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Montag, 5. Oktober 2020

A. Gagliarducci: Zustimmung und Ablehnung für Fratelli Tutti

In seiner heutigen Kolumne bei Monday in the Vatican liefert A. Gagliarducci einen ersten Kommentar zur gestern veröffentlichten Enzyklika "Fratelli Tutti" von Papst Franziskus. Hier geht´s zum Original:  klicken

"FRATELLI TUTTI: LIKES UND DISLIKES FÜR DIE ENZYKLIKA VON PAPST FRANZISKUS" 

Als der verstorbene Israelische Präsident Shimon Peres vor 6 Jahren Papst Franziskus besuchte, um die Idee eines Parlamentes der Weltreligionen voranzubringen, nahm sich der Papst Zeit, um darüber nachzudenken, Es bestand das Risiko, die Religionen zu säkularisieren und sie statt dessen wie politische Partein zu behandeln. Papst Franziskus gefiel der Gedanke, Brüderlichkeit zu einer fundamentalen Vorstellung zu machen. Die Vereinigten Arabischen Emirate unterstützten die Idee und arbeiteten sie zusammen mit der Sunnitischen Al Azhar aus.  Die jüngste Enzyklika des Papstes "Fratelli Tutti" ist aus dieser Idee entstanden, 

Am 4. Oktober, dem Fest des Hl. Franziskus, unterzeichnet und veröffentlicht, verkörpert die Enzyklika das Denken von Papst Franziskus. Ihre 288 Paragraphen enthalten von allem etwas; von Papst Franziskus´ Idee von guter Politik bis zum Thema Fremdenfeindlichkeit und nationalistische Trends, von der Wegwerfkultur zur Globalisierung der Solidarität, von der Notwendigkeit des Vergebens bis zu Versöhnung und sozialer Gerechtigkeit. 

5 Jahre nach Laudato Si´ hat Papst Franziskus eine neue Zusammenfassung seines sozialen Denkens verfaßt. Dieser Gedanke kam ihm, nachdem er am 4. Februar 2019 die Abu-Dhabi-Erklärung zur menschlichen Brüderlichkeit unterzeichnet hatte. Der Papst hat dann die Enzyklika während der Zeit des Lock-downs wegen der Pandemie weiter entwickelt. Papst Franziskus hat das Dokument entworfen, als er auch über die Welt nach dem Corona-Virus nachdachte. 

Wie bei jedem Dokument von Papst Franziskus könnte die Enzyklika spalterische Wirkung haben. Alle werden einigen Teilen zustimmen- alle werden anderen Teilen widersprechen.  Papst Franziskus`Stil wechselt zwanglos zwischen theoretischen Feststellungen und pragmatischen Lösungen. Papst Franziskus liebt zu sagen, daß das Ganze größer ist als die Einzelteile- eines der Hauptgedanken seiner Exhortation Evangelii Gaudium von 2014,.

Wie wird die Enzyklika dann also angenommen werden? 

Leute werden sie mögen, weil sie Antworten auf die großen sozialen Fragen unserer Zeit anbietet. Papst Franziskus fürchtet sich nicht davor, aufzustehen und öffentlich das Wort zu ergreifen, manchmal aus der Perspektive der Dokumente örtlicher Bischofskonferenzen. 


Fratelli Tutti ist die zweite Sozialenzyklika in 5 Jahren, ein fast einmaliger Fall in der Kirchengeschichte. 

In der Enzyklika spricht Papst Franziskus über gute Politik, fordert ein Ende der Polarisierung zwischen denen, die von Populismus erfaßt sind und denen, die dagegen sind und betont, daß die Wahrnehmung von Völkern mythologischer Natur ist. Papst Franziskus betont auch, daß es wichtig ist, für die Schwachen zu sorgen und zeigt mit dem Finger auf internationale Persönlichkeiten und Organisationen, die die ausgegrenzten Menschen vergessen. 

Die Enzyklika wird jedoch geschätzt werden, weil der Papst anerkennt, daß das menschliche Gewissen sich in einer Krise befindet- entfernt von religiösen Werten. Der Papst fordert auch dazu auf, zu bedenken, daß es Brüderlichkeit nur geben kann, wenn es ein Offensein für den Vater aller gibt,. Um das zu erklären, zitiert er aus der Enzyklika "Centesimus Annus" von Johannes Paul II: "Wenn es keine transzendente Wahrheit gibt, der gehorchend der Mensch seine volle Identität erreicht. gibt es kein Prinzip, das gerechte Beziehungen zwischen den Menschen garantiert." 

Andererseits könnte Fratelli Tutti zu widersprüchlichen Reaktionen führen, Da gibt es einen Hinweis auf die Offene Gesellschaft, der als Unterstützung von Gerge Soros´ Theorien interpretiert werden kann. Einige werden auch das Fehlen einer soliden theologischen Grundlage bemängeln,  obwohl der Papst die richtigen Zitate präsentiert - die meisten von ihnen aus päpstlichen Dokumenten. 

Das Thema Brüderlichkeit braucht ein Rahmenwerk, das über die Anerkennung eines gemeinsamen Vaters hinausgeht. Das Wort "Brüderlichkeit" muß auch von allen seinen antichristlichen Nuancen gereinigt werden, die auf die Französische Revolution zurück gehen, die es übernommen und verweltlicht hat. Darüber steht nichts in der Enzyklika. 

Die Enzyklika wird abgelehnt werden, weil sie bei einem Gesichtspunkt parteiisch ist. Nicht daß andere Päpst in ihren Enzykliken keine starken Standpunkt eingenommen hätten. Fratelli Tutti scheint es jedoch an einer großen Vision, einer weiteren Perspektive zu fehlen. 

Sie ist am Ende eine Enzyklika nach dem Bilde von Papst Franziskus. Der Papst weiß, daß er bei einigen Themen gerade heraus sein kann, aber er kann auch die Attitude eines offenen Dialogs annehmen, besonders wenn es um öffentliche Entscheidungen geht. Paradoxerweise kann diese Notwendigkeit, um jeden Preis Brücken zu bauen, kontraproduktiv sein. 

Die beiden Pole der Diskussion über Fratelli Tutti sind also vorhersehbar. Diese Enzyklika wird wahrscheinlich der Lackmus-Test für das Pontifikat sein. 

In Fratelli Tutti hat Papst Franziskus sein Denken zusammengestellt und mit Fragmenten aus vielen seiner Reden kombiniert. Die Enzyklika ist eine Erklärung für seinen modus operandi. Er sammelt Stücke eines Puzzles und ergänzt es- im Vertrauen darauf, daß das Ganze mehr ist als das Teil. 

Fratelli Tutti ist also kein Entwurf für eine zukünftige Welt. Es ist hauptsächlich eine Erklärung dessen, was Papst Franziskus tun würde. Es gibt einen transzendentalen Teil, aber auf andere Weise: er ist nicht in einem theologischen Diskurs verankert; er verbidnet sich mit dem Leben.  

Fratelli Tutti wird auf jeden Fall eine umstrittene Enzyklika sein.  Sehr wahrscheinlich wird sie weniger bahnbrechend sein als Laudato Si´, die als zentrales Thema die Sorge um das gemeinsame Haus präsentiert hat. Fratelli Tutti wird aber gelesen werden müssen, um das Pontifikat zu verstehen. Sie ist das Erbe von Papst Franziskus. Dieses Erbe besteht aus drei Dokumenten: dem Programm seines Pontifikates: in der Exhortation Evangelii Gaudium, der Entwicklung dieses Programm in Laudato Si´ und schließlich der Zusammenfassung in Fratelli Tutti . 

Quelle: Monday in the Vatican, A. Gagliarducci


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