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Mittwoch, 8. November 2017

Fortsetzung: Magister - die dubia sind lebendiger denn je

Fortsetzung von Sandro Magisters Artikel zu den dubia  hier

(...)"Die moralische Beurteilung beruht auf Definitionen, soll heißen auf der Entschlossenheit und der Bedeutung des Gewissens, das sich in diesem Umfeld befindet. 
Das Verständnis von "in sich schlecht" ist nicht mehr als eine leere Hülle, allenfalls ein Referenzpunkt, ein formaler Wert für die Entscheidungsfindung.  Deshalb bedeutet es nicht länger das, was es in VS tat: einen Akt. zu dem man sich niemals unter welchen Umständen und mit welchem Ziel auch immer entschließen darf, weil, der Mensch, der das täte, das wahre Gute leugnen würde, sich selbst von Gott und seinem eigenem Glück trennen würde.

Pater Thomassets Anmutung ist: daß das Moralgesetz eine Norm ist, die der Freiheit und dem Gewissen entgegen steht, und daß das  Gewissen sich in diesem möglichen Konflikt urteilend entscheiden muß. 
Fr. Thomasset projiziert deswegen auf VS eine legalistische "Geisteshaltung", daraus erklärt sich dann der Widerspruch, in den er gerät. 
Nun ist gemäß dem Hl. Thomas - wie "Veritatis Splendor" ihn zitiert- das Moralgesetz ein Licht, das die Vernunft erleuchtet über das wahre Gute der Person und ihr erlaubt, zum eigenen Glück zu handeln. Die Handlung wird deshalb gut oder schlecht genannt, je nachdem ob sie in Beziehung zu den Zielen der Person vernünfrig bleibt. 
Das Gewissen ist dieses Licht der Wahrheit für die individuelle Aktion, die duchgeführt werden soll.  Wie viele heute, ruft der Jesuitische Theologe den Hl.Thomas an. um die universale Tragweite des Naturgesetzes zu bestreiten, das nicht in der Lage sei, die Möglichkeiten und Komplexität des praktischen Lebens zu umfassen.
Aber die Tugend der Vorsicht hat niemals darin bestanden, zu Ausnahmen zu ermächtigen oder über Konflikte der Pflichten zu urteilen.

Das ist es. womit das hic et nunc den Weg der Realisierung des wahren Guten determiniert. Ein vorsichtiges Urteil ist praktisch und ersetzt nicht das Urteil des Gewissens. Nur die. die das Naturrecht nach dem Modell des politischen Rechts wahrnehmen. können die Lehre des Hl. Thomas benutzen, um angenommene Ausnahmen der Verbotsvorschriften zu rechtfertigen. 
Ehebruch wird nie eine Handlung sein, die für die Person gut, ist, die in diese Situation geraten ist, auch nicht, wenn er ihm einen neuen Namen gibt.
Diese Taktik ist so alt wie die Welt: jeder versucht, die Lage im für sein Gewissen vorteilhaftesten Licht zu präsentieren, damit es aufhört, ihn zu stören. 
Die heute so geschmähte Kasuistik hatte es noch nie so gut. Und es ist eine sichere Wette, daß sogar die Seligsprechung Pascals diesbezüglich nichts ändern wird.


Jean Miguel Garrigues erkennt, daß die Dubia auf eine Antwort warten, aber er beschuldigr Kardinal Müller "wegen seiner unnachgiebigen Position" keine "fruchtbare Zusammenarbeit zwischen der Glaubenskongregation und dem Papst " (S.114) ermöglicht zu haben.
Man könnte dem entgegenhalten, daß der Kardinalpräfekt getan hat, was er konnte, um die Kontinuität und Konsistenz der Stellung der Kirche in dieser Hinsicht zu bewahren. 
Nicht später als 1995 bekräftigte Kardinal Ratzinger in der Einleitung eines Buches, hinter dem der Hl. Johannes Paul II audrücklich stand, daß die Position von "Familiaris Consortio" Nr. 84 auf der Hl. Schrift beruht und daß sie mit diesem Herkunftsnachweis nicht nur eine "rein disziplinarische Regel ist, die von der Kirche geändert werden könnte. Sie entstammt einer objektiven Situation, die in und durch sich selbst, den Zugang zur Hl. Kommunion unmöglich macht."
Der Nachfolger Kardinal Ratzingers hatte also mehr als  Recht, zu behaupten, daß wenn ein Papst eine so alte und wohl eingeführte Praxis ändern wollte, er das nicht in einer Fußnote getan hätte, einer Fußnote, deren Bedeutung nicht klar ist, weil sie die Art der betroffenen Gläubigen nicht klar spezifiziert.

Fr. Jean-Miguel Garriegues behauptet, daß die derzeitigen Schwierigkeiten durch "eine theologische Schule" hevorgerufen werden, die zur Abfassung von "Veritatis Splendor" beigetragen hat,  aber damit endete, sie zu verabsolutieren, ohne die Grenzen ihrer Anwendbarkeit wahrzunehmen. Die Enzyklika von Johannes Paul II spricht vor allem die Moralfrage der objektiven Spezifizierung einer Handlung auf Basis der Vernunft an, während "Amoris Laetitia" sie auf der Basis der Ausübung des Appetits und deshalb von äußeren Einflüssen anspricht.

Diese beiden Zugehensweisen sind einander entgegengesetzt, weil Vernunft und Wille beide an der Wurzel menschlichen Handelns sind. Kurz gesagt, die Objektivität und die Zurechenbarkeit des handelnden Subjekts dürfen nicht verwechelt werden. Es ist deshalb eine Sache der Unterscheidung zu einer Einigung zu kommen. 
Fr. Garrigues beschuldigt statt dessen  diese "theologische Schule", das Subjekt in die moralischen Überlegungen einzubeziehen.
Die dubia würden deshalb einer mentalen Rigidität und pastoralen Engstirnigkeit geschuldet sein, die anläßlich der Veröffentlichung von "Amoris Laetitia" manifest wurden.
Eine nicht rigide Interpretation von "Veritatis Splendor", wie sie Fr. Garrigues vorschlägt, würde es möglich machen, nicht nur auf die dubia zu antworten, indem man die Gegensätzlichkeit der beiden Texte betont, sondern auch, indem man formal dieses Wiederaufleben des "Tutiorismus" im Dickicht der Moderne verurteilt, 
Auf jeden Fall hält die Taktik, die darin besteht, den guten Weizen von "Veritatis Splendor" vom Unkraut dieser "theologischen Schule" zu trennen, der Analyse nicht stand.

Und de facto nennt Pr. Garrigues nie den Namen dieser Schule und er diskutiert nie den ein oder anderen Text daraus. Das hätte zu viel Zeit gekostet und würde außerdem dazu geführt haben, daß er die Leere eines solchen Vorwurfs bemerkt hätte, 

Man kann sicher anderer Meinung sein als Kardinal Caffarra oder Msgr. Livio Melina (weil sie augenscheinlich die Hauptbeschuldigten sind, die niemals namentlich genannt werden) aber es scheint intellektuell unehrlich, ihre Überlegungen und ihr pastorales Engagement (falls man ihnen ein solches zugesteht) auf einen Tutiorimus reduziert, oder Untreue gegenüber Johannes Paul II auf Grund übermäßigen Eifers. 
Man darf wirklich nie eine Zeile ihrer Schriften gelesen haben, um sie zu beschuldigen, das moralische Subjekt zu ignorieren und die Aktion anzuordnen. 
Ich habe z.B. den Text einer Konferenz vor mir, die Kardinal Caffarra in Ars zu Beginn der 1990-er Jahre veranstaltet hatte. Es geht um Christiche Subjektivität. Und richtig, daß das Problem (schon) das des moralischen Legalismus ist, wobei dann der Proportionalismus nichts anderes als eine Variation ist.
Jetzt erlaubt nur die sogfältige Analyse der Dynamik menschlichen Handelns - die auch die Willensentscheidung, die getroffen wird umfaßt,- uns zu helfen, aus einem Zugang  herauszukommen, in dem Gesetz und Gewissen als zwei konkurrierende Pole gesehen werden.
Hören wir dem zu, den der Hl. Johannes Paul II als engen Mitarbeiter für ein seinem Herzen am nächsten stehendes Thema gewählt hatte- Sexualethik, Ehe und Familie:

"Beim Menschen kann man nur durch seine und in seinen Entscheidungen die Absicht erkennen. Im menchlichen Leben ist das Wichtigste nicht das Urteil des Gewissens, sondern das der Wahl.
Man wird nicht Christ, weil man das denkt. so wie man nicht nur deshalb existiert, weil man über das Existieren nachdenkt.
Ich werde nicht christlicher, wenn ich tiefer über das Christentum nachdenke: menschliche Gedanken schaffen keine Existenz. Es gibt nur eine Art, Christ zu werden: man sucht es aus und entscheidet sich, Christ zu werden, Aber das Urteil des Gewissens ist praktisch nur ein mögliches während die Wahl praktisch ist: es ist die Ausübung der Vernunft im Akt der Wahl. Das durch das Gewissensurteil erzeugte Verstehen ist unzureichend , weil es von der Person nur im Augenblick der Wahl überschaubar; es kann ein Verstehen sein, das nicht die Person als Individuum betrifft, mit ihren Wünschen, die in dieser gegebenen Situation handeln muß. Wenn ein solches Verstehen nicht das ausdrückt, was das Individuum wirklich wünscht, bleibt es unwirksam."

Carlo Caffarra war mit Newman und Kierkegaard gründlich vertraut. Er hatte sich auch den Wojtyla-Personalismus sehr gut angeeignet-die auf der umfassenden Erfahrung der handelnden Person basiert.

Zu behaupten, daß diese "theologische Schule" die Ordnung der praktischen Ausübung ist genau so absurd wie das zentrale Kapitel von Veritatis Splendor vom ersten Kapitel zu isolieren, das die Berufung des reichen jungen Mannes reflektiert und vom dritten Kapitel, das zum Martyrium in Treue zum erlösenden Willen Gottes aufruft.

Father Garrigues antwortet mit "ja" auf die fünf "dubia". Die Unterscheidung von Einflüssen, die das Gewissen und den Willen des Subjekts begrenzen, erlauben in gewissen Fällen für die geringe Verantwortlichkeit des Subjekts in einer Lebenssituation, die im Widefrspruch zum Evangelium steht, zu plädieren. Aber wie viele bereits betont haben, genügt das nicht, um die Sakramente zu empfangen. Nicht ohne mit der Form zu brechen. die die Kirche bis heute in der Verbindung zwischen Glauben, moralischem Leben und der Sakramentenordnung bewahrt hat.
Das zu sagen, leugnet nicht die Subjektivität zugunsten einer tödlichen Objektivität.
Es bedeutet im Gegenteil, die Subjektivierung möglich zu machen, die adäquat ist zur vollständigen Wahrheit des menschlichen Seins. Das ist die Rolle jedes Hirten. Das war die größte Sorge dieses wunderbaren Hirten, der Karol Wojtyla war. Ohne jeden Zweifel kann eine bestimmte Interpretation von AL die Spezifizierung und Erforschung der Modalitäten dieser Subjektivierung möglich machen. Nur der Hl. Vater kann das richtige Annehmen der Exhortation festlegen. Dann wird der Text nicht länger Anlass für Teilung und Verwirrung sein, sondern für Reifung und Einheit.

Quelle: Settimo Cielo, Sandro Magister


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