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Montag, 21. Dezember 2020

Aus der Geschichte der Berichterstattung über den Vatican

In seiner montäglichen Kolumne in Monday in the Vatican vergleicht A. Gagliarducci die heutige Berichterstattung der Vaticanisti mit der eines Altmeisters- Benny Lai. Dabei spart er nicht mit Kritik an der Arbeit der jetzigen Vatican-Korrespondenten.
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"PAPST FRANZISKUS - WIE CHARAKTERISIERT MAN SEIN PONTIFIKAT?"

Papst Franziskus ist 84 geworden und hat seinen 8. Geburtstag gefeiert seit er Papst wurde.  2020 war ein herausforderndes Jahr - gekennzeichnet durch die Pandemie. Es gab weder internationale Reisen noch große Ereignisse. Dennoch wurde vieles erreicht. Die Kurien-Reformpläne sollen bald vollendet werden. Allerdings ist die Kurienreform bereits auf dem Weg, weil viele der neuen Dicasterien schon arbeiten. Beim Konsistorium vom 28. November hat Papst Franziskus ein Kardinalskollegium geschaffen, das mehr denn je den Papstr wiederspiegelt. Der Papst ist jetzt auch bereit, wieder zu reisen: er wird vom 5.-8. März in den Irak reisen und es sieht so aus, als gäbe es Pläne für Reisen nach Serbien und nach Kasachstan. 

Wenn man jedoch auf das Pontifikat von Papst Franziskus zu sprechen kommt, bleibt immer eine offene Frage: wurde sein Pontifikat verstanden? Analysen neigen oft dazu, einige seiner Gesten überzuinterpretieren -und andere Entscheidungen zu unterschätzen. In vielen Fällen wird der Bericht durch die Betonung des Beginns des Pontifikats verzerrt, als die Medien darauf bedacht waren, ein neues und anderes Pontifikat zu präsentieren. Am Ende kann sich niemand dem Narrativ eines bahnbrechenden Pontifikats entziehen. 

Wie können wir Papst Franziskus dann verstehen? Im Jahr der Wahl von Papst Franziskus starb Benny Lai, Doyen der Vatiocanisten, und hinterließ ein unermeßliches Erbe. Er war seit 1946  Vatican-Kommentator, seine Tagebücher wurden in dem Buch "Mein Vatican"  veröffentlicht und sie sind wertvoll um erstens den Vatican und dann die Päpste- alle Päpste- zu verstehen. 

Ein Pontifikat kann nicht außerhalb seiner Umgebung interpretiert werden, genau so wie eine Pflanze ohne fruchtbaren Boden gedeihen kann Sicher hat sich Benny Lais Vatican sehr vom heutigen unterschieden. Dennoch gelten viele seiner Prinzipien immer noch.

Benny Lais Arbeiten zeigen sieben Jahre nachdem er starb, daß Journalismus nutzlos wird, wenn er nicht als Provokation gedacht wird.

Es ist natürlich, Benny Lais Geschichten mit denen von Marco Ansaldo, früherer Vaticanist der italienischen Tageszeitung "La Repubblica" zu vergleichen. In seinem Buch "Der andere Papst" sagt Ansaldo, daß er allen vaticanischen "Raben"  begegnet sei- außer Paolo Gabriele. Er schrieb auch, daß die "Raben"  sich selbst als eine Art Lobby der "geleakten" Informationen vorgestellt haben. Das Buch sagt nichts Neuen. 2013 hat Ansaldo diese "Raben" sogar interviewt, die dann das gleiche sagten. 2013 starb Benny Lai - fast verblüfft durch einen Vatican, den er nicht wiedererkannte. 

Benny Lais Vatican war der "Flüstervatican" -bestehend aus Monsignori, die in der Lage waren, mit einem ätzenden Satz Welten zu enthüllen und aus Leuten im Schatten, die dennoch sehr wichtig waren und aus wertvollen Quellen- so daß ein Text glatt und tief wurde. 

Blättern wir in diesen Tagebüchern. Ein Kardinal riet Benny Lai "Sie sollten sehr genau sein, wenn Sie über uns schreiben". Er antwortete in freunldicher Frechheit "Fair genug. Aber ich weiß viel Genaues, worüber ich nicht schreibe." 


Benny Lais Notizen sind hilfreich, um die Welt des Vaticans zu verstehen. Seine Arbeiten sind nie trivial oder oberflächlich.

"Wenn ein Papst stirbt- schriebt Benny Lai- schließt ein Kapitel- ein anderes öffnet sich. Es findet eine stille und sanfte Revolution statt, Männer ersetzen andere. " 

Am 20. Mai 1954 schreibt Benny Lai: "Gestern hatte Papst Pacelli eine kleine Operation. Der Zahnarzt hat ihm zwei untere Backenzähne gezogen, Wir haben das von Galeazzi Lisi (Arzt des Papstes). Um das bestätigen zu lassen, mußte ich als Patient in Antonio Kruskas Praxis gehen, zum ungarischen Zahnarzt des Papstes. 

Zu der Zeit war es notwendig, persönlich mit den Leuten zu sprechen. Es gab  keinen Platz für untreue Butler oder Raben, weil - wenn es welche gab- menschliche Beziehungen und die persönliche Überprüfung der Quellen, ihren Einfluss beschränkt hätten. Es gab nicht einmal eine Art Verehrung des Vaticans. Andererseits gab es den Wunsch, dann zhu schreiben., wemm es die Möglichkeit für einen neuen Gesichtspubkt gab. Heute würden wir sagen, daß Journalisten schreiben, wenn es Neuigkeiten gibt,. Allerdings sind die Informationen nicht die Neuigkeiten, die wir kannten. Die Neuigkeit war eine Geschichte und ihre gründliche Analyse- oft ein Detail.

Am 2. Mai 1955 entwarf Benny Lai eine Notiz über die Struktur der Römischen Kurie-wie sie zu der Zeit war- "Die Römische Kurie: 12 Heilige Kongregationen, 3 Tribunale, 6 Büros. Die Heiligen Kongregationen sind die Ministerien des Vaticans. Die Tribunale sorgen für die Rechtsprechung, heben Exkommunikationen auf, erklären Ehen für gültig oder ungültig. Die Büros - außer dem Staatssekretariat- haben begrenzte und sehr spezifische Aufgaben. Der Präfekt einer Kongregation ist der Minister. Der Sekretär ist (in politischer Sprache) der Stellvertreter. Benny Lai kommentiert dann: "eine kleine Zahl, wenige um die Welt zu regieren und das Universum zu erklären".

Am 5. April 1957 schreibt Benny Lai einen erhellenden Kommentar, der auch nützlich ist, um den heutigen Vatican zu verstehen, Er schreibt:" Männer des Vaticans können leicht Fehler machen. Es gibt einen zentralen Kontrollraum. das ist wahr. aber jeder Mitarbeiter hat eine gewissse Autonomie. Innerhalb gewisser Grenzen kann er tun und lassen, was er will. Solange man nicht auf einer Bananenschale ausrutscht, macht man keinen Fehler. Wenn es passiert, folgt die Beschwerde und die Strafe, Niemand sagt jemals vorher, wie etwas geamcht werden sollte. Es wir immer hinterher gesagt." 

Am 13. Mai 1957 fragte sich Benny Lai: "Wer regiert den Vatikan? Der Papst, diejenigen, die ihm am nächsten stehen, die Kurie? Der Papst hat immer seinen Willen, aber wenn die anderen immer seinen Willen respektieren würden, würden sie auf ihren Willen verzichten. “

Während dieser Zeit standen der mögliche Tod und die mögliche Nachfolge von Pius XII im Mittelpunkt der Gespräche. Pius XII  hatte alles auf sich zentralisiert, und es gab nicht einmal einen Staatssekretär. Als Pius XII stirbt und die Treffen vor dem Konklave am 21. Oktober 1958 stattfanden, bemerkte Benny Lai: "Im nächsten Pontifikat wird der Papst herrschen, der Staatssekretär wird regieren."

Was ist dann das Konklave? Mit den Worten Benny Lais : wenn 50 Gefangene einen zum lebenslänglichen Gefangenen erklären". Und wie die Kardinäle am Vorabend des Konklaves beschreiben? "Die Gekreuzigten". 

Sind das nur Details? Nicht wirklich. Benny Lai amüsiert sich damit, die Welt des Vaticans zu analysieren, seine Nuancen zu verstehem und sich mit seinem Vokabular vertraut zu machen. Er sit ein Diagnostiker der Kurien-Sprache, deren Ursachen und Folgen er bedenkt. Er beachtet Nuancen sorgfältig. Die physische Beschreibung der Charaktere, oft mit zwei schnellen Pinselstrichen gezeichnet- ist integraler Bestandteil seiner Texte.

1960 stellte der Journalist Bergerre Benny Lai einem Botschafter aus einem nicht näher genannten lateinamerikanischen Land beim Hl. Stuhl vor. Es wird nicht darauf eingegangen, ob das Land historische Beziehungen zum Hl. Stuhl hatte oder sie erst anknüpfte. Das ist nicht wichtig. Der Botschafter ist verblüfft. Er möchte verstehen.

Als der über die Mitarbeiter des Vaticans spricht, sagt er: "Ich kann sie nicht verstehen. Ich scheine mich in einer Welt der Schatten zu bewegen. Alle sind sehr freundlich, nachdenklich, sanft, geben aber nie eine endgültige Antwort. Wie können Sie die Situation verstehen und beschreben?"

Bergerre antwortet: "Versuchen Sie nicht, sie zu verstehen. Nehmen Sie sie, wie sie sind- Schritt für Schritt werden Sie die Nuancen bemerken. Wichtig sind die Nuancen."

Diese Details sind wirklich wichtig,
Die Sprache des Vaticans ist jetzt aber glanzlos, weniger tief, bis zu dem Punkt, daß Benny Lai kurz vor seinem Tod immer wieder wiederholte"Das ist nicht mein Vatican".

Benny Lai hat Klatsch nicht verachtet
. Er hat sich seiner bedient.Aber der Klatsch war nicht der Hauptgrund seines Arbeit. Er war ein Mittel, um zu verstehen, nicht das Ergebnis. Er pflegte mit den Monsignores provokant zu sprechen. Er hatte ein Ziel, wenn er Fragen stellte und er wollte dorthin gelangen, auch wenn es einen weiten Weg bedeutete. 

So unwahrscheinlich wie es vielleicht aussieht, dem heutigen Vatican-Journalismus fehlt die persönliche Beziehung zu den Leuten, in gegenseitigem Respekt. Ein fairer Einwand könnte sein, daß es dafür keine Zeit mehr gibt, daß Nachrichten sich immer schneller verbreiten. Das stimmt nicht ganz. Es ist zweifellos leichter, Dokumente zu "leaken" und zu kopieren und sie dann für Pamphlete zu benutzen und dann erst auf die Detauils der Geschichte zu schauen. Das wirkliche Problem jetzt ist, daß es viele Vaticanisti gibt und wenig Vaticanologen.

Der Journalist, der über den Vatican schreibt, arbeitet nicht für den Vatican. Er studiert den Vatican. Er ist in der Tat ein Vaticanologe, Benny Lai hat diese Unterscheidung gemacht, als er herausfand, daß ein italienischer Premierminister "Vaticanist" benutzte, um die Laien zu beschreiben, die für den Vatican arbeiteten.

Heutzutage bekommt zwischen einem treuen Vaticanista und einem skrupellosen Jorunalisten fast immer der zweite den Vorzug. Jene, die Benny Lais Muster befolgen, sind "out". Am Ende wurden die jüngsten Skandale alle durch Nachrichtenjournalisten und nie durch Vaticanologen weitergegeben.

Die allgemeine Situation verhindert, das Pontifikat von Papst Franziskus ganz zu verstehen. Das Narrativ, der Nachrichtenzyklus aus dem sich jeder bedient, gehen weiter, Und damit auch der Gedanke, daß es bei der Geschichte immer um das hier und jetzt geht- ohne Vergangenheit und ohne Zukunft.

Das ist der Grund, weshalb der Papst nichts anderes sein kann als ein Bruch mit der Vergangenheit und den Nachrichten. Man bemüht sich nicht einmal, zurückzuschauen, um die tiefen Wurzeln und einige Entscheidungen zu verstehen.

Das ist die Begrenzung der heutigen Vatican-Berichterstattung, die großen Einfluss hat, wenn es darum geht, Papst Franziskus zu verstehen- oder jedes andere Pontifikat. Am Ende ist ein Pontifikat in die Geschichte eingebettet. Benny Lai wußte das. Es scheint, daß heute niemand das mehr weiß. "

Quelle: Monday in the Vatican, A. Gagliarducci