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Dienstag, 1. November 2016

Luther und wir

Riccardo Barile hat für La Nuova Bussola Quotidiana einen Leitartikel zu Luthers "sola scriptura" und das, was Papst Franziskus in einem Interview dazu gesagt hatte, geschrieben.
Hier geht´s zum Original:  klicken

"WIR UND LUTHER. DAS WORT GOTTES IST NICHT NUR SCHRIFT"

"Im Interview vom 28. Oktober in Civiltá Cattolica vor der Reise nach Lund zu den Feierlichkeiten zum 500. Jahrestag der Reformation hat Papst Franziskus auf die Frage "Was könnte die Katholische Kirche von der lutherischen Tradition übernehmen?" mit Trommelwirbel geantwortet: "Mir kommen zwei Worte in den Sinn "Reformation" und "Schrift". La Nuova Bussola Quotidiana hat die Kategorie "Reformation"schon kommentiert- und ein bißchen etwas -wenn auch wenige Worte- über die "Schrift" hinzugefügt, weil diese Kategorie die annehmbarste zu sein scheint. Aber sie ist dagegen auch schleichender als "Reformation".

Zur "Schrift" erklärt Papst Franziskus sich so: "Das zweite Wort ist "Schrift", das Wort Gottes. Luther hat einen großen Schritt gemacht, um das Wort Gottes in die Hände des Volkes zu legen."

Dieser Satz muß präzisiert werden, aber mit einer Prämisse zur Methode: der Papst ist keine "Dogmatik-Maschine" sondern ein normaler Mensch und man muß ihm zugestehen, Stegreifantworten zu geben, die der Art Kommunikation Rechnung tragen, in der er sich befindet: jetzt ist es offensichtlich, daß ein Interview weder keine Enzyklika noch eine dogmatische Definition ist und eine unmittelbare Sprache erfordert. Die Gefahr kommt später:  aus dieser Sprache Theorie oder Praxis zu konstruieren, als ob diese Aussagen nicht ein Interview sondern eine Enzyklika oder eine kanonische Anordnung seien. Um besonders das zu vermeiden. sind glaube ich einige Präzisionen nötig.

Der überlieferte Satz geht sofort von der Schrift zum Wort Gottes über; das ist aber nicht die selbe Sache. Die Schrift und der vom Hl. Geist inspirierten Text der Bücher; Das Wort Gottes ist die Fülle, die bedeutet, daß es angenommen werden muß, wenn es - immer durch das Handeln des Hl.Geistes- gelesen, gepredigt, kommentiert wird. 
Heute ist die Schrift für Protestanten und Katholiken die selbe, aber das Wort Gottes, das daraus hervorgeht,  ist für beide verschieden und wechselseitig nicht akzeptierbar.

Tatsächlich hat die postsynodale, apostolische Exhortation "Verbum Domini" (30.9. 2010) von Benedikt XVI an die Komplexität der katholischen Wahrnehmung des Wortes Gottes in seinem Inneren in der Schrift ist.
In Nr. 7 erklärt er, daß das "Wort Gottes" ein symphonischer Ausdruck ist, der zeigt,
a) daß der inkarnierte Logos - das ist die Person Jesu Christi ist,
b) die Schöpfung wie ein"Buch der Natur"ist, in dem das eine Wort sich ausdrückt,
c) die ganze Geschichte der Erlösung ist bis zur Fülle der Fleischwerdung und zum Ostergeheimnis
d) das von den Aposteln gepredigte und in der lebendigen Tradition der Kirche überlieferte Wort Gottes ist
e) schließlich das Wort Gottes bezeugt und göttlich inspiriert in der Hl. Schrift ist, im Alten und im Neuen Testament."

Es ist klar, daß die Hl. Schrift im Wort Gottes ist, aber der Text der Schrift als solcher ist nicht das ganze Wort Gottes, das die Offenbarung Gottes an die Welt und die Kirchentradition umfaßt, das ist die dogmatische Definition; das Erbe der Konzile, auch wenn es nicht genau definiert ist, die Traditionen der zurückgezogenen Lebens, des Gehorsams, der Keuschheit, der Marienverehrung etc.
Es ist klar, daß an diesem Punkt das Wort Gottes bei Luther und in der Katholischen Kirche nicht übereinstimmen können und es ist klar, daß auf dieser Ebene die Katholische Kirche sehr wenig von Luther übernehmen kann.




Wir kommen jetzt zum Kern des Problems, beginnend mit einer beispielhaften Basisschrift Luthers : "De captivitate babylonica ecclesiae praeludium" (1520).
Darin revidiert er das ganze sakramentale System durch eine Art Rasur: " Hat dieses Sakrament hat oder hat es keine ausdrückliche Begründung im Text in der Schrift des Neuen Testaments?"
Das Resultat ist, daß nur zwei Sakramente sich retten können (Taufe und Eucharistie) -und ein drittes in der Mitte, das dann aber verworfen wird (Buße).

Luther benutzt also die Schrift,  um sie Wort Gottes werden zu lassen, durch drei Prozeduren, die wenig katholisch sind.
-die erste ist, daß er das Christentum als eine Buchreligion betrachtet, während wir in der Kirche die Heiligen Schriften sehr verehren, aber für uns der christliche Glaube keine "Religion des Buches" ist, aber die "Religion des Wortes Gottes", nicht die eines geschriebenen und stummen Wortes, sondern des inkarnierten und lebendigen Wortes" ist. (Verbum Domini 7).
Wenn das Christentum ganz und nur von den Schriften abhängen würde, müßten wir Christus herausnehmen, der nichts geschrieben hat....
Das zweite ist, daß wenn man sich nur auf die Schrift verläßt, man zu einer primitiven Reinheit ohne historische oder aktuelle Interpretationen kommt, man nimmt an, in einer "hermeneutischen Leere" zu agieren.
Aber es gibt keine solche hermeneutische Leere, weil jedesmal wenn man eine Schrift zitiert, sie mit einer anderen vergleicht, was man daraus entnehmen kann, wie die Kirche sein sollte oder das christliche Leben etc. interpretiert man sie. Und so ersetzt Luther die von ihm verspottete papistische Interpretation der Väter und der Konzile .... durch seine eigene.
-Schließlich erzeugen die beiden genannten Vorgehensweisen eine Verwendung, in der die Schrift wie außerhalb der Kirche ist, quasi wie die Kirche von außen zu bauen und zu beurteilen.

Sicher kann man den guten Willen zugestehen oder das nicht voll ausgeprägte Bewußtsein, solche Resultate zu erzielen, aber wenn "Luther einen großen Schritt gemacht hat, um das Wort Gottes in die Hände des Volkes zu legen" hat er das mit aus katholischer Sicht fragwürdigen Kriterien getan, um nicht zu  sagen inakzeptablen.

Wenn wir wegen des Wortes Gottes Luther nicht als Beispiel nehmen können, können wir ihn als Beispiel für seinen Eifer gegenüber der Schrift und beim Übersetzen der Bibel ins Deutsche nehmen und dafür einen direkteren Kontakt zum biblischen Text zu haben. ES ist wahr, daß in jener Zeit die Katholische Kirche etwas zurückgeblieben schien, aber man muß sich erinnern, daß der Kirchendienst, der in einer Welt von Analphabeten Gläubige geformt hatte, die durch die das lebendige Wort und die Bilder eine Kenntnis der Bibel erworben hatten, die den aktuellen sicher überlegen sind.
Und dann war auch Luther nicht gerade ein Heiliger, manchmal beugte er die Texte seinen Theorien. Zum Beispiel um zu beweisen, daß die Eucharistie, wie im Testament der Herrn versprochen, unseren inneren Qualen Ruhe gibt, zitiert er Psalm 22, 5 so:"du hast vor meinen Augen einen Tisch bereitet- gegen alle meine Qualen". Nun spricht der Text aber von "Feinden" und nicht von"Qualen", aber für Luther waren die Qualen passender und er hatte keine Skrupel, ein falsche Übersetzung zu machen (Eine Predigt über das Neue Testament, d.h. die Hl. Messe 1520)

So ist also der Eifer gegenüber den Schriften von Luther, während die Katholische Kirche ein bißchen weit zurück war? Absolut nein. Weil sich die Katholische Kirche den Schriften auf eine andere Weise nähert, die ich gern mit zwei maßgebenden Zitaten verbinden möchte.

Das erste ist vom Hl. Bonaventura (gest. 1274) :"Die ganze Schrift ist wie eine Kithara; Die letzte Saite kann allein keine Harmonie herstellen. aber zusammen mit den anderen. Genau so hängt ein Teil der Schrift vom anderen ab, sowie sich tausende von Teilen auf einen einzigen beziehen." (Collationes in Hexameron, 19,7)
Wenn man das Bild Bonaventuras ausweitet, sollte die Schrift nicht nur in ihrem Inneren harmonisch sein, sondern auch mit dieser Welt, den Konzilsdefinitionen, mit dem, was im christlichen Leben langsam erworben wurde, oder gereift ist  (z.B. die drei Weihegrade, die im NT nicht so klar sind) etc. "Die Schrift wird verkündet, gehört, gelesen. angenommen und gelebt als Wort Gottes . in den Spuren der apostolischen Tradition, von der sie nicht zu trennen ist." (Verbum Domini 7)

Das zweite Zitat stammt von einem Theologen unserer Zeit, Yves Congar (gest. 1995) :"Die Kirche empfängt den Inhalt ihres Glauben nicht aus der Schrift: das, was sie findet ist etwas ganz anderes...die Wirklichkeit selbst ist viel tiefer als irgendeine Äußerung" (Wahre und falsche Reform in der Kirche, Jaca-Book, Mailand 1972, S. 377). Das ist eine gewagte Behauptung, die den 1- Korinther 15, 3-4 zu verleugnen scheint: (...) "Christus starb für unsere Sünden nach der Schrift (...) er wurde begraben (...) und ist am dritten Tag auferstanden nach der Schrift".  In Wirklichkeit ist es nicht einfach, im AT exakte Texte zu finden, die vom Tod, dem Begräbnis und die Auferstehung nicht von irgendwem, sondern von Jesus Christus sprechen: wenn Paulus sie findet, dann weil er zuerst den in der Kirche lebendigen Christus gefunden hat. Und dieses Vorgehen gilt für viele andere Inhalte von gestern und heute.

Schließlich hat das II Vaticanische Konzil gefordert, die Schätze de Bibel weiter zu öffnen, weil auf diese Weise die Liturgie die Predigt und die Theologie frömmer erblühen (SC 24, 51; DV 24).
Wenn es von den Beziehungen der Katholischen Kirche mit der Welt der Reformation spricht (UR 21) sieht es immer die Übereinstimmung über die Heilige Schrift und das Nichtübereinstimmen beim "Wort Gottes" und erklärt, daß es "Differenzen wegen der lehramtlichen katholischen Weise das geschriebene Wort Gottes auszudrücken und zu predigen gibt."Diese Unterscheidung des II Vaticanischen Konzils - bis hierher illustriert- erscheint mir als weises Kriterium für die Interpretation der Worte von Papst Franziskus und dafür wo wir Luther bezüglich der Bibel als Beispiel nehmen können und wo nicht.

Es versteht sich, dass die Konvergenz der "Heiligen Worte / Heilige ELOQUIA" der Beginn des Dialogs ist, um "diese Einheit zu erreichen, die der Erlöser allen Menschen anbiete". Obwohl das Erreichen der Einheit bedeutet, ein "katholisches" "Wort Gottes" zu akzeptieren. Ansonsten ist es nicht weniger schlimm, korrekt (und schmerzhaft) getrennt zu bleiben als falsch vereint."

Quelle: Riccardo Barile, La Nuova Bussola Quotidiana





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