Dienstag, 2. Oktober 2018

Welche Halbwertzeit hat das vaticanisch-chinesische Abkommen?

A. Gagliarducci kommentiert in seiner wöchentlichen Kolumne in "Monday in the Vatican" die Auswirkungen und die mögliche Haltbarkeit des Vatican-China-Abkommens.
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"PAPST FRANZISKUS, WARUM DAS CHINA-ABKOMMEN BALD  ÜBERHOLT SEIN KÖNNTE"

"Das immer noch vertrauliche Übereinkommen zwischen dem Hl. Stuhl und China zur Bischofsernennung hat-wie erwartet- gemischte Reaktionen innerhalb-und außerhalb der Kirche ausgelöst. Einerseits sind da jene, die betonen, daß Papst Franziskus die Kirche ausverkauft hat-insbesondere die Untergrundkirche, die Rom über die Jahren treu geblieben ist und sich weigerte, Teil irgendeiner von Peking betriebenen nationalistischen Politik zu sein.
Andererseits sind da jene, die das Abkommen unterstützen und es für notwendig erachten, damit die Bischöfe ihre pastorale Arbeit fortführen können.
Und es gibt einen dritten Aspekt des China-Abkommens, der noch nicht voll bedacht worden ist, und dazu führen würde, daß es bald außer Kraft gesetzt wird: der Niedergang der Nationalstaaten.

Beide- sowohl China als auch der Hl. Stuhl sind sich dessen bewußt.  China hat zum erstenmal in der Geschichte beschlossen, daß ein "fremdes Land" bei der Hierarchie der Bischöfe mitsprechen kann, was China im Namen der Treue zu nationalen Prinzipien immer selbst behalten wollte. Ein Schritt, der zeigt, daß China weiß, daß sein Staatsmodell in eine Krise geraten wird.

Von diesem Gesichtspunkt aus ist das Abkommen ein nötiger Schritt, ein Kompromiss für die Freiheit, bei dem "jeder etwas verliert"- wie Papst Franziskus bei der Rückkehr von seiner Reise nach Litauen, Lettland und Estland erklärt hat.
Den Verlust bemerkt man, wenn man auf das größere Bild schaut: die Kirche sehnt sich nach der Freiheit für ihre Bischöfe, ein Traum, der jetzt wahr werden könnte.
China versucht, nichz hinter aktuelle Trends zurückzufallen und Offenheit zu zeigen, um nicht aus der Welt zu verschwinden.
Es werden weitere Erklärungen benötigt. Seit kurzem erweckt China zunehmend den Eindruck einer "Chinesifizierung", während die Macht von Präsident Xi Jiping nach der Reform des Präsidentenamtes  fast immerwährend geworden ist. China antwortet so mit einer präzedenzlosen Nationalisierungskampagne auf die Herausforderungen einen riesigen Staat mit vielen lokalen Mächten, die alle ein eigenes Gewicht haben, zu regieren.

Sogar Religionen sind- nach der Chinesischen Doktrin- aufgerufen,am Prozess der "Chinesifizierung" teilzunehmen, dem Heimatland treu zu sein und die GRundprinzipien einzuhalten, die das Land in der Welt einzigartig machen.

Aber dieses besondere Modell eines Nationalstaates unterliegt seinen eigenen Voraussetzungen.
Das System des Nationalstaates wurde 1648  nach dem Westfälischen Frieden geschaffen und dann nach dem 1. Weltkrieg rund um die ethnischen Gemeinschaften nach dem Zerfall der großen vier Reiche. Jetzt ist dieses System in der Krise- wie das Gleichgewicht zwischen Staat, wirtschaftlichen Ressourcen und Bevölkerung. Dieses Gleichgewicht zielte darauf ab, der Politik die Kontrolle über die Ressourcen für das Volk zu überlassen.

Heutzutage haben die Wirtschaftsmächte die Führung übernommen. Staaten sind heute nicht mehr wichtig, während das Gewicht der multinationalen Konzerne viel größer ist. Diese multinationalen Gesellschaften gehen über die Staatsgrennzen hinaus und ziehen neue Grenzen anhand ihrer Interessen. Mit ihrem Einfluß auf die Politik überwinden sie jeden Volkswillen und die Wahrnehmung des Allgemeinguts- und verfolgen offensichtlich ihre eigenen Interessen.





Das ist der Untergang der Nationalstaaten, den Rana Dasgupta in einen brillanten Artikel für den "Guardian" skizziert hat. Der Artikel ist TEil einer größeren Studie, die un helfen soll, besser zu verstehen wohin die Welt sich bewegt.

Die Abschaffung des Nationalstaates betrifft auch China und die aggressive Chinesifizierungspolitik signalisiert wahrscheinlich, daß etwas im System zurbrochen ist, das repariert werden muß.

Sogar die Katholische Kirche durchlebt einen Übergang, indem sie immer internationaler wird. Diese Übergang ähnelt dem, was die Kirche vor cirka 100 Jahren erlebte, als die vier Reiche zerfielen. Kardinal Pietro Parolin, vaticanischer Staatssekretärm hat diese Situation voriges Jahr im Juli in einem Vortrag in Aquileia beschrieben,

Was ist vor 100 Jahren passiert? Der Nationalstaat hatte Reiche ersetzt und so exklusive territoriale Identitäten geschaffen, die als Grundlage für die Genozide und Vertreibungen von Menschen bildeten, die nie so dramatisch waren wie im 20. Jahrhundert, denken Sie nur an den Völkermord an den Armeniern.

Ihrer Beziehungen zu den großen Reichen beraubt, mußte die Kirche sich selbst neu denken. Es war kein schlech  um ihre  tes Arrangement gewesen. Die Kirche ging mit den Reichen zusammen, um ihre Arbeit der Evangelisierung voranzubringen, die sonst von einem Wirtschaftsstandpunkt aus gesehen unmöglich gewesen wäre. Die Verbindung zu den Katholischen Königreichen hatte manchmal die Möglichkeit angeboten, Bischofsernennungen zu unterschreiben, die nötig waren, weil die Kirche sonst diese Missionsgebiete nicht erreichen konnte.

Kardinal Parolin erzählte, daß der Fall der großen Reiche der Kirche geholfen hat, sich aus diesem Bündnis mit dem Thron zurückzuziehen, unabhängiger und Römischer zu werden und den Päpstlichen Nuntien größere, weniger politische Aufgaben anzuvertrauen und so den Eindruck von Protektoraten, die die Missionen charakterisierten, loszuwerden.

Zu jener Zeit hat die Kirche ein neue Missionsbemühung gestartet-die auf Inkulturation und der Ausbildung und Weihe des örtlichen Klerus basierte-wie es Benedikt XV in der Enzyklika "Maximum Illud" skizzierte.

Die Trennung vom Thron in Kombination mit einer starken Verwurzelung der Gemeinden und Katholischen Organisation in den Gebieten hat der Kirche geholfen, einen qualitativen Sprung zu machen und die Pastoral unterstrichen, während der Bund mit Rom unauflösbar wurde.

China mochte diesen unauflöslichen Bund mit Rom nicht, weil  besorgt war, daß eine "fremde Macht" de facto Bedingungen schaffen könnte. die den Staat und das System zu zerstörten.
Wie die Kirche arbeitete und der Patriotismus ihrer Priester half dabei, das antiklerikale Vorurteil in Europa zusammenbrechen zu lassen. Das ist nach der Kultur-Revolution nicht passiert. Die Kultur war anders, der Zugang war anders und Chinas Angst, daß es den Griff auf das kürzlich etablierte System verlieren könnte.

Das China-Vatican-Abkommen brachte China dazu, Zugeständnisse zu machen. Das ist wahrscheinlich der Grund, warum Taiwan, das immer wegen eines Vatican-China- Abkommens besorgt war, das ohne Zweifel zu einem Abbruch der Beziehung des Hl. Stuhls und Taiwan führen würde- betont hat, daß das Abkommen "pastoral-religiöser Art" war und daß die Beziehungen zwischen Taiwan  und dem Hl.Stuhl davon nicht betroffen werden.

Der Hl. Stuhl hat aber Taiwan alle Garantien gegeben. Erzbischof Paul Richard Gallagher, Sekretär für zwischenstaatliche Beziehungen,  hat im vergangenen Jahr an den 75. Jahrestag der diplomatischen Beziehungen mit Taiwan, erinnert und an den Wunsch des Hl. Stuhls, weiterhin mit Taiwan zusammen zu arbeiten. Vor kurzem hat der Hl. Stuhl einen neuen Nuntius für San Salvador ernannt-Erzbischof  Santo Gangemi. Traditionellerweise ist der Nuntius für EL Salvador auch Nuntius in Belize und das wurde auch von Erzbischof Gangemi erwartet.

Aber statt dessen wurde Erzbischof Fortunatus Nwachukwu, Nuntius in Trinidad & Tobago zum  Nuntius in Belize ernannt. Einer der möglichen Gründe dafür ist, daß El Salvador seine Beziehungen zu  Taiwan abgebrochen hat und sie mit China hat und der Hl.Stuhl nicht riskieren wollte, den Nuntius in die peinliche Lage zu versetzen, in einem Land verantwortlich zu sein, daß die Beziehungen zu Taiwan abgebrochen hat und in einem anderen, das sie immer noch unterhält.

Diese kleinen Signale sind der Schlüssel für ein größeres internationales Szenario. Das China-Abkommen ist nicht ideal- so als ob China ein scharfes Mittel in der Hand hielte und der Hl Stuhl jedesmal wenn er die Hand ausstreckt in die Klinge greift und seine Hand blutet.

Im Moment gibt es keine Hinweise darauf, wie die Bischöfe in China ernannt werden. Das Vietnam-Modell wurde erwähnt, aber sogar in diesem Fall müssen die Dinge besser erklärt werden.

Das Vietnam-Modell funktioniert so: es gibt ein Periode der Konsultationen, an deren Ende der Päpstliche Repräsentant das Diskussionergebnis an die Kongregation für die Evangeisierung der Völker schickt, die noch für Vietnam zuständig ist.
Die Kongregation wählt 3 Kandidaten aus und präsentiert sie dem Papst. Der trifft seine Wahl und dann spricht der Hl. Stuhl mit der Vietnamesischen Regierung über die gewählten Kandidaten.
Die Vietnamesische Regierung erwägt die ausgewählten Kandidaten und nimmt sie vielleicht an.
Danach veröffentlicht der Hl. Stuhl die Ernennung.

Man wird sehen müssen, ob das auch das Vorgehen für China sein wird. Es scheint, daß es einen geringfügigen Unterschied geben wird- und daß die Vorbesprechungen auf der Ebene der Chinesischen Bischofskonferenz stattfinden werden- die in Gänze aus Mitgliedern der Patriotischen Vereinigungn zusammengesetzt ist und daß der Papst bei möglichen Ernennungen die Meinung der Regierung über die Kandidaten bedenken, aber diese Meinung nicht als bindend betrachten wird.

Sicher wird - trotz des Abkommens- die Untergrund-Kirche in China nicht aufhören zu bestehen. Priester, die sich der Patriotischen Vereinigung nicht anschließen, während die illegitimen Bischöfe wieder in die Kirche aufgenommen wurden- und bedenkt, daß der Papst die Exkommunikation der illegal geweihten Bischöfe aufgehoben hat. Das Abkommen muß so verstanden werden, daß es der Hierarchie dabei helfen soll, die Beziehungen zur Regierung aufrecht zu halten un gleichzeitig in der Lage zu sein, das Werk der Evangelisierung zu beginnen.

Um es pragmatisch zusammenzufassen- der Hl. Stuhl hat eine Gelegenheit gefunden und sie genutzt. Das Abkommen wurde von den Vize-Außenministern Chinas und des Vaticans, Msgr. Antoine Camilleri,  unterzeichnet. Die Vereinte Front, die in China für Religionsfragen zuständig ist, war nicht beteiligt. Das ist bemerkenswert.

Das Abkommen wurde auch unterzeichnet als der Staatssekretär, Kardinal Parolin, weit weg war, auf Reisen mit Papst Franziskus. Auf diese Weise konnte kein Widerspruch dagegen erhoben werden, daß nicht der Staatssekretär dieses wichtige Abkommen unterschrieben hat. Die Rangordnung der Unterzeichner macht es zu einem Abkommen mittlerer Ebene. Wahrscheinlich gibt es da den Eindruck, daß die Krise des Chinesischen Staates ausgenutzt wird, die mit den Krisen aller Nationalstaaten anwachsen wird.

War dieses Abkommen und ihr Kampf für die Religionsfreiheit das Martyrium vieler Chinesen wert? Das kann man nicht wissen. Man kann aber sehen, warum der Hl. Stuhl es als Gelegenheit genommen hat, für die Katholiken in China "den Käfig größer zu machen" -wie es Erzbischof Claudio Maria Celli ausdrückte, der seit 1980 für die vaticanische China-Politik zuständig war.

Das Abkommen muß verstanden werden. Es betrifft nicht die Zugeständnisse, die der Regierung von den Protestantischen-Drei-Unabhängigkeitsbewegungen 1950 gemacht wurden. Es schließt Dialog mit ein und vielleicht ist die Zustimmung  ein erster Schritt zu einem neuen diplomatischen Modell für den Hl. Stuhl, Ein Übergang in eine Welt, wo multilaterale Gespräche wichtiger sein werden als bilaterale.

Es ist paradox, wenn wir denken, daß der Hl.Stuhl bis jetzt im bilateralen Modell verankert war. Aber es ist auch möglich, -wenn wir bedenken, daß der Hl. Stuhl beim Verstehen zukünftiger Entwicklungen immer der Welt voraus war. Und es ist notwendig- wenn wir bedenken, daß es einen allgemeinen Druck in Richtung Änderung der internationalen Beziehungen gibt.

Die Möglichkeit, das internationale Recht in eine universales Recht umzuwandeln wird immer häufiger diskutiert. Das bedeutet, daß es eine Diskussion gibt, ob man von einem Rechtssystem, das die Beziehungen zwischen souveränen Körperschaften auf gleicher Ebene regelt zu einem Rechtssystem, das auf den Menschenrechten basiert umzuschalten, das jedem die Möglichkeit bietet, über das staatliche System hinauszugehen, um ihre fundamentalen Rechte zu schützen.

Diese Wahnehmung des globalen Rechts wird jedesmal benutztm wenn es Angriffe gegen die Souveränität der Kirche geht. Z.B. wenn die Abschaffung des Beichtgeheimnisses vorgeschlagen wird, oder wenn der Papst aufgefordert wird, in einem anderen Land als Zeuge bei einem Mißbrauchsprozess auszusagen.

Auch diese Themen stehen hinter dem China-Abkommen. Das wirkliche Problem ist jetzt, auf die internationalen Beziehungen zu schauen."

Quelle: Monday-in-the-Vatican, A- Gagliarducci

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