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Sonntag, 29. November 2020

Klerikale Unterwürfigkeit & das Vater-unser

Marco Tosatti veröffentlicht bei Stilum Curiae den Kommentar, den Gian Pietro Caliari über die in Italien eingeführte neue Fassung des Vater-unser verfaßt hat. Mit viel Philologie- aber das läßt sich bei Fragen der Übersetzung sicher nicht vermeiden. Dabei geht es um das "in Versuchung führen", das manchem Kirchenmann heute unerträglich erscheint. 
Hier geht´s zum Original:  klicken

Liebe Stilumcuriale, Gian Pietro Caliari denkt üder das Vater-unser nach- basieredn auf Texten und Dokumenten zum modus operandi der italienischen Fassung. Wir können nicht anders, als seine Schlußfolgerungen- wie es -wie ich denke viele Italiener tun, zu teilen. Gute Lektüre.

§§§

Sta in iustitia et timore et praepara animam tuam ad tentationem

von Gian Pietro Caliari 

"Das Herren-Gebet" ist ein Text von Gian Battista Bodoni, das 1806 in Parma veröffentlicht wurde, zur Feier der Reise von Papst Pius VII nach Paris - zur Kaiserkrönung von Napoleon Bonaparte. 

Dieses Werk enthält -zum ersten mal gedruckt- diesen evangelischen Text des Vater-unser in 155 Sprachen. In Wirklichkeit -um diese fast 200 verschiedenen Zeichen benutzen zu können, um ihn  215 Mal wiederzugeben..

Ein Gutteil dieser Übersetzungen wurde verwendet, um die wertvolle Majolica zu schaffen, die noch heute den Kreuzgang der Vater-Unser-Kirche auf dem Ölberg in Jerusalem schmückt. 

Im Markus-Evangelium beginnt Jesus das Gebet mit einem richtigen Kommando: " Und so sollt ihr beten" (Mt. 6,9)  : "Οὕτως οὖν προσεύχεσθε ὑμεῖς (oùtos oùn proseùkesfe umeìs" , 

Im Text des Hl. Lukas dagegen, lehrt der Meister die Jünger das Gebet im Anschluss an eine präzise Bitte "Herr, lehre uns zu beten" (Lk 11,1)  "Κύριε, δίδαξον ἡμᾶς προσεύχεσθαι "

Imperativ oder Lehre werden in der traditionellen liturgischen Aufforderung, die dem Gebet des Vater-unser zu Beginn der Kommunion vorangeht, gut zusammengefaßt: ." Praeceptis salutaribus moniti et divina istituzione formati, audemus dicere(Ammoniti dai salutari precetti e formati dal divino insegnamento, osiamo dire).

Der griechische Text des Gebetes kommt anders als bei den beiden Evangelisten- auch noch aus einer anderen zeitgenössischen Quelle hinzu-ebenfalls griechisch: aus einem kurzen kanonischen  Gesetzestext aus dem 1. Jahrhundert, der bei den ersten christlichen Gemeinden von Palestina bis Syrien in Gebrauch war: die Didachè " Διδαχή".

Dieser Text wird im ältesten Dokument - dem Codex Hierosolymitanus wiedergegeben, das die ausfürhlichere Version des Titels "Didache" trägt; "Die Lehre der zwölf Apostel" (didaché tòn dòdeka apostòlon)

Wir wissen, daß bei Matthäus 6, 9-13 der Gebetstext- so wie wir ihn sprechen- durch diese Anrede  "Vater unser, der DU bist im Himmel" (Πάτερ ἡμῶν ὁ ἐν τοῖς οὐρανοῖς) und die folgenden Bitten vervollständigt wird. 


Bei Lukas 11, 2-4, dagegen ist die Anrede nur Vater (Πάτερ) und der Lukas-Text gibt im Gegesatz zu Matthäus die dritte Bitte  "Dein Wille geschehe wie im Himmel so auf Erden" nicht wieder und läßt auch die letzte Bitte "und erlöse uns von dem Bösen" weg. 

Der Text des Vater-Unser, der uns durch die Didachè B 2 überliefert ist, ist absolut identisch mit Matthäus 6, 9-13, wird aber mit dem "Dein sei das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit" beendet-. Ὅτι σοῦ ἐστιν ἡ βασιλεία καὶ ἡ δύναμις καὶ ἡ δόξα εἰς τοὺς αἰῶνας ."

Der Gebrauch dieser eulogischen Formulierung am Ende des Gebetes wurde ununterbrochen seit Einfühung der Orthodoxen Göttlichen Liturgie durch den Hl. Johannes Chrysostomos beibehalten, während sie sich erst in der Römischen LiIturgie-  im damasisch-gregorianischen Römischen Kanon (Vetus Ordo) -als Echo der großen Doxologie, die den Römischen Kanon beschließt, findet. 

In der postkonziliaren Reform der Hl. Messe (Novus Ordo) wird die Doxologue der Didachè nicht als unmittelbares Ende des Vater-Unser eingesetzt, sondern nach dem Embolismus (Befreie uns Herr von allem Bösen), der dem Gebet folgt.

Der erste Teil der sechsten Bitte "und führe uns nicht in Versuchung" wird sowohl bei Matthäus als auch bei Lukas und schließlich auch in der Didachè kohärent und gleich wiedergegeben. (καὶ μὴ εἰσενέγκῃς ἡμᾶς εἰς πειρασμόν (kaì mé eisenénkeis hemàs eís peirasmón).

Die werten Übersetzer der CEI haben- in ihrem klaren Versuch, das Gebet Jesu pastoral "genießbar" und religiös korrekt zu machen, sich auf das führende Wort dieser Bitte konzentriert, das sich aus der Negation -nein- und dem aoristischen Konjunktiv  von"führen" zusammensetzt und so einen negativen Imperativ bildet.

Jetzt also will man das "führe" in der zweiten Person Singular des aoristischen Konjunktivs von "εισ-φέρω", was wörtlich "bringe, hinführen oder hinein bringen" bedeutet- in einem räumlichen aber auch sinnbildlichen Sinn umdrehen. 

Die Lateinische Übersetzung der Vulgata des Hl. Hieronymus (ne nos induca) und die italienische (führe uns nicht) halten sich streng und treu an den originalen griechischen Text, während das neue "lasse uns nicht" nicht nur ein Wort einführt, das es in der Originalfassung nicht gibt, sondern auch von der Bedeutng des Textes abweicht.

Im griechischen Tetx wird- wie wir gesehen haben- zweimal der negative Konjunktiv der Aorist-Form des Verbs benutzt und zwei weitere male das -eis- wiederholt, sei es um das Verb "führen" φέρω (führen) , sei es, um die Bewegung εἰς πειρασμόν (in -die- Versuchung) eiinzuführen. 

Das Wort  εἰσενέγκῃς verdient auch noch die letzte Überlegung, daß der Aorist eine zeitliche, noch nicht beendete Handlung anzeigt, als Ganzes konzipiert, nicht in ein vorher und nachher gegliedert. 

Das " (ver)-lasse uns nicht" scheint im Gegenteil zu bestätigen, daß Gott jetzt- wenn er das wollte- den Gläubigen ruhig in der Versuchung verlassen könnte.

So müßte also der, der es für inakzeptabel hält, zu denken, daß Gott uns in Versuchung "führen" könnte, gleichzeitig glauben, daß etwas passiert, das theologisch Gott ganz fremd ist- "uns in der Versuchung zu verlassen". 

Nun ist aber das wahre Problem nicht das Verb sondern das Substantiv- die Ortsbestimmung: "in Versuchung", das der Hl. Hieronymus mit tentatio und das Italienische mit tentazione.Versuchung- übersetzten.

Das Substantiv πειρασμός kommt im Neuen Testament 21 mal vor- mit einer Reihe von Bedeutungen, die von absolut negativen (Versuchung, Sünde, Unglück, Leiden) bis zu völlig neutralen (Prüfung, Versuch, Test) reichen.

So z.B. bei Matthäus 26, 41 - wo Jesus die Apostel in Gethsemane einlädt, mit ihm zu wachen und zu beten, damit "ihr nicht in Versuchung fallt - (εἰς πειρασμόν). Und hier bezieht sich Jesus offensichtlich auf die höchste Prüfung, der er sich selbst gegenüber sieht- seiner Passion. 

Im ersten Petrus-Brief, 1,6  "Darüber seid ihr voller Freude, wenn ihr auch jetzt ein wenig, falls es sein muß, durech mancherlei Prüfungen Leid habt" (ἐν ποικίλοις πειρασμοῖς). Hier ist der Bezug auf die erste große Verfolgung , die unter Kaiser Domitian (81-96 A.D.) im gesamten Römischen Reich stattfand.Diese Bezugnahme, die in ein Lobpreis  (euloghia) an Gottes gerichtet ist, für seinen Heilsplan durch die Auferstehung Christi.

Auch das Wort, das hier dem Substantiv Versuchung "peirasmos" entspricht-kommt im Neuen Testament 39 mal vor, auch das mit dem selben Bedeutungsspektrum. 

Wir finden es bei Matthäus 4,1  "Dann wurde Jesus vom Geist in die Wüste geführt, um vom Teufel in Versuchung geführt zu werden" (πειρασθῆναι ὑπὸ τοῦ διαβόλου). Oder im Vers 4,3, wo der Teufel als der "Versucher"   (ὁ πειράζων).definiert wird. 

In diesem  Fall handelt es sich also um eine wahre und wirkliche Versuchung, die von dem ausgeht, "der von Anfang an ein Mörder war und nicht an der Wahrheit festhielt, weil in ihm keine Wahrheit ist. Wenn er lügt, redet er aus sein em eigensten Wissen, weil er ein Lügner ist und der Vater der Lügen." (Joh. 8,44)

Das selbe Wort wird aber auch im SInn von "prüfen" - einer Prüfung im negativen Sinn- gebraucht, wie bei Matthäus 16,1 "Da kamen die Pharisäer und Sadduzäer zu ihm, um ihn auf die Probe zu stellen"  (πειράζοντες). Und so auch bei Matthäus 19,3 "Dann näherten sich einige Pharisäer, um ihn auf die Probe zu stellen,"  (πειράζοντες αὐτὸν)”.

Im Hebräer-Brief 11-17 dagegen wird das selbe Wort mit der Bedeutung benutzt, in einem positiven Sinn- von "auf die Probe zu stellen". Für Abraham - auf die Probe gestellt (πειραζόμενος),  seinen Sohn zu opfern- gerade er auf die Probe, seinen  einzigen Sohn zu opfern, der ihm versprochen und den er bekommen hatte. 

Oder in der Apokalypse - wo die Prüfung als ein Weg verstanden wird, die Falschheit zu demaskieren "Du hast auch die geprüft, die sich Apostel nennen. es aber nicht sind, und sie als Lügner erkannt." (2,2) 

Versuchung - und dies gilt auch für das Alte Testament - drückt in biblischer Sprache die Pädagogik aus, die Gott, dem Vater, gegenüber den Menschen eigen ist: "Gott hat sie geprüft (ὁ θεὸς ἐπείρασεν αὐτοὺς) und sie seiner würdig befunden: Er hat sie geprüft wie Gold im Schmelzofen und sie wie ein vollkommenes Brandopfer angenommen. Zur Zeit ihrer Heimsuchung werden sie aufleuchten, wie Funken, die durch die Stoppeln dahinfahren." (Weisheit 3, 5-7)

Schließlich ist im Buch Sirach die höchste Prüfung (Versuchung), der sich der Gläubige stellen muss, genau dann, wenn er sich vor Gott präsentiert, um ihn anzubeten: "Fili, accedens ad servitutem Dei sta in iustitia et timore et praepara animam tuam ad tentationem; “Mein Sohn, wenn du dem Herrn dienen willst, dann mach dich gefaßt auf Prüfungen" (2,1) 

Die aktuelle Übersetzung dieses Verses des berühmten Buches der Weisheit, dessen erste Übersetzung aus dem Original-Hebräisch in Griechische aus dem Jahr 132 v. Chr. stammt, läßt ein essentielles Detail des griechischen Textes aus- der mit dieser Aufforderung endet: ""Bereite deine Seele auf diese Prüfung vor"  “ἑτοίμασον τὴν ψυχήν σου εἰς πειρασμόν”.

Die Probe. die Versuchung, die Prüfung, die auf Korrektur, Reue, die im Falle eines Versagens- auf ein negatives Urteil ausgerichtet sind und im Fall des Gelingens auf Zufriedenheit, Belohnung und ein positives Urteil - sind die Grundelemente der Vater-Kind-Beziehung der Gottgläubigen. (Hebräer, 12, 7-9)  

"Wie mit Söhnen verfährt Gott mit euch, denn wo wäre ein Sohn. den der Vater nicht züchtigt? Wenn ihr aber ohne Erziehung seid, an der alle teilgehabt haben, dann seid ihr unechte Kinder, keine Söhne! Ferner: in unseren leiblichen Vätern hatten wir Erzieher, die wir achteten. Sollen wir uns da nicht erst recht dem Vater der Geister unterwerfen, und so das Leben erlangen?" (Hebräer 12, 7-9) 

Also behandelt uns der christliche Gott wie Kinder, die verstehen können und nicht wie Bastarde und Schwachsinnige,

Die Entscheidung, auch diesen liturgischen Text des Sonntagsgebetes zu verändern, die die italienischen Bischöfe getroffen haben, stimmt also in keiner Weise-weder exegetisch noch theologisch- überein. 

Sie ist stattdessen die Frucht eines materialistischen und modernen Relativismus, der auf diese katholische Liturgie angewendet wird,  die dagegen aber "essentielles Handeln Gottes ist,  der uns in Jesus durch den Hl. Geist einbezieht (Benedikt XVI, Postsynodale Apostolische Exhortation, Sacaramentum carutatis , 37) 

Wenn man dann bedenkt, wer der Haupt-Förderer dieser unglücklichen Wahl war, haben die italienischen Bischöfe, aus einem wirklich unheimlichen Klerikalsmus heraus gehandelt, der darin besteht, dem nicht zu mißfallen, dem man gefallen muß, um nur ja nicht seine immer ungewissen und instabilen Stimmungen zu ändern.

Für diejenigen, die weiterhin leise "ne nos induca in tentationem" beten, mögen die Worte des Heiligen Augustinus, tröstlich sein, der über das Herrengebet schrieb: "Es hat eine sehr große Bedeutung. Deshalb drückt der Christ in jeder Bedrängnis damit seine Klagen aus- damit begleitet er seine Tränen, damit beginnt er sein Gebet- damit verlängert er es und damit beendet er es [...] Wer mit Worten betet, die keinerlei Beziehung zu diesem evangelischen Gebete haben, betet vielleicht kein schlecht gemachtes Gebet, aber sicher ein zu menschliches und zu irdisches.(Brief an Proba. 130, 22) 

 Quelle: Stilum Curiae, M.Tosatti, G.P. Caliari

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