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Dienstag, 6. April 2021

Die Geopolitik von Papst Franziskus stößt an ihre Grenzen

Sandro Magister kommentiert bei Settimo Cielo  die Probleme der Migrations-und Integrationspolitik des amtierenden Pontifex und veröffentlicht den Beitrag des muslimischen Gelehrten Wael Rafouq zum Thema Islam und Terrorismus in Europa.
Hier geht´s zum Original:  klicken

" FRATELLI TUTTI. ABER MIT DEN MUSLIMEN IST DAS FÜR FRANZISKUS ALLES KOMPLIZIERTER."

Brüderlicher Dialog zwischen allen Religionen und offene Türen für Immigranten jeglichen Glaubens. Das sind die beiden Hauptwege der religiösen Geopolitik des Pontifikats von Jorge Mario Bergoglio. 

Ersterer wurde bei der Reise des Papstes in den Irak vom 5. bis 8. März auf die Probe gestellt. Die hatte ihren Höhepunkt in Franziskus´ Besuch beim schiitischen Groß-Ayatollah Al-Sistani und dem Treffen in Ur zwischen den Söhnen Abrahams.

Aber in Ur fehlten die Juden, auf Grund eines Vetos der muslimischen Regierungen in Bagdad und in Teheran. Und trotzdem waren die Meinungen über die Reise des Papstes in den Arabischen Ländern, im Iran und in der Türkei.vorwiegend negativ -aus Gründen die sowohl auf dem historischen Gegensatz zwischen Sunniten und Schiiten als auch der Spaltung der Sunnitenlagers in die Bewegung von Al-Azhar und der Muslimischen Bruderschaft und des Schiitischen Lagers zwischen Khomeinis Theokratie und Al Sistanis "Quietismus" beruhen- mit dem Vorwurf; daß Franziskus Partei für eine der Seite ergriffen habe. 

Eine ausführliche Formulierung dieser Kritiken kann man in englischer Übersetzung in diesem Essay von Professor Ozcam Hidir von der Sabathattin-Universität in Istanbul, einem Spezialisten für Islam und Beziehungen zwischen Judentum und Christentum, lesen.

"Analyse : Theopolitik der Papstreise in den Irak!"

Aber der zweite Hauptweg von Franziskus´ Geopolitik, der des Willkommens und der Integration von Immigranten, besonders muslimischer,in Europa ist auch in ernster Gefahr. 

Der wunde Punkt ist nicht so sehr das Willkommen, das Franziskus unermüdlich predigt, sondern die Integration, die auf breiter Ebene fehlt oder versagt, wg. falscher Politik und angesichts einer verzerrten Wahrnehmung der realen Empfindlichkeiten und Erwartungen der einwandernden Muslime in Europa, gar nicht zu sprechen, von der völligen Abwesenheit ihrer (nicht mal versuchten) Evangelisierung. 

Eine aufmerksame Analyse dieser gescheiterten Integration- auch auf dem Gebiet der Feldforschung- ist von dem ägyptischen, muslimischen Gelehrten, Wael Farouq, in der jüngsten Ausgabe von "Vita e Pensiero", der Zeithschrift der Universität Mailand, veröffentlicht worden. 

Farouq ist Professor für Arabische Sprache und Kultur an dieser Universität, aber er hat auch an der Universität New York und der Amerikanischen Universität in Kairo gelehrt. 2017 hat Settimo Cielo seine ausdrückliche Verurteilung der grundlegenden Verbindung zwischen dem islamischen Terrorismus und "einer bestimmten Doktrin" des Islams unterstrichen. 

"Es mußte ein Muslim sein, der sagt, was für Papst und Bischöfe tabu ist-"

Auch am Ende dieses anderen Artikels- der hier in seinen wesentlichen Passagen wiedergegeben wird, weist Farouq auf die Verbindung zwischen Terrorismus und den "heiligen Texten des Islam" hin. Aber der Hauptteil seiner Analysen dreht sich genau um die Frage der Integration, die weit davon entfernt ist, gelöst zu sein. Die Gründe dafür identifiziert und erklärt er. 


Er ist an der Reihe.

"MUSLIME IN EUROPA: DAZU GEHÖRT MEHR, ALS DEN SCHLEIER ZU VERBIETEN" 

von Wael Farouq 

In arabisch-muslimischen Gesellschaften ist die Moderne eine komplexe Beziehung mit der Tradition eingegangen. Denen ist es gelungen, sich einander anzupassen und sich gleichzeitig gegenseitig zu unterwerfen. [...] Beispiele sind Lebensstil, Meinungen und öffentliches Benehmen, das man weder als traditionell noch als modern beschreiben kann, sondern das eine verzerrte Mischung aus beidem ist, insgesamt kann man sagen, daß die Moderne die rigiden und irrationalen Elemente der Tradition entwickelt hat, während die Tradition formale, unauthentische Aspekte der Moderne entwickelte. [...] 

Ein Teil der Verantwortung liegt aber auch auf dem Versagen europäischer Integrationsmodelle, die heute offensichtlich in ganz Europa herrschen- von "Parallelgesellschaften", in denen muslimische Einwanderer leben, mit dem Ergebnis, das Benedikt XVI als "negativen Pluralismus" beschrieb - nach dem Dialog und Coexistenz die Überwindung der Unterschiede und Ungleichheiten brauchen, die eine Kultur von der anderen unterscheiden. [...]

Frankreich z.B. verbannt das Zeigen religiöser Symbole im öffentlichen Raum. Das Problem dabei ist, Integration durch "Subtrahierung" - um gegen den Ausschluss der anderen zu kämpfen, beschließt man den Unterschied auszuschließen. Aber wenn die religilöse Erfahrung eines der wichtigsten Elemente der Identität ist, wird der Ausschluß der Unterschiede tatsächlich zum Ausschluß der Person und zu Anpassung oder Isolation innerhalb der eigenen Religionsgemeinschaft, nicht Interaktion, die die Beziehung von Migranten mit der Gesellschaft kennzeichnen. [...] 

Die Frage, die sich muslimische Immigranten in Europa selbst über die Beziehung zwischen ihrem Glauben und der westlichen Kultur stellen, bilden zusammen mit den folgenden Antworten, das , was man technisch "Fatwa" nennt -jetzt öffentlich zugänglich auf vielen websites in Europa- die den Platz der islamischen religiösen Autoritäten eingenommen haben. In meinem Buch "Conflicting Arab Identities. Language, Tradition and Modernity(Milan-Baghdad, Muta, 2018) habe ich eine Sammlung von rund tausend Fragen von europäischen Muslimen beantwortet und untersucht, wie die komplexe Interaktion zwischen Tradition und Moderne in der arabisch-islamischen Welt in den westlichen Kontext eingebracht werden könnte. 

Das wichtigste Ergebnis dieser Studie ist, daß die Sorgen und Hoffnungen der Muslime in Europa weit von dem entfernt sind, was die Massenmedien normalerweise beleuchten, z.B. Schleier. religiöse Symbole im öffentlichen Raum oder den Bau von Moscheen. Diese Themen ziehen nur marginales Interesse der in Europa lebenden Muslime auf sich. ein noch wichtigeres Resultat, wenn man bedenkt, daß die, die nach einer Fatwa rufen, die religiösesten unter ihnen sind. 

Was die europäischen Muslime wirklich interessiert, ist die Beziehung mit anderen Muslimen und Nichtmoslems. Dieses Thema stellt 45% der Fragen dar. Das sind alles persönliche Fragen, die das Individuum betreffen und nur selten öffentliche Angelegenheiten. Wenn wir die Fragen der Anbetung hinzufügen- d.h. der persönlichen Beziehung zu Gott- steigt die Prozentzahl auf 63%. Das führt zu der Folgerung, daß diese Muslime sich primär darum sorgen, wie sie sich als Individuen in die europäischen Gesellschaften integrieren können, nicht als religiöse Gemeinschaft oder Minorität. Die religiösesten Muslime in Europa - jene die die Mühe, nach einer Fatwa zu rufen, auf sich nehmen,- versuchen, weder durch die Bildung eines gegnerischen Lagers Widerstand zu leisten, noch scheinen sie dazu zu neigen, sich in ihre religiöse Gemeinschaft zurückzuziehen. 

Klar abgebildet wird jedoch auch die [...] zuvor erwähnte Mischung von starrer Tradition und verzerrter Moderne. Der Hauptantrieb der Fragen dieser Muslime ist die Angst, die "Regeln“ zu brechen und Sünden zu begehen. Es scheint, daß sich Muslime keine Sorgen mehr darüber machen, was gut und was schlecht ist, denn es gibt die "Regeln“: Wenn man ihnen folgt, kann man keine gefährlichen Fragen stellen, die einen von der Religion abbringen könnten. [...]

Die Widersprüche falscher arabisch-islamischer Moderne wurde im Fall der muslimischen Immigranten in Europa, wo sie sich mit einer Identitätskrise und der Herstellung einer Bedeutung beschäftigen müssen, klar, die in ihrer Schärfe der in ihrer eigenen Herkunftsgesellschaft  entspricht. [...] 

Wie kann man dann also den islamischen Terrorismus im Licht dieser Überlegungnen interpretieren? In Wirklichkeit stellt man fest, daß zwei Typen von Muslimen immer in die terroristischen Angriffe verwickelt sind, die, die integriert sind und die, die es nicht sind. Beim Angriff in Wien am 2. November 2020  gab es außer dem Bombenbauer aber auch zwei Türken und ein Palästinenser, die der Polizei halfen und das Leben eines Polizisten retteten. Unter den Opfern des "Charlie-Hebdo"-Massakers war auch ein muslimischer Polizist. 

Die letzten Angriffe in Frankreich und Österreich- wie viele andere Angriffe der letzten Jahre- sind von Djihadisten, die der Polizei schon bekannt waren, ausgeführt worden, die an Programmen der Entradikalisierung und zur Reintegration in die Gesellschaft teilgenommen hatten. Aber diese Programme haben bei den meisten Djihadisten versagt und es ist unmöglich, daß sie erfolgreich sind- solange Europa nicht auf die selbstmörderische Tendenz verzichtet, die wahren Gründe für diese Art des Terrorismus zu ignorieren, d.h. die zugrundeliegende religiöse Ideologie. Mit anderen Worte, die Interpretation, die Djihadisten den heiligen Texten des Islam geben- in voller Freiheit von den Predigern und Vereinigungen (die Gewalt verurteilen und nicht an ihr beteiligt sind) propagiert wird. Das Problem liegt nicht in der Hand derer, die das Messer in der Hand halten, sondern im ideologischen Diskurs, das sie mit Motiven und Rechtfertigungen versorgt, andere zu ermorden."

Quelle: S. Magister, Settimo Cielo, W. Farouq

 

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