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Freitag, 14. Oktober 2022

Der Aufstieg des Atheismus in den 60 Jahren nach dem II. Vaticanischen Konzil.

Anläßlich des 60. Jahrestages des Konzilsbeginns kommentiert Stephen Bullivant im National Catholic Register die Konzilstexte zum Atheismus und ihre Rezeption und Wirkung. 
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"DAS II. VATICANUM UND DER AUFSTIEG DES ATHEISMUS"

Das Konzil beschreibt das anwachsende Phänomen als eines der ernstesten Probleme dieser Zeit", obwohl man sich fragt, welcher Fortschritt beim Verstehen des zeitgenössischen Atheismus gemacht worden ist. 

In der Ansicht von Joseph Ratzinger können die drei Kapitel von Gaudium et Spes Artikel zum Atheismus "zu den wichtigsten Äußerungen des II.Vaticanischen Konzils gezählt werden". Wenn man bedenkt, daß das Thema in den Vorbereitungs-Schemata fehlt und erst im Sommer 1964 fast alles, was jeder Entwurf dazu zu sagen hatte, war eine flüchtige Bemerkung zu den "Irrtümern, die dem Materialismus entspringen, besondes aus dem dialektischen Materialismus oder Kommunismus." Das ist keine Kleinigkeit. Was ändert sich also? 

Besonders bemerkenswert war die erste Enzyklika von Papst Paul VI "Ecclesiam Suam", die 1964 nur Wochen vor der dritten Sitzung des Konzils formliert wurde. Sie zielt darauf ab, zu zeigen, wie und warum die Kirche und die Welt- wie er es ziemlich nett ausdrückt- "sich treffen und einander kennen und lieben lernen sollten." (Ecclesiam Suam,3) "Dialog" ist hier das große Schlagwort und es wir viel Wert darauf gelegt, die Beziehung sowohl zu den nichtkatholischen christlichen Gemeinschaften als auch den anderfen Weltreligionen zu verbessern. Besonders die Atheisten, Agnostiker und religiös Uninteressierten- ein wachsender Trend besonders in der arbeitenden Klasse, den Paul VI in seinem vorigen Amt als Erzbischof von Mailand aufzuhalten versucht hatte, wurden nicht ignoriert.  

Auf einer mit den Verurteilungen durch die Päpste Pius XI und XII ähnlichen Linie ("Sie tragen ihre Gottlosigkeit vor sich her; "ein dummer und fataler Glaube"; "zur völligen Zerstörung bestimmt"). Paul stellt dem eine Johannes XXIII-mäßige Bemerkung der Offenheit und Wertschätzung für die Atheisten gegenüber: "Wir sehen, daß diese Menschen einer anspruchsvollen und edlen Sache dienen, befeuert von Enthusiasmus und Idealismus, und von Gerechtigkeit und Fortschritt träumen....Sie sind manchmal Menschen mit langem Atem und offenem Geist, ungeduldig wegen der Mittelmäßigkeit und Selbstsuche, die so große Teile der modernen Gesellschaft angesteckt haben. " Er endet indem er die Hoffnung auf eine "eventuelle Möglichkeit eines Dialogs zwischen diesen Menschen und der Kirche."

Das war genau der Ansporn, den eine große Zahl von Vätern benötigte, um der Konzils-Agenda das aufzuzwingen, was sie am Ende als "eines der ernstesten Probleme dieses Zeitalters beschrieben, das eine nähere Untersuchung verdiente (GS.19) 


So wurde während der Interventionen der dritten Sitzung neben vielen anderen Kritiken am Schema oder Entwurf immer wieder das Fehlen jeglicher Erwähnung des Atheismus hervorgehoben. Gleich am ersten Tag der Debatte über den Text forderte Kardinal Silva Henríquez aus Santiago, Chile, daß "die Kirche versuchen muss, den Atheismus zu verstehen, die Wahrheiten zu untersuchen, die diesen Irrtum nähren, und in der Lage sein, ihr Leben und ihre Lehre diesen Bestrebungen anzupassen.“  Eine neue Version des Schemas – der sogenannte "Ariccia-Text“ – wurde im folgenden Sommer in Umlauf gebracht und stieß in den Debatten im September 1965 auf viel größere Zustimmung. Aber wieder einmal erwiesen sich die Väter als Beharrende, als es um die Aussage zum Atheismus ging.

Allgemein gesprochen gab es zwei große "Lager“, die beide teilweise von Ecclesiam Suam ermutigt werden konnten. Der Wunsch nach einer ausdrücklichen Verurteilung des Kommunismus kam von einer lautstarken Minderheit, darunter von vielen, deren eigene Herden – wie Paul Yu Pin, der im Exil lebende Erzbischof von Nanking in China, es im Namen von 70 überwiegend asiatischen Bischöfen ausdrückte – "unter dem Joch stöhnen … und unaussprechliche Leiden ertragen.“ Die polnischen Bischöfe setzten sich ebenfalls stark für eine Verurteilung des Atheismus ein, wobei Bischof Kazimierz Józef Kowalski von Chełmno ihn als "Feind der Vernunft, der Wissenschaft, der menschlichen Person und der Offenbarung“ bezeichnete.

Dagegen sprachen sich jene Bischöfe aus, die auf eine weitreichendere, brückenbildende Erklärung drängten, die idealerweise Dialog und Zusammenarbeit fördern, und anerkennen sollte, daß einige Formen des zeitgenössischen Atheismus zumindest teilweise durch die eigenen moralischen, sozialen und intellektuellen Fehler der Christen verursacht wurden. Diese Ansichten wurden stark von Bischöfen aus westeuropäischen Ländern vertreten, wo eine schleichende Säkularisierung im Gange war und zaghafte Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und marxistischen, humanistischen und existentialistischen Intellektuellen bereits begonnen hatten.

Der endgültige Text von Gaudium et Spes, der vom Konzil angenommen wurde, lehnt sich, wenn auch fein ausbalanciert, sicherlich eher an den letzteren Ansatz an: Der Kommunismus wird nicht namentlich erwähnt, geschweige denn verurteilt, was wohl viel über die geografischen Machtverhältnisse im Konzil aussagt. Am Ende wurde die Aufgabe einem Team unter der Leitung des Wiener Kardinals Franz König anvertraut, den Papst Paul Anfang des Jahres zum Leiter eines neuen dialogorientierten vatikanischen "Sekretariats für Ungläubige“ ernannt hatte, dem Bischöfe aus den kommunistisch kontrollierten Ländern angehören Ostdeutschland, Tschechoslowakei, Polen und Jugoslawien angehörten. Die Ausarbeitung selbst wurde wie üblich weitgehend den theologischen Beratern oder Periti des Konzils überlassen: zwei italienischen salesianischen Philosophen, Vincenzo Miano und Giulio Girardi, und zwei französischen jesuitischen Theologen, Jean Daniélou und Henri de Lubac.

Diejenigen, die mit den Schriften des letzteren zu diesem Thema vertraut sind, beginnend mit seinem bahnbrechenden ersten Buch, "Katholizismus", aus dem Jahr 1937, werden in den veröffentlichten Abschnitten eine Menge von de Lubac wiederfinden. Bezeichnenderweise wird die ganze Frage des modernen Unglaubens in den Rahmen der theologischen Anthropologie gestellt: " Schon von den Umständen seines Ursprungs her ist der Mensch eingeladen, mit Gott zu sprechen“, und daher "kann er nicht vollständig nach der Wahrheit leben, wenn er diese Liebe nicht freiwillig anerkennt und sich seinem Schöpfer unterwirft“ (GS, 19). So wird die nackte Tatsache, daß "viele unserer Zeitgenossen diese innige und vitale Verbindung mit Gott nie erkannt oder ausdrücklich abgelehnt haben“, zu einem dringenden theologischen und pastoralen Anliegen.

Was das Zweite Vatikanische Konzil unter „Atheismus“ versteht, ist bewusst weit gefasst. Unter mehreren "ganz unterschiedlichen Phänomenen“ sind ausdrücklich verschiedene Arten von Agnostizismus und religiöser Gleichgültigkeit neben einfacheren Leugnungen der Existenz Gottes enthalten. Diese werden weiter unterteilt nach mutmaßlichen Ursachen, darunter Szientismus, "dem gewalttätige Protest gegen das Böse in dieser Welt“, prometheischem Humanismus oder einfach der Tatsache, daß "die moderne Zivilisation selbst oft die Annäherung an Gott erschwert“.

Es folgt ein wichtiger, wenn auch impliziter, konziliarer "Rückgriff“ auf Lumen Gentium, 16, das ausdrücklich über die Möglichkeit der Erlösung für diejenigen lehrte, "die ohne Schuld ihrerseits noch nicht zu einer ausdrücklichen Erkenntnis Gottes gelangt sind und mit Seiner Gnade danach streben, ein gutes Leben zu führen.“ Ohne die Erlösung direkt anzusprechen, hilft Gaudium et Spes dennoch zu differenzieren, was eine solche Schuldlosigkeit sein könnte (d.h. der Atheismus ist keine spontane Entwicklung, sondern entsteht aus verschiedenen Gründen- nicht zuletzt dem unzureichenden Zeugnis der Christen selbst) oder auch nicht (d.h. "jene die bewußt Gott aus ihrem Herzen ausschließen und versuchen religiöse Fragen zu auszuweichen) - wie es in der Praxis aussieht. 

Obwohl der Text vermeidet, den Kommunismus namentlich zu verurteilen – oder zu erwähnen –, stellt er klar fest, daß "die Kirche ihn bereits verworfen hat und nicht aufhören kann, … jene giftigen Lehren und Handlungen zu verwerfen, die der Vernunft und der allgemeinen Erfahrung der Menschheit widersprechen und den Menschen von seiner angeborenen Vortrefflichkeit entthronen “(GS, 21). Im Kontext gelesen, sollte der Leser keinen Zweifel haben, worauf sich die Väter beziehen. Anstatt jedoch darauf einzugehen, enden die Absätze mit einer Rückkehr zu der anthropologischen Vision, mit der sie begonnen haben. Das dient dazu, die allgemeine Stoßrichtung der Aussage weniger auf den Atheismus und viel mehr auf atheistische Menschen und damit auf geeignete Objekte für das pastorale Anliegen der Kirche zu lenken. Mit einem Zitat von Augustinus endet er mit einem Gebet: "Außer dieser Botschaft wird nichts nützen, das Herz des Menschen zu erfüllen: "Du hast uns auf Dich hin geschaffen, o Herr, und unsere Herzen sind ruhelos, bis sie in Dir ruhen“ (GS, 21).

Wenn man sechs Jahrzehnte später auf all das zurückblickt, fragt man sich, welche Fortschritte die Kirche wirklich gemacht hat, um zu verstehen, geschweige denn, sich damit auseinanderzusetzen, geschweige denn zu reduzieren, was sie bereits als "eines der schwerwiegendsten Probleme dieser Zeit“ bezeichnet hat. Vielleicht ein lohnendes Projekt für die zweiten 60 Jahre der Rezeption und des Vermächtnisses des Konzils?"

Quelle: S. Bullivant, NCR

 

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