Dale M. Coulter, Professor für Historische Theologie am Pentecostal Theological Seminar erklärt bei FirstThings den Aufstieg der charismatisch-christlichen Pfingst-Bewegung in den USA. Für europäische Katholiken eher ein Buch mit sieben Siegeln.
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"DER AUFSTIEG DES CHARISMATISCH - PFINSTLICHEN CHRISTENTUMS"
Wir haben vor kurzem den 100. Jahrestag der berühmten Predigt von Harry Emerson Fosdick "Werden die Fundamentalisten gewinnen?" begangen. Die Predigt vom 21. Mai 1922 war für die Progressiven unter den Nördlichen Baptisten, Presbyterianern und Kongregationalisten ein Ruf zu den Waffen. Die fundamentalistische Bewegung war zwischen 1910 und 1915 mit der Veröffentlichung der zwölf Bände von "Die Fundamentalisten" gestartet. Fosdick sah die Geplänkel zwischen Fundamentalisten und Modernisten und beschloss, daß es Zeit sei, die Truppen einzuberufen. Fosdick geißelte die Fundamentalisten wegen ihres Illiberalismus und plädierte für "eine intellektuell entgegenkommende, tolerante und freiheits-liebende Kirche". Er wollte eine Kirche, im Dienst an den sozialen Problemen die moderne Wissenschaft mit biblischem Zeugnis vereint. Würden die Fundamentalisten gewinnen, würden im Namen eines liberalistischen Zugangs an die Schrift, der nur eine einzige Lesart der Wiederkunft und der Jungfrauengeburt zulassen, die Christen aus den Kirchen der Baptisten und Presbyterianer vertrieben.
Die folgende Debatte zwischen Fundamentalisten und Modernisten zog sich durch den Protestantismus des Nordens; die Modernisten erlangten die Dominanz über die nordischen Institutionen, während die Fundamentalisten neue schufen.
Der amerikanische Protestantismus kann letztendlich durch diese Diskussion definiert werden. Allgemein gesagt, wurde der mainstream- Protestantismus zu einem großen Zelt für die Fundamentalisten. Natürlich sind die Einzelheiten komplexer. Man kann den Evangelikalismus nicht auf Fundamentalismus oder die Hauptlinie des Protestantismus auf Modernismus reduzieren. Dennoch hat die Fundamentalismus-Modernisten-Kontroverse den Ton für die Amerikanische Religion des 20. Jahrhunderts bestimmt.
Oder nicht? Während der vergangenen zwei Monate sind nicht weniger als ein Dutzend Essays erschienen, die Fodicks Frage reflektieren und versuchen, sie zu beantworten. Historiker wie Daniel K. Williams, Diana Butler Bass und Thomas S. Kidd haben alle darüber geschrieben, wobei Bass und Kidd drin übereinstimmen, daß die Fundamentalisten gesiegt haben. Was alle diesen Texten gemeinsam ist, ist der Konsens, daß die fundamentalistisch-modernistische Kontroverse das religiöse Leben Amerikas geprägt hat. Mit Bass´ Worten ist diese Kontroverse "ein langer Schatten, der über dem vergangenen Jahrhundert hängt und ...."wir erleben jeden Tag ihren fortwährenden Einfluss in unseren Kirchen und in unserer Politik."
Was, wenn dieser Konsens falsch ist? Was, wenn das das falsche historische Paradigma ist, um auf die amerikanische Religion des 20. Jahrhunderts zu schauen? Dieses Paradigma vernachlässigt den Aufstieg der Charismatischen Pfingstbewegungen in der Dekade zwischen 1900 und 1910 , die zu radikalen Veränderungen der Amerikanischen Religion führte. Die Geschichte der Amerikanischen Religion sieht anders aus, wenn wir eher den Aufstieg des Charismatischen.Pfingstler-Christentums als den Amerikanischen Protestantismus im 20. Jahrhundert als primär in einer Debatte zn kulturelle und politische Macht engagiert, betrachten.
Eine bessere Geschichte könnte die Art und Weise anerkennen, in der das charismatische Pfingstchristentum die Impulse des Feminismus der ersten Welle erfasste und diese Impulse in eine Heiligkeitsrhetorik übersetzte, die weibliche Führer hervorbrachte, wie Bischof Ida B. Robinson, Mutter Rosa Horn, Florence Crawford, und Aimee Semple McPherson. Lange bevor die meisten protestantischen Konfessionen anfingen, über die Ordination von Frauen zu diskutierene, hatten Pfingstler Frauen als Pastorinnen, Bischöfe und Gründerinnen neuer Konfessionen.
Zweitens würde diese neue Geschichte untersuchen, wie die frühe schwarze Pfingstbewegung zur Entwicklung von Blues, Jazz und Gospel beigetragen hat. Die Bemühungen von Musikern wie dem Bluesgitarristen Blind Willie Johnson; des Pianisten Arizona Dranes, der Barrelhouse spielte; und der Sängerin Rosetta Tharpe würden untersucht werden, um festzustellen, was sie zu diesen neuen musikalischen Formen beigetragen haben. Zora Neale Hurston bezeichnete diesen musikalischen Ausdruck als "Protestantismus“, was zu einer Wiedergeburt des Liedermachens führte. Sowohl James Baldwin (Go Tell it On the Mountain) als auch Langston Hughes (Tamborines to Glory) versuchten, das in literarischer Form festzuhalten.
Ein besseres Paradigma würde auch untersuchen, wie die frühe Geschichte des Rock durch das pfingstlich-charismatische Christentum beeinflusst wurde. Viele Künstler wie Elvis Presley und Marvin Gaye kamen aus Pfingstgemeinden und übersetzten die schnelllebige Musik in eine neue Form. Das Rockkonzert und der Pfingstgottesdienst waren beides hochgradig partizipative Veranstaltungen mit Gesang, Rufen und Tanzen.
Drittens würde es die Bemühungen einiger Pfingstler- wie William J. Seymour und Charles H. Mason- untersuchen, das soziale Gefüge des amerikanischen Lebens zu verändern, indem sie Treffen mit männlichen und weiblichen Predigern veranstalten und verschiedene ethnische Gruppen in der Gemeinde vorne am Altar und auf der Plattform mischen. Diese frühen Bemühungen erwiesen sich bei der Überwindung der Gesetze und der Kultur von Jim Crow, letztendlich als erfolglos, als andere Pfingstler kapitulierten. Dennoch gaben sie den Ton für "heilende Evangelisten" wie Oral Roberts und A. A. Allen an, die in den 50er Jahren versuchten, diese multirassische Vision wiederzugewinnen und umzusetzen.
Sie bestimmten auch die Tonlage der Schockwelle die das schwarze Pfingstlertum betraf, als Emmett Till brutal ermordet wurde. Seine Mutter Mamie Till-Bradley war Mitglied der Roberts-Tempel-Kirche Gottes-in-Christus, in den Emmetts Körper gebracht wurde, damit die Welt ihn sehen konnte. 1963 öffnete Bischof A.A. Childs die Faith-Temple-Church-of- God- in Christ für das Begräbnis von Malcolm X, als keine andere Gemeinde in Harlem dazu bereit war. Martin Luther King Juniors letzte Rede wurde in einem Mason-Tempel in Memphis gehalten.
Schließlich müßte eine bessere Geschichte die großen Ereignisse des amerikanischen Christentums im 20. Jahrhundert neu interpretiert werden, beginnend mit dem Aufstieg der Pfingstler und ihr schnelles Wachstum untersuchen. Evangelikale wollten kurz vor Ausbruch des II. Weltkriegs das weiße Pfingstlertum unter dem Schirm der Nationalen Vereinigung der Evangelikalen unterbringen. die Fundamentalisten andererseits betrachteten die Pfingstler als wenig besser als Ketzer und haben versucht, Hinterzimmer-Abkommen zu verinbaren, um sie aus den neugegründeten NAE auszuschließen.
Diese neue Geschichtsschreibung würde dann das Auftauchen der "Göttlichen-Heilungs-Bewegung" in den 50-er Jahren untersuchen. Es war Oral Roberts, nicht Billy Graham, sollte der führende Evangelist sein. Sie würde sich dem Auftauchen der charismatischen Bewegung in den 60-eer und 70-er Jahren zuwenden, als Katholiken und Mehrheitsprotestanten anfingen, mit pfingstlicher Spiritualität zu experimentieren. Diese Bewegung kam gleichzeitig mit der Wende in der Einwanderung und dem Zustrom hispanischer Immigranten in den 70-ern und 80-ern. Seit das Pfingstlertum in Zentral- und Südamerika angefangen hatten, waren viele dieser Immigranten entweder pfingsterlisch-charismatisch oder katholisch. Das erklärt, warum die meisten Hispanics in den USA zu einer dieser beiden Formen des Christentums gehören.
Was passiert, wenn wir die Geschichte des Protestantismus im zwanzigsten Jahrhundert im Hinblick auf den Aufstieg des pfingstlich-charismatischen Christentums neu schreiben und nicht so sehr auf die Debatte zwischen Fundamentalisten und Modernisten? Die Geschichte des pfingstlich-charismatischen Christentums ist nicht einfach eine protestantische Geschichte. Es ist eine Geschichte über die amerikanische Religion, die eher in einer Spiritualität als in einer Institution verwurzelt ist. Es ist eine Geschichte über eine Spiritualität, die sowohl Katholiken als auch Protestanten anspricht. Es ist eine Geschichte über amerikanische Musikformen und anhaltende Bemühungen um Rassenintegration auf populistischer Ebene. Es ist eine Geschichte vom Niedergang des weißen europäischen Christentums (ob fundamentalistisch oder Mainline) und dem Aufstieg eines neuen multiethnischen Christentums, das die Volkskultur feiert.
Quelle: D.M.Coulter, firstthings
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