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Freitag, 24. Juli 2020

S. Magister: ein weiterer Theologe greift in den Disput um das II. Vaticanum ein.

Sandro Magister kommentiert bei Settimo Cielo noch einmal der aktuellen Disput zwischen Kardinal Walter Brandmüller und Erzbischof Viganò über die Rezeption und die Bedeutung der II. Vaticanischen Konzils und veröffentlicht dann - als Stellungnahme - den Brief und Ausschnitte aus einem Essay zum Thema, die der renommierte Theologe Bischof Franco G. Brambilla ihm geschickt hat,  Hier geht´s zum Original:  klicken

"EIN BISCHOF UND THEOLOGE BRICHT DAS SCHWEIGEN - GEGEN DIE "BANALITÄTEN" VON VIGANÒ UND CO"

"Angesichts der vielen im Umlauf befindlichen Banalitäten führt die intellektuelle Ehrlichkeit von Kardinal Walter Brandmüller ein Kriterium der Geschichtlichkeit ein, das für alle Konzile und besonders für das II. Vaticanische gültig ist.

Wir geben hier wieder, was der renommierte Theologe und Bischof Brambilla in einem Brief schreibt.
Er bezieht sich auf den Vergleich, den Settimo Cielo vor einigen Tagen zwischen dem kühnen Angriff von Erzbischof Carlo Maria Viganò von vor einigen Wochen einerseits und der "lectio magistralis" von Kardinal Brandmüller zur korrekten theologischen und historischen Interpretation dieses Konzils und anderer Konzile andererseits gezogen hat.

 "Zum Konzil ein Brief von Viganò und eine Lektion von Brandmüller. Wer hat Recht?"  

Brambilla, 71, geboren und aufgewachsen in der Erzdiözese Mailand, war bis 2011 Bischof von Novara und seit 2015 Vizepräsident der Italienischen Bischofskonferenz, und wurde auch 2017 aus dem vom Papst vorgeschlagenen Trio für diesen Posten wieder gewählt. 
Aber er ist auch ein hochrangiger Theologe. Er hat an der Theologischen Fakultät von Mailand Christologie und Theologische Anthropologie gelehrt und war dort von 2006 bis 2012 Dekan,.
Er ist ein Sohn der großen Mailänder Theologenschule, deren Lehrer in ihrem goldenen Zeitalter-außer Carlo Colombo, der Theologe, der während und nach dem Konzil Paul VI am nächsten stand, Giuseppe Colombo und Giacomo Biffi, der spätere Erzbischof und Kardinal von Bologna, waren. 

Unter den Theologen des 20. Jahrhunderts hat er besonders gründlich Edward Schillebeeckx, Karl Rahner und Hans Urs von Balthasar studiert, die sicher nicht den Traditionalisten zugerechnet werden können, denen er auch nie nahe stand. Ein weiterer Grund, der einen die Ernsthaftigkeit seiner Zustimmung zu den Argumenten des "konservativen" Kardinals Brandmüller angesichts der zur Zeit im Umlauf befindlichen Banalitäten wertschätzen läßt. 

Dem Brief Brambillas ist ein Essay von 2013 beigefügt, der sich mit der Interpretation des II. Vaticanischen Konzils befaßt. 

Der Essay ist zu lang und zu spezifisch, um hier im Gesamttext wiedergegeben zu werden. Er beginnt mit der Prämisse, daß es sogar bei den Christologischen Konzilen der ersten Jahrhunderte die theologischen Interpretationen der Lehre immer mit der Rekonstruktion des historischen Kontextes kombiniert werden mußten. Und das müsse auch für das II. Vaticanum gelten. Seine theologische Interpretation "muß die Geschichte mit einbeziehen, die ihm vorausgeht, es begleitet und ihm folgt."

Danach analysiert der Essay kritisch die Hauptinterpretationen des II. Vaticanums in den vergangenen Jahrzehnten - beginnend mit der von Giuseppe Alberigo geleiteten" Schule von Bologna" als "Ereignis" bis zu der der von Peter Hünermann und BJ Hilberath geleiteten Universität Tübingen, des Konzils als "konstitutioneller Akt" und schließlich des französischen Jesuiten  Christoph Theobald, des Konzils als "pastorales Lehramt".
Und das ist eben das richtig verstandene "Prinzip der Pastoralität", das Franco Giulio Brambilla als ursprüngliche Architektur des II. Vaticanums und seines Erbes für die Kirche von heute und morgen identifiziert. 

Settimo Cielo beschränkt sich darauf, einen kurzen Auszug aus diesem Essay zu veröffentlichen, in dem der Autor auf die Schlüsselansprache Benedikts XVI am 22. Dezember 2005 Bezug nimmt- mit dem Vorschlag einer Hermeneutik der "Reform" -als Mittelweg zwischen den beiden widerstreitenden Hermeneutiken des Konzils jener Jahre- der des Bruchs und der der Kontinuität. 

Hier also der Brief und der Auszug.

1. DER BRIEF VON FRANCO GIULIO BRAMBILLA  

"Lieber Sandro Magister,
wie ich auf Ihrem blog Settimo Cielo sehe, bieten Sie eine sehr wichtige und angemessene Unterscheidungen zum II. Vaticanischen Konzil an und es ist mir eine Pflicht und eine Freude, Ihnen diesen Beitrag zur Hermeneutik des II,. Vaticanums zu schicken (auch wenn er nicht zur Veröffentlichung geeignet ist, weil er zu lang und zu theoretisch ist), der vielleicht mein theologischer Schwanengesang ist: ein schriftlicher Beitrag zum Übergang der Pontifikate von Benedikt XVI zu Papst Franziskus.





Angesichts der vielen im Umlauf befindlichen Banalitäten führt die intellektuelle Ehrlichkeit von Kardinal Walter Brandmüller ein Kriterium der Historizität ein, das auf alle Konzile anzuwenden ist- und besonders auf das II. Vaticanum,.

Ein Konzil drückt de facto eine autoritative (dogmatische und/oder pastorale) Wertung einer  Negierung eines Dogmas und/oder einer pastoralen Frage aus (siehe Religionsfreiheit und Ökumenismus) die wieder hergestellt werden müssen, damit die Verlautbarungen des Konzils richtig gelesen und interpretiert werden können.

Es genügt zwei oder drei der ohne ideologische Vorurteile geschriebenen Kommentare zu lesen, um zu wissen, welches der authentische Tenor der Konzilstexte ist.

Ich umarme und grüße Sie herzlich. Danke!

Franco Giulio Brambilla

2. EIN AUSZUG AUS SEINEM ESSAY ÜBER DAS KONZIL 
(Aus "Theologische Interpretation des II. Vaticanums. Kategorien, Orientierung, Fragen" in
"Das Konzil und Paul VI. 50 Jahre nach dem II. Vaticanum." XII Internationales Studienkolloquium,
Concesio (Brescia) 27.-29. September 2013, ed.E: Rosanna, Paul VI-Institut, Brescia-Rom 2016, SS 148-170) .

Die Rezeption des II. Vaticanischen KOnzils und sein Erbe

von Franco Giulio Brambilla

[...] Das dritte Stadium der Rezeption des II. Vaticanischen Konzils wird vom Konflikt der Interpretationen von 2000 bis jetzt beherrscht. 

Meiner Ansicht nach bringt das etliche neue Elemente verschiedener Art mit sich, deren wichtigstes das Verschwinden der Generation die das Konzil gemacht hat: Die Teilnehmer am II. Vaticanum sterben, die neue Generation von Bischöfen und Theologen hat nicht an der Konzilsdiskussion teilgenommen und ist nicht auf die gleiche Weise geprägt, wie ein Ereignis durch seine Dokumente, institutionelle Umsetzung und konkrete Praxis geprägt wird.
Für diese Generation ist das II Vaticanum nur durch eine Art "kritisches Erinnern" zugänglich, als eine Operation, die die pastorale und praktischen Ziele des Konzils durch die Evaluierung, seine Rezeption und seine Anwendung entdeckt. Es gibt keine direkte Beziehung mit dem Konzilsereignis und seinen Dokumenten mehr, sondern diese werden in einer präzedenzlosen Situation bedacht, die von Säkularisierung, Multikulturalismus und religiösem Pluralismus gekennzeichnet ist.

Diese Situation beweist auf klare Weise das Problem der christlichen Identität und deshalb auch der Verbindung zu Tradition. Es hat eine Verschiebung von der nach-tridentinischen Tradition (in ihrer letzten Form neo-scholastisch) stattgefunden, von der die erste nach-konziliäre Generation sich zu befreien versuchte- indem sie das Konzil als Befreiung Verzichts angesichts einer solchen Verschiebung interpretierte, um die Notwendigkeit einer "identitären" Tradition zu umgehen, bei deren Identifizierung in ihren entscheidenden Zügen die neue Generation jedoch Mühe hat.
Und auf alle Fälle wohnen wir einer großen "Wiederkehr des Heiligen" der Formen bei, die es zweifellos ein bißchen schnell abgeschafft hatte, einer liturgischen Praxis, die man verachtete und der Forderung nach einer Kontinuität mit dem christlichen Gewissen aller Zeiten. 

In diese Phase gehört der großzügige Versuch Benedikts XVI, der seine Wurzeln bereits in der letzten Phase der Pontifikates Johannes Pauls II hat (dessen führender theologischer Berater er war), der einen zweigleisigen Ansatz verfolgte: Differenzierung des Erbes des Zweiten Vatikanischen Konzils, Vorschlag einer „Hermeneutik der Reform“, jenseits des Kontrasts zwischen Diskontinuität und Kontinuität; und die kritische Beziehung zur Moderne, mit dem Manifest seines Pontifikats, das in der Enzyklika „Deus caritas est“ und in der Regensburger Rede vorgeschlagen wurde.

Sein Vorschlag kann wie folgt zusammengefaßt werden:  die christliche Identität bringt die Gründe für ihre Relevanz mit sich und erfordert daher eine Beziehung zur modernen Vernunft, die von ihrer rationalistischen und antitraditionellen Angst befreit ist.
Ein mühsamer Versuch, der direkt an einer Übergangsstelle liegt und sozusagen in die ehrwürdige Gestalt dieses Papstes eingeschrieben ist: der letzte Zeuge des Konzilsereignisses (wenn auch in der Eigenschaft eines Peritus) und der erste Papst zu sein, der die Aufgabe der Überlieferung des Zweiten Vatikanischen Konzils an die neue Generation übernehmen muß.


Deshalb ist das Konzil ein Moment in der Geschichte, es ist bereits ein Vermächtnis, das angenommen werden muß.. In jedem Fall hat die päpstliche Erklärung von 2005 indirekt zu einer hilfreichen Konzentration von Studien über das Zweiten Vaticanum geführt, die es uns ermöglichen, zu einer neuen Phase der Rezeption und theologischen Hermeneutik überzugehen, die möglicherweise eine neue Bezeichnung benötigt.
Diese neue Phase kann deshalb eine neue Zeit bezeichnen, die sich uns eröffnet. Der Augenblick, an dem das Konzil der zweiten postkonziliären Generation weitergegeben werden muß: jener, die den Lichtkegel des II.Vaticanischen Konzils nicht kannte, sondern in einer säkularisierten Welt geboren wurde -ohne Identifikationszeichen und die deshalb Mühe hat,  es als vielversprechenden Ausgangspunkt wahrzunehmen. [...]

In der Tat ist das der Beitrag der wichtigsten Statements dieses letzten Jahrzehnts- vor, während und nach der Feststellung von Papst Benedikt XVI, 2005.

Wir könnten das Thema des Vermächtnisses in drei Schritte unterteilen

a) Das II. Vaticanum als Stil:
die ursprüngliche Art wieder aufnehmen, mit der die Konzilsväter (die historische Untersuchungen uns nahe gebracht haben) Probleme mit Methoden und Ressourcen anzugehen, die sie benutzt haben. um in der Interaktion von Thema, Text-Corpus und den neuen Lesern eine Antwort auf die Herausforderungen ihrer Zeit zu finden.

b) das Prinzip der Pastoralität, um das Originale des II. Vaticanums, seine kreativen Ideen und grundlegende Intuition sowohl auf dem Gebiet der Methode als auch des Inhalts herauszustellen.

c) die Zukunft des Konzils: um darin den Zustand der Phantasie wieder zu entdecken. der diesen epochalen Wendepunkt charakterisierte und der heute- zu Beginn des dritten Milleniums eine kreative Wiederentdeckung und einen neuen kirchlichen Pragmatismus braucht.

Diese drei Schritte führen zum Übergang von der Weitergabe der theologischen Interpretation den II. Vaticanums, zum Konzil der Hermeneutik der Zukunft der christlichen Verkündigung für die Kirche des 21. Jahrhunderts. [...]

Quelle: S. Magister, Settimo Cielo, Prof. F.G. Brambilla


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