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Sonntag, 15. November 2020

Kardinal Pell - über die Letzten Dinge

Kardinal George Pell hat bei First-things-first Überlegungen zu den "letzten Dingen" die bei vielen Gläubigen in Vergessenheit geraten sind, veröffentlicht.
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                                 "LETZTE DINGE"

"1972 habe ich in einer Regierungs-Hochschule im ländlichen Australien an einer Christlichen Podiumsdiskussion vor Studenten teilgenommen. Hinterher kam ein Student zu mir, um unsere Katholischen Forderungen zu diskutieren. Er war ein Nichtgläubiger, der auch bei einer kleinen protestantischen Gruppe nach Antworten gesucht hatte. Ich hatte verloren, als ich sagte, daß die Katholische Kirche nicht lehrt, daß er in die Hölle käme, wenn er sich weigerte, Katholik zu werden, Seine protestantische Sekte war ganz klar darin, daß die Verdammung folgen würde, wenn er sie zurückwies.

Während meiner kürzlichen Probleme mit dem Gesetz, schrieb dieser ehemalige Student mir, um mich zu trösten. Er dankte mir auch dafür, daß ich seine Autonomie repektiert hatte. Weder widerrufe noch bedaure ich den Rat, den ich ihm 1972 gegeben habe. Aber ich bedaure, daß ich ihm keine größere Dringlichkeit bzgl. der Wichtigkeit seiner Suche und Entscheidung vermittelt habe. 

Dieser Student, der daran dachte katholisch zu werden, war ungewöhnlich, weil die Reise meistens in die entgegengesetzte Richtung ging. Seit dem II. Vaticanischen Konzil  hat jede westliche Gesellschaft einen Exodus von Kirchenmitgliedern und ein reduziertes Praktizieren erlebt. Die Katholischen Gemeinden in Belgien und Holland z.B. sind fast verschwunden. 

Die "Propheten der Finsternis", die vom Konzil ausdrücklich abgelehnt wurden, sind unglücklicherweise und unerwartet durch eine Serie von brutalen Kehrtwenden auf breiter Front bestätigt worden. Die vier letzten Dinge- Himmel und Hölle, Tod und Gericht- liegen vielleicht nicht überall auf dcm Müllhaufen, aber wo sie nicht zurückgewiesen werden, werden sie oft ignoriert oder verborgen.

Hat die Drohung mit der Hölle, die Angst vor einer überdímensionalen Bestrafung nach dem Tod eine Rolle beim Niedergang der Kirche gespielt?  Vor 45 Jahren gab es in den Australischen Gemeinden regelmäßig reuige Sünder, die von Ängsten geplagt wurden. Diese Skrupelhaftigkeit erzeugte viel Leid, so daß eine Reaktion darauf nicht überrascht. Aber gibt es auch eine andere Seite der Medaille? Hat unser Schweigen über Belohnung und Bestrafung nach dem Tod die Indifferenz gegenüber der Zerstörung von zwei unserer wichtigsten Lehrinhalte verschlimmert? 

Alle fragen sich, ob es ein Leben nach dem Tode gibt und die meisten Menschen in der Geschichte haben an etwas wie die Unsterblichkeit der Seelen geglaubt.


Natürlich ist die christliche Lehre über die letzten Dinge spezifischer. Sie erfordert den Glauben an einen Schöpfergott, der vernünftig, gut und an uns interessiert und nicht launisch ist. Gott fordert alle Menschen auf, das Gute statt das Böse zu wählen und Glauben eher als Zweifel, Indifferenz oder Ablehnung. Der eine wahre Gott ist deshalb auch der letzte Richter, der die Schafe von den Ziegen trennt, am Jüngsten Tag ewige Seligkeit oder Strafe zuerkennt, wenn gute und böse Seelen gleichermaßen die Auferstehung des Leibes erleben. So ein Glaube kann trauernden Familien und Freunden unendlichen Trost spenden, wie jeder Priester, der für ein Gemeinde von Gläubigen zelebriert, bezeugen kann. Aber es bleibt eine harte Lehre, der oft von denen heftig widersprochen wird, die sich selbst als autonom - als dazu berechtigt betrachten, zu entscheiden, was für sie gut oder falsch ist. Weder altmodische noch woke Säkularisten akzeptieren leicht die Wahrnehmung Gottes sowohl als Schöpfer als auch als Richter.

Für alle Christen folgt eine unausweichliche Frage, wie viele werden gerettet werden? Obwohl Jesus nicht sentimental war, berichtet Lukas uns, daß er auf die Frage, ob nur wenige gerettet werden würden nicht direkt geantwortet hat. Es wurden keine Prozentzahlen angegeben. "Bemüht euch darum durch die enge Pforte zu gelangen! Denn viele -sage ich euch- werden versuchen, hereinzukommen, aber es wird ihnen nicht gelingen." Jesus endet optimistischer, daß viele aus allen Richtungen zum Fest kommen werden und der Letzte der Erste sein wird, (Lk 13:22-30). 

Bei Matthäus ist Jesus genauer. Die Pforte ist eng, die Straße zum Verderben breit. Bäume, die keine gute Frucht bringen, Weinstöcke, die eher Dornen als Trauben erzeugen, werden abgeschnitten und verbrannt, während jene, die auf die Worte Christi hören und nach ihnen handeln, ein solides Fundament bauen werden." (Mt 7:12-27)

Matthäus gibt auch das ausdrückliche Versprechen Jesu wieder, daß der Menschensohn beim Jüngsten Gericht nicht inklusiv sein, sondern die Schafe von den Ziegen (in den deutschen Bibelübersetzungen "Böcke") trennen wird- für die ewige Belohnung oder Strafe. Ich habe mich einmal gefragt, warum Unser Herr gegenüber den Ziegen so wenig Sympathie zeigte und habe geschlossen, daß das auf ihren Individualismus, ihre Widerspenstigkeit, ihre Weigerung zu kooperiern und getrieben zu werden (Mt 25:31-46) zurückgeht. Ziegen symbolisieren nicht Umkehr und Gemeinschaft.

Zentrum des Christentums ist zuerst die Liebe zu Gott und dann die Liebe zu unserem Nächsten (Mk 12:30-31) Gott hat uns so sehr geliebt, daß sein Sohn für unsere Erlösung starb (Röm 5:8). Das ist der Kontext, in den wir die traditionelle Lehre von Himmel und Hölle stellen müssen. 

Ich hatte nie ein Problem mit der Lehre, daß wir vielleicht  eine Reinigung brauchen, bevor wir in Gottes Gegenwart sein oder seiner Güte begegnen können. Ich habe das mit dem Unbehagen verglichen, daß wir verspüren, wenn wir plötzlich durch helles Licht geweckt werden. Aber ich habe immer darum gekämpft, mich mit der Doppelwahrnehmung vom Liebenden Gott und der ewigen Bestrafung zu versöhnen. 

Vor mehr als 50 Jahren habe ich eine Gruppe englischer Burschen auf die Erstkommunion vorbereitet. Aus irgendeinem Grund fingen sie an, vertrauensvoll zu erklären, daß es die Hölle nicht gibt. "Was ist mit Hitler?" fragte ich - und die Hölle war rächend zurück. 

Also lehrte ich jahrzehntelang öffentlich über die Hölle- und habe damit einmal einen langen Unterstützungsbrief mit viel tiefschürfender Theologie provoziert- von Germain Grisez- aber ich habe auch die Hoffnung ausgedrückt- vielleicht die Erwartung- daß wenige der Hölle überantwortet würden- mit dem ausgleichenden Glauben, daß viele im Fegefeuer gereinigt werden müßten,"

Ich war mir bewußt, daß die meisten Theologen und sogar die Kirchenlehrer glaubten, daß die Mehrheit der Menschen verdammt ist. Der Hl. Augustinus war über das Schicksal der Ungetauften sehr eindeutig: "Wenige werden gerettet im Vergleich zu denen, die zugrunde gehen werden."  Er hat seine Lehre zu diesem Punkt gegen die Donatisten und auch gegen Pelagius entwickelt, der beim Schicksal der ungetauften Kinder vernünftiger und "moderner" erscheint. Die Anfänger bei meinen Augustinus-Tutorien, die sich vor allem auf die Confessiones konzentrierten- waren meistens einhellig über seine Verdammung der ungetauften Kinder verärgert, obwohl er betont, daß die Kirder die "mildeste Verdammung von allen "erfahren. 

Achthundert Jahre später war das Urteil des Hl. Thomas von Aquin ähnlich klar, aber weniger provozierend als Augustinus. Die gerettet werden, sind in der Minderheit- obwohl ihre Zahl uns unbekannt ist und es besser ist zu sagen, daß "nur Gott allein die Zahl derer kennt, für die die ewige Seligkeit bestimmt ist." 

Das Konzil von Trient scheint in seinem Dekret 1547 zur Rechtfertigung die Möglichkeit auszuschließen, daß alle gerettet werden: "Auch wenn Er für alle starb" (2.Kor. 5:15) "empfangen nicht alle den Lohn Seines Todes, sondern nur die, denen der Lohn seiner Passion kommuniziert wird."

Aber die Diskussion über die Zahl derer, die gerettet werden, wurde durch die Dogmatische Constitution Lumen Gentium des II. vaticanischen Konzils geändert- durch dieses "auch jene können die Rettung erlangen, die ohne eigenes Zutun das Evangelium Christi oder seiner Kirche nicht kennen, aber dennoch ernsthaft nach Gott suchen." Die Doktrin "keine Rettung außerhalb der Kirche" wurde so substantiell weiterentwickelt. 

Generationen, die sich jetzt des allgemeinen Wahlrechts erfreuen und sich der universalen Menschrechtserklärung bewußt sind, haben bereitwillig akzeptiert, daß weder der Zufall der Geburt noch normale menschliche Schwäche sie aus dem Paradies ausschließen sollten. Die durch die Institution der Sklaverei angenommene Ungleichheit wurde jetzt abgelehnt. Das Konzil hat eher zum Dialog als zur Verdammung ermutigt, zu Überzeugung als zur Strafe, so daß jede Wahrnehmung einer todbringenden Sünde abgemildert wurde. Die Teilnahme am Sakrament der Beichte- jetzt Versöhnung genannt- fiel dramatisch ab. 

Ich kam- wie viele andere- dazu zu glauben, daß (fast) alle gerettet würden, Ich rief den Theologen Origines aus Alexandria (ca. 185-254) an, der lehrte, daß bei der endgültigen Wiedererstehung alle Geschöpfe- sogar der Teufel- gerettet würden und den großen zeigenössischen Theologen Urs von Balthasar, Autor von "Wagen wir zu hoffen, daß alle Menschen gerettet werden?" . Aber ich bin zu der Einsicht gelangt, daß es keinen sehr großen Unterschied zwischen dem Glauben, daß jeder gerettet wird und dem, daß keiner gerettet wird, gibt.

Meine Meinung hat sich auf unerwartete Weise geändert. In Rom veranstalten die Autoritäten zwei Kurse für neue Bischöfe, die vor kurzem geweiht wurden. Eines Tages nahm ich an einer Diskussion teil, bei der ein amerikanischer Bischof die Behauptung aufstellte, daß unsere ganzen priesterlichen Aktivitäten von unserem Glauben, wie vieler gerettet werden, geprägt sind. Wenn es keine Strafe gibt und alle gerettet werden, warum sollten wir kümmern? Warum hat sich Jesus mit dem Kreuz geplagt? Ich war gezwungen, meinen Standpunkt zu überdenken. Ich kehrte zu Jesu Lehre im Neuen Testament zurück und fand. daß sie nur unzureichende Gewähr für meinen Optimismus bieten. Man muß nicht mit dem Hl. Franziskus Xavier glauben, daß die Ungetauften verdammt sind, aber behütete Sentimentale wie ich ignorieren allzu leicht, wie schrecklich das Leiden ist, das durch Sünde entsteht und unterschätzen die Sturheit des menschlichen Willens. 

Mein verstorbener Jesuitenfreund Fr. Paul Mankowski hat John Finnis´Argument zugestimmt, daß die Weigerung Jesu Aussage, am Jüngsten Tag über jeden zu urteilen, ernst zu nehmen, "im Mittelpunkt  der Glaubens-und Moralkrise stehen". Ich stimme jetzt zu, daß die Hoffnung der Christen auf den Triumph des Guten das Gericht Jesu braucht." 


Quelle: Kard. G. Pell, first-things-first

 

 

1 Kommentar:

  1. Die Lehre, dass die, "die ohne eigenes Zutun das Evangelium Christi oder seiner Kirche nicht kennen, aber dennoch ernsthaft nach Gott suchen," gerettet werden können, wurde nicht erst vom II.Vat. Konzil vorgetragen. In der Enzyklika "Quanto conficiamur moerore" Pius' IX. von 1863 heißt es:
    "Uns und Euch ist bekannt, dass diejenigen, die an unüberwindlicher Unkenntnis in Bezug auf unsere heiligste Religion leiden und die ... ein sittlich gutes und rechtes Leben führen, durch das Wirken der Kraft des göttlichen Lichtes und der göttlichen Gnade das ewige Leben erlangen können, da Gott ... in seiner höchsten Güte und Milde keineswegs duldet, dass irgendjemand mit ewigen Qualen bestraft werde, der nicht die Strafwürdigkeit einer willentlichen Schuld besitzt." (DH 2866)

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