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Sonntag, 12. Januar 2020

Magister zur Vatican-Diplomatie im Mittleren Osten

Sandro Magister analysiert bei Settimo Cielo im Licht der jüngsten Ereignisse um den getöteten Terroristen Suleimani den Stand der diplomatischen Beziehungen zwischen dem Hl. Stuhl und dem Iran. Bemerkenswert auch, daß es für so manchen Leser/Hörer der mainstream-Medien eines Vaticanisten bedarf, um über die Vorgeschichte und Hintergründe des Geschehens informiert zu werden. Hier geht´s zum Original:  klicken

"ABGEKÜHLTE BEZIEHUNGEN ZWISCHEN DEM VATICAN UND DEM IRAN, SOGAR  SCHON VOR DER TÖTUNG SULEIMANIS" 

"Sechs Tage nach der Tötung des iranischen Generals Qassem Suleimani in Bagdad gab es große Erwartungen, was Papst Franziskus in seiner traditionellen Ansprache zum Jahresanfang an das Diplomatische Corps sagen würde.

In dieser Hinsicht äußerte sich der Papst mit den Worten, die er zuvor beim Angelus am 5. Januar ausgesprochen hatte.

"Besonders beunruhigend sind die Signale, die aus dem gesamten Mittleren Osten kommen in der Folge der verstärkten Spannungen zwischen dem Iran und den USA - mit dem Risiko vor allem für den schrittweisen Wiederaufbau des Iraks ebenso aber auch den Grundstein für einen  größeren Konflikt legen könnte. den wir alle vermeiden wollen. Ich rufe daher erneut dazu auf, daß alle Beteiligten eine Eskalation des Konfliktes vermeiden und unter uneingeschränkter Achtung des Völkerrechts die Flamme des Dialogs und der Selbstbeherrschung am Leben erhalten.

Es ist anzumerken, daß es eine langjährige Beziehung zwischen dem Hl. Stuhl und dem Iran gibt, Seit 1954 bestehen diplomatische Beziehungen. Auch mit dem schiitischen Islam und seinen Ayatollahs gibt es eine gefestigtere Tradition des kulturellen Austauschs als mit dem sunnitischen Islam.
Auf geopolitischem Gebiet hat die vaticanische Diplomatie im Iran im Allgemeinen eher ein Stabilisierungs-  als einen Konfrontationsfaktor angesehen -auch für den Schutz der christlicher Minderheit im Iran und im benachbarten Syrien.
Während des noch andauernden Syrienkonfliktes war der Hl. Stuhl immer auf der Seite der Macht Bashar el Assads- die hauptsächlich von den al Quds-Milizen Suleimans gesichert wurde- gegenüber der Zivilbevölkerung nicht weniger unbarmherzig als gegenüber den Kämpfern.

Vor kurzem jedoch gab es im Vatican einige Zeichen für ein kritisches Abrücken vom der traditionellen Politik der "guten Nachbarschaft" mit der Islamischen Republik Iran.

Der Text, den "La Civiltà Cattolica" der Presse wenige Stunden vor der Tötung Suleimans geschickt hat, ist ein interessanter "Test" dafür, wie der Vatican jetzt auf die iranischen Hegemoniebestrebungen gegenüber dem Libanon, dem Irak und Syrien schaut.

Giovanni Sale, der in dem von Fr. A. Spadaro geführten Magazin - das mit Zustimmung des Papstes publiziert-, für die Muslimische Welt zuständig ist, hat den Volksaufständen, die seit etlichen Monaten in Libanon, Irak und Iran stattfinden 10 Seiten gewidmet.

Und was den Irak betrifft, schreibt Fr. Sale, daß die Hauptziele des Protests der Jugend eben "die Ayatollahs von Teheran sind, die sehr daran interessiert sind, die Region, die Schiitischer Halbmond genannt wird, strategisch zu kontrollieren."

Im Irak- erklärt der Jesuit- gibt es zur Zeit ein "inoffizielles Quotensystem" das "die Macht zwischen drei Wählergruppen -den Shiiten, Sunniten und den Kurden aufteilt." und dabei den Shiiten Vorrang gibt- mit Unterstützung des Irans- einschließlich militärischer Hilfe.





Und diese militärische Hilfe trat genau zu Beginn der Volkserhebung gegen die iranische Übermacht in Aktion- schreibt Fr, Sale.

"Seit dem Ausbruch des Protestes am 1. Oktober 2019 gab es nach offiziellen Schätzungen rund 360 Tote und 16.000 Verletzte. In der ersten Woche des Aufstands feuerten dort nicht identifizierte Scharfschützen, die dem Iran zuordnet werden.
Die Bereitschaftspolizei der Brigade 46, die für die Sicherheit der extrem geschützten "grünen Zone" zuständig ist, in der die Regierung residiert, hat sich ebenfalls aktiv an der Repression beteiligt und scharfe Munition abgefeuert.“

Aber trotzdem -so fährt der Jesuit fort- breitete sich der Protest ab Mitte November in den Iran aus. Und auch dort war die Unterdrückung blutig,

"Viele Demonstranten protestieren auch gegen die expansive Außenpolitik der Islamischen Republik mit der Unterstützung ihrer Alliierten und regionaler Klienten, der Hizbollah im Libanon, den Huthi im Jemen, der Syrischen Regierung und den zahlreichen irakischen Schiiten-Milizen, [...]
Die Demonstrationen  sind massiv unterdrückt worden- was laut Amnesty International mindestens 208 Tote zur Folge hatte. [...] Die Revolte ging jedoch weiter- teilweise wegen der  sozialen Unzufriedenheit, die das Land- nicht nur aus wirtschaftlichen Gründen erschüttert,
Umstritten ist dabei der Export der Islamischen Revolution, die das Regime legitimiert und dafür in entfernten Kriegen öffentliche Gelder ausgibt, während sie der Bevölkerung die Grundversorgung vorenthält."

Am Schluß seiner Analyse schreibt Fr. Sale:
„Die Propaganda des Regimes interpretierte die Tatsachen sofort nach den üblichen Klischees: Die Straßenaufstände wurden von den Feinden der islamischen Revolution manipuliert. [...] Aber selbst wenn die Proteste im Iran, im Irak und im Libanon irgendwie unterdrückt werden sollten, würde das Problem für Teheran bestehen bleiben. Es sind nicht nur die Amerikaner, Israelis oder Saudis, die den schiitischen Einfluss in der Region begrenzen und die Herrscher der Islamischen Republik bedrängen wollen. Der Druck kommt auch von den verarmten und desillusionierten Gemeinden des Nahen Ostens, für die die alten Parolen des Widerstands gegen die "äußeren Feinde" der schiitischen Revolution nicht mehr ausreichen und nicht einmal mehr notwendig sind. "

Das ist alles, was "La Civiltà Cattolica" dazu schreibt. Es gibt aber auch das Unausgesprochene, was der Vatikan zwar weiß, aber lieber verschweigt. Und zum Unausgesprochenen gehört die Rolle, die General Suleimani seit vielen Jahren spielte, bevor ihn eine Rakete, die von einer amerikanischen Drohne abgefeuert wurde, in der Nacht vom 2. auf den 3. Januar direkt außerhalb des Flughafens von Bagdad tötete.

Wenn Fr Sale die "nicht identifizierten Scharfschützen, die dem Iran zugeschrieben werden", erwähnt, die auf die Demonstranten in Bagdad geschossen haben, macht er nicht klar, daß die irakischen Sicherheitskräfte zu Beginn des Protests mit Premierminister Adil Abdul Mahdi, einem Schiiten, zusammentrafen. Die Entscheidung darüber, wie der Protest unterdrückt werden sollte, oblag Suleimani selbst, wie aus einem ausführlichen Korrespondentenbericht von Associated Press hervorgeht. Und am nächsten Tag begannen die Scharfschützen von den Dächern zu schießen.

Bei der Angabe der Opferzahlen in Bagdad folgt „La Civiltà Cattolica“ den „offiziellen Schätzungen“. In drei Monaten der Demonstrationen scheinen die Zahl der Toten und Verletzten laut Berichten jedoch um mehr als 600 bzw. 22.000 gestiegen zu sein- nach dem was dem "Corriere della Sera" vom 8. Januar von Ahmed al Mutlak, Mitglied des Parlaments und Generalsekretär der sunnitisch-irakischen Partei "Verhandlung und Veränderung " berichtet wurde.

Suleimani war auch am Verschwinden von 12.000 sunnitischen Irakern beteiligt, die als mutmaßliche Mitglieder der Opposition auf der Flucht aus den vom IS besetzten und dann verlorenen Regionen nach Süden gefangen genommen wurden.

Im Irak setzen sich die schiitischen Milizen, die direkt oder indirekt von Suleimani kommandiert wurden, aus über 140.000 Kämpfern zusammen, die größtenteils vom Iran infiltriert sind und sich ins offizielle Militärkorps einfügen. Zum Beispiel, wie Ahmed al Mutlak weiter zum "Corriere" sagt, ist der Militärchef von Ashad al Shaabi der schiitischen Volksmobilisierungskräfte derselbe Faleh al Fayaz, der den irakischen Militärgeheimdienst kommandiert und dessen Stellvertreter jener Abu Mahdi al Muhandis war, der zusammen mit Suleimani im Fahrzeug von der amerikanischen Rakete getroffen wurde.
Al Muhandis war auch der Anführer der Kataib-Hisbollah, der "Bataillone der Partei Gottes", der schiitischen Miliz, die Ende Dezember den Angriff auf die amerikanische Botschaft in Bagdad anführte und Mitte Dezember Dutzende friedlicher Demonstranten in Bagdad massakrierte. Laut Aussagen von Daniele Raineri, Korrespondent von "il Foglio", haben sie in der Garage in Bagdad übernachtet.

Suleimani war der allmächtige Stratege an der Spitze der Al-Quds-Miliz, der Wächter der Revolution, der Elitetruppe der Armee der Islamischen Republik Iran, die verdeckte Operationen im Ausland durchführte.

Der Krieg in Syrien zur Unterstützung von Assads pro-iranischem Regime war seine größte Aufgabe. Im Jahr 2015 war es Suleimani, der Putin überredete, mit russischen Bomberflugzeugen einzugreifen, während er für die Schlacht vor Ort sorgte und Hunderte von schiitischen Söldnern in Afghanistan, Pakistan, Irak und nur in begrenztem Umfang im Iran rekrutierte. Um ein Stadtviertel oder ein Dorf zu erobern, führte Suleimani einen Großkrieg: keinen riskanten  Häuserkampf, sondern Belagerung. Kein Wasser, keine Lebensmittel oder Medikamente mehr für die gesamte Bevölkerung, ohne zwischen Kämpfern und Zivilisten zu unterscheiden. Mit Hunderttausenden von Opfern. Die Überlebenden haben vor einigen Tagen nicht um ihn getrauert.

Im Iran, im Meer der Menschenmasse zu seiner Beerdigung, waren diejenigen nicht anwesend, die in den vergangenen Wochen genau gegen diesen „Export der islamischen Revolution“ demonstriert haben, der das Hauptziel von Suleimanis Aktionen war.

Vor allem nicht anwesend waren die Familien der "mindestens 208 Toten", die laut der von "La Civiltà Cattolica" veröffentlichten  Bilanz von Amnesty International den höchsten Preis für diese Forderung nach Freiheit bezahlt haben, die Suleimani so sehr gehaßt hat.

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister

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