Montag, 8. Januar 2024

Wenn Formlosigkeit zum System wird...

In seiner montäglichen Kolumne bei Monday-at-the-Vatican kommentiert A. Gagliarducci die mittlerweile zur Gewohnheit gewordene Formlosigkeit des aktuellen Pontifikates - sowohl bei Dokumenten als auch in der Diplomatie. Hier geht s zum Original:  klicken

PAPST  FRANZISKUS - FORMLOSIGKEIT ALS SYSTEM

Verwirrung folgt auf Verwirrung. Das Glaubens-Dicasterium hat am 4.Januar eine Pressemeldung veröffentlicht, um Fiducia Supplicans zu erklären - die Erklärung in kurialem Gewand, die einst die stabile, päpstliche Lehraufsicht war - eine frühe Weihnachtsüberraschung, die nicht nur zu erlauben, sondern vielleicht sogar zu verlangen schien, daß Priester gleichgeschlechtlichen Paaren (und jeder Art von "unregelmäßigen" Verbindungen) den Segen erteilen. 

Die Pressemitteilung vom4. Januar war eine eigene Überraschung. Nicht nur hatte der Autor von Fiducia Suppplicans, DDF-Präfekt Kardinal Victor Manuel Fernandez, im Original-Dokument  darauf bestanden, daß es keine weitere Erklärung oder Instruktion geben werde. Fernandez hatte auch diverse Interviews gegeben, in denen er -u.a.- jene beschuldigte, die sich gegen die Deklaration sträubten und/oder eine Klarstellung verlangten, daß sie sie missverstanden hätten- entweder absichtlich oder als Ergebnis eines vorsätzlich negativen Lesens. Male leche-  buchstäblich "schlechte Milch" war der farbige spanische Ausdruck, den er benutzte. 

Das war eine seltsame Stellungnahme- um nicht "unwahrscheinlich" zu sagen- die verlangten, daß man glaubte, daß der Lateinamerikanische Episkopat und weitere Teile des globalen Südens und  Ostens zusammen mit der Führung der weltgrößten, nicht lateinamerikanischen Kirche sui iuris und anderer des gesamten Spektrums von Meinungen und Lebens in der Kirche, zufällig alle Fiducia Supplicans schlecht vorbereitet entgegengenommen haben. 

Egal.

Wenn man Fernandez in seiner Presse-Erklärung reden hört, bleibt alles so, wie es vor Fiducia Supplicans zu sein schien, mit Priestern, die sich nicht scheuten, das Kreuzeszeichen über Leuten zu machen, die darum bitten wie es auch schon vorher war.  

Es versteht sich von selbst- oder sollte es - daß es Probleme mit diesem informellen und kurzen Kreuzeszeichen als Ausdruck von Gottes Gnade gibt, das eine öffentliche Handlung wird, komplett mit Fotografen im Gefolge, oder zu feiernden Tweets der Art "es wurde Geschichte gemacht". In diesen Fällen bröckelt das Sandschloss, weil es nicht länger den guten Glauben gibt, nicht länger das Streben nach Gnade sondern nach medialer Aufmerksamkeit. 

So ist es in diesen Tagen nicht überraschend, sondern unvermeidbar in einem Pontifikat, das alles in die Medien gebracht hat. 

Während in der letzten Woche ein anderes Ereignis, das für die Zeit typisch ist und bei dem Papst Franziskus eine Rolle spielt. Das mag völlig zusammenhanglos sein, aber das ist nicht der Fall. Ich spreche über die telefonische Unterhaltung, die Papst Franziskus mit dem Ukrainischen Präsidenten Voloymir Zelensky führte. 


Die ukrainischen Medien, offizielle ukrainische Agenturen und einige Quellen haben über den  Anruf berichtet. Vom Hl. Stuhl kam nichts darüber, nicht einmal, daß der Anruf überhaupt stattfand. Der Grund ist ein einfacher: Keiner beim Hl. Stuhl wusste davon, bis er stattfand. Es ist anzunehmen, daß nicht einmal das vaticanische Staatssekretariat, das theoretisch die diplomatischen Aktivitäten handhabt, eingeweiht war. 

Es gab ein Telefongespräch zwischen dem Papst und dem Oberhaupt eines Staates, der im Krieg ist, sicher mit einem Dolmetscher aber ohne jede offizielle Aufzeichnung durch den Hl. Stuhl. Keine Minute über die Begegnung, keine diplomatische Präsenz, kein Auszug, keine Zusammenfassung vom Hl. Stuhl. 

Da sind nur die Stimmen des Papstes und Zelenskys. Die ukrainische Seite hat sicher einer Aufzeichnung, Minuten und Sicherung der Konversation. Aber warum die ganze Last und Ehre der Kommunikation den Ukrainern überlassen, und ihr so zu erlauben, die öffentliche Meinung zu steuern 

Indem er diesen Anruf, der sicher durch inoffizielle und informelle Kanäle lief, annahm, hat sich Papst Franziskus noch einmal als personalistischer Papst gezeigt, der der Institution keine grosses Gewicht gibt und nicht bedenkt, wie sein Verhalten den Hl. Stuhl schädigen könnte. 

Das Gleiche geschieht mutatis mutandis auch in Fragen der Lehre. Die Art und Weise, wie Hurrikan Fiducia entstand, zeigt, wie.

Das Ganze geht auf ein responsum des Glaubens-Dicasteriums, das damals Glaubenskongregation hiess, auf eine ad-dubium-Frage aus dem Jahr 2021 zurück und per se jede Möglichkeit der Segnung irregulärer Paare verneinte, die Tür aber für die Segnung einzelner Personen offen hielt.

Der Medienrummel stellte die CDF-Reaktion von 2021 fast augenblicklich gegen den "Stil“ eines Papstes, der sein Pontifikat mit der berühmten und bekanntermaßen falsch interpretierten Frage "Wer bin ich, um zu richten?“ begann. In Wirklichkeit ist das "Wer bin ich, dass ich beurteilen soll?“ Diese Äußerung brachte keine Änderung der Haltung der Kirche gegenüber Homosexuellen zum Ausdruck. Diese Tatsache hielt viele Medienvertreter nicht davon ab, das als eine grundlegende Veränderung zu bezeichnen.

Dann fügte Papst Franziskus beim sonntäglichen Angelusgebet im Anschluss an die Veröffentlichung der Glaubenskongregations-Bekanntmachung von 2021 spontan hinzu, daß die Sprache Christi die der Zärtlichkeit sei und dass Christus niemanden ausschließe. Seine Worte wurden, insbesondere von denen, die Papst Franziskus nahe stehen, sofort als Abkehr von der "anti-schwulen“ Antwort interpretiert. Es sah aus wie das, was es war: eine journalistische Konstruktion. An diesem Punkt muss man davon ausgehen, daß der Papst zustimmte und dennoch an dem Bild festhalten wollte, das er von sich geschaffen oder gefördert hatte.

Mit anderen Worten: Es ging nicht mehr darum, ob irreguläre Paare gesegnet werden sollten, sondern um die Auswirkung des Narrativs auf das öffentliche Image von Papst Franziskus.

Mit Fiducia supplicans hat Kardinal Fernandez den Kreis geschlossen. Fiducia supplicans war vage. Sie konnte frei interpretiert werden. In ihrer Entwicklungsphase wurde die Erklärung nicht so umfassend diskutiert, wie es in der "klarstellenden“ Erklärung vom 4. Januar behauptet wird. Quellen innerhalb des Dikasteriums für die Glaubenslehre haben betont, daß es interne Diskussionen über die Möglichkeit der Erstellung eines solchen Dokuments gab, jedoch nie eine Analyse oder sonstige Überlegung des tatsächlichen Entwurfs.

Es besteht also die Gefahr, daß es in den DDF-Archiven keine Dokumentation einer internen Debatte über Konsultationen über das Pro und Contra gibt. Da ist das Dokument und das ist -u.a.- in spanischer Sprache. Es ist durchaus möglich, daß es keine Spur einer Diskussion gibt, die erlauben würde, jetzt oder jemals, zu verstehen, wie und warum die Kirche jemals zu einem solchen Dokument gekommen ist.

Die praktische Folge ist, daß es unmöglich ist, ein historisches Urteil über das Pontifikat zu fällen, das auf mehr als nur Spekulationen oder historischen Rekonstruktionen beruht. Das gilt für die Diplomatie, - das Zelensky-Telefonat- und doktrinale Themen - Fiducia Supplicans- und für Alltagsgespräche, die in keiner Akte je erwähnt werden.

Die zum System erhobene Formlosigkeit hat es Papst Franziskus vielleicht erlaubt, zu glauben, dass er die Kontrolle hat. Gleichzeitig erlaubt es jedem, seine Beschlüsse und Entscheidungen nach Lust und Laune zu interpretieren. In dem man außergewöhnlich "leichte" Dokumente ohne Konsultationen benutzt, macht man es unmöglich, den Kern der Entscheidungen zu verstehen.

Im besten Fall ist alles eine Sache des päpstlichen Willens. Das gilt sowohl innerhalb als auch außerhalb der Kirche. Aber welchen Nutzen hat eine Institution, in der nur der Wille des Souveräns ausgeführt wird- ohne traditionell-historische Gegengewichte? Und welchen Einfluß hat eine gescheiterte Diplomatie auf den Souverän, seine Entscheidungen und sein Geschichtsverständnis?

Ein einsamer Mensch, so außergewöhnlich er auch sein mag, kann nur auf sehr schlechte Weise Geschichte schreiben. Auffallend ist, daß es rund um Papst Franziskus viele "Hüter der Revolution“ gibt, die bereit sind, jede Kritik anzugreifen und zu zeigen, wie wichtig die päpstlichen Entscheidungen zum Bruch in unserer Zeit sind.

Diese Formlosigkeit setzt nicht nur diesen Papst, sondern auch das Papsttum und die Kirche verschiedenen Risiken aus: imaginären, institutionellen und strukturellen. Man fragt sich also, ob diejenigen, die jede Entscheidung des Papstes unkritisch verteidigen, vielleicht nicht mehr lieben, was der Papst für sie darstellt, so sehr sie auch lieben, was seine eigenartige und über-personalistische Herrschaft der Kirche antut.

Das ist das große Thema des Tages.

Papst Franziskus wird inzwischen zunehmend personalisierte, zunehmend zentralisierte und zunehmend spalterische Entscheidungen treffen. Nach allem hat er das die ganze Zeit getan."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday-at-the-Vatican

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