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Freitag, 27. August 2021

George Weigel über moderne polnische Museen und zwei seiner Lieblingsbücher...

George Weigel berichtet in einem Artikel für FirstThings über vorbildhafte moderne Museen in Polen und über zwei Bücher von Chaim Potok, die u.a. Probleme traditioneller Juden mit reformwütigen Glaubensbrüdern darstellen, wie auch Katholiken sie erleben...
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"GESUCHT: EIN AMERIKANISCHER CHAIM POTOK"

In den drei Jahrzehnten seit der Revolution von 1989 umfassen Polens viele kulturelle Errungenschaften die Schaffung des Historiuschen Museums des 21. Jahrhunderts. 

Zu den Beispielen gehören das Museum des Warschauer Aufstands in der Hauptstadt: in Krakau das am Ort von Oskar Schindlers Fabrik erbaute "Krakau unter der Nazi-Besatzung 1939-1945"-Museum; und das päpstliche "Geburtshaus von Johannes Paul II"-Museum, in der Heimatstadt des verstorbenen Papstes, Wadowice. Jedes dieser beispilehaften Museen kombiniert einen traditionellen, linearen Zugang zur Wiedergabe einer historischen Geschichte, der die in solchen Ausstellungen oft zu findenden Artefakte benutzt- kombiniert mit brillant ausgeführten interaktiven Displays, die den Besucher "in" die Geschichte hinein führen,die erkundet werden soll. Ich kenne nichts derartig Gelungenes in den USA; die polnischen Museen beschämen das Smithonian´s Museum Amerikanischer Geschichte.

Die größte dieser zeitgenössischen polnischen Errungeschaften ist das Polin: das Museum der Geschichte der Polnischen Juden, das am Ort des Warschauer Ghettos zu Kriegszeiten erbaut und 2013 eröffnet wurde. Ich habe dort im Oktober 2016 viele Stunden verbracht und es mit dem Gedanken verlassen, daß das einfach das größte Historische Museum der Welt sein könnte. Indem es die zeitgenössische polnische Methode der Kombination von traditionellem historischen Erzählen mit digitalen und interaktiven Displays benutzt, enthüllt Polin (was hebräisch entweder "Polen" oder "hier sollst du ruhen"  bwedeuten kann) eine komplexe, zu oft tragische und unfehlbar interessante Geschichte sich überlappender Kulturen, mit rigoroser Ehrlichkeit und fühlbarem Mitgefühl. Religiöse und kulturelle Artefakte, Gemälde und Fotografien und jene interaktiven Displays lassen den Besucher in ein Jahrtausend menschlicher Erfahrungen und Begegnungen eintauchen, die alle wichtige Wahrheiten lehren. Polins 430-seitiger Katalog hat einen Ehrenplatz in meinem Haus und ich bin immer wieder von seinem Reichtum überrascht. 

Während meines Besuchs im Polin 2016 war ich verblüfft, wie sehr die Geschichte des Chassidischen Judentums in Polen und Litauen mir irgendwie bekannt vorkamen. Und dann habe ich herausgefunden warum: wegen der beiden wunderbaren Romane des verstorbenen Chaim Potok "Der Erwählte", 1967 veröffentlicht und seiner 1969 publizierten Folge "Das Versprechen". Ich habe diese beiden Bücher vor kurzem wieder gelesen und war erneut verblüfft, wie viele Erkenntnisse in zentral-und-osteuropäischer jüdischer Geschichte Potok seinen Lesern durch den Charakter von David Malters, einem ausgewanderten russischen Talmud-Gelehrten, anbietet, der in Brooklyn lebt. Chassidische Juden, die irgendwie Hitlers Mordmaschinerie entkommen sind, und sich in der unmittelbaren Zeit nach dem 2. Weltkrieg in Professor Malters Nachbarschaft niedergelassen haben und Malters Erklärungen für seinen Sohn Reuven (Erzähler des Romans) -wie die Chassidim entstanden sind und was sie glauben, sind faszinierend. Das sind auch genau zusammengefügte Stücke der turbulenten religiösen und kulturellen Geschichte, die im Polin ausführlich erklärt wird. 


Ich habe "Der Erwählte" und "Das Versprechen " wahrscheinlich ein halbes Dutzend mal gelesen und finde bei jeder Lektüre, daß Chaim Potok in David Malter ein Porträt des perfekten Vaters gezeichnet hat: einen Mann fester Überzeugungen, aber auch von unendlicher Geduld mit den Kämpfen der Jugend und den ewigen Schwächen der Menschheit; ein tief frommer und traditioneller Mann, der keine Angst vor der Moderne hat; ein tiefgründiger Lehrer, dessen Hochachtung für offenbarter Wahrheiten ihn nicht in einem intellektuellen Bunker einsperren; ein Elternteil, mit dem ein junger Erwachsener frei sprechen kann- der weiß, daß der Ältere die Intelligenz und die Freiheit des Jüngeren respektiert. 

Potoks Romane sind intensiv jüdisch und amerikanisch auf eine Weise, die von amerikanischen katholischen Autoren nicht reproduziert wurde. Der amerikanische Katholizismus könnte heute einen Chaim Potok gebrauchen. Weil die fiktiven Kämpfe zwischen David Malter und seinen reform-gesinnten Kollegen in einer modernen orthodoxen Jeshiva und den Gelehrten an der hochwürdigen Hirsch-Talmud-Akademie, die sich weigern den modernen Methoden antike Texte zu studieren  auch nur ein zollbreit nachzugeben, irgendwie ein Spiegel der modernen Herausforderungen der US-Kirche sind. Wie können wir aus dem lernen, was moderne archäologische, lingustische Studien und historische Recherchen uns über die Bibel lehren, ohne die Schriftexte wie eine literarische Leiche zu behandeln, die obduziert werden muß? Wie empfangen und ehren wir alte Rituale und Formen der Anbetung - während wir ihre Fossilisierung vermeiden und ihre Entwicklung zulassen? Wie interagieren religiöse Autortitäten und religiöse Gelehrte zum beiderseitigem Vorteil und zum Wohl der Gemeinschaft, zu der sie gehören? 

"The Chosen" und "The Promise" zu lesen, ist eine erhebende Erfahrung. Und - durch die Wege der VorsEhung- geschah es, daß ich die Lektüre des letzteren an dem Tag beendete, an dem die Lesung diesen großen Text aus dem Brief des Hl. Paulus an die Römer beinhaltete: "Den Israeliten gehören die Annahme, die Herrlichkeit, der Alte und der Neue Bund, die Gesetzgebung, die Anbetung und die Versprechen; ihre waren die Patriarchen und von ihnen kam der Messias...." 

Quelle: G.Weigel, FirstThin

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