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Freitag, 10. März 2023

Roberto de Mattei: Eine Geschichtsstunde

Bei corrispondenza romana erteilt Roberto de Mattei uns eine Geschichtsstunde, die uns zu einem besseren Verständnis der Position des Moskauer Patriarchates sowohl in seinem Verhältnis zu Rom als auch zum Ökumenischen Patriarchen von Konstantinopel verhelfen kann. 
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"HISTORISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM MOSKAUER PATRIARCHAT" (TEIL1)

Die Anziehungskraft, die einige politische und religiöse Kreise im Westen gegenüber dem Moskauer Patriarchat empfinden, geht einher mit einer tiefgreifenden Unkenntnis seiner Geschichte. Wir wollen versuchen, diese Lücke zu schließen.

Der grundlegende Ausgangspunkt ist das siebzehnte ökumenische Konzil der Kirche, das 1439 unter Papst Eugen IV. in Florenz stattfand. An der großen Versammlung nahm unter der Leitung von Kaiser Johannes VIII. Paläologus und Patriarch Joseph II. mit seinem Klerus eine große Gruppe von etwa 700 Personen aus Konstantinopel teil. Mit dabei war auch der griechische Mönch Isidor (1385–1463), Metropolit von Kiew und des ganzen Rus (Rußland). Der Metropolit von Kiew, der nicht den Titel eines Patriarchen trug, wurde von Konstantinopel ernannt, und die Stadt Moskau, die bis zum 15. Jahrhundert keine bedeutende Rolle in der russischen Religionsgeschichte spielte, hing von ihm ab.

In Florenz fand ein großes Ereignis statt: Am 6. Juli 1439 wurde das Dekret Laetentur Coeli et exultet terra [Die Himmel mögen sich freuen und die Erde juble] unterzeichnet, das das Große Schisma2 beendete, das 1054 die katholische Kirche von Rom von der selbsternannten "orthodoxen“ Kirche von Konstantinopel getrennt hatte. Die päpstliche Bulle endete mit folgender feierlichen dogmatischen Definition, die vom byzantinischen Kaiser, dem Patriarchen von Konstantinopel und den griechischen Vätern unterzeichnet wurde:

„Ebenso definieren wir, daß der heilige Apostolische Stuhl und der Römische Papst den Primat auf der ganzen Welt hat und daß der Römische Papst selbst der Nachfolger des seligen Petrus, des Fürsten der Apostel, der wahre Stellvertreter Christi, das Haupt der ganzen Kirche, Vater und Arzt aller Christen ist, und daß unser Herr Jesus Christus ihm in der Person des seligen Petrus die ganze Vollmacht übertragen hat, die universale Kirche zu weiden, zu regieren und zu leiten, wie es auch in den Akten der ökumenischen Konzilien und in den heiligen Canones bezeugt ist."

Es handelte sich um eine echte Rückkehr zu den Quellen. In der Tat gehen die Ursprünge der Rus auf die Taufe des heiligen Wladimir im Jahr 988 zurück, als Konstantinopel noch mit Rom vereint war und der Kiewer Staat Teil einer einzigen Res publica christiana unter der Führung des Papstes war. Johannes Paul II. sagte am 5. Mai 1988, daß „die Taufe des heiligen Wladimir und der Kiewer Rus vor eintausend Jahren heute zu Recht als ein unermeßliches Geschenk Gottes an alle Ostslawen, angefangen beim ukrainischen und beim weißrussischen Volk, betrachtet wird. Selbst nach der Abspaltung der Kirche von Konstantinopel betrachteten diese beiden Völker Rom als die alleinige Mutter der gesamten christlichen Familie. Genau aus diesem Grund wich Isidor, Metropolit von Kiew und der gesamten Rus, nicht von den authentischsten Traditionen seiner Kirche ab, als er 1439 auf dem ökumenischen Konzil von Florenz das Dekret über die Union zwischen der griechischen und der lateinischen Kirche unterzeichnete.“ 


Am 18. Dezember 1439 zeichnete Eugen IV. das Engagement des Kiewer Erzbischofs Isidor für die Einheit mit Rom mit dem Kardinalspurpur aus. Nach Abschluß des Konzils schickte der Papst Isidor als seinen Legaten nach Rußland zurück, um das Dekret von Florenz umzusetzen. In Kiew und seinen neun Suffragan-Bistümern stieß Isidor auf keine Schwierigkeiten, wohl aber in Moskau, wo die Union von Fürst Wassili II. (Basilius) (1415–1462) stark angefeindet wurde. Bei seiner ersten Messe in der Himmelfahrtskathedrale im Kreml am 19. März 1441 nannte Isidor während der liturgischen Gebete ausdrücklich den Papst und verlas das Unionsdekret, wobei er ein großes katholisches Kreuz an der Spitze der Prozession trug. Außerdem übergab er Wassili ein Schreiben, in dem Eugen IV. ihn bat, die Ausbreitung des Katholizität in den russischen Gebieten zu unterstützen. Der Fürst von Moskau lehnte jedoch die Beschlüsse des Konzils von Florenz ab und ließ den Metropoliten verhaften. Isidor konnte entkommen und nach Rom fliehen, während Wassili den Bischof von Rjasan und Murom, Jonas [zu dessen Diözese Moskau gehörte], ohne Zustimmung des Patriarchen von Konstantinopel zum neuen Metropoliten von Rußland erhob und sich damit vom Patriarchat von Konstantinopel, das in die Einheit mit Rom zurückgekehrt war, lossagte. Diese politische Entscheidung war der erste Schritt zur Autokephalie [nationalkirchliche Eigenständigkeit] der russischen Kirche, die auch noch heute unabhängig von der griechischen Kirche ist.

Isidor kehrte nach Rom zurück und unternahm zwei Missionen nach Konstantinopel, die erste 1444 auf Geheiß von Eugen IV., die zweite im Auftrag von Nikolaus V. im Dezember 1452, am Vorabend des Zusammenbruchs der Stadt. Am 28. Mai 1453 wurde Konstantinopel von den Türken angegriffen, das Byzantinische Reich löste sich auf und die Hagia Sophia, die größte Kirche des Ostens, wurde in eine Moschee umgewandelt. Dies war nicht nur das Ende des Reiches, sondern auch das Ende jenes Patriarchats von Konstantinopel, das sein Schicksal mit dem des Byzantinischen Reiches verbunden hatte.

In den Tagen der Belagerung gelang es Isidor von Kiew erneut auf wundersame Weise, sich zu retten und nach Rom zurückzukehren. Papst Calixtus III. verlieh ihm 1456 das Erzbistum von Nikosia und Pius II. 1458 das lateinische Patriarchat von Konstantinopel. Trotz dieser Ämter, zu denen 1461 noch das des Dekans des heiligen Kardinalskollegiums hinzukam, lebte er in den letzten Jahren seines Lebens in finanziellen Schwierigkeiten: Alle seine Besitztümer waren für die Verteidigung Konstantinopels verwendet worden, dessen Fall ihn sehr schmerzte. Dieser Verfechter des Glaubens und Verteidiger des Vaterlandes starb am 27. April 1463 in Rom und wurde im Petersdom beigesetzt, nicht weit vom Grab des Apostelfürsten entfernt, für dessen Primat er sich vehement eingesetzt hatte. Der schreckliche Eindruck, den die Katastrophe von Byzanz bei ihm hinterlassen hatte, ist in einer Epistula lugubris et molesta (beschwerlicher Trauerbrief, in: Patrologia Graeca, XLIX, Sp. 944 ff) festgehalten.

Nach dem Fall von Konstantinopel wollte sich Moskau zum Erben von dessen politischer und religiöser Rolle aufschwingen. Die Heirat des Großfürsten von Moskau Iwan III. im Jahr 1472 mit Prinzessin Sophia, der Nichte des letzten oströmischen Kaisers Konstantin XI. Paläologus, der 1453 auf den Mauern Konstantinopels gefallen war, schien diese Entscheidung zu besiegeln.

Es war in den Jahren der Revolte Martin Luthers, als das Verständnis von Moskau als dem „Dritten Rom“ vorgebracht wurde. Das Manifest dieser Ideologie war der Brief (1523) des Mönchs Philotheus aus dem Kloster Pskow an den Großfürsten von Moskau Wassili III. (Basilius Iwanowitsch). In diesem kurzen theologisch-politischen Traktat interpretiert Philotheus die russische Geschichte als Plan der Vorsehung nach dem „Fall“ sowohl des ersten als auch des zweiten Roms. Das erste, das alte Rom, habe sich zwischen dem 9. und 10. Jahrhundert vom rechten Glauben abgewandt und seine Vorrechte eingebüßt; das zweite, Konstantinopel, sei als gerechte Vergeltung für das Festhalten an der Union mit Rom in die Hände der Türken gefallen. Ihre historische Rolle sollte von Moskau übernommen werden. Der russische Mönch drückte es so aus: „Die Kirche des alten Roms ist durch die gotteslästerliche Häresie des Apollinaris gefallen. Die Kirchentore des Zweiten Rom, der Stadt Konstantins, zerbrachen die Hagar-Enkel [Muslime] mit Äxten und Beilen“, während der Großfürst von Moskau als "rechtgläubig“ bezeichnet wurde, "der auf der ganzen Erde den Christen der einzige Zar und Zaumhalter der heiligen, göttlichen Altäre der heiligen ökumenischen, apostolischen Kirche ist. (…) Das ist das russische Zarentum. Denn zwei Roms sind gefallen, das dritte steht, ein viertes aber wird nicht sein.“

Von da an entwickelte sich in Rußland ein heftiger theologischer und politischer Haß gegen die römische Kirche und die abendländische Christenheit. Mit Iwan IV. dem Schrecklichen (1530–1584) wurde das orthodoxe Christentum zu einer Art Nationalreligion. Rußland präsentierte sich als das Heiligtum des wahren Glaubens, und der Moskauer Kreml war die Festung, die den Gründungsmythos des Dritten Roms verkörperte. Unter seinem Nachfolger Fjodor I. (1557–1598) wurde 1589 das Patriarchat von Moskau errichtet, mit dem Rußland den Weg zur religiösen Autokephalie einschlug. Die Konstituierung des Moskauer Patriarchats war sowohl das Ergebnis als auch der Ausgangspunkt einer Apostasie, die nicht weniger schwerwiegend war als die von Martin Luther."

Quelle: R.de Mattei, Corrispondenza Romana

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