Stefano Fontana untersucht bei La Nuova Bussola Quotidiana die neuen ökumenischen Anläufe der römischen Kirche zu einer gemeinsamen Wegstrecke mit den Protestanten und die Verschönerungsbemühungen am Reformator Luther selbst und wägt ab, wie realistisch beides ist.
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"ES IST UNMÖGLICH, MIT LUTHER ZU GEHEN"
An diesem 500. Jahrestag der Lutherischen Reformation scheinen die Katholiken- vor allem die Männer der Kirche und Theologen- sich auf zwei Aspekte konzentrieren zu wollen. Der erste sind eher die subjektiven Ziele Luthers als die dogmatischen Inhalte der Reformation. Der zweite ist, eine "gemeinsamen Wegstrecke" zu gehen, unabhängig von dogmatischen Fragen.
Man kann gut sehen, daß aber diese beiden Schwerpunkte bereits die lutherische Perspektive einnehmen, sie wohnen der Reformation inne, weil sie zwei wichtige Voraussetzungen akzeptieren.
Es ist offensichtlich, daß die Reformation der Subjektivität Luthers viel verdankt, seinen inneren Erfahrungen und seinem Charakter. Seine Biographie -sei sie psychologisch, sei sie spirituell sollte nicht vom Tisch gewischt werden. Darüber haben -zu Recht- viele geschrieben, von Jacques Maritain zu Jean Guitton zu Angela Pellicari. Trotzdem darf man das nicht verabsolutieren und es zum einzigen Focus machen.
Die heutige Tendenz ist dagegen die: zu behaupten das Luther keine Revolution sondern eine Reform der Kirche wollte. Bis gestern war es deutsche Linie, zu sagen, daß die Reform keine Reform war sondern eine Revolution. Heute sagt man das Gegenteil.
Kardinal Kasper sagt de facto in seinem letzten, bei Morcelliana erschienenen Büchlein über Luther:
"Luther war ein Mann, der sich nach einer Erneuerung sehnte, kein Reformator. Mit diesem evangelischen Beispiel stellte sich Luther in die lange Tradition der katholischen Erneuerer, die ihm voran gegangen waren. Man denke da besonders an Franziskus von Assisi."
Es sieht so aus, als würden die Dinge so eingeordnet: die ursprünglichen Ziele Luthers waren gut und legitim, dann hat die Geschichte Hindernisse und produziert, nicht zuletzt durch die Katholische Kirche verursacht, die auch- wie Pater Pani in Nr. 4000 von Civiltá Cattolica schreibt-Kommunikationsprobleme schufen und Unverständnis und wenn es hier eine Verbindung mit den ursprünglichen Absichten gibt, kann man alles an seine Stelle rücken. Die kühne Verbindung zwischen Luther und dem Hl. Franziskus sagt viel über die Ziele dieser Strategie aus.
Diese Behauptung stellt die Elemente dogmatischen Inhalts der Reform in die zweite Reihe, um sich auf den guten Glauben des Zeugen zu konzentrieren.
Aber ein Zeuge kann nicht nur für seinen guten Willen verantwortlich gemacht werden, sondern auch für die Wahrheit dessen. was er sagt.
Die Konzentration auf die subjektiven Absichten Luthers akzeptiert bereits die lutherische Einstellung zu den Dingen. Der Glaube- ist der subjektive Akt des Glaubens oder der geglaubte Inhalt (die Experten sprechen vom fides qua e di fides quae)
Heute fallen für den Katholiken beide Dinge zusammen, aber nicht für den Lutheraner, für den gilt nur das Erste. Der Glaube im Lutherischen Sinn ist ein "sich anvertrauen", ein vertrauender Glaube an Christus. Pater Coggi, OP, erklärt in seinem letzten Buch über Luther, von "Studio Domenicano di Bologna" herausgegeben, gut, daß der Glaube Luthers, "ein Glaube ohne Dogmen ist."
Konzentriert man die Aufmerksamkeit nur auf die subjektiven Absichten Luthers, ist das schon ein sich Einordnen in die Luther-Perspektive der Zentralität des individuellen Gewissens und eines Glaubens ohne Argumente.
Auch der andere Aspekt, auf dem die Katholiken an diesem 500. Jahrestag bestehen, hat diese Charakteristika. "Eine gemeinsame Wegstrecke gehen" bedeutet die Praxis, ein gemeinsames Handeln der Lehre voranzustellen. Es ist schwierig, den Reformierten einen ähnlichen Vorschlag zu machen. Wenn man eine gemeinsame Wegstrecke gehen will- trotz der doktrinalen Verschiedenheit- müßte man das natürliche Moralgesetz, das Luther aber als Frucht einer sich prostituierenden Vernunft verleugnet, überdenken.
Es ist nicht schwierig, im ökumenischen Dialog erhebliche Schwierigkeiten in der Praxis zu finden, z.B. bei bio-ethischen und bio-politischen Fragen und den sog. "neuen Rechten" , die zeigen, daß es unmöglich ist, zusammen zu gehen, ohne die erforderlichen doktrinalen Klarstellungen.
In jedem Fall ist die Priorität der Praxis vor der Lehre eine typisch lutherische Position. Der Mönch war de facto nicht an Erkenntnis interessiert sondern daran, sich in der Gnade zu fühlen, wie gerade viele seine Interpreten von Maritain bis Coggi explizit erklärt haben.
Er hat sich nicht für Christus als solchen interessiert, sondern für Christus für ihn selbst. Er hoffte die Erfahrung der Erlösung Christi zu machen, nicht ihn kennen zu lernen. Sein Ziel war- mit anderen Worten- ein äußerst praktisches. Auch unter den Katholiken von heute denkt man an den Glauben eher als eine Erfahrung denn als eine Erkenntnis und man muß sich fragen, ob das nicht dem protestantischen Einfluss zu verdanken ist. Die Wahrheit Christi kommt für Luther, der den Christus des Glaubens vom Christus der Geschichte trennt, erst an zweiter Stelle.
Die Entmythologisierung des Evangeliums könnte auch total werden. so wie es Rudolf Bultmann tun wollte, aber das würde den Glauben nicht berühren, der keinen Bedarf an Argumenten hat.
Wie soll man die Wahl dieser beiden gegenüber der Reformation so übereinstimmenden Sichtweisen anders sehen, wenn nicht als Zeichen einer exzessiven Bereitschaft, das Tempo bei vielen dornigen Fragen zu beschleunigen?
Quelle: La Nuova Bussola Quotidiana, Stefano Fontana
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