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Montag, 15. Juni 2020

Die Finanzreform in der Kurie, die Finanzaffäre und Vatileaks reloaded...

A, Gagliarducci analysiert und kommentiert in seiner wöchentlichen Kolumne in "Monday in the Vatican" den aktuellen Stand der Dinge in der Vatican-Finanz-Affäre. Dabei stellt er angesichts der vielen Indiskretionen und Veröffentlichungen vertraulicher Dokumente auch fest, daß Vatileaks zurück ist.
up-date: Gianluigi Torzi ist heute aus der Vatican-Haft entlassen worden.
Hier geht´s zum Original:  klicken

"PAPST FRANZISKUS, DIE OFFENE FRAGE DES FINANZSKANDALS" 

"Die Verhaftung von Gianluigi Torzi im Vatican hat zu mehr Fragen als Antworten geführt. Torzi ist der italienische Broker, der in London lebt und Vermittler des vaticanischen Staatssekretariates beim Erwerb einer Immobilie in der Sloane-Street in London war.

Am Anfang hatte das Staatssekretariat beschlossen, in den Immobilienfond Athena-Fond des Geschäftsmannes Raffaele Mincione zu investieren. Das Staatssekretariat kaufte keine Immobilien. Es kaufte nur Aktien des Fonds, dem das Gebäude gehörte.

Diese Investition brachte keine Gewinne ein sondern einen Verlust von 18 Mill. €. Also beschloss das Staatssekretariat, die Zusammenarbeit mit Athena-Fond zu beenden und das Gebäude zu kaufen.
Bei dieser Transaktion kam Gianluigi Torri ins Spiel. Torzi half beim Kauf. Er schlug dem Hl. Stuhl vor, die Anteile über Gutt SA, eine in Luxemburg beheimatete Gesellschaft, zu erwerben.

Torzi soll mehrere Tausend Aktien der Kategorie A mit Abstimmungsrecht besessen haben und damit die Möglichkeit das Grundeigentum zu kontrollieren. Um das Gebäude schließlich erwerben zu können, willigte- den Quellen zufolge- das Staatssekretariat schließlich ein, Torzi zwischen 5 und 15 Millionen € zu überweisen.

Als das Staatssekretariat das IOR bat, das Geld vorzustrecken, um den Kauf abzuschließen.  unterrichtete das IOR den Wirtschaftsprüfer ad interim und den Papst. Dieser Bericht führte zu einer Untersuchung durch den Staatsanwalt des Vaticans und zu Durchsuchungen und Beschlagnahmen im Staatssekretariat und der Finanzaufsicht, dem vaticanischen Finanzwachhund. Die Untersuchung führte auch zur Entlassung von 5 Vaticanmitarbeitern. Daraus wurden dann 6 -nachdem die Vatican-Gendarmerie die Wohnung von Msgr. Alberto Perlasca durchsucht hatte, der Leiter der Verwaltung des vaticanischen Staatssekretariates war.

Diese Suspendierung wurde bis zum 31. Juli verlängert, ein anderer wurde nicht in seiner Stellung bestätigt, ein weiterer auf einen anderen Posten versetzt und der Letzte nach Hause geschickt.
Es lohnt sich, sich daran zu erinnern. daß alle diese Maßnahmen ergriffen wurden, obwohl es noch kein Gerichtsverfahren gegeben hatte: die Untersuchungen gehen weiter und gegen die Mitarbeiter wurde keine Anklage erhoben. 

Es sieht so aus, als ob Papst Franziskus darauf drängt, zu handeln und jetzt zu handeln  Der  Corriere della Seera hat berichtet, daß der Papst aus dem Sloane-Sreet-Fall herauskommen und die von Kardinal Pell eingeleiteten Finanzreformen beschleunigen will.  




In dieser chaotischen Situation widersprechen sich viele Narrative. Zuerst wurde gesagt, daß Pells Reform auf Widerstand stieß, weil die Leute mit ihrem Fehlverhalten fortfahren wollten.  Jetzt treffen Papst Franziskus´ Reformen auf Widerstand, und deshalb- so das Narrativ- führt jetzt der Papst Kardinal Pells Reformen weiter. Keine dieser Überlegungen berücksichtigt aber daß die Verbesserungen an Kardinal Pells Reformen, die den Hl.Stuhl und seine Besonderheit bewahren sollten, sich nicht notwendigerweise gegen Kardinal Pell richten. Wenn wir dieser Rationale folgen. hat Papst Franziskus die Initiativen Kardinal Pells spät verstanden. Vielleicht steht hinter allen diesen Geschichten die Tatsache, daß der Hl. Stuhl hier der einzige Verlierer ist.

Die aktuelle Situation ist ein comeback von Vatileaks. Von Anfang an scheint Vatileaks ein Angriff auf die Souveränität des Hl. Stuhls gewesen zu sein. Die geleakten Papiere sind Dokumente der Untersuchung und sie wurden in den Zeitungen veröffentlicht. Unglaublicherweise hat der Hl. Stuhl beschlossen, die Leaks nicht zu verfolgen. sondern statt dessen bei Vatican News ein up-date zu veröffentlichen. Diese Entscheidung ruft viele Zweifel hervor, weil die Untersuchung noch läuft und viele Dinge geklärt werden müssen. Laut Vatican News soll Torzi einen Erpressungsversuch gemacht haben, als er die Bezahlung seiner Arbeit verlangte. 

Das ist aber eine merkwürdige Situation, mit der man sich auseinander setzen muß: Torzi wurde aufgefordert, gegenüber der Vaticanischen Staatsanwaltschafts eine Stellung zu erklären und wurde nach seiner Aussage verhaftet. Hier stellt sich die erste Frage: ist es möglich, jemanden als Zeugen vorzuladen und ihn dann sofort zu verhaften und anzuklagen? Wenn sich dieses Vorgehen als unrechtmäßig erweisen sollte, wird der Hl. Stuhl wegen Rufschädigung verklagt und zu einer Zahlung von Millionen € verurteilt werden.

Gleich nach der Verhaftung veröffentlichten freundlich gesinnte Medien "vertrauliche" Dokumente der Vaticanischen Staatsanwaltschaft. Jemand nannte das eine "Desinformations-Strategie". Der Angeklagte hätte von den Dokumenten-Leaks in den Medien profitieren können, besonders weil die Untersuchungen weiter gehen. Wer hat also die Dokumente weitergegeben und warum? Wer ist der sog. Vatican-Rabe? 

Es sieht so aus, als entwickelten sich die Dinge alle in die gleiche Richtung- eine unklare Italienisch-Vaticanische Beziehung, die es bereits während der Vatileaks-Zeit gab. Leaks sind eine Art unkonventioneller Waffe. Einige Menschen diesseits und jenseits der Vaticanischen Mauern haben eigene Interessen und wollen ihren Einfluß nicht verlieren. Wer sind sie? Was sind ihre Interessen?

Die Weitergabe von Dokumenten hilft nicht dabei, diese Frage zu beantworten, sondern rückt den Hl. Stuhl in ein ungünstiges Licht. Am 10. Juni hat die Financial Times- mit den Dokumenten in der Hand- klar gesagt, daß die Dokumente der Version des Vaticans widersprechen. 

Die Financial Times erklärte, daß Torzi einen regulären Vertrag mit dem vaticanischen Staatssekretariat hatte. Das Staatssekretariat hat Torzi gemäß dieses Vertrages bezahlt. Msgr. Pelasca hat -als er mit einer italienischen  Zeitung sprach- behauptet. daß er vorgeschlagen habe, Torzi zu verklagen. Perlasca stellt auch klar. daß er nie ohne Zustimmung seiner Vorgesetzten gehandelt habe. Die Financial Times hat auch unterstrichen. daß die Vorgesetzten alles gewußt haben müssen. Tatsache ist: auf dieser Ebene konnte nichts ohne die direkte Zustimmung der Vorgesetzten gemacht werden. 

Während sich die Berichte der Journalisten auf Details, das Netzwerk persönlicher Beziehungen und das Fehlverhalten von Vatican-Mitarbeitern konzentrieren, wäre es wichtiger, auf das größere Szenario zu schauen. 

Torzi wurde gemäß seinem Vertrag mit dem Staatssekretariat bezahlt. Die Finanzaufsicht hat ihr o.k. gegeben. Es lohnt sich, daran zu erinnern, daß die Finanzaufsicht erst nach dem Bericht des Staatssekretariates über "verdächtige Transaktionen" eingeschaltet wurde. Das Staatssekretariat beendetet seine Zusammenarbeit mit Torzi, nachdem es ihn vertragsgemäß bezahlt hatte. Es gab zwei Möglichkeiten: Torzi verklagen oder eine Vereinbarung mit ihm treffen. Das Staatssekretariat wählte die Vereinbarung. Wir wissen nicht warum- und die Untersuchung wird die Gründe klären. Einer der Gründe könnte in den Klauseln des Vertrags zu finden sein, Und wenn nicht- warum gibt es ein so große Interesse daran, Torzi das Verhalten eines Erpressers zuzuschreiben?

Und da ist noch mehr. Der Bericht über verdächtige Transaktionen des Staatssekretariates löste eine Untersuchung aus, die mit Abschluß der Transaktion nicht zuende war. Die Untersuchung geht weiter. Einerseits hat das Staatssekretariat den Erwerb der Immobilie aus Gründen der "Staatsraison" durchgeführt- d.h. um die Investition zu retten. Andererseits war die Untersuchung nicht beendet. Warum hat dann die Polizei des Vaticans die Büros der AIF besetzt, ohne die Arbeit der AIF zu berücksichtigen?

Die Durchsuchung des Büros des Finanzaufsicht hat der Stabilität und Glaubwürdigkeit des Finanzsystems des Hl. Stuhls selbst Probleme bereitet. Wenn ein Aufsichtsgremium durchsucht wird und dann seine Beziehungen zum Gerichtshof durch ein Zustimmungs-Memorandum klarstellen muß (wie geschehen), gibt es ein Problem im Justiz-System.

Die AIF wurde enthauptet- besonders in ihrer internationalen Zusammensetzung. Renè Bruelhart, ihr Präsident, wurde an der Spitze der Leitung nicht bestätigt, nachdem sein Mandat ausgelaufen war. Nach den Beschlagnahmen und der Entscheidung der Egmont-Gruppe, den Hl. Stuhl vom internationalen Informations-Fluss auszuschließen, sind zwei Mitglieder der Führungsriege, Juan Zarate und Marc Odendahl, zurückgetreten. Sie sagten, diese Institution sei jetzt nur noch eine leere Hülle.

Die Führungsebene hatte einen starken Standpunkt zur Verteidigung der Arbeit von Direktor Tommaso Di Ruzza eingenommen, der ohne jede Beschuldigung von seinem Posten entlassen wurde. Auch Di Ruzza wurde nach Ablauf seiner Amtszeit nicht im Amt bestätigt. 

Warum dann alle diese Schritte gegen die AIF? Auf dem Rückweg von Japan sagte Papst Franziskus daß die AIF "bei der Aufsicht versagt habe" Hat die AIF bei der Aufsicht versagt? Oder hat sie nur daran gearbeitet, die Interessen des Hl. Stuhls zu verteidigen und mit dem Staatssekretariat zusammen gearbeitet.

Die Financial Times zitierte einen früheren Mitarbeiter der AIF und verbreitete den Verdacht, daß am Ende jemand nicht wollte, daß die AIF ihres Arbeit fortsetzte. Im AIF-Bericht von 2018 wurden die vielen Überwachungsaktionen beschrieben, die in Brasilien zu der Verhaftung in einem Betrugsfall in Kreisen hochrangiger Politiker führte. Das Überwachungssystem war eingerichtet worden, aber das Vaticanische Gericht ließ keine Anklagerhebung folgen.

2017 beklagte der Moneyval-Bericht sich über das Gericht. Der Rat des Europäischen Komitees sollte im vergangenen Frühling noch einmal den Hl. Stuhl bewerten und diese Evaluierung sollte auf der Wirksamkeit seines Rechtssystems beruhen. Das Rechtssystem zeigt andererseits viel Aktivität. Das Rechtssystem hat auch das Narrativ verbreitet, daß der Vatican weiß, wie er mit dem Thema umzugehen hat, weil der Bericht über die verdächtige Transaktion von innen kam. Kann das genügen, um ein günstiges Urteil über das Rechtssystem abzugeben?

Alle diese brennenden Fragen- und sie haben alle ein spezielles Gewicht auf internationaler Ebene-,  "Die Geschichten über Verschwörungen gegen Papst Franziskus´ Reform"  können auf ganz niedriger Stufe funktionieren. Finanz- Institutionen andererseits -schauen auf die Fakten und das internationale Rahmenwerk. Nicht einmal die moralische Autorität des Papstes -so sehr sie respektiert wird-- hat in ihrer Bewertung großes Gewicht. 

Die Untersuchung wird für den Hl. Stuhl schwer zu bewältigen sein. Wie wir gesehen haben, gibt es viele offene Fragen. Die Art wie die Untersuchungen und die Strafverfolgung gehandhabt werden, wird eine bedeutende Wirkung haben. Aber wir müssen schauen, ob der Prozess auf objektiven Fakten beruhen wird, oder ob der Vatican es vorzieht, an der Bewahrung seines Image und seiner Selbstbeschreibung, wie er sie bisher gezeigt hat, zu arbeiten."

Quelle: Monday in The Vatican, A. Gagliarducci 

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