Montag, 11. Oktober 2021

Wird der Vatican-Prozess zum Bumerang?

In seiner heutigen Kolumne in Monday in the Vatican kommentiert A.Gagliarducci den Stand der Dinge beim Vatican-Prozess gegen Kardinal A. Becciu und neun weitere Angeklagte. 
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"PAPST FRANZ ISKUS - DER LONDONER IMMOBILIEN-PROZESS KANN ZUM BUMERANG WERDEN"

Bei der dritten Anhörung des Vatican-Prozesses zum Management der Fonds des Staatssekretariates fehlte es nicht an Wendungen. Der promotore di giustizia des Vaticans (d.h. der Staatsanwalt) hat vorgeschlagen, daß alle Anträge auf Aktionen und Information an ihn zurück gegeben werden, damit er die Untersuchung in einem klareren Bild erneut durchführen kann, das den Beschwerden darüber Rechnung trägt, wie er und die Gendarmen den Weg vorbereitet haben, der zur Vorladung von 10 Personen, einschließlich von Kardinal Angelo Becciu führte.

Die Anwälte ihrerseits, die die einzelnen Unregelmäßigkeiten erkannt haben, haben dagegen gefordert, den Prozess für null und nichtig zu erklären- genau wegen dieser prozessualen Fehler, die sich in manchen Fällen für die Angeklagten zu etwas noch Gefährlicherem entwickelt haben. 

Der Gerichtsvorsitzende Giuseppe Pignatore, hat für einen Mittelweg gestimmt. Der Prozess geht weiter. aber unter besonderen Bedingungen- bei denen die Anomalien und Unregelmäßigkeiten betont werden, die Untersuchungen ganz von vorn beginnen und die Befragungen deshalb wiederholt werden müssen.

Nicht nur. Pignatone hat auch Klarheit zur Position von Msgr. Alberto Perlasca gefordert, der 12 Jahre lang Direktor der Verwaltung des Staatssekretariates war. Wird gegen ihn ermittelt oder ist er nur Zeuge? Eine legitime Forderung -wenn man bedenkt, daß Perlascas Aussage der Angelpunkt der Anklage ist. Dieser Anklagevertreter hat sich übrigens-trotz ausdrücklicher Anweisung des Geriches-  geweigert, die gesamten audioviseullen Aufzeichnungen der Aussage von Msgr. Perlasca auszuhändigen. 

Die Aufzeichnung von Perlascas Aussagen-ebenso wie die weiterer mitgeschnittenen Gespräche und Dokumentationen müssen bis zum 3. November übergeben werden. Auch das ist eine Anordnung des Gerichts.

Pignatone scheint mit seinen Entscheidungen ein Signal aussenden zu wollen: die Untersuchungen scheinen sind nicht gut gemacht worden zu sein und das Anklage-Konstrukt ist schwach. In einigen Fällen hat er nicht alle Anklagepunkte zurückgewiesen, sondern nur einige an den Staatsanwalt zurück gegeben. Das sind jene, in denen die Befragungen summarisch durchgeführt, das Vorgehen ziemlich irregulär war und die Prozessrechtsgarantien wenig beachtet wurden. 

Kardinal Becciu wird über seine angebliche Unterstützung der Caritas in seiner Diözese in Sardinien und einer Cooperative zur Unterstützung von Immigranten erneut befragt werden müssen und wegen der Beschuldigung, Druck auf Msgr. Perlasca ausgeübt zu haben, seine Aussage zu ändern.  Auch einige Beschuldigungen wegen Betrugs und Unterschlagung gegen Enrico Crasso, der die Gelder des Staatssekretariats verwaltete, muss erneut untersucht werden.

Die Untersuchung gegen Msgr. Mauro Carlino, Sekretär des damaligen Substituten und gegen Raffaele Mincione, den Broker, der zuerst mit dem Kauf der Londoner Immonbilie betraut war, muß wiederholt werden. Die Untersuchung gegen Tommaso Di Ruzza, den früheren Direktor des ALF wird- was die Vorwürfe des Betrugs angeht- ganz von vorn beginnen müssen. 

In Kürze- das während der Untersuchungen geschaffene Narrativ der Anklage ist auf gewisse Weise zerstört worden. Die Untersuchungen der Vatican-Polizei und ihre Art sie auszuführen, wurden ebenso in Frage gestellt wie die Behauptungen des Promotore di Giustizia. Sie wurden nicht nur als irregulär betrachtet-sondern auch als von Vorurteilen beeinflußt- Resultat eines geplanten Kontrukts, um eine Behauptung zu beweisen. 


Das ist ein Szenario, das vermuten läßt, daß der Vorschlag des Staatsanwalts, die Dokumente zurückzunehmen und die Untersuchungen neu zu beginnen, genau seiner Wahrnehmung dieser Irregularitäten und seinem Wunsch geschuldet ist, die Fehler, die er gemacht hat, irgendwie "zu beheben." 

Was wird jetzt sein Standpunkt sein? Der Prozess und viele der ungewöhnlichen Prozeduren beim Prozess selbst - werden insgesamt (d.h. direkt vom Papst verlangt) und Dank der vier päpstlichen  Reskripte, die das Amtsgeheimnis aufheben und Abhörung, Aufzeichnungen und andere Untersuchungsmethoden zuläßt, wrdrn summarisch durchgeführt. Die Linie des Staatsanwaltes wird voraussichtlich sein, daß er so gehandelt habe, um dem Wunsch des Papstes zu entsprechen, schnell voranzukommen und ein neues Kapitel aufzuschlagen, aber auch zu unterstreichen, daß es nur ein prozeduraler Fehler war, wie der Staatsanwalt während der letzten Anhörung zu erklären versuchte. 

Alle grundlegenden Fragen bleiben jedoch offen. Kann die Anordnung des Gerichts die strukturellen Defizite des vaticanischen Rechtssystems beheben? Dazu gehören das Fehlen von Rechtsstaatlichkeit; die veralteten Kodizes, die nicht den Menschenrechten entsprechen; die Möglichkeit eines Papst-Königs, in einen Prozess einzugreifen, während dieser abgehalten wird; und das Fehlen einer Kontrollinstanz und Überwachung der Arbeit der vatikanischen Richter.

Und noch einmal: kann die Anordnung den Schaden reparieren, den die Verdächtigen und die Angeklagten erlitten haben? Associated Press hat Saccucci, den Anwalt konsultiert, der den Italienischen Staat vor den UN-Menschenrechtsausschuss brachte, der Aspekte "in Bezug auf das Problem der Verteidigungsrechte nach internationalen Standards“ hervorhob und daß dies den Prozess sogar ungültig machen könnte.

Kurz gesagt, Pignatone kann die strukturellen Probleme, die zuvor hätten gelöst werden müssen, nicht mit einer Anordnung beheben. Diese Probleme sind immer irgendwie durch gesunden Menschenverstand maskiert worden, mit dem alles zuvor gehandhabt wurde. 

Der gesamte Prozess droht so zu einem großen Debakel für den Hl. Stuhl zu werden. Nach zwei Jahren allgemeiner Prozesse, bei denen das Leben von Menschen zerstört wurde, hat der Staatsanwalt dennoch weder seine Anklagen zurückgenommen noch ist er zurückgetreten. 

Crux hat festgestellt, daß es-wenn man die Berichte liest- schwierig ist, zu verstehen, wie Professionelle vom Kaliber eines René Bruelhart und eines Tommaso Di Ruzza, Präsident und Direktor der Finanzaufsicht, in den Prozess verwickelt waren. Man sollte bemerken, daß alles -unglaublicherweise- an dem Abend anfing, als der Moneyval-Rat des Europäischen Komitées zusammentrat, der die Arbeit des Vaticanischen Gerichts beurteilen sollte. Die AIF (Finanzaufsicht) hatte wiederholt auf die Defizite des Gerichts hingewiesen. 

 Aber wenn der Promotore di Giustizia seine Anklage nicht aufgibt -werden die Schadenaersatzansprüche sicher nicht aufgegeben. Und so könnte der Hl. Stuhl außer einer Verletzung auch eine Beleidigung erleiden:  zum Aktivismus der Anwälte befragt, während das Gericht versucht, die begangenen Irrtümer zu beheben und in einer schwierigen finanziellen Situation könnte der Hl. Stuhl auch gezwungen werden, für seine Fehler zu bezahlen. Kurz gesagt: die Konsequenzen müssen noch bestimmt werden. Und das Rechtsverständnis des Papstes, sein Wunsch nach Transparenz um jeden Preis, könnten sich als Bumerang erweisen. "

Quelle: S. Gagliarducci, Monday in the Vatican

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