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Freitag, 4. März 2022

G. Weigel über die religiösen Wurzeln des ukrainischen Widerstands

George Weigel erklärt im Catholic World Report daß die Ursache für die Widerstandskraft der Ukraine angesichts der russischen Aggression in ihren religiösen Wurzeln zu finden ist. 
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"DIE RELIGIÖSEN WURZELN DES UKRAINISCHEN WIDERSTANDS"

Vielen im Westen sind die tiefen religiösen Dimensionen der Ukrainischen Identität und des ukrainischen Widerstands gegen die russische Aggression entgangen. 

So frösteln wie Vladimir Putin ernsthafte Menschen mit seinem offensichtlichen Vergnügen daran seine Untergebenen zu  demütigen und seine vorsätzliche Brutalität gegenüber jenen, die sich ihm widersetzen (seien es häusliche Opponenten oder Länder, die sich weigern, sich seinem Willen zu beugen), muß ich zugeben, daß ich Putins Außenminister Sergey Lavrov  noch abstoßender finde. In den sechs Jahrzehnten , in denen ich dem internationalen Geschehen folge- bis zurück zur kubanischen Raketenkrise-als die guten Schulschwestern von Notre Dame in der Schule der Baltimore-Kathedrale zeigten, wie man unter den Tischen Zuflucht sucht, kann ich mich an keinen krasseren und ekelhafteren Lügner erinnern als Mr. Lavrov. Geschichts-Studenten haben vielleicht gedacht, daß der Außenminister des Dritten Reiches, der frühere Champagner-Händler Joachim von Ribbentrop, die Goldmedaille für Außenminister-Lügen gewonnen hat, wurden von Mr. Lavrov eines Besseren belehrt, man kann tatsächlich schlimmer sein als Ribbentrop. 

Während der Pressekonferenz am 3. März in Moskau verteidigte Lavrov die russische "militäre Spezial-Operation" in der Ukraine weiterhin als eine Bemühung dieses Land zu "demilitarisieren und zu entnazifizieren" und versprach, daß diese Operation weitergehen würde, bis "die Waffen und die Infrastruktur, die Rußland bedrohen" zerstört sind. Die abscheuliche Benutzung des Nazi-Etiketts gegen ein Land, das von einem demokratisch gewählten Präsidenten jüdischen Erbes verwendet wird, war außerdem in der vergangenen Woche und länger ständiges Thema von Lavrovs Propaganda ist als solche erschreckend, egal, wie oft sie wiederholt wird. 

Aber was für eine Art Mensch- spricht für welche Art Regime, daß das Führen des russischen Krieges gegen die Ukraine sauber wäscht, indem er davon spricht, die "Infrastruktur zu zerstören, die uns bedroht?"

Welche Drohung für Rußland ging vom Sitz der Regionalregierung in Kharkiv aus, der vorsätzlich von den Russischen Kräften zerstört wurde? Wie hat die Holocaust-Gedenkstätte Baby Yar Putin und sein Regime bedroht? Wie konnten Wohngebäude, die von russischen Bomben und Raketen entkernt wurden eine Bedrohung für den Kreml darstellen? Wie verbessert der Gebrauch von Cluster-Bomben und Thermo-Vakuum-Bomben, die  hunderte wenn nicht tausenden Opfer fordern, die nationale Sicherheit Rußlands? Sind die ukrainischen Babys, die in Bunkern geboren werden, weil die Krankenhäuser nicht sicher sind, eine Bedrohung für Mr. Lavrov und das Regime, dem er vorsteht? 


Die russische Militärführung hat Opfer nie gescheut. Der Held des II.Weltkrieges Marschall Georgi Zhukov pflegte Minenfelder dadurch zu räumen, daß er seine Infanterie hindurch marschieren ließ, als ob es die Minen nicht gäbe,  wie er einmal General  Eisenhower erzählte. Diese traditionelle Gefühllosigkeit erstreckt sich auf Zivilisten, wie der Zoll an menschlichen Opfern durch russisches Artilleriefeuer und Luftschläge in Grosny und Aleppo- und jetzt in Kiew, Kharkiv, Mariupol und aneren ukrainischen Städten bewiesen hat.

Ja, Putin. Lavrov und co können ihrem eigenen Volk wegen der Wahrheit darüber, was sie in der Ukraine tun, nicht trauen. Am 2. März hat das Russische Verteidigungsministerium schließlich die "offiziellen" Opferzahlen seiner "speziellen Militäroperation" veröffentlicht und behauptet es gäbe 500 tote Russen. Das ist höchstens ein Zehntel der wirklichen Zahl und die Tatsache, daß die russischen Truppen von mobilen Krematorien begleitet werden, lassen vermuten, daß das Putin-Regime ncht von der Ukraine bedroht wird sondern durch die Angst vor Tausenden von Leichensäcken die nach Rußland zurück kehren und die zivilen Proteste gegen Putins Krieg weiter anheizen- Proteste. die trotz Massenverhaftungen und dem Versuch jede unabhängige Berichterstattung über den Ukraine-Krieg zu unterbinden- weitergehen. 

Indem es die Paranoia des Putin-Regimes gegenüber seinem eigenen Volk weiter betont, hat das russische-sogenannte-Parlament bald über ein Gesetz entscheiden, daß die Kritik am russischen Militär zu einem Verbrechen macht, das durch langjährige Gefängnisstrafen bestraft wird. 

Nachdem seine Blitzkriegs-Strategie wegen des erbitterten ukrainischen Widerstands und der russischen taktischen Inkompetenz gescheitert ist, scheint es nun klar, daß das russische Regime beabsichtigt, die Ukraine durch eine bösartige Zermürbungskampagne zu unterwerfen, die auf Zivilisten und zivile Infrastruktur abzielt, wobei Putin offensichtlich die potenzielle Annexion einer schwelenden Ruine vorzufinden attraktiver findet, als weitere Demütigung. Daß der Westen dieser Barbarei mehr entgegensetzen muss, liegt auf der Hand. Dieses "mehr“, das massive Waffenlieferungen an die Ukraine umfasst, darunter Drohnen und andere Luftwaffen, die russische Panzerkolonnen zu einem Haufen Schrott machen können. Die Sanktionen gegen die russische Wirtschaft, Putin und die politische Führung sowie die von Putin bereicherten Oligarchen müssen verschärft werden.

Es gibt einige Anzeichen dafür, daß Elemente des FSB, des russischen Sicherheitsdienstes, gegen den Krieg sind; Jüngste Berichte aus seriösen Quellen in der Ukraine deuten darauf hin, daß unzufriedene FSB-Mitarbeiter die Ukraine auf ein von Putin angeordnetes Attentat auf den ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj aufmerksam gemacht haben, das anschließend vereitelt wurde. Die westlichen Geheimdienste sollten jede Anstrengung unternehmen, um diese Opposition zu ermutigen und den Tag zu beschleunigen, an dem Rationalität und moralische Vernunft in der russischen Außenpolitik wiederhergestellt werden.

Eine wichtige Frage bleibt jedoch: Wie schafft es die Ukraine inmitten dieser zunehmenden russischen Brutalität, den militärischen, paramilitärischen und zivilen Widerstand gegen die Invasoren nicht nur aufrechtzuerhalten, sondern diesen Widerstand zu steigern? 

Ein Teil der Antwort liegt in der Transformation der Zivilkultur, die in der Ukraine mit der "Revolution der Würde“ 2013-2014 begann, deren Mittelpunkt der Maidan, Kiews Unabhängigkeitsplatz, war. Westliche Medien und Politiker, die sich auf Politiker auf nationaler Ebene und die oft korrupte Oligarchie konzentrieren, die nach der Maidan-Revolution noch immer in der Ukraine existiert, haben die langsame, aber stetige Entwicklung einer zivilen Kultur der Verantwortung und Solidarität an der ukrainischen Basis weitgehend verpasst. Die Wunden von siebzig Jahren sowjetischer Verwüstungen, die die Ukrainer gelehrt hatten, einander zu misstrauen, begannen in den letzten acht Jahren zu heilen, und der aktuelle Krieg hat diesen Heilungsprozess enorm beschleunigt.

Die Ergebnisse zeigen sich darin, daß das Land stärker geeint ist als je zuvor. Daher scheint es passend, daß ein belagertes Land, das von einem jüdischen Präsidenten geführt wird, die moralische Weisheit von Hillel dem Älteren manifestiert, einem jüdischen Weisen, der vor über zweitausend Jahren starb: "Wenn ich nicht für mich selbst bin, wer wird dann für mich sein? Wenn ich allein für mich bin, was bin ich dann?“

Westliche Beobachter neigen auch dazu, die zutiefst religiösen Dimensionen der ukrainischen Identität zu übersehen – und den ukrainischen Widerstand gegen die russische Aggression. Mit der möglichen Ausnahme von Polen ist die Ukraine das religiös treueste Land in Europa. Ein großer Teil, vielleicht sogar die Mehrheit der praktizierenden orthodoxen Christen, die sich traditionell an das russisch-orthodoxe Patriarchat von Moskau wenden, leben in der Ukraine. Seit der Maidan-Revolution in getrennte Gerichtsbarkeiten geteilt, haben ukrainisch-orthodoxe Führer dennoch die russische Invasion und den Krieg verurteilt, selbst auch als Patriarch Kirill von Moskau seine Herde verrät und weiterhin den Schoßhund des Zaren spielt.

Dann gibt es die ukrainisch-griechisch-katholische Kirche, etwa fünf Millionen Seelen, die im Land einen weit über ihre Zahl hinausgehenden Einfluss ausüben. Die UGCC ist seit eineinhalb Jahrhunderten mit außergewöhnlicher Führung gesegnet. Der Diener Gottes Andrew Sheptytsky leitete die Kirche von 1901 bis zu seinem Tod im Jahr 1944 und war eine führende Persönlichkeit in einer Renaissance der ukrainischen Kultur, Sprache und Literatur. Unter seiner Führung wurde die UGCC in den harten Jahrzehnten, in denen die Sowjetunion alles in ihrer Macht Stehende unternahm – von der vorsätzlichen Verhungern-lassens von Millionen bis zum erzwungenen Gebrauch des Russischen in Schulen und der öffentlichen Verwaltung – zu einem der wichtigsten Tresore der ukrainischen nationalen Identität. die Ukraine zu russifizieren und das Land unter Kontrolle zu bringen.

Kein Wunder also, daß der würdige und handverlesene Nachfolger von Metropolit Andrew, Metropolit Josyf Slipyj (das Modell für den slawischen Papst in "Die Schuhe des Fischers“) siebzehn Jahre in den Gulag-Arbeitslagern verbrachte, als die von ihm geführte Kirche zur größten Untergrundkirche (d. h. illegale) Religionsgemeinschaft in der Welt wurde, nachdem die UGCC 1946 praktisch mit vorgehaltener Waffe mit der russisch-orthodoxen Kirche "wiedervereinigt“ wurde. Slipyj wurde 1963 aus dem Gulag entlassen und lebte in Rom (die Sowjetunion weigerte sich, ihn wieder in sein Land  zu lassen), bereiste die Welt, stärkte die ukrainische griechisch-katholische Diaspora und legte den Grundstein, auf dem die heutige lebendige UGCC dabei hilft, die Ukraine aufzubauen – und jetzt zu verteidigen –, von der Sheptytsky und Slipyj träumten und für die sie ihr Leben gaben.

Die vielleicht folgenreichste der Bemühungen von Metropolit Slipyj war der Wiederaufbau einer theologischen Akademie in Rom, die nach der Befreiung der Ukraine von der Sowjetunion im Jahr 1991 zur Keimzelle wurde, aus der die heute beste Hochschule der Ukraine, die Ukrainische Katholische Universität Lemberg hervorging. Von Anfang an war die UCU unter der Leitung des jetzt ukrainischen griechisch-katholischen Erzeparchen von Philadelphia, Borys Gudziak, eine Institution mit einer definierten und edlen Mission: die zerrüttete Zivilgesellschaft der Ukraine wieder aufzubauen, und das Zentrum für Lehre und Leben in der Wahrheit zu sein. Ihre Studenten und Dozenten waren 2013-2014 auf dem Maidan, wo ein Mitglied der Universitätsfakultät von einem Scharfschützen erschossen wurde. Heute ist die UCU ein Leuchtfeuer der Wahrheitsfindung über den Krieg in der Ukraine (exemplifiziert durch die unverzichtbaren täglichen YouTube-Videos, die von einem ihrer Mitglieder der Theologischen Fakultät, Taras Tymo, gepostet werden), sogar wenn ihre Mitarbeiter helfen, Hilfe für Flüchtlinge und Vertriebene zu organisieren und sich auf einen scheinbar unvermeidlichen russischen Militärangriff auf Lemberg vorzubereiten.  

Die ukrainische nationale Identität ist, kurz gesagt, sehr stark vom ukrainischen Christentum geprägt. Unter der Leitung von Kardinal Lubomyr Husar, Leiter der UGCC von 2001 bis 2011, und dem derzeitigen Groß-Erzbischof Sviatoslav Shevchuk, hat die UGCC eine wichtige Rolle bei der Heilung ökumenischer Brüche unter den christlichen Gemeinden der Ukraine gespielt: ein weiterer Schritt zur Festigung des Bewusstseins von nationale Solidarität, die bisher die Taten von bösen Männern wie Wladimir Putin und Sergej Lawrow zunichte gemacht hat.

(Anmerkung: Die Botschaften von Groß-Erzbischof Shevchuk an sein Volk und die Welt aus einem Kiewer Luftschutzbunker sind eine beispielhafte Fastenzeitlektüre, gerade auch wenn sie verkörpern, wie eine heroische katholische Führung im 21. Jahrhundert aussieht. Die Botschaften für den 1. März, 2. März und 3. März sind hier, hier und hier online verfügbar.)"

Quelle: G. Weigel, CWR

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