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Donnerstag, 10. Juni 2021

G. Weigel: 30 Jahre Polen

George Weigel hat anläßlich des 30. Jahrestages seiner ersten Polenreise für den "Catholic World Report"  Erinnerungen an das Erlebte veröffentlicht. 
Hier geht´s zum Original:  klicken

                           "DREISSIG JAHRE POLEN" 

Es war ein zweiwöchiger Wirbelwind, der mein Leben für immer verändert hat, mein erster Besuch in Polen im Juni 1991. Wenn ich darauf zurückblicke, werde ich an etwas erinnert: H.L.Mencken hat über eine ebensolche verwandelnde Erfahrung geschrieben: "Es war hirnvernebelnd und knochenbrechend aber es war überaus großartig- ein Abenteuer erster Klasse, ... großartig und elegant, ein Zirkus mit zwölf Arenen." Meine ersten Wochen in Polen waren das alles und noch mehr. Weil das, was ich in den 14 Tagen in  Dutzenden von Gesprächen erfuhr. zum Drehkreuz für "Die endgültige Revolution: Die Kirche des Widerstands und der Zusammenbruch des Kommunismus" wurde; die Veröffentlichung dieses Buches (das erste, in dem argumentiert wird, daß Johannes Paul II und die Kirche eine führende Rolle beim Zusammenbruch des europäischen Kommunismus gespielt haben) führte zu meiner ersten ernsthaften Unterhaltung mit dem polnischen Papst. Unsere Beziehung reifte während der nächsten Jahre bis zu dem Punkt, an dem ich 1995 Johannes Paul kühn vorschlug, seine Biographie zu schreiben; und der Rest ist- wie man sagt- Geschichte. 

Während der letzten drei Jahrzehnte habe ich ungefähr alles in allem drei Jahre in Polen verbracht, viel davon in Krakau, eine Stadt, die ich als ein weiteres Zuhause betrachte. An diesem Jahrestag- wende ich mich in Gedanken einigen außerordentlichen Menschen zu, denen ich 1991 zum ersten mal begegnet bin. Viele sind nicht mehr unter uns, aber ich halte ihre Erinnerung in Ehren -weil ihr Beitrag zu meiner Kenntnis polnischer Dinge unbezahlbar war. 

Ich denke an die früheren Solidarnosz-Aktivisten, viele von ihnen unter Kriegsrecht politische Gefangene, die danach Mitglieder der polnischen Regierung waren, einflußreiche Journalisten oder Akademiker, die endlich in der Lage waren so zu lehren, wie sie es in einer freien Gesellschaft für richtig erachteten.

Ich erinnere Kardinal Franciszek Macharski, einen Mann von großer natürlicher Würde, von Johannes Paul II  schlau als sein Nachfolger für dem Bischofsstuhl von Krakau ausgewählt. Macharski  seinerseits war klug genug, nicht zu versuchen, ein zweiter Karol Wojtyla zu sein, sondern er selbst- was mehr als genug war, weil er sich als sehr mutig- mit Rückgrat- erwies, als Polen in den 1980-ern unter dem Kriegsrecht litt. Es war Macharski, der mir von der Tradition erzählte, daß der Erzbischof von Krakau der Defensor Civitatis ist, die letzte Verteidigungslinie der Menschen und ihrer Rechte. Wie sein Vorgänger lebte Franciszek Macharski diese Rolle des Bischofs großartig- so wie es der Bischof während des Krieges Kardinal Adam Stefan Saüieha getan hatte, den sowohl er als auch Karol Wojtyla verehrten.



Ich denke an Jerzy Turowicz, einen charmanten, elfenartigen 70-Jährigen, der über Jahrzehnte die einzige zuverlässige Zeitung in Polen leitete, Tygodnik Powszechny (Universale Wochenzeitung), unter dem Schutz der Erzdiözese Krakau. Ihre Redaktionsmannschaft umfaßte brillante Männer und Frauen. 
die keine akademnischen und beruflichen Stellungen bekommen konnten, für die sie qualifiziert waren, weil sie ernsthafte Katholiken waren. Und in dieser Zeitung hinterließ der zukünftige Papst seine Spuren als Dichter und Essayist.  
Ich erinnere Pater Jozef Tischner, einen sturen, herzlichen Sohn des polnischen Hochlandes, einen großartigen Witzeerzähler und Weltklasse-Philosophen. Seine brillante Predigt vom 6. September 1981 beim ersten Solidarnocz-Kongress - eine Meditation über Arbeit und Eucharistie- sollte als zweite Auswahl der Leseordnung zum Gedenken an den Hl. Josef, den Arbeiter, in das Stundengebet aufgenommen werden. 

Ich erinnere, daß ich zum ersten mal Auschwitz-Birkenau besuchte und vor der Hunger-Zelle betete, in der der Hl. Maximilian Kolbe sein Leben für einen Mitgefangenen gegeben hatte und fand, daß es -wie bei der zwölfte Station  des Kreuzweges im Hl. Grab in Jerusalem, einer der Plätze der Welt war, wo man am leichtesten beten konnte. 

Ich erinnere ein langes Sonntag-Nachmittagsgespräch mit Pater Kazimierz Jancarz, der aussah wie ein NFL-Verteidiger, der sich über sich selbst als "nur ein Proletarier" lustig machte und mir dann erklärte. wie seine Gemeindekirche in der Industriestadt Nowa Huta ein Zentrum von Untergrund-Aktivitäten während und nach dem Kriegrecht gewesen war- ein Ort. wohin die Leute kamen, um frei über eine Zukunft zu sprechen, die sie sich nur vorstellen konnten, aber für die sie unterrichtet und vorbereitet sein wollten. 

Nichts von dem wäre ohne die Unterstützung durch meinen Kollegen und Freund Rodger Potocki möglich gewesen, der der beste Gefährte, ein sachkundiger Führer und der Mann war, der mich alle Straßenschilder vorlesen ließ, an denen wir vorbeikamen, damit ich zumindest Polnisch (mehr oder weniger) richtig aussprechen konnte.

Drei Jahrzehnte Arbeit und Gespräche in Polen haben mich auf eine Weise geprägt, die ich vor 30 Jahren nicht für möglich gehalten hätte. Dafür bin ich einer Nation zutiefst dankbar, die ein Modell einer Demokratie im 21. Jahrhundert werden könnte, wenn sie die Soziallehre ihres größten Sohnes ernst nehmen würde."

Quelle: G. Weigel, Catholic World Report

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