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Sonntag, 13. März 2022

Der Erzbischof von Riga: wie die Kirche Lettlands der Verfolgung durch das Sowjet-System überstand und jetzt in der Katholischen Welt positioniert ist.

S. Tadié berichtet für den National Catholic Reporter über die aktuelle Lage der Katholiken in Lettland und hat dazu den Erzbischof von Riga, Msgr. Zbignevs Stankevics interviewt. 
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"DER ERZBISCHOF VON RIGA: LETTLAND VERSUCHT, NACH DEM FALL DES KOMMUNISMUS SEINEN GLAUBEN WIEDERZUFINDEN"

Der lettische Erzbischof Zbignevs Stankevics diskutiert dei religiösen, kulturellen und politischen Realitäten seines eigenen Landes und die aktuellen Themen, die für die Re-Evangelisierung des Westens angesprochen werden müssen. 

Anders als die meisten Länder, die im 20. Jahrhundert unter dem kommunistischen Joch leben mußten und erlebten, wie das religiöse Fühlen ihrer Völker sich steigerte- wie das für Länder wie Polen, Georgien und Ungarn der Fall war- ist Lettland, ein vorwiegend lutheranisches baltisches Land, das schwerer vom Säkularisierungsprozess des Westens betroffen ist. 

Dieser Stand der Dinge wird durch eine komplexere Geschichte erklärt, die durch eine Zersplitterung von Religionsgemeinschaften im Land gekennzeichnet ist, wie der Metropolitan-Erzbischof Zbignevs Stankevics von Riga in einem Interview mit dem Register betont, während er dennoch ein ermutigendes dynamisches Wachstum innerhalb der Katholischen Gemeinschaft beobachtet.

Er sprach am Rand des jährlichen "Vanenburg Meetings" , das vom Zentrum für Europäische Erneuerung in Warschau, vom 16.- 19. Dezember zum Thema "Wohin gehen wir von hier aus?" veranstaltet wurde. Dort versammelten sich prominente konservative Persönlichkeiten aus ganz Europa und neben der Diskussion über den Zustand der gegenwärtigen Gesellschaften und die größten Herausforderungen, denen sie sich gegenüber sehen, ist das jährliche Treffen nach dem Anwesen in den Niederlanden benannt, wo das 2006 das ersten Treffen stattfand. 2021 konzentrierte sich das Treffen auf die Folgen der großen, durch die Covid-19-Krise im Westen ausgelösten Erschütterung.

An der Spitze der Erzdiözese von Riga ist seit 2010 Erzbischof Zbignevs Stankevics zur Zeit stark in die Diskussionen und Beratungen um die Synode zur Synodalität eingebunden, die er als konstruktive Alternative zum deutschen "Synodalen Weg"  sieht. Er hat 2015 auch als gewählter Repräsentant der lettischen Bischofskonferenz an der Bischofssynode zur Familie teilgenommen. 

Während der Gesundheitskrise hat Erzbischof Stankevics zusammen mit christlichen, jüdischen und anderen Führern seine Stimme hören lassen, um Kirchen geöffnet zu lassen und kürzlich um den Zugang zu Gottesdiensten ohne Impfpass sicher zu stellen. 


"Können Sie einen kurzen Überblick über die religiöse Situation in Ihrem Land geben?" 

Die augenblickliche Lage in Lettland ist das Ergebnis einer komplizierten Geschichte. Zu Beginn des 17. Jahrhunderts haben die Schweden Riga erobert und die Kontrolle über große Teile Lettlands übernommen. Aber ein Viertel des Landes blieb bei Polen. Deshalb wurde der Katholizismus in diesem Teil des Landes bewahrt. Dann während der beiden Weltkriege, mit den sowjetischen Deportationen hat sich alles vermischt. Meine Eltern wurden z.B. im katholischen Teil geboren, aber 1949 warnte sie ein Sowjet-Offizier, dem sie sympathisch waren, daß sie auf einer Deportationsliste nach Sibirien standen und sie brachten sich in Sicherheit, indem ins lutherische Lettland flohen. 

Das machte die Dinge im Lande komplizierter, weil heute die Katholiken um die 20% [Lutheraner mehr als ein Drittel und die Orthodoxen 17%] ausmachen, aber in meiner Diözese Riga wiedererwacht der Katholizismus und wächst. Es gibt viele kleine Gruppen und Gemeinden

Obwohl viele Politiker getauft sind, sind nur wenige von ihnen Christen und praktizieren wirklich, Es ist ein säkulares Land, wie Frankreich, obwohl es der Religion nicht wirklich feindselig gegenüber steht. In Lettland haben wir den sogenannten "Rat für Spirituelle Belange" im Amt des Premierministers und seine Mitglieder sind Repräsentanten der acht religiösen Denominationen, einschließlich der Juden [eine kleine aber aktive Gruppe in Lettland]. Wir treffen uns dort, wenn es nötig wird, irgendein Thema zu diskutieren und dann machen wir dem Premierminister Vorschläge. Es gibt einen Dialog mit dem Staat, obwohl der Staat andererseits dazu neigt, zu befürchten, daß die Religion in der Gesellschaft zu einflußreich wird.

"Wie erklären Sie diesen kulturellen und Identitätsunterschied zu anderen Ländern wie Polen oder Ungarn, die im vergangenen Jahrhundert den selben totalitären Terror erlebt haben, aber Glauben und Identität durch diese lange kollektive Prüfung gestärkt gesehen haben?"

Sowohl Polen als auch Ungarn sind Länder mit katholischem Hintergrund. Zu der Zeit waren 90% der Bevölkerung katholisch, so daß sie viel einiger waren in einer viel stärkeren Kirche. 

Wir sind in erster Linie in viele Denominationen gespalten und der Druck von der Sowjet-Regierung  war viel größer. Wir haben eine andere Realität. Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß nach dem Kollaps des Kommunismus, die Kirchen voll waren und es ein nationales Erwachen gab. Die Leute wollten Freiheit um jeden Preis- sie kamen in die Kirche, viele wurden getauft. So haben viele Freiheit mit Glauben identifiziert. 

Unglücklicherweise dauerte diese Dynamik nur wenige Jahre. Als die Freiheit kam, fing dieses Rennen, die Ebene des durchschnittlichen Wohlstands im Westen zu erreichen, an. Als der Lebensstandard zunahm, nahm das Interesse an spirituellen Dingen ab. Unglücklicherweise ist das oft der Fall. Wenn der Wohlstand zunimmt, nimmt die Spiritualität ab. Es sollte nicht so sein, aber ich würde sagen, daß in den Bedingungen der heutigen Gesellschaft irgendetwas falsch ist. 

"Und wie ist die politische Situation in Lettland? Sind Ihrer Meinung nach die Narben des sowjetischen Antiklerikalismus in den folgenden Jahren getilgt worden?" 

Die kommunistische Partei und ihre Symbole werden als zu einer kriminellen Organisation gehörend betrachtet. Es gibt sie nicht mehr. 30 Jahre sind seit dem Fall des Regimes vergangen, viele der kommunistischen Führer sind aber geblieben und haben die Toga linksgerichteter Demokraten angelegt und sind in die Welt der Wirtschaft und Politik eingetreten. Einige sind Millionäre usw. Aber ihre ideologische Einstellung ist geblieben, und hat die Form eines progressiven Neo-Marxismus angenommen, der dazu neigt, der Kirche gegenüber feindlich zu sein. 

"Wie ist es in diesem Kontext des materiellen Wohlstands, den Sie gerade erwähnt haben, möglich, den post-christlichen Westen neu zu evangelisieren? "

Das ist eine wirkliche Herausforderung. Zuerst ist es wichtig, die religiöse und spirituelle Ausbildung zu betonen  Früher war die Familie viel stärker. Die Familie hat den Glauben weitergegeben. Aber heute wird er durch die neuen Ideologien und Mentalitäten, die einer Bindung entgegen stehen, geschwächt. Dann gibt es in den Schulen keinen Religionsunterricht mehr, der Staat hat ihn abgeschafft. Also gibt es keine solide Grundlage. Die Sonntags-Messe wird - für jene die sie besuchen- nicht ausreichen, um die christlichen Werte in unseren Gesellschaften zu bewahren. Es braucht eine stärkere Bildung, die durch die verschiedenen Bewegungen der Kirche verbreitet werden kann. 

Es braucht auch eine sakramentale Ausbildung für ein größeres Bewußtsein für das, was wir durch Firmung und Taufe empfangen haben. Aber die benutzte Form und Sprache sollte auch der Messe angemessen sein. Das erfordert einen Tropfen Kerygma, das ins Zentrum des Lebens gestellt werden muß, und das Leben des Publikums mit dem Licht des Evangeliums zu erleuchten. Das ist nicht leicht, aber es ist möglich. . 

"Glauben Sie, daß zusätzlich zu den Hindernissen für die Weitergabe des Glaubens durch den sozio-ökonomischen Kontext, daß die Katholische Kirche selbst genug tut, um die unwandelbare Wahrheit der Menschheit zu bekräftigen und die schlafenden Gewissen zu wecken?"

Papst Franziskus versucht, in einen Dialog mit der säkularen Gesellschaft einzutreten. Er versucht, mit Themen wie Ökologie in die realen Probleme der heutigen Gesellschaft einzutreten und diese christlichen Werte einzuführen.  

Aber die Kirche sollte prophetischer sein und nicht vor den schwierigen Themen weglaufen und Themen wie die sogenannte gleichgeschlechtliche Ehe, Abtreibung usw. ansprechen. Es muß klar gesagt werden, daß wir die Würde jedes menschlichen Wesens respektieren müssen und niemanden diskriminieren. Wir müssen jedoch bekräftigen, daß die Kirche diesen Leuten helfen kann- und sie nicht verurteilt- um mit der Kraft des Hl. Geistes wieder auf die Füße zu kommen,. 

Aber die Sexualmoral ist nicht nur ein wichtiger Teil des Dekalogs. Andere Dinge wie Korruption in  Geschäftswelt und Politik müssen auch erwähnt werden. Diese prophetische Dimension der Kirche muß uns die klare Lebensprinzipien geben. Die Soziallehre der Kirche ist ein sehr wichtiges Werkzeug für die Evangelisierung der heutigen Gesellschaft. 

"Viele Katholiken haben die Tatsache bedauert, daß während der Gesundheitskrise in verschiedenen Gegenden der Welt einige Kirchenmänner ihre Herden irgendwie verlassen haben. Wurde hier nicht eine Gelegenheit zur Evangelisierung verpaßt wurden?"

Ja, ich würde sagen, daß ich ein bißchen überrascht war über die Leichtigkeit, mit der in so vielen Ländern  Gesundheitsrestriktionen und Kirchenschließungen durchgesetzt wurden- und für eine so lange Zeit. Wir in Lettland haben es geschafft, das nicht passieren zu lassen, weil wir als Christen einig geblieben sind, entschieden gesprochen haben und laut gegen Schließungen protestiert und festgestellt haben, daß das Spirituelle genau so notwendig ist, wie Brot. Juden und Neuheiden haben sich uns angeschlossen. 
Kurz vor Weihnachten, wollte unsere Regierung  das Vorzeigen eines Impfpasses für die Teilnahme an der Messe zur Bedingung machen, aber unsere Bischofskonferenz hat an den Premierminister einen Brief geschickt, und darin die Regierung gebeten, ihren Standpunkt im Namen der Religionsfreiheit und der Menschenrechte noch einmal zu überdenken. Und nachdem er diesen Brief bekommen hatte, hat der Ministerrat diese Einschränkungen aufgehoben. 

Aber auch ökumenische Zusammenarbeit hat uns sehr dabei geholfen, unseren Dialog mit dem Staat fruchtbar zu machen. Wenn die Kirchen während der Covid-Epidemie immer offen geblieben sind, dann genau, weil wir alle einig waren und die staatlichen Autoritäten unseren Standpunkt respektiert haben. 

Wir müssen jedoch auch darauf hinweisen, daß es im Westen schwer ist, gegen den Strom zu schwimmen, weil es dort so großen ideologischen Druck gibt. Um ein wichtiges Beispiel für die augenblickliche Atmosphäre zu geben: wenn ich Weihnachtsgrüße von den Botschaften der sogenannten postchristlichen Länder bekomme, senden sie mir meistens "Festtagsgrüße". Im Gegensatz dazu schicken mir die Botschaften der Türkei und der Emirate immer Weihnachtsgrüße. Kein Wunder, daß Politiker diese anti-christlichen Vorschriften erlassen. Und je ruhiger man ist, desto schwieriger wird es, später die Stimme zu erheben. 

"In einem Interview mit Vatican News anläßlich der Treffens mit dem Generalsekretariat der Bischofs-Synode  und der Bischöfe aller Kontinente im Juni haben Sie die prophetische Dimension der Synode zur Synodalität betont, die die Kirche besonders dazu befähigt, alle Menschen zu erreichen, die vom Glauben weit entfernt sind. Aber einige Gläubige und Mitglieder des Klerus haben Sorgen  geäußert, wegen des Gedankens, daß die Kirchenführer versucht sein könnten, in etwas ähnliches wie den "Synodalen Weg", der sich selbst von den traditionellen Lehren der Katholischen Kirche entfernt hat, hineingezogen zu werden. Was denken Sie darüber? " 

Diese Synode der Synodalität macht mir persönlich keine Sorgen. Ich sehe sie als eine große Gelegenheit. Meiner Meinung nach gab es in Deutschland eine solche Initiative, aber sie ging in eine andere Richtung...Der Papst hat uns gebeten, etwas langsamer zu machen und ich würde sagen, daß diese Synode eine Alternative bietet. Wir gehen diesen Weg schon in unseren Gemeinden in Lettland , wir hatten ein Treffen mit verschiedenen Priestern. Es ist ein Weg, einen schlafenden Riesen zu wecken; das heißt, die Kirche und den Sinn für die Mitverantwortung in der Kirche zu wecken, aber nicht nur. Es ist sehr interessant, daß wir auch einen Dialog schaffen, den Menschen zuhören, die in der Kirche marginalisiert sind und auch denen, die ganz außerhalb der Kirche stehen. Es geht auch darum, Ungläubige zu fragen, wie sie die Kirche wahrnehmen, was sie von ihr erwarten, sogar auch unsere Brüder und Schwestern anderer Konfessionen. Das Programm ist sehr weitreichend.

In Lettland gibt es keine Kontroverse darüber, weil es konkrete Fragen gibt und die Synode nicht der Ort ist, um Probleme zu lösen, aber wir stellen konkrete Fragen über die persönlichen Erfahrungen der Menschen. Eine Zusammenfassung der Antworten wird erstellt, um eine Vorstellung der augenblicklichen Situation geben. Die Synode wird auf dieser Grundlage Lösungen finden. Der aktuelle Prozess ist nicht die Gelegenheit, um vorgefertigte Antworten und Lösungen zu geben."

Quelle: S.Tadié, NCR 

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