In seiner heutigen Kolumne bei Monday at the Vatican kommentiert A. Gagliarducci kritisch die erneute Änderung des vaticanischen Rechtssystems seit 2020, die Papst Franziskus durch ein weiteres motu proprio begleitet und die der Autor als einen Schritt rückwärts bezeichnet.
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"PAPST FRANZISKUS, IST DIE LAUFENDE REFORM EIN SCHRITT RÜCKWÄRTS?"
Wieder einmal hat Papst Franziskus das Rechtssystem des Vaticans geändert. Das hat er mit einem motu proprio getan, dem dritten zum Thema, seit er 2020 das neue Rechtssystem promulgiert hat. Die Notwendigkeit die analysierten und bewerteten Gesetze an die ad-hoc-Bedürfnisse dauernd "anzugleichen" ist beeindruckend. Und das ist auch die Tatsache, daß diese Reformen oft in zwei Richtungen gehen: entweder in Richtung einer weiteren Zentralisierung oder einer Annulierung der zuvor getanen Arbeit.
Die jüngste Reform des Rechtsystems scheint beide Eigenschaften aufzuweisen. Zuerst die Zentralisierung. Die Signatura, der oberste Vaticanische Gerichtshof war auch das oberste Appellationsgericht. Aus diesem Grund war der Vorsitzende der Signatura -immer ein Kardinal- auch der Vorsitzende des Appellationsgerichts gerichtes, gemeinsam mit zwei anderen Kardinal-Richtern aus den Reihen der Signatura. Die Reform von 2020 hat an dieser Situation nichts geändert, sie hat lediglich die Möglichkeit eingeführt, Laien unter die übrigen Richter aufzunehmen, Papst Franziskus trennt die Signatura vom Appellationsgericht. Die vier Mitglieder des Appellationsgerichtes werden direkt vom Papst ernannt, der auch seinen Präsidenten auswählt.
Auf dieseWeise bleiben dem Gericht der Signatura nur Fragen des kanonischen Rechts, während das Zivilgericht des Staates seine Verbindung zum Kirchenrecht verliert, das bisher charakteristisch war. Papst Franziskus hat nicht nur das Rechtssystem verändert sondern auch die Philosophie des Vatican-Staates. Er macht es irgendwie weltlicher, mehr laikal, säkularer. Und er bindet das Appellationsgericht enger an den Papst.
Der zweite Wesenszug ist der Schritt rückwärts. Die Reform von 2020 sah vor, daß mindesrens ein Richter des Vaticanischen Richterkollegiums und ein Mitglied des Büros des Staatsanwalts ganztags arbeiten sollte, d.h. ohne andere Aufgaben außerhalb der vaticanischen Mauern. Das war keine unvernünftige Forderung- außer vom Präsidenten des Vatican-Gerichts. Giuseppe Pignatone, alle anderen Mitglieder des Gerichts und der Staatsanwaltschaft - beginnend mit dem Staatsanwalt selbst- haben Jobs in anderen Staaten, manchmal sogar anderer Art, als die sie im Vatican ausüben.
Zu Beginn ear es für den Vatican-Staat nötig, mit dem Rechtssystem des Staates zusammen zu arbeiten, was angemessen war, wenn man die kleine Zahl der Verbrechen bedenkt, die zu behandeln sind. Jetzt, nschdem der Hl. Stuhl alle internationalen standards übernommen hat, besteht die Notwendigkeit für Personen, die sich ausschließlich mit Fragen des Vatican-Staates befassen. Kann sich irgendwer einen Richter in Italien vorstellen, der gleichzeitig als Anwalt in Frakreich zugelassen ist?
Diese Frage war von Moneyval, dem Rat des Europäischen Komitees gestellt worden, das bewertet, ob Länder den Standards der Finanz-Transparenz entsprechen. Nachdem ein Anti-Geldwäsche-System skizziert wurde, das mehreren Moneyval-Berichten entsprach, hatte der Hl. Stuhl es mit einem Vatican-Gericht zu tun, in dem es keine Spezialisten gab und das nicht stabil war. Deshalb stellten die jüngsten Berichte die bescheidenen Aktivitäten der Staatsanwaltschaft fest und verlangte mehr Spezialisten und war besorgt, daß es keine Vollzeit-Richter gab.
Der Gerichtshof richtete ein Büro für Finanzkriminalität ein, und das Rechtssystem hatte festgelegt, dass mindestens einer der Richter und einer der Staatsanwälte hauptamtlich tätig sein müssen, um Transparenz und das Fehlen von Interessenkonflikten zu gewährleisten. Aber der Papst hat entschieden, daß wir jetzt rückwärts gehen, daß niemand Vollzeit arbeiten soll, was zu einem grundlegenden Rückschritt führt.
Die Reform des Rechtssystems enthält auch andere Details, wie die Möglichkeit, einen Präsidenten des stellvertretenden Gerichts zu ernennen, der den Präsidenten während Gerichtsverfahren ersetzt, falls diese über das Mandat des Präsidenten hinausgehen und er nicht bleiben möchte.
In jedem Fall sind die ersten beiden Themen zentral und geben einen detaillierten Einblick in die Philosophie des Pontifikats.
Die in verschiedenen Formen umgesetzte Zentralisierung zeigt den Willen des Papstes, nicht nur Entscheidungen zu treffen, sondern entscheidend in die laufenden Prozesse einzugreifen. Denn der Papst will die sich entwickelnden Prozesse steuern und nicht riskieren, dass Entscheidungen, die in andere Richtungen gehen als seine eigene, getroffen werden.
Von hier aus entsteht eine Reihe von Initiativen: die jährlich einberufenen Konsistorien zur Neudefinition des Kardinalskollegiums, der häufige Wechsel der Mitarbeiter, die persönlichen Entscheidungen, die die Arbeit der Kollegien dominieren – die Kurienreform wurde am 19. März beispielhaft.
Dies gilt auch für die laufenden Gerichtsverfahren im Vatikan. Der Papst greift nicht nur mit vier Reskripten in den laufenden Prozess der Verwaltung der Gelder des Vatikanischen Staatssekretariats ein, sondern legt nun fest, dass er den Richtern der Cassazione entscheiden wird, welche Urteile bindend sein werden. Am Ende behält sich der Papst das Recht vor, das ohne die Möglichkeit des Widerspruchs zu bestimmen.
Andererseits zeugen die Rückschritte von einem Mangel an Verständnis für die Rolle des Heiligen Stuhls auf internationaler Ebene. Darüber hinaus weist das Fehlen unabhängiger Richter, die nur dem Staat Vatikanstadt gewidmet sind, darauf hin, daß Papst Franziskus den Staat nicht nur für wesentlich hält, sondern nicht einmal die Auswirkungen versteht, die diese Entscheidung auf internationaler Ebene haben kann.
Der Heilige Stuhl ist „vatikanisiert“, auf die Bedürfnisse eines Staates ausgerichtet, der sich in Wirklichkeit nicht an internationalen Vorschriften orientiert. Er verliert damit an Autorität und Gewicht in internationalen Foren. Wie wird der Heilige Stuhl diesen Schritt zurück vor Moneyval rechtfertigen? Wie wird der Heilige Stuhl ein faires Verfahren international verteidigen, ohne das Damoklesschwert, sich selbst von feindlichen Regierungen vorwerfen zu lassen, die Regeln eines fairen Verfahrens nicht angewendet zu haben, nicht einmal im Staat der Vatikanstadt?
Die Justizreform des Heiligen Stuhls wirft damit internationale Fragen von nicht untergeordneter Bedeutung auf, die in Wirklichkeit bereits in verschiedenen Entscheidungen von Papst Franziskus offengelegt wurden. Aber – und das ist die Tatsache – Papst Franziskus betrachtet den Staat weder als Instrument der Freiheit des Heiligen Stuhls, noch betrachtet er den Heiligen Stuhl als internationale Entität. Im Gegenteil, sie sind Werkzeuge, die hilfreich sein können, aber je nach Situation auch modifiziert werden können.
Dieser Ansatz könnte in einer Welt, in der Glaubwürdigkeit auf Identität und Stabilität basiert, verheerende Auswirkungen haben. Und das, obwohl Papst Franziskus sich ein hervorragendes persönliches Image bewahrt und für einen internationaleren Heiligen Stuhl geworben hat. Das ist nicht, was passiert; in vielen Fällen ist es rückwärts gegangen. Das Risiko besteht darin, dass der Heilige Stuhl am Ende als Staat wieder als Teil Italiens angesehen wird, ungeachtet d Beemühungen für die Unabhängigkeit der Institution, die ein halbes Jahrhundert lang von allen Päpsten geleistet wurde, die in dieser Zeit aufeinander folgten."
Quelle: A. Gagliarducci, Monday at the Vatican
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