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Mittwoch, 8. September 2021

S. Magister zum Becciu-Prozess

Sandro Magister ist nach längerer Sommerpause zurück.- mit einem Kommentar bei Settimo Cielo zum aktuellen Prozess gegen Kard. Becciu u.a. im Vatican.

Hier geht´s zum Original: klicken

"BECCIU-PROZESS. TRIUMPF ODER NIEDERGANG DER ABSOLUTEN MACHT DES PAPSTES?"

Unter den Fehlern, die Papst Franziskus bei seinem kürzlichen Interview mit COPE unterlaufen sind, ist der krasseste nicht der, Angela Merkel eine Äußerung Vladimir Putins zuzuschreiben, sondern das frostige illiberale Prinzip, das darin ausgedrückt und vom Papst enthusiastisch übernommen wird, laut dem man nicht einmal versuchen sollte, dort eine Demokratie aufzubauen, wo es keine gibt- dort erscheint auch die Einführung einer neuen juristischen Größe- die "affektive Form der Unschuldsvermutung.

Das Opfer, auf das Franziskus die anwendet, ist Kardinal Giovanni Angelo Becciu (Foto), 73, zusammen mit neun anderen Angeklagten vor Gericht gestellt in einem Prozess, dessen zweite Sitzung im Vatican für den 5. Oktober geplant ist, hauptsächlich den teuren und stümperhaften Erwerb eines Gebäudes in London durch das Staatssekretariat betreffend. Becciu wird Unterschlagung, Amtsmissbrauch und Anstiftung zum Meineid vorgeworfen. Aber am 24. September 2020, neun Monate bevor diese Anklage in der Anklageschrift des Kardinals formuliert wurde, hatte der Papst ihn bereits angeklagt und verurteilt, ihn seines Amtes enthoben, ihn seiner "Rechte“ als Kardinal beraubt, ihn dem Spott der Welt ausgesetzt, alles ohne die geringste Verteidigung und ohne ein einziges Wort, das den Grund für diese öffentliche Erniedrigung erklären würde. Trotzdem sagt Franziskus im Interview mit COPE nun: "Ich hoffe von ganzem Herzen, daß er unschuldig ist“, denn "er ist eine Person, die ich respektiere, er war ein Kollege von mir und er hat mir sehr viel geholfen“. Kurz gesagt, der Papst sagte, er empfinde für Becciu "eine affektive Form der Unschuldsvermutung.


Schon vor Franziskus hat sich jeder Papst auf sich selbst die drei Gewalten der Legislative, der Exekutive und der Judikative konzentriert, die in jeder modernen Demokratie streng voneinander getrennt sind. Aber die jüngsten Päpste wandten das mit äußerster Mäßigung an. Erst bei Jorge Mario Bergoglio ist dieser monarchische Absolutismus zur Gewohnheit geworden und explodiert in all seinen Widersprüchen. "L’État c’est moi!“, ich bin der Staat, könnte Bergoglio heute sagen, wie es der Sonnenkönig im 17. Jahrhundert tat. Der Prozess gegen Becciu und die anderen neun ist der krasse Beweis dafür

Settimo Cielo hat bereits die rechtlichen Rückschläge auf dem Weg zum Prozess, der jetzt im Vatikan stattfindet, überprüft, mit dem Freispruch des Finanziers Gianluigi Torzi durch ein Londoner Gericht im März 2021 - vom Vorwurf den Vatikan um 15 Millionen Euro erpresst zu haben, während er nach Angaben der Londoner Richter regelmäßig sein "Gehalt“ sogar mit dem Segen des Papstes erhielt

 Vatikanischer Magistrat oder die Saga des juristischen Missgeschick 

Aber jetzt, wo der Prozess beginnt, steckt viel mehr dahinter als ein paar  Geschwindigkeitshindernisse . Das Übel liegt an der Wurzel, es liegt in der vatikanischen Justiz selbst, der die konstitutiven Elemente eines modernen Rechtsstaates fehlen, wie auch von einer wichtigen deutschen Zeitung angeprangert, die sicherlich nicht im Verdacht steht, den einen oder anderen kirchlichen Kreis zu unterstützen, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ in einem politischen Leitartikel von Thomas Jansen vom 24. August, auch in englischer Sprache:

Ein Prozess in einem absolutistischen Staat

In dem Interview mit COPE wiederholte Franziskus, daß die Anklage, die zum Prozess führte, in Kraft trat, weil er selbst, der Papst, "[seine] Unterschrift“ unter die der Beschwerdeführer gesetzt hatte, und tatsächlich den vatikanischen Richtern persönlich befahl, mit dem Verfahren, den  Durchsuchungen und Festnahmen fortzufahren.

Aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was danach geschah. Die Verteidiger der Angeklagten beschweren sich, daß Franziskus im Zuge der Ermittlungen – nachdem die mutmaßlichen Verbrechen bereits begangen worden waren – mit mindestens vier Verfügungen interveniert habe, die die Verfahrensweise des Justizverfahrens veränderten und sie jeweils an seinen Wünschen ausrichteten. Einer dieser Erlasse erlaubte es den Untersuchungsrichtern, Durchsuchungen und Festnahmen durchzuführen, "notfalls auch ohne Rücksicht auf die geltenden Vorschriften“. Ein anderer ordnet Standardprozesse für die Kardinäle an - bis dahin unter dem ausschließlichen Urteil des Obersten Gerichtshofs der Apostolischen Signatur standen - und brachte damit nicht nur Becciu in die Schusslinie, sondern auch, wenn von einem der Angeklagten beschuldigt,  Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin.

Gian Piero Milano, einer der beiden Justitzbeauftragten im Prozess, hat geantwortet, daß die umstrittenen Dekrete in Wirklichkeit "der höchste Ausdruck der päpstlichen Macht“ ist und es nicht wahr ist, daß der Vatikan aus diesem Grund kein Rechtsstaat sei.

Vor allem aber handeln Milano und sein Kollege Alessandro Diddi in der Gewissheit, den allmächtigen Papst Franziskus an ihrer Seite zu haben, angesichts der beispiellosen Kühnheit, mit der sie im vergangenen August die Forderung des Präsidenten des vatikanischen Gerichtshofes Giuseppe Pignatone, an das Verteidigungsteam,  das Protokoll über die Absetzung ihres Starzeugen Monsignore Alberto Perlasca, dem ehemaligen Leiter der Verwaltungsabteilung des Staatssekretariats von 2009 bis 2019, auszuhändigen, der entlassen wurde, aber schnell zur Arbeit mit den Ermittlern wechselte und daher davor verschont blieb, selbst vor Gericht gestellt zu werden

Manche erinnern sich zu Recht daran, daß die Spannungen zwischen Pignatone und Diddi auf den spektakulären „Mafia capitale“-Prozess vor einigen Jahren in Rom zurückgehen, der Erstere war Hauptankläger in dem Prozess, der dann mit einem Urteil des italienischen Kassationsgerichts endete, das den erschwerenden Umstand der Mafia-Assoziation von den Verurteilungen ausschloss

Aber jetzt, im Vatikan, ist die Frage ernster. Die Haltung der Rechtsanwälte gegen eine Anordnung des Präsidenten ihres eigenen Tribunals ist auch ein Beweis dafür, daß es dort nur einen obersten Richter gibt, den Papst, der jegliche „Rechtsstaatlichkeit“ missachtet.

Da die zehn Angeklagten italienische oder schweizerische Staatsbürger sind, kann man sich fragen, ob Italien und die Schweiz bereit sind, für jeden von ihnen eine Freiheitsstrafe zu vollstrecken oder dies abzulehnen, wenn man bedenkt, wie weit die päpstliche Justiz von der vollen Achtung entfernt ist für „habeas corpus“ oder jene elementaren Prinzipien, die die Freiheit und Unverletzlichkeit des Angeklagten schützen.

Kurz gesagt, dieser Prozess droht, den populistischen Mythos zunichte zu machen, der den makellosen Papst Franziskus – immer auf der Seite des „Pueblo santo y field de Dios“ – sieht, der sich verpflichtet hat, der korrupten Institution der römischen Kurie Integrität und Gerechtigkeit zu verleihen. Denn was kann ein Angeklagter wie Kardinal Becciu sonst noch zu seiner Verteidigung sagen, wenn nicht, daß auch der Papst Bescheid wusste und zeitnah informiert- zugestimmt hat."

Quelle: S. Magister, Settimo Cielo

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