Samstag, 25. März 2017

"Papst Franziskus als Historiker"- Fortsetzung


Fortsetzung :  "Papst Franziskus als Historiker" 
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"Was können die Bemerkungen des Papstes über die hegemoniale Konzeption eines Römischen Zentralismus bewirken? Sie verdunkeln mehr als daß sie uns etwas über die umstrittene, aber auch kritische und immer noch nicht ausreichend erforschte Ära der Entwicklung der weltweiten Katholischen Missionspraxis, der kirchlichen Aufsicht und Regulierung sagen.
Sie tun auch das Gedächtnis an Kirchenführer der länger zurückliegenden Vergangenheit ab und überdecken es,  zugunsten einer aktuellen Agenda für "inkulturierende" Formen von Christenheit in die indigenen Kulturen der Welt, eine Agenda, die detailliert in der apostolischen Exhortation des Hl. Vaters, "Evangelii Gaudium" skizziert wurde.

Dort- argumentiert der Hl. Vater - der für die Möglichkeit offen zu sein scheint, daß dieser alte Römische Katholizismus und sogar zentrale Rituale, Glaubensbekenntnisse und Formelemente vom Evangelium oder dem von der Kirche verkündeten Wort  getrennt werden können:
 "Es ist nicht essentiell, zusammen mit dem Evangelium eine bestimmte kulturelle Form einzuführen, ganz gleich wie schön oder alt sie sein mag. Die Botschaft, die wir verkünden. hat immer ein bestimmtes kulturelles Kleid, aber wir in der Kirche...verfallen manchmal  in ein unnötiges Heiligsprechen unserer eigenen Kultur."

Solche Bedenken können helfen, den Reiz zu erklären, den Martin Luther mit der starken Betonung des gepredigten Wortes  und seiner radikal spiritualisierten und ahistorischen Sicht der Kirche auf Papst Franziskus ausüben.
Kehren wir also zu den historischen Behauptungen des Hl. Vaters zurück, mit denen wir begonnen haben, über Martin Luther und die Gründe-durch die Zeit hindurch-für die tiefe Teilung zwischen Lutheranern und Katholiken. (Das sind Bemerkungen die- vom Papst aus Rom kommend- ich kann mir nicht helfen- für den Reformator selbst sehr erstaunlich sein könnten).

Im Hinblick auf die einfache Behauptung, daß Martin Luther eigentlich die Kirche nur hatte erneuern wollen, nicht sie spalten, ist es tatsächlich so, daß es heute historischer Konsens ist, daß der Reformator 1517, als er den religiösen Autoritäten  und einem größeren Publikum in und um Wittenberg die 95 Thesen präsentierte, nicht die Absicht hatte, die Katholische Kirche zu verlassen.
Allerdings leugnen auch Reformationsforscher, im Bewußtsein der zeitgenössischen ökumenischen Hindernisse nicht, daß Luther schon sehr früh während seiner Reform-Laufbahn überzeugt wurde, daß die internationale, sichtbare Kirche- wie sie von Päpsten, Kardinälen und Bischöfen geleitet wurde, unrettbar korrupt war,  "judaisiert" in ihrer Betonung von Gesetzen und Ritualen und deshalb inhärent mit der "wahren", unsichtbaren Kirche aller ernsthaften Gläubigen, wie er sie definierte.



Mit anderen Worten, Luthers Reformation drehte sich schon sehr früh um eine Trennung, prompt- mit Hilfe der mächtigen Territorialfürsten und Stadtmagistrate mit örtlichem Einfluss und bereitstehenden Armeen- und darum, sozusagen den verborgenen, glaubensreichen Weizen vom der papistischen Streu zu trennen.
Luther glaubte sicher an nur eine wahre, apostolische Kirche, aber er definierte Kirche in einer Richtung, die jene ausschloss, die am Papsttum festhielten, sieben Sakramente bekannten, an Christi Einsetzung eines Weihepriestertums festhielten und eine aktive Mitwirkung des freien Willens des Menschen an Gottes Erlösungsplan anerkannten.

Jede Sorge, die er vielleicht gehabt haben mag, die Einheit in der Kirche zu erhalten -in einer Weise, daß jeder orthodoxe Bischof oder Theologe des !6. Jahrhunderts sie als solche wiedererkannt hätte, hatte bestenfalls eine sehr nachgeordnete Priorität.
Viel dringender für Luther war, andere reformfreudige Männer und Frauen zur vollen Akzeptanz des Credos, von dem sein Gewissen ihm sagte, es sei das wahre Credo. zu sammeln- 1530 wären das die aneinander gereihten Artikel der Augsburger Konfession gewesen und im weiteren Verlauf die Zurückweisung der Kommunion mit Gruppen, die auf irgendeine Weise von diesem Credo abwichen.

Selbst sehr lutherfreundliche Gelehrte erkennen an, daß er sowohl unverbesserlich raufsüchtig als auch tief von seinem Glaubens- und Kirchenverständnis als der einzig wahren- überzeugt war. Er suchte oft nach Gelegenheiten, nicht nur mit Katholiken (oder wie er es 1545 ausdrückte, "welches Gesindel auch immer zu seiner Idoltatrischen und Päpstlichen Heiligkeit gehört" deren Zungen "wir ihnen aus der Tiefe ihrer Münder reißen und an die Galgen nageln sollten")  sondern auch mit den Jüngern der Schweizer Reformer Ulrich Zwingli und Heinrich Bullinger, den radikaleren Wiedertäufern  und Spiritualisten und Protestanten zu kämpfen, die seiner eigenen Meinung näher standen, aber über dieses oder jenes in seinem Credo anderer Meinung waren. 
Luthers Verve im Erfinden von Beschimpfungen und Beleidigungen für diese Gruppen war schon zu seinen Lebzeiten legendär und ist es bis heute geblieben. (Graduierte Studenten der Reformationsgeschichte werden zugeben, daß sie sich auf einer website mit dem Titel "Lutheran Insulter" amüsieren, in dem wirkliche ad hominem-Attacken des Reformators reichlich gesammelt wurden. Während ich das schreibe habe ich den button "insult me againe"  angeklickt und wurde durch Doktor Martin Luther dahin gehend belehrt, daß- falls ich Erasmus sein sollte, der es wagte, den freien Willen zu  verteidigen- "du in deinem Herzen einen Lucian oder ein anderes Schwein aus dem Stall Epikurs nähren wirst". Das aus Luthers "Fesselung des Willens" von 1525.)

Es ist auch der Fall, daß während einer Zeit, in der einige Reformer des 16. Jahrhunderts  aktiv in den frühesten ökumenischen Bemühungen engagiert waren, um eine gemeinsame Basis für die zersplitternden Konfessionen zu finden und eine Wiedervereinigung der Westlichen Christenheit anzustreben, Luther an diesen Dingen ziemlich desinteressiert war.

Papst Franziskus jedoch- um den langen Prozess der Katholisch-Lutherischen Wiedervereinigung voranzutreiben, wählt Luther als jemanden, der nicht wünschte Zwietracht unter den Christen zu säen. Für die sektiererische, sich vertiefende Spaltung der frühen Neuzeit macht Franziskus statt dessen andere verantwortlich, die sich aus Angst und Unsicherheit im Hinblick auf den Glauben, den andere mit anderem Akzent und in anderer Sprache bekennen, in sich verschließen.

Mit allem erforderlichen Respekt gegenüber seiner Heiligkeit, diese Erklärung dessen, was während und nach Luthers Zeit geschah, ist nicht nur herablassend gegenüber dem vollblütigen, temperamentvollen und kaum fehlerfreien Reformator selbst, sie beleidigt auch die Intelligenz zahlreicher Theologen, Apologeten und Prediger des 16. und 17. Jahrhunderts, einschließlich Robert Bellarmines und anderer Jesuiten, die Jahre ihres Lebens der Klarstellung und Verteidigung wichtiger katholischer Doktrinen gegen ernsthafte wichtige protestantische Herausforderungen widmeten.

Und es ist dem Gedächtnis nicht nur zahlloser Märtyrer und Kriegstoten aller Seiten in dieser Zeit schrecklicher Kämpfe, sondern auch zahlreicher Familien, Dörfern und sogar religiösen Gemeinschaften in Reformations-Europas konfessionellen Randgebieten gegenüber wegwerfend, die quälend zerrissen waren, während viele von ihnen die selbe Sprache, mit dem selben Akzent sprachen- über sehr ernste, wichtige, wirkliche Streitpunkte bei Doktrin und Praxis.

Eine menschlichere, respektvollere Haltung gegenüber allen an der Reformation beteiligten Parteien und gegenüber zeitgenössischen ökumenischen Problemen wurde vor etlichen Jahren in der Zeitschrift "Communio" gezeigt. 
In einem Interview von 1984 mit dem Titel "Luther und die Einheit der Kirche" antwortete der junge Kardinal Joseph Ratzinger -als er über Luthers Erbe nachdachte und die Bemühungen zeitgenössischer Ökumenisten, die Differenzen zwischen Lutheranern und Katholiken der fernen Vergangenheit wegzuerklären:
"Mir erscheint das als eine Art rationalistischer Arroganz, die weder dem leidenschaftlichen Kampf dieser Männer noch der Wichtigkeit der fraglichen Realitäten gerecht wird. Das wahre Problem kann nur darin liegen, wie wir heute über die Positionen jener Tage hinausgelangen können und zu Einsichten kommen, die die Vergangenheit überwinden. Um es anders auszudrücken, Einheit verlangt neue Schritte. Man kann sie nicht durch Interpretationstricks erreichen....Indifferenz erscheint nur oberflächlich eine Einigungsmöglichkeit zu sein."

Nun ist Franziskus nicht der professionelle Papst wie es Benedikt war.
Auch ist er weder von seiner Ausbildung noch durch Berufung Historiker; sein Fokus als junger Mann in der Schule lag auf der Chemie und später als jesuitischer Lehrer konzentrierte er sich auf Literatur und Psychologie.
Seit dieser Zeit hat er eine arbeitsreiche administrative, politisch befrachtete klerikale Karriere gemacht.  Deshalb können wir fairerweise nicht von ihm erwarten, daß er mit außerordentlicher Präzision über historische Themen spricht, selbst wo diese heutige Kirchenthemen betreffen.

Es ist aber nicht nur reine Ungenauigkeit mit der Papst Franziskus in die Vergangenheit eintaucht. Er scheint sich kopfüber voranzustürzen, vielleicht als Reaktion auf eine Meinung oder Idee, die er hier oder da aufgeschnappt hat, um einige (den Reformator Luther, den "Inkulturierer" Ricci) zu preisen und zu glorifizieren und andere (Römische Zentralisten, die andere Religionen und Glaubensrichtungen als "anders" betrachten) zu beschuldigen,  dem Hl. Geist gegenüber weniger aufmerksam gewesen zu sein, als sie hätten sein müssen.

Diese Art sich mit der Vergangenheit der Kirche auseinanderzusetzen, hilft der gegenwärtigen Kirche nicht, so verstrickt wie sie in eine von soundbites, 140 -Zeichen-Tweets, Schreie protestierender und populistischer politischer Kämpfe und "fake news" der modernen Welt verstrickt ist- und vielleicht am schlimmsten von allem- eine generelle Zungenfertigkeit. Der Papst und wir alle, die ratsuchend auf die lange Erfahrung der Kirche blicken, um Rat zu finden, wie wir mit den gegenwärtigen Herausforderungen umgehen sollten, können es besser machen.

Ich würde vorschlagen, daß- wenn eine tiefere Beschäftigung mit der Geschichte nicht möglich ist- also mitten in der Hirten-, Prediger-, Verwaltungs-, Managertätigkeit usw., Kirchenmänner und Laien sich einige Worte des Sel. John Henry Newman aus seinem Essay zur "Entwicklung der Christlichen Lehre" zu Herzen nehmen:
 "Es ist schwer, aus der Geschichte das lebende Bild des Christentums zu    vervollständigen und zu fertigen. Konfuses, ungenaues Wissen ist kein Wissen.
 Es ist der wirkliche Fehler den wir bei ungebildeten Jugendlichen finden, wenn   sie bedeutungslose Worte gebrauchen, daß ihnen Präzision und  Unterscheidungsvermögen fehlen, daß sie nicht wissen, was sie wissen und was  nicht... Jetzt liegt unsere Schwierigkeit darin, über dieses Halbwissen vom  Christentum hinauszukommen, wenn wir die Geschichte zu unserem Lehrer  machen, indem wir aus ihr nutzbare Erkenntnisse, fertig zum Glauben und  Gebrauch, ganze Ansichten, definierte Antworten....Maßstäbe für ihre  Bedeutung erhalten. 
 Die Geschichte ist kein Credo oder ein Katechismus; sie gibt eher Unterricht als  Regeln; sie bringt nicht Details auf die Leinwände, die den zehntausenden von 
 Köpfen vertraut waren, deren gemeinsame Bewegungen sie behandelt.
 So ist ihre wahre Natur; auch kann kein Fehler je ganz behoben werden."

Einen Rat kann ich daraus entnehmen, daß wir lernen sollten, die Toten und ihr Erbe mehr zu ehren und die Geschichte, die sie gelebt und gemacht haben, indem wir nicht versuchen, etwas von ihnen zu bekommen, was sie uns nicht geben können- sei es eine klare Verifizierungen einer speziellen christlichen Lehre oder seien es triumphierende Fangesänge für dieses oder jenes Thema auf einer päpstlichen Agenda.
Und wenn wir mehr entdecken, welche Gaben sie für uns bereit halten, welche Geschenke sie selbst de facto immer noch für die Kirche der Gegenwart sind, sollten wir uns mehr bemühen, dem undankbaren modernen Instinkt zu widerstehen, sie nach unserem eigenen Ebenbild und Willen umzugestalten. "

Quelle: Bronwen C. McShea,  (Geschichtsprof. an an der Universität von Omaha, Nebraska), First Things

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