Alfred Xuereb und den 4 Memores Loredana, Carmela, Cristina und Rossela, die den Haushalt führen, in die Privatkapelle zu gehen.
Um 9:00 betritt der Papst sein Arbeitszimmer. Alles geht seinen normalen täglichen Gang. In Rom kündigt sich ein Gewitter an, wenige Stunden später geht ein Foto um die Welt, das zeigt, wie ein Blitz in die Kuppel von Sankt Peter einschlägt. Von einem Blitz aus heiterem Himmel wird auch Kardinal Angelo Sodano, Dekan des Kardinalskollegiums, mit heiserer Stimme sprechen, der als Erster, nachdem Benedikt XVI um 11:41 seinen Rücktritt angekündigt hat, das Wort ergreift.
"Fratres carissimi, non solum propter tres canonizationes ad hoc consistorium vos convocavi, sed etiam ut vobis decisionem magni momenti pro Ecclesiae vita communicem...."
Der Papst hatte die Kardinäle zur Kanonisation der 183 Märtyrer von Otranto, die am 14. August 1480 von den Osmanen getötet worden warfen und zweier weiterer Seliger zusammen gerufen und fuhr unbeirrbar im Programm fort. Aber am Ende ergreift er noch einmal das Wort, zieht zwei Blätter hervor, um leise- fast flüsternd in die absolute Stille hinein vorzulesen.

"Geliebte Brüder, ich habe Euch zu diesem Konsistorium zusammengerufen- nicht nur wegen der Kanonisationen sondern auch, um Euch eine Entscheidung von großer Bedeutung für das Leben der Kirche mitzuteilen....."
Während Joseph Ratzinger seine Erklärunrg vorträgt, sind im 2. Stockwerk des Palastes, unter den unter den Fresken Raffaels aufgereiht sitzenden Kardinälen einige, die sich bestürzt ansehen und andere, die nicht begriffen haben " declaro me ministerio renuntiare" , der Biblist Gianfranco Ravasi  wird berichten, wie das zeige, daß die Kenntnis der Lateinsichen Sprache auch in der Kurie schwinde, oder vielleicht ist es nur die Ungläubigkeit: "aber, was hat er gesagt....?
Sodano spricht im Namen aller und interpretiert den Stupor aller, der wenig später den Planeten ergreift.
Der Kardinal ist einer der wenigen, der sich bewußt ist, was sich da vorbereitet.



Sonntag 10. Februar, nachmittags
Die Rücktrittserklärung trägt nicht das Datum des 11. sondern des 10. Februars. Joseph Ratzinger hat sie persönlich nachmittags, wie es seine Art ist, mit dem Bleistift geschrieben.
Nach dem Angelus hat er es dem Kardinalstaatssekretär Tarcisio Bertone eröffnet, der am  Montag eine Abschrift bei sich trug und ihr Wort für Wort folgte. Außerdem wissen es Bischof Angelo Becchiu aus dem Staatssekretariat und Msgr.G. Gänswein, Privatsekretär des Papstes.
Am nächsten Tag würde es die Aufgabe Pater Lombardis sein, die Medien der ganzen Welt zu unterrichten.
Die letzten Rücktritte eines Papstes gehen bis zu Gregor XII, zum 4. Juli 1415, zurück und Dank Dante ist uns auch dieser Schritt Coelestins V, am 13. Dezember 1294 präsent.
Am 28. April 2009 ging vom Besuch Papst Benedikts im von einem Erdbeben zerstörte Aquila, suggestive Wirkung aus, als er in seinem Gefolge Panik auslöste, weil er durch die Heilige Pforte der wankenden Basilica von Collemaggio ging. Eigentlich war eine Hommage auf der Schwelle der Basilica vorgesehen gewesen, aber er wollte sein Pallium auf den Schrein mit den sterblichen Überresten des "großen Zurückgezogenen" legen.
Dennoch gibt es hier keine Parallelen von Coelestin V zur "Declaratio", die Ratzinger dann "in voller Freiheit" abgab.

Montag, im Morgengrauen
Der Tag ist angebrochen, die konvulsivischen Aktivitäten im Palazzo haben bis zum Morgengrauen.angedauert.  Erst da verläßt das Blatt, das in der 2000-jährigen Kirchengeschichte nicht seinesgleichen hat, das Appartamento.
Der Vatileaks-Skandal hat gelehrt, daß man kein Durchsickern der Nachricht riskieren durfte.
Der Text, der vom Vatican um die Mittagszeit veröffentlicht wird, enthält 3 Irrtümer.
Benedikt XVI hat seinen handgeschriebenen Text der Sekretärin Birgit Wansing anvertraut, der einzigen Person, die seine kleine, nervöse Kalligraphie entziffern kann.
Erst im Morgengrauen beginnt im Staatssekretariat die Übersetzungsarbeit des lateinischen Textes ins Italienische, Englische, Französische, Deutsche, Spanische, Portugiesische, Polnische und Arabische.
Als Ratzinger im Konsistoriumssaal vorliest, sagt er korrekt "vita" im Ablativ aber im verteilten Text steht der Genitiv "vitae"- und da ist noch ein Irrtum, den aber auch der Papst so ausspricht "commissum" im Akkusativ statt "commisso" im Dativ.
Und symptomatisch- die Ankündigung des Beginns der Sedísvakanz, am Abend des 28. Februars, einen 29. gibt es in diesem Jahr nicht, wird zunächst irrtümlich für den 20. Februar angegeben.
Auf jeder Tastatur liegt die 0 neben der 9.

Montag, 10:46
Der Pontifex verläßt das Appartamento, nimmt um 10:55 den Lift, steigt im 2. Stockwerk aus und betritt den Salon mit kleinen, etwas unsicheren Schritten und entschlossenem Blick.
Um 11:41 erblassen die Kardinäle, der Nachrichtendienst ANSA der Vaticanista Giovanna Chirri informiert die Welt.
"Iterum atque iterum" buchstabiert Ratzinger. Er habe seine Entscheidung getroffen, nachdem er sein Gewissen "wieder und wieder" und vor Gott geprüft habe.
Bei dieser Entscheidung  muß man den langen Reifungsprozess von der Wahl des Datums trennen, und dem Zeitpunkt, an dem er sie den Personen, die ihm am nächsten stehen, mitteilte.
Als das Büro für die Liturgischen Feiern am 4. Februar, den Herren Kardinälen ankündigte, in einer Woche finde das Konsistorium statt, hatte Benedetto in seinem Herzen bereits beschlossen, dass diese feierliche Zeremonie die adäquate Gelegenheit sei.
Zu diesem Zeitpunkt wurde auch der Druck des Päpstlichen Jahrbuches 2013 gestoppt, weil wichtige Änderungen vorzunehmen seien.

An das Ende hatte Ratzinger schon beizeiten gedacht. Am 27.Oktober 2011 in Assisi hatte der Patriarch von Konstantinopel, Bartholomäus I, sich mit ihm 2014 in Jerusalem verabreden wollen, um den 50. Jahrestag der Begegnung Papst Pauls VI mit Athenagoras zu feiern. Man erzählt sich, daß der Papst ihm geantwortet habe : "da wird mein Nachfolger kommen".
Vielleicht war es so- sicher aber ist, daß Benedetto XVI nach dem Treffen mit Fidel Castro am 29. März 2012, am Ende seiner Mexikoreise, auf den richtigen Zeitpunkt wartete. " Ja, ich bin alt, aber noch kann ich meine Aufgaben erfüllen" hatte er dem alten Maximo Lider zugelächelt.
In Oltertevere erzählte man sich jedoch, daß er einen Monat gebraucht habe, um seine Kräfte ein wenig zurückzugewinnen.  Seit dem Sommer in Castel Gandolfo ist der ältere Bruder Georg auf dem Laufenden.
Im August habe er auch mit Kardinal Bertone und Georg Gänswein, der vergeblich versuchte, ihn umzustimmen, gesprochen. Benedetto war entschlossen.
Dieser Sonntag war nur der letzte Schritt. Er informiert die, die es wissen müssen. 17 Tage lang müssen sie eine nie gekannte Situation meistern und das Konklave vorbereiten. Aber Ratzinger, mit der Akribie eines Wissenschaftlers, hat rechtzeitig alles bedacht und berechnet.

Ein Regierungsakt
Der Verzicht auf das Amt ist nach dem kanonischen Recht, Kanon 332, Paragraph 2 geregelt.
Im Buch "Licht der Welt" von 2010 hatte er hypothetisch festgestellt: "Wenn ein Papst sich klar darüber bewußt ist, daß er physisch, mental oder psychisch nicht mehr in der Lage ist, die Aufgaben, die das ihm anvertraute Amt auferlegt, zu erfüllen, hat er das Recht und unter bestimmten Umständen die Pflicht, zurückzutreten." Aber damals war man auf dem Höhepunkt des Pädophilieskandals des Klerus, den Benedetto wie noch keiner vor ihm bekämpfte, und so hatte er hinzugefügt: "Besonders in so einer Zeit muß man hart bleiben und ertragen." So war es auch im Frühjahr 2012  mit dem Vatileaksskandal, sein Majordomus, der "Rabe" Paolo Gabrieli, der ihm persönliche Papiere und Dokumente gestohlen hatte, war gerade verhaftet worden.

Es ist nicht dieser Augenblick, es sind schwierige Monate voller Gift und Machtkämpfen in der Kurie. Ratzinger hat sich schon entschieden, aber er will nicht den Eindruck machen, zu fliehen.
Am 24. April 2005 sagte er in seiner Inaugurationsmesse:  "Betet für mich, daß ich nicht ängstlich vor den Wölfen fliehe". So wartet er bis der Prozess vorbei ist, bis die von ihm ernannte Kardinalskommission ihm und nur ihm ihre Untersuchungsergebnisse zum Geschehen übergibt. Im Dezember ist es soweit, es wird Zeit für eine Säuberung, aber er fühlt, daß er dazu nicht mehr die Kraft hat.
Er wird das Dossier seinem Nachfolger übergeben. "Um in der Welt von heute, Objekt schnellen Wandels und von Fragen großer Bedeutung für das Leben und den Glauben bewegt, das Schiff Petri zu steuern, und das Evangelium zu verkünden, bedarf es sowohl körperlicher als auch seelischer Kräfte, die mich in den letzten Monaten immer mehr verlassen haben, sodaß ich meine Unfähigkeit erkennen muß, das mir anvertraute Amt gut auszuüben."
 "Ingravescente aetate" und die Erkenntnis, daß die Kirche einen Ruck braucht, bilden gemeinsam den Grund für den Rücktritt. Nicht zufällig spricht Pater Lombardi von einem "großen Akt in der Leitung der Kirche".

Die Asche und auf Ostern zu
Benedikt XVI überläßt nichts dem Zufall. Ende 2012 beendet er die Weihnachtsfeierlichkeiten und berechnet die verbliebene Zeit bis zur letzten Märzwoche und Ostern, dem wichtigsten Moment für die Gläubigen, an dem die Kirche einen neuen Pontifex haben soll.
Am 24. November hat er ein Konsistorium zur Kreation neuer Kardinäle einberufen und zum ersten mal in der Geschichte- außer einem "Minikonsistroium" 1924, als Papst Pius XI zwei neue amerikanische Kardinäle kreierte, ist kein einziger Europäer dabei, um das Gleichgewicht des Kollegiums wiederherzustellen, in dem der europäische Kontinent ein Übergewicht erlangt hatte. Und das ist ein Signal. So wie es ein Signal ist, da die Declaratio in der Vigl der Aschezeremonie, des Aschermittwochs, am Beginn der Buße-und Fastenzeit kam.
"Die teuflischen Versuchungen, die sich wieder einstellen, versuchen Gott zu instrumentalisieren, sich an seine Stelle zu setzen, ihn für die eigenen Interessen zu mißbrauchen- für Ruhm und Erfolg." Wie ein Epilog zur Declaratio spricht er, als er sich am Aschermittwoch Nachmittag an die Kardinäle wendet, von der "religiösen Heuchelei", die von Jesus mit den Worten zurückgewiesen wird: "zerreißt euch das Herz und nicht die Kleider", bevor er den vor ihm aufgereihten Purpurträgern die Asche auf die gesenkten Häupter legt: da wird klar, daß die Gegenrede gegen die klerikale Uneinigkeit, die das Gesicht der Kirche entstelle, wie die Aufforderung, Individualismus und Rivalität zu überwinden auf das nahende Konklave abzielen. "

Quelle: Corriere Della Sera,Cronache



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Posten eines Kommentars erteilen Sie die nach der DSGVO nötige Zustimmung, dass dieser, im Falle seiner Freischaltung, auf Dauer gespeichert und lesbar bleibt. Von der »Blogger« Software vorgegeben ist, dass Ihre E-Mail-Adresse, sofern Sie diese angeben, ebenfalls gespeichert wird. Daher stimmen Sie, sofern Sie Ihre email Adresse angeben, einer Speicherung zu. Gleiches gilt für eine Anmeldung als »Follower«. Sollten Sie nachträglich die Löschung eines Kommentars wünschen, können Sie dies, unter Angabe des Artikels und Inhalt des Kommentars, über die Kommentarfunktion erbitten. Ihr Kommentar wird dann so bald wie möglich gelöscht.