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Mittwoch, 29. Juli 2020

S. Magister - Der Streit um das II. Vaticanische Konzil geht weiter

Im neu entflammten Streit um das II. Vaticanische Konzil und seine Rezeption veröffentlicht Sandro Magister bei Settimo Cielo  heute zwei Briefe zum Thema.
Hier geht´s zum Original:  klicken

"DER STREIT UM DAS II. VATICANUM WIRD IMMER HEFTIGER. DIE BRIEFE EINES THEOLOGEN UND EINES ERZBISCHOFS." 

Ich habe die folgenden zwei Briefe erhalten und veröffentliche sie. Beide zum heute immer  umstritteneren II. Vaticanischen Konzil.

Francesco Arzillo, der Autor des ersten, ist Richter in Rom und geschätzter Verfasser theologischer und philosophischer Texte.

Erzbischof Agostino Marchetto, Autor des zweiten. bis 2010 Diplomat, ist einer der systematischen Erforscher des II. Vaticanischen Konzils, sowie dezidierter Kritiker seiner Rekonstruktion der von Giuseppe Dossetti gegründeten Schule von Bologna. die dann von von Giuseppe Alberigo und Alberto Melloni geleitet wurde.

Papst Franziskus persönlich hat ihm einen am 7. Oktober 2013 Brief an ihn geschrieben.
"Ich habe Ihnen, lieber Erzbischof Marchetto, einmal gesagt und möchte das heutet wiederholen, daß ich Sie als besten Hermeneutiker des II. Vaticanischen Konzils betrachte." 

1. DER BRIEF DES THEOLOGEN FRANCESCO ARZILLO

Lieber Magister,

die Berichterstattung det Medien über die traditionalistische Kritik am Zweiten Vaticanum mit ihren Schlußfolgerungen und Verbindungen ist ziemlich besorgniserregend und in gewisser Weise überraschend.

An erster Stelle wird das Konzil als Ereignis hervorgehoben- mit einer einzigartigen methodischen
Unterordnung unter die bekannten Konzepte der progressiven Marke (der "Bologna-Schule", aber nicht nur). Die Verwendung historiographischer Methoden und Kriterien mit theologisch-doktrinären Zielen scheint die Tatsache zu ignorieren, daß das Konzil sowie die Dokumente der konziliaren und postkonziliaren Päpste lehramtliche Lehrakte sind, die nach theologischen und kanonischen Kriterien zu interpretieren sind, ohne Verwirrung durch Pläne zu seiner Untersuchung.

Paradoxerweise sprechen wir am Ende zu viel und fast ausschließlich über das Zweite Vaticanum, ein Konzil ist, das sowohl von Theologen als auch von Gläubigen bereits ab der nächsten Generation "metabolisiert" wurde: ein ziemlich widersprüchlicher Standpunkt (wenn wir so wollen, auch auf der Ebene der Logik) in Bezug auf die traditionellen Vorgaben, derer, die sich zu ihm bekennen.

Wir gehen sogar so weit zu sagen, daß die Hermeneutik und Interpretation vom Lehramt ausgeschlossen sein sollte. Aber auf diese Weise werden die inakzeptablen radikalen hermeneutischen Philosophien (die die Wahrheit - und letztendlich sein Wesen - auf ein interpretierbares Ereignis reduzieren wollen) durch den physiologischen Gebrauch des gläubigen Intellekts im Vergleich mit den dogmatischen Texten verwechselt: ein Gebrauch, der immer existiert hat und der auf bestimmte Kanons reagieren muss, deren ultimativer Garant immer das kirchliche Lehramt bleibt.




Es ist für uns heute leichter z.B. en bloc das Ergebnis der ersten christologischen Konzile der ersten Jahrhunderte zu bedenken, aber wir dürfen dabei nicht die Jahrhunderte währenden Konflikte in der Interpretation ignorieren, die erst nach Jahrhunderten beigelegt wurden. auch nach dem Konzil von Chalzedon im Jahr 451. 

Natürlich ist es wahr, daß die dogmatischen Formulierungen eine direkte Bedeutung haben,  
möglicherweise von jedem erkennbar (das ist die Grundlage der Doktrin des common sense . Wenn sich aber bei der Lektüre weitere Fragen der Interpretation und der Doktrin ergeben, müssen  sie mit den eigenen Methoden der Katholischen Theologie behandelt werden-(und wurden es).

Das Problem ist also nicht eine Frage der Interpretation sondern der Identifizierung der dazugehörigen Kriterien. 

Unter diesen muß sicher das Kriterium der diachronen und synchronen Einheit anerkannt werden. 
Im diachronen Profil gibt es das Kriterium der Kontinuität über die Jahrhunderte, das Lehrwidersprüche ausschließt, vorausgesetzt, der Widerspruch wird in Bezug auf den genauen Umfang einer Wahrheit und ihr Lehrgewicht (die klassische "theologische Aussage") korrekt identifiziert.

Es ist offensichtlich, daß es 
bei einigen Dingen keinen Kompromiss geben kann. Man denke an die Notwendigkeit, die ich vor kurzem verteidigt habe, den Ausdruck "Substanz" auch für die Eucharistie zu verwenden (die "Transsubstanziation")

Es ist nicht möglich, der Erkenntnistheorie von Karl Rahner zu folgen, weil sie die Darstellungen des verbindlichen Inhalts der Glaubenssätze, die vielleicht nicht Teil davon sind, ausschließt- und ein Diskurs, der letztendlich die Erkennbarkeit des Überbringers der lehramtlichen Aussage ausschließt, die in gewisser Weise zum Inhalt des Dogmas gehört und nicht ad libitum austauschbar ist. . 

Aber das soll nicht heißen, daß jede linguistische Veränderung oder Akzentverschiebung einen doktrinalen Widerspruch darstellt

So wird z.B. von traditionalistischer Seite besonders auf  "Gaudium et spes" 22 Bezug genommen, laut der "der Sohn Gottes durch die Inkarnation sich auf gewisse Weise mit jedem Menschen vereint hat." ("cum omni homine quammodo se univit"). Der Gebrauch des adverbialen Ausdrucks "quammodo" ( der übrigens typisch für die große klassische Theologie ist, die nicht von Kriterien geometrisch-mathematischer Eindeutigkeit inspiriert war, sondern das Mysterium respektierte) warnt uns davor, voreilige Schlüsse zu ziehen. 

In einem bemerkenswerten Artikel, der 2010 in der Zeitschrift "30 Giorni" erschien,hat der große jesuitische Biblizist Ignace de la Potterie, an die frühere Thomistik erinnert, laut der Christus -unter Berücksichtigung der gesamten Menschheit der ganzen Welt und aller Zeiten- das Haupt aller Menschen ist- wenn auch auf unterschiedlich Weise ("Summa theologiae" III, 8,3)  und erklärt:

"Wenn man aber die Worte "auf unterschiedliche Weise" und "in gewisser Weise" aus "Summa theologiae" und aus "Gaudium et spes" entfernen würde, würden nicht alle Fakten des Katholischen Glaubens respektiert. Und tatsächlich unterscheidet das Konzil selbst in der dogmatischen Konstitution "Lumen gentium" (13) -treu der Tradition folgend. klar zwischen der Berufung aller Menschen zur Erlösung und der Zugehörigkeit der Gläubigen zur Gemeinschaft mit Jesus Christus. 
Nach der Methode die der gesamten biblischen Offenbarung eigen ist." 

Das ist ein einfaches und großes Beispiel für die Anwendung der Hermeneutik der Kontinuität auf einen fundamentalen Punkt der Katholischen Doktrin, nach der man nicht von Natur aus Christ wird sondern durch Gnade. 

Es handelt sich nur darum. auf der Basis des "intellectus fidei" vorzugehen und Forderungen und Apriorismen beiseite zu lassen, die bestimmten Praktiken eigen sind, die sich wahrscheinlich auch auf politische, kirchliche und andere Bereiche auswirken. 

Danke!
Francesco Arzillo 

                                                                  *   *   *   *   *

2.   DAS RUNDSCHREIBEN VON ERZBISCHOF AGOSTINO MARCHETTO 

Liebe Freunde und Bekannte,

schöne Ferien, wenn Sie sich an ihnen erfreuen können. Aber ich glaube, Ihnen diese Zeilen zu schulden, die meine "Liebe", das Ökumenische Vaticanische Konzil, berühren. 
Tatsächlich gibt es eine Neuheit: ich möchte sagen, daß bis Anfang dieses Sommers viele der Meinung waren, daß das Interesse an der letzten Großen Synode zurückginge, trotz meiner Elegie. 

Ich behaupte in der Tat, daß die aktuelle Krise, an der die Katholische Kirche leidet. auch dadurch verursacht wird, daß die Frage der korrekten Hermeneutik verlassen wurde,die  Papst Benedikt XVI präzise verkündete, und das ist nicht die Hermeneutik der Ruptur und der Diskontinuität - sondern die der Reform und der Erneuerung der "Kontinuität der einzigen Kirche"

Das betrifft besonders die Einführung "neuer Parameter" oder eines "neuen kirchlichen Pragmatismus", damit sich diese Kontinuität  nicht -Dank der außerordentlichen Wertung.allzu sehr um die "Zeichen der Zeit"sorgt.  Diese können tatsächlich nicht als eine Art neuer Zusatz zur Offenbarung (das war eine beim Konzil behandelte Frage) betrachtet werden. 
Und hier finden wir die große Frage ihrer Interpretationen- und das können wir ganz offen auch über das Verhältnis der kritischen Beziehung zur Moderne, besser zur zeitgenössischen Welt, mit dem Heute,sagen. 

Das genügt nicht, weil die initiale schwerwiegende historisch-ideologische Beeinflussung der Sicht auf das II. Vaticanum als "Ereignis" (entgegen der französischen Geschichtsschreibung einer historischen Sichtweise, besonders laut "Les Annales") von der Straße der korrekten Interpretation wegführt. 

In dieser Hinsicht- wie ich seinerzeit in der "Ersten Geschichte des Konzils" besser zeigen konnte ("Das  Ökumenische II Vaticanische Konzil, Kontrapunkt für seine Geschichte" LEV; Citta del Vaticano , 2005, S.407)  ist das das Resultat des Wirkens der "Schule von Bologna" und ist großenteils mit großen historischen und ideologischen Lücken veröffentlicht worden, sei es weil sie private Konzilstagebücher betreffen, vor allem aber weil sie ohne Stützung durch fundamentale offizielle Dokumente zum Verständnis der Großen Synode, also die Akten ihrer Leitungsorganismen und des Generalsekretariates durchgeführt wurden.

Heute können wir auf diese außerordentliche Quelle der Erkenntnis von Papst Paul VI zurückgreifen, die das Tagebuch von Kardinal Pericle Felici bietet, das von mir veröffentlicht wurde. Aus meinen Studien (und aus dem oben zitierten Band, besonders aus dem Kapitel mit dem Titel "Das Ökumenische II Vaticanische Konzil) ersichtlich. Für seine korrekte Hermeneutik" L.E.V., Citta del Vaticano, 2012. S. 380)  habe ich die Überzeugung gewonnen, daß auch diejenigen, die lobend andere hermeneutische Tendenzen bevorzugen, wie z.B,. die von Peter Hünemann, oder die von John W. O´ Malley, Giles Routhier oder Christoph Theobald, schmutziges Wasser in die selbe Mühle geleitet haben. 

So kam es, daß wir auf die sachlich begründete Rezeption der Großen Synode eingegangen sind und auf den Zwischenschritt der hermeneutischen Gewichtung verzichtet haben. Vielleicht haben wir fälschlicherweise gedacht "was hat der Chef da gemacht" . 


Mit den besten Wünschen und herzlichen Grüßen

Agostino Marchetto 

Quelle: Settimo Cielo, S.Magister 

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