Sandro Magister kommentiert in Settimo Cielo den teilweise widersprüchlichen Standpunkt von Papst Franziskus zum Ukraine-Krieg und zur Lehre vom gerechten oder ungerechten Krieg.
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"DIE UKRAINE KÄMPFT, ABER FÜR FRANZISKUS GIBT ES KEINEN GERECHTEN KRIEG"
"Tag um Tag verurteilt Papst Franziskus in einem Crescendo der Empörung den "Aggressions-Krieg" den Rußland gegen die Ukraine begonnen hat als "inakzeptabel" und "sakrilegisch" , ohne jemals den Aggressor-Staat noch seinen Monarchen beim Namen zu nennen.
Franziskus hat auch Staatssekretär Kardinal Pietro Parolin stillschweigend erlaubt, anzuerkennen, daß das "Recht sein Leben, sein Volk und sein Land zu verteidigen, es manchmal auch nötig macht, zu den Waffen zu greifen:" und daß deshalb sogar "Militärhilfe für die Ukraine verständlich sein kann".
Zur selben Zeit fährt der Papst jedoch damit fort, Beleidigungen gegen die Herstellung und Verteilung von Waffen durch die "ökonomisch-militärische Macht" auszustoßen, die er als "Wahnsinn" "einen "Skandal, der die Seele beschmutzt, das Herz beschmutzt, die Menschheit beschmutzt" als den wahren Ursprung aller Kriege . Er sagte sogar, daß er sich schäme zu lesen, daß "eine Gruppe von Staaten dafür gestimmt habe, 2 % der Bruttosozialproduktes für den Waffenerwerb auszugeben. "
Wenn man Franziskus´ Logik folgt, müßten die Ukrainer, die Angegriffenen, wenn sie sich wirklich weiterhin verteidigen wollten. das mit bloßen Händen tun. Und das sollen auch die freien Staaten Europas und der Nord-Atlantik tun.
Diese Äußerung über Krieg und Frieden ist nicht der einzige ungelöste Widerspruch, der das aktuelle Pontifikat charakterisiert. Aber er ist vielleicht der am meisten mit politischen Konsequenzen befrachtet ist, nicht zuletzt mit einer wachsenden Irrelevsanz des Hl. Stuhls auf der Weltbühne.
Die Katholische Doktrin über Frieden und Krieg hat im 20. Jahrhundert ihre vollständigste Formulierung erhalten. Das kann man im "Katechismus der Katholischen Kirche" von 1997, im "Kompendium der Soziallehre der Katholischen Kirche" von 2006 ebenso lesen, wie -klar vor ihrer Zeit- in so klassischen Christlichen Gedanken wie "Die Christen vor dem Problem des Friedens" aus dem Jahr 1939 von Emmanuel Mounier, das in Italien gerade erst von Castelvecchi unter dem Titel "Die Christen und der Friede" mit einer Einleitung von Giancarlo Galeazzi, Professor an der Päpstlichen Lateran-Universität und Spezialist für "Personalismus", die von Mounier und Jacques Maritaun entwickelte Philosophie , wieder veröffentlicht wurde.
Das ist eine Doktrin, die unter präzisen und stringenten Bedingungen, den Gebrauch von Gewalt rechtfertigt. Das geht so weit. in der Rede Papst Johannes Pauls II an das Diplomatische Corps zu Beginn des Jahre 1993 bewaffnete "humanitäre Interventionen" zur Verteidigung eines Staates "unter der Schlägen eines ungerechten Aggressors" zu erlauben.
Für Papst Franziskus jedoch, hatte diese Doktrin ihre Zeit, seiner Meinung nach kann ein Krieg zur Verteidigung jener, die Opfer einer Aggression sind, vielleicht als kleineres Übel geführt werden, aber man kann ihn nicht länger als "gerecht" nennen und beurteilen. Er sagte das auch im Video-Gespräch, das er am 15. März mit dem Moskauer Patriachen Kyrill führte. "Es gab früher sogar in unseren Kirchen die Rede vom Heiligen oder vom gerechten Krieg. Heute kann man nicht mehr so reden. Kriege sind immer ungerecht."
Franziskus hat mit der Botschaft vom 1. Januar 2017, Tag des Friedens, dem Tag, der der Gewaltlosigkeit als "Stil einer Politik für den Frieden" gewidmet ist, am stärksten mit der Doktrin und Formel des "gerechten Krieges" gebrochen.
Aber dann, während der Pressekonferenz auf dem Rückflug von Japan am 26. November 2019, sagte er, er denke, daß, auch wenn er die Grundlagen dafür gelegt habe, die Zeit noch nicht reif sei, eine Enzyklika zu verfassen, die dem Frieden und der Gewaltlosigkeit gewidmet ist, die den Angelpunkt offiziell machen würde. Er behauptete, die Frage sei offen und müsse erneut geprüft werden. Und er fügte hinzu, daß es im Moment noch legitim sei, in den von der Moraltheologie zugelassenen Fällen zur Waffe zu greifen.
Tatsache ist, daß dieses ständige Geschwafel des jetzigen Papstes auch die Kirche in der einen oder anderen Richtung ins Wanken bringt.
Die Gemeinschaft von Sant´ Egidio, die sogenannte "UNO von Trastevere" hat sich vor kurzem zur Vorreiterin eine ganz anderen, und deshalb treuen, Anwendung von Franziskus´ Lehramt gemacht.
Mario Giro, ein führender Repräsentant der Gemeinschaft für internationale Politik schrieb- ohne Ausnahmen zuzulassen "Die Päpste sagen uns, daß Krieg in sich selbst schlecht ist, daß jeder Krieg schlecht ist und daß es so etwas wie einen gerechten Krieg nicht gibt. Er ist das absolut Böse."
Gründer Andrea Riccardi hat am ersten Tag des Angriffs auf die Ukraine einen Appell lanciert, die Hauptstadt Kiew zur "offenen Stadt" zu erklären, um sie vor der Zerstörung zu bewahren. Ohne es ausdrücklich zu sagen, ist eine "offene Stadt" eine Stadt die durcch ausdrückliche Übereinkunft der Parteien eine Stadt, die der Besetzung durch den Feind überlassen wird, in diesem Fall Rußland, ohne irgendeinen Widerstand zu leisten. Mit anderen Worten, eine Kapitulation vor dem neuen Reich Vladimir Putins.
Was Matteo Zuppi, den Erzbischof von Bologna und Kardinal betrifft, auch er einer der Gründer der Gemeinschaft Sant' Egidio, aber auch und vor allem papabile, bevorzugte in einem Interview mit der Zeitung "Domani“ vom Sonntag, dem 20. März, das sich über zwei Seiten erstreckte, in vagen Worten ein wenig von allem zu sagen: sowohl daß "kein Krieg gerecht ist“ als auch daß "in einer Situation offener und tragischer Konflikte wie der, die wir erleben, das Recht besteht, sich zu verteidigen“.
Dennoch ist die klassische Katholische Lehre zu Krieg und Frieden, wie wie von Mountier entworfen und in dem jetzt erneut veröffentlichten Essay und vor allem von Johannes Paul II entwickelt wurde, die auf die von Papst Franzskus vage angedeutete "Überprüfung" wartet, sehr viel zupackender.
Um sich ein Bild davon zu machen, wie das auf den heutigen Krieg in der Ukraine angewandt wird, hier ein kurzer Auszug aus dem Buch des Französischen Denkers.
Der Autor des Vorworts ist Stefano Ceccanti, Professor für Vergleichendes Öffentliches Recht an der Römischen Sapienta-Universität und Senator der Demokratischen Partei, sowie in seiner Jugend Studentenführer an Katholischen Universitäten.
DIE UNBEQUEME LEKTION DES EMMANUEL MOUNIER
von Stefano Ceccanti
Trotz der Verbreitung radikaler pazifistischer Positionen im Schoß der katholischen Kirche, die auf individueller Ebene ethisch höchst bewundernswert sind, und der Notwendigkeit einer diplomatischen und ökumenischen Rolle des Heiligen Stuhls, der sie leitet, mit dem Papst "pro tempore“ im Amt, wer auch immer er sein mag, bleibt, um nicht hart gegen Aggressorländer vorzugehen, wie im Fall des Putinischen Russlands heute, die Komplexität, die zu seiner Zeit von Emmanuel Mounier beschrieben wurde, wenn auch mit einigen wichtigen Aktualisierungen, auch heute noch im Zentrum des Lehramtes der Kirche.
Das "Kompendium der Soziallehre der Katholischen Kirche“ von 2006 schlägt unter Nummer 500 (über die Bedingungen der legitimen Verteidigung) die vier von Mounier dargelegten Bedingungen erneut vor, mit zusätzlichen Vorsicht hinsichtlich der "Macht moderner Mittel der Zerstörung." In der Frage der legitimen Autorität erinnert Nummer 501 an die UN-Charta und die Rolle des Sicherheitsrates läßt Paragraph 506 (über die Pflicht zum Schutz unterdrückter Minderheiten) unter ähnlichen Bedingungen Formen der humanitären Intervention innerhalb des einzelnen Staates offen, stellt damit aber die staatliche Souveränität in Frage und empfiehlt die Einrichtung eines Internationalen Strafgerichtshofs.
Mit Blick auf Mouniers Rekonstruktion scheint die katholische Lehre daher zwar stärker am Kanon der Verhältnismäßigkeit zu zweifeln, weil die Zerstörungskraft der Mittel gewachsen ist, aber sie scheint auch die richtige Absicht zu humanitären Interventionen auszudehnen.
Die beiden relevantesten Aktualisierungen bestätigen mit anderen Worten die Komplexität der Doktrin, da die eine zu größerer Vorsicht mahnt, während die andere die Zwecke erweitert, die die Anwendung von Gewalt legitimieren können.
Paragraph 500 des "Kompendiums“ macht die Ausübung der rechtmäßigen Verteidigung von ihrer angemessenen Wirksamkeit abhängig: Sie muss bei "ernsthaften Erfolgsaussichten“ ausgeübt werden, was offensichtlich darauf abzielt, extreme Formen der Zustimmung abzuwenden. Diese Beobachtung kann jedoch nicht vereinfachend so interpretiert werden, als ob die Bewertung auf den Moment eines Angriffs und seine unmittelbarsten Folgen beschränkt wäre: dies würde nur Raum für eine bedingungslose Kapitulation lassen. Darüber hinaus stellt die Heilige Schrift den Fall von Goliath dar, der viel größer und stärker, aber weniger einsichtig ist als David, der ihn besiegte. Wer weiter sieht, weiß, daß der offensichtliche Verlierer das am Ende, wenn alles gesagt und getan ist, nicht unbedingt sein muss.
Auf jeden Fall bleibt - objektiv gesehen. vorher und hinterher eine große Komplexität der Kriterien zur Identifizierung bestehen und zur Zurückweisung vereinfachender Positionen, wie die Doktrinale Note der Glaubenskongregation von 2002 einige Jahre vorher erklärte hatte, die "bestimmte pazifistische und ideologische Ansichten [des Friedens] , die die Komplexität der betreffenden Themen vergessen, "die im Kontrast "zu einem "ständigem und aufmerksamen Engagement seitens der politischen Führer" steht.[...]
Weit davon entfernt, die Geschichte auf Eis zu legen, hat das Ende des Kalten Krieges fortwährend Probleme wegen der Verstrickungen von Frieden und Krieg wieder ins Blickfeld gebracht. Mit dem Ende einer Periode, in der die Bilanzen von zwei Supermächten innerhalb wohldefinierter, wenn auch nicht miteinander vergleichbarer Einflusssphären bestimmt wurden (der Westen der offenen Gesellschaften, auch mit all seinen Unvollkommenheiten und Widersprüchen, war und ist sowieso eine "freie Welt“), haben sich Krisensituationen vervielfacht, in denen sich westliche Demokratien zwischen Kriegsmobilmachung und Neutralität entscheiden mussten: vom ersten von der UNO beschlossenen Golfkrieg bis zum zweiten von Bush gegen das Urteil der UN unterstützten Golfkrieg, über die humanitäre Intervention im Kosovo gegen die brutale Unterdrückung der albanischen Minderheit durch Milosevic, über die in Afghanistan und im Libanon bis hin zu den Waffenlieferungen an die Ukraine.
Diese Dilemmata taugen wenig für absolute Sicherheiten und die Beurteilung kann sich oft ändern, weil man eine vollständige Wahrnehmung der Auswirkung von Entscheidungen meistens erst nach dem Fortgang des Geschehens möglich ist. Außerdem ist nicht alles was legitim ist, in sich opportun und fruchtbar.
Ohne jedoch einem leichten Manichäismus zu verfallen, ist es immer nützlich, sich daran zu erinnern, daß ein unvollkommenes Recht immer noch besser ist, als gar kein Recht. Der Zugang der demokratischen Kulturen - ungleich der substantiellen Resignation gegenüber den schlimmsten Impulsen eines kriegstreibenden Machtwillens oder der Abstraktion pazifistischer Suche nach Perfektion macht sich der Ansatz der demokratischen Kulturen die Bedeutung des Kampfes für unvollkommene Ursachen zu eigen, wie sie von Emmanuel Mounier theoretisch formuliert wurde, der es vom Philosophen Paul-Ludwig Landsberg entlehnte.
Wie Mounier schrieb, entsteht die "schöpferische Kraft“ des Engagements aus der "tiefen Spannung, die sie zwischen der Unvollkommenheit der Sache und der absoluten Treue zu den Werten schafft, die auf dem Spiel stehen. Enthaltung ist eine Illusion. Skepsis ist immer noch eine Philosophie: Aber die Nichtintervention zwischen 1936 und 1939 führte zu Hitlers Krieg. Andererseits hält uns das ruhelose und manchmal zerrissene Gewissen, das wir durch die Unreinheiten unserer Sache bekommen, von Fanatismus fern, in einem Zustand wachsamer kritischer Aufmerksamkeit. […] Das Risiko, das wir in der teilweisen Unklarheit unserer Entscheidung eingehen, versetzt uns in einen Zustand der Entbehrung, Unsicherheit und des Wagemuts, der das Klima für große Taten ist.“
Quelle: S. Magister, Settimo Cielo
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