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Montag, 6. Mai 2024

Wie vieles vom Wirken von Papst Franziskus ist Narrativ und wie vieles ist wirklich konkret?

In seiner heutigen Kolumne für "Monday-at-the-Vatican" setzt sich A. Gagliarducci kritisch mit der Frage auseinander, ob Papst Franziskus tatsächlich irgendetwas reformiert hat.  
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"FRANZISKUS´  PONTIFIKAT: EINE DOPPELDEUTIGE FRAGE" 

Der vaticanische Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin hat am 24. April das Buch des Vatican-Experten Ignazio Ingrao über "Die fünf Fragen, die die Kirche bewegen" vorgestellt. In seiner Rede bezeichnete er die Reformbemühungen von Papst Franziskus als unumkehrbar, auf die es überall eine angemessene pastorale Antwort geben sollte und schließlich auch eine ethische und moralische.

Parolin erkannte an, daß wir Geduld brauchen, um die Reformen von Papst Franziskus auf die beste Art umzusetzen und hat sogar anerkannt. dass die Kirche sich in einem Sturm der Art befindet, der an den erinnert, der im Matthäus-Evangelium das Schiff Petri erfasst.

Die Antworten auf Ingraos fünf Fragen werden bei Dingen wie der Synodalen Reform sinnvoll sein müssen- bzgl der erneuerten  Rolle von Laien und Frauen- des Platzes junger Menschen in Kirche und Welt, Aufmerksamkeit für die Armen und  die Evangelisierung. Das eine, das Parolin sicher sagte, war, daß es kein zurück hinter Franziskus  Reformen geben kann. 

Aber ist es wirklich so? Stehen wir vor unumkehrbaren Wegen? Und ist das Reden über Reformen angemessen, um das Pontifikat von Papst Franziskus zu verstehen?

Das sind keine kontroversen Fragen. Es ist vielmehr notwendig festzustellen, wie vieles vom Wirken von Papst Franziskus Narrativ ist und wie vieles konkret war. Wieviel war auf das Image des Papstes und der armen Kirche für die Armen fokussiert und  wie vieles war wirklich konkret?

Vor allem ist ein unumkehrbarer Weg einer, bei dem es einfach keine Umkehr gibt, weil der Weg abgeschnitten wurde . Betrachten wir also die Fakten. 

"Der Name Gottes ist Barmherzigkeit“, ein Ausdruck, der Papst Franziskus sehr am Herzen liegt, wurde von Benedikt XVI. geprägt und verwendet. Die den Laien und Frauen zugewiesene Rolle war bereits vorhanden und hatte sich in eine bestimmte Richtung entwickelt, bevor Franziskus eine andere Richtung einschlug.

Es gab keine Laienleiter der kurialen Ämter, aber das lag daran, daß die herrschende Ekklesiologie vorsah, daß die Leiter der Abteilungen, die mit dem Heiligen Vater regierten, "im Kollegium“ des Heiligen Vaters und damit zumindest Bischöfe sein mussten. Dennoch gab es an der Spitze und in verantwortungsvollen Rollen sehr wohl Laien: der historische Direktor des Pressebüros des Heiligen Stuhls, Joaquin Navarro Valls, war auch Mitglied der päpstlichen Delegation beim UN-Kongress für Bevölkerung und Entwicklung in Peking, Mary Ann Glendon war Kanzlerin der Päpstlichen Akademie der Wissenschaften.


Sollte man die Verantwortung und die Belastung von einer rein bürokratischen Position aus beurteilen? Sollte die Kirche nur nach diesen Kriterien interpretiert werden?

Und dann das Thema der Neuevangelisierung, das sogar durch die Gründung eines Dikasteriums unter Benedikt XVI festgelegt wurde, das der Bekehrung der Herzen, und in praktisch allen Pontifikaten präsent, das der pastoralen Aufmerksamkeit für die Armen und die Geringsten, was in der Geschichte der Kirche nie gefehlt hat.

Schließlich reformiert sich die Kirche ständig, aber sie ist immer gleich geblieben; sie hat immer an die gleichen Dinge geglaubt. Dies geht über das Narrativ hinaus, das es anders dargestellt hat, als es ist, auch was das Vorhandensein korrupter Männer Gottes und den Übergang in ebenso komplizierten Epochen angeht.

Wenn also der Weg von Papst Franziskus Teil der langen Reise der Kirche ist, dann ist er ein unumkehrbarer Prozess, weil er einfach Teil des Weges ist, den die Kirche geht. Wenn man sich jedoch die Neuerungen von Papst Franziskus anschaut, wird die Diskussion komplizierter.

Auf doktrinärer Ebene hat Papst Franziskus nichts formell berührt. Die Tatsache, daß beispielsweise der bloße Besitz von Atomwaffen eine Sünde darstellt, ist eine Art Konsequenz dessen, was die Kirche bereits zum Thema der vollständigen Abrüstung sagt. Sogar sein offenkundiger Vorstoß, die doktrinäre Frage der Todesstrafe zu verschärfen, hat nicht den gewünschten Erfolg erzielt.

Reformen, die auf einer Einzelfallentscheidung über die Gemeinschaft irregulärer Paare oder sogar über die Nichtigkeit der Ehe basieren, können nicht als Lehramtsreformen betrachtet werden. Sie sind vielleicht eine leichtere Praxis, frei von einigen formalen "Lasten“ der Vergangenheit (vorausgesetzt, sie wären als Lasten und nicht als Seelsorge zu betrachten), aber tatsächlich haben sie die Lehre nicht verändert. Sogar die berühmte, umstrittene und kontroverse Fiducia supplicans zur Segnung irregulärer Paare stellen von Anfang an fest, daß kein Wunsch besteht, eine Änderung der Glaubenslehre herbeizuführen.

Die Reform der Kurie wird nur von kurzer Dauer sein. Alle Reformen der Kurie waren so, angefangen bei der Sixtinischen Reform. Das ist normal, weil sich Organisation und Wahrnehmung im Laufe der Zeit ändern.

Möglicherweise gibt es einen Tempowechsel beim Thema Ekklesiologie oder bei der Art und Weise, wie die Kirche sich selbst wahrnimmt. Das Handeln des Papstes scheint dazu zu führen, daß die Kirche eher als reformierte Organisation denn als Gemeinschaft von Gläubigen wahrgenommen wird. Die gleiche Art und Weise, wie Papst Franziskus in den jüngsten Interviews über das Konklave sprach, deutete auf eine politische, soziologische und pragmatische Interpretation der Kirche hin.

In der Praxis hat die pragmatische Seite von Papst Franziskus bei der Entscheidungsfindung die Oberhand. Er ist ein einzelner Befehlshaber, der entscheidet und dann versucht, der Entscheidung eine Konnotation von Kontinuität mit der Vergangenheit zu verleihen. Aber es handelt sich um eine künstliche Kontinuität, die auf dekontextualisierten Bezügen basiert.

Sehen Sie sich zum Beispiel an, wie Kardinal Fernandez eine Änderung in der Haltung der Kirche zur Sklaverei definierte, ohne jedoch zu berücksichtigen, dass die Dokumente, auf die er sich bezog, nicht lehramtlich waren. Dennoch handelte es sich vielmehr um Regierungsdokumente, die ihrer Natur nach pragmatisch waren.

Wenn es in der Vergangenheit echte Reformen gab, haben sich die über viele Jahre hinweg eingependelt. Sie strebten die Kontinuität mit der Vergangenheit an und vermittelten eine ekklesiologische Vision, die im Einklang mit der Zeit stand, aber nicht mit der Tradition brach.

Papst Franziskus hingegen hat gezeigt, daß er eine eher politische Art zu handeln hat, und deshalb muss er nachträglich ein Narrativ schaffen, damit es in die Kontinuität eingefügt werden kann.

Das Ergebnis ist eine Art doppelte Ekklesiologie: die ideale Ekklesiologie, die auf dem Glauben und der Gemeinschaft der Gläubigen basiert und Papst Franziskus beispielsweise dazu veranlasst, sich für Initiativen wie den deutschen Synodenweg zu interessieren; und die pragmatische, die stattdessen nach anderen Kriterien agiert und die Karten, die auf dem Tisch liegen, umverteilt.

Eine der Folgen dieser pragmatischen Ekklesiologie ist die Vatikanisierung des Heiligen Stuhls.

Papst Franziskus hat mit vielen Maßnahmen den Vorrang des Staates Vatikanstadt gegenüber dem Heiligen Stuhl erklärt. Daher der Vorrang der "Mittel“ im Hinblick auf das große Ziel der internationalen Präsenz der Kirche. Dieses Kriterium entspringt jedoch einer ekklesiologischen Vision, die die gesamte Konstruktion der Kirche und des Heiligen Stuhls als ihren internationalen Ausdruck schwächt. Es handelt sich um eine Ekklesiologie, die nicht in enger Verbindung zu Christus steht, ihn aber zugunsten einer besseren Organisation und Präsenz in der Welt zu vernachlässigen scheint.

Dies weckt das Interesse an internationalen Organisationen. Wenn die Kirche von großen Werten spricht und die Probleme der Welt in der Krise hervorhebt, kann ihr letztendlich nicht zugehört werden, weil sie ein Modell des Verständnisses der Welt untergräbt. Wenn man eine pragmatischere Sprache spricht, mit politischer Sprache in internationale Debatten einsteigt und sich auf die vom Mainstream entschiedenen Herausforderungen konzentriert, wird man zu einem Organismus, der anderen ähnlich und damit assimilierbar ist.
Angenommen das alles führt zu einem Paradoxon auf internationaler Ebene.

In diesem Fall-das übersehen einige Beobachter – wie der Vatikanexperte Filippo Di Giacomo – nicht, wird das ekklesiologische Problem grundlegend. Wenn die Ekklesiologie schwach ist, ist die Christologie schwach. Und wenn die Diskussion über Christus fehlt, fehlt das eigentliche Fundament der Kirche. Es ist eine offene Debatte. Aber vielleicht ist genau das die größte Frage, die die Kirche beschäftigt. Nicht, ob die Reformen von Papst Franziskus Bestand haben, sondern ob er tatsächlich etwas reformiert hat."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday-at-the-Vatican

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