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Mittwoch, 22. Juni 2022

Der Papst und die Traditionalisten, Gottes- und Nächstenliebe, Einigkeit und Spaltung

Roberto de Mattei kommentiert bei Corrispondenza Romana die Beziehung zwischen dem amtierenden Papst und den dem Traditionalismus anhängenden Gläubigen.  
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"PAPST FRANZISKUS UND DIE VERSUCHUNG DER TRADITIONALISTEN" 

Zwischen Papst Franziskus und der Welt der Tradition ist eine dialektische Beziehung entstanden- mit dem Risiko gefährlicher Folgen. 

Das motu proprio Traditionis Custodes vom 16. Juli 2021, das das motu proprio Benedikts XVI Summorum Pontificum demontiert, darf nicht täuschen. Papst Franziskus greift nicht den antiken Römischen Ritus an sich an, sondern er verabscheut jene, die diesem Ritus treu sind, oder besser das karikaturhafte Bild, das er sich in den vergangenen Jahren von diesen Traditionalisten gemacht hat. Die Erwähnung der "Spitzen der Großmütter" in der Rede vor dem Sizilianischen Klerus am 17. Juni ist in dieser Hinsicht sinnbildlich. 

Die "Spitzen der Großmütter" existieren- wenn überhaupt- nur in der Phantasie irgendwelcher progressistischen Ideologen. Die Realität des sizilianischen Klerus ist nicht die der Spitzen-sondern besteht, wie überall aus Priestern, die in Blusen und Sandalen herumlaufen und schlampig und respektlos die neue Messe zelebrieren. Sie rechtfertigen sich damit, daß Form nicht Inhalt ist, aber es ist ihre Aversion gegen die alten Formen, die beweist, daß für viele unter ihnen die Form über den Inhalt siegt. 

Papst Franziskus ist nicht für das Thema Liturgie sensibel, sondern ist- allgemeiner- nicht an der doktrinalen Diskussion interessiert, wie der, die während des II. Vaticanischen Konzils und den unmittelbar folgenden Jahren entstanden ist, wo sich Konservative und Progressisten gegenüber standen. "Die Wahrheit steht über der Idee" ist eine der Behauptungen in der Enzyklika Evangelii Gaudium  (EG, 217-237). Das, was wirklich zählt, sind "nicht nur die Ideen, sondern die "Unterscheidung", hat er am 19. Mai wiederholt, als er am Sitz von Civiltà Cattolica mit den Direktoren der europäischen kulturellen Zeitschriften der S.J. sprach. "Wenn man in die Welt der reinen Ideen eintritt, entfernt man sich von der Wirklichkeit und endet im Lächerlichen" fügte er hinzu. Dieser Spott, den er für die auf Spitzen bestehenden Traditionalisten hat, betrifft nicht die maroden Liturgien des progressistischen Klerus. 

Wenn die Unterscheidung über den Ideen steht, verwandelt sie sich in Personalismus. Franziskus neigt dazu, jede Frage zu personalisieren, einschließlich Gewänder, Ideen und Institutionen der Kirche. In Ausübung der Regierung führt der Personalismus zum "Exzeptionalismus", aber außergewöhnliche Entscheidungen- wie der Vaticanist Andrea Gagliarducci feststellt- sind nur außergewöhnliche Entscheidungen, sie schaffen keine objektiven und universalen Normen. Seine Beziehungen zum Souveränen Malteser Orden bestätigen das. Der Papst hat keine Angst davor, die Regeln zu brechen oder - wenn nötig- das Kanonische Recht zu ändern, besonders weil jede seiner Handlungen eine persönliche Frage und somit "außergewöhnlich" ist. 


Jedoch das Risiko, das die "restaurationistischen" Gegner Franziskus´, wie er sie definiert, eingehen, ist, ihren Widerstand gegen sein Pontifikat zu personalisieren und zu vergessen, daß er- noch bevor er ein Mensch ist- der Nachfolger Petri und der Stellvertreter Christi ist. 

Für einige Traditionalisten scheint es unvorstellbar, daß Papst Franziskus ein legitimer Pontifex sein könnte, und das auch- wenn sie es dem Wort nach akzeptieren- auf der Ebene des Faktischen leugnen und sie stellen- wie er- im Namen einer personalen Unterscheidung die Praxis über die Theorie. Die Gewohnheit ihn Bergoglio und nicht Franziskus zu nennen, zeigt diese Tendenz zur Personalisierung, die einen extremen Punkt erreicht, wenn man ihn als den "Mann aus Santa Marta" oder "den Argentinier" verachtet. Ausgerechnet ein hellsichtiger argentinischer Beobachter der Kirchenangelegenheiten hat betont, daß " Radikalisierung bedeutet, daß die gesamte Realität sub specie bergoglii gelesen wird. Paradoxerweise basiert unsere Zugehörigkeit zum katholischen Glauben auf diese Weise nicht mehr auf der Zustimmung zum Glauben der Apostel, sondern darauf, sich allem zu widersetzen, was Franziskus tut“  klicken

Die Personalisierung der Probleme führt nicht nur zum Primat der Praxis sondern auch zu dem der Ideen über die Gefühle. Liebe und Hass emanzipieren sich von den beiden Städten des Hl. Augustinus, in denen sie verankert sein sollten, der Civitas Dei und der Civitas Diabuli, und personalisieren sich. Dieses Phänomen entsteht seit den 1960-er Jahren im Inneren des Neo-Modernismus.  Es genügt, im Tagebuch von Pater (dann Kardinal) Yves Congar die Seiten voller Mißgunst zu lesen, um den bitteren Geschmack des Hasses zu spüren, die jede seiner Zeilen gegenüber der Kirchentradition versprühen. Aber dieser Hass hat leider auch manche Traditionalisten erfaßt, die Papst Franziskus zutiefst hassen- ohne Liebe für das Papsttum: sie hassen die Katholiken, die nicht wie sie denken, ohne Liebe für die Kirche.  2016 ist eine respektvolle und ausgewogene Correctio filialis zu den Irrtümern von Papst Franziskus erschienen. Heute haben die Kritiker sowohl Substanz als auch Respekt verloren und die Sprache neigt dazu, spalterisch und aggressiv zu werden.

Und dennoch ist das Fundament der Katholischen Religion die Liebe. Sie ist eine Verpflichtung zur Perfektion, sagt der Hl. Paulus und diese Verpflichtung ist die Nächstenliebe (Kolosser 3, 14), für die wir Gott um seiner selbst willen lieben. Die Nächstenliebe hat nichts mit Philanthropie oder Sentimentalität zu tun, sondern das Christentum ohne Liebe ist kein Christentum. Die Liebe für den Fernsten verdeckt den Haß für den Nächsten, aber der Haß für den Nächsten  zeigt die Abwesenheit der Liebe Gottes. Für sich gesehen wird die Gottesliebe als solche für höher erachtet als die Nächstenliebe, aber wenn jede Liebe, die Gottes und die zum Nächsten vereint gesehen werden, ist die Nächstenliebe für Gott -laut der Theologen- besser als die Gottesliebe allein, weil erstere beide Arten der Liebe einschließt, was man von Letzterer nicht unbedingt sagen kann. außerdem ist die Gottesliebe, die sich auch auf den Nächsten erstreckt. vollkommener, weil Er geboten hat, daß wer Gott liebt, auch den Nächsten lieben soll. (Antonio Royo Marin a.a., Theology of Christian Perfection, Edizioni Paoline, Rom 1965, S. 622).

Und um der Liebe zu Gott, der Kirche und unserem Nächsten, sollen wir bei denen, die uns spirituell am nächsten sind, auf feste und bestimmte Weise unseren Kampf zur Verteidigung der Wahrheit beginnen. Jede Spaltung und Teilung kommt vom Teufel, dem Spalter schlechthin. Liebe vereint, und Einigkeit schafft wahren sozialen und individuellen Frieden, der auf der Unterordnung des Verstandes und des Herzens unter die höchsten Pläne des göttlichen Willens beruht."

Quelle: R. de Mattei, Corrispondenza Romana

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