Donnerstag, 13. Juni 2024

Zu Inhalt und Bedeutung von "Der Bischof von Rom"

Andrea Tornielli hat für vaticannews Kardinal Kurt Koch zum neuen Lehrdokument "Der Bischof von Rom" interviewt. Hier geht´s zum Original: klicken

"KOCH: DER PÄPSTLICHE PRIMAT IST EIN DIENST, DER AUF SYNODALE WEISE AUSGEÜBT WIRD."

Kardinal Kurt Koch, Präfekt des Dikasteriums für die Einheit der Christen, erläutert das ökumenische Dokument „Der Bischof von Rom“: Das Amt des Nachfolgers Petri werde von den anderen Kirchen nicht mehr nur als Problem betrachtet, sondern vielmehr als Gelegenheit zu einer gemeinsamen Reflexion über das Wesen der Kirche und ihre Sendung in der Welt.

von Andrea Tornielli

"Der Primat muss synodal ausgeübt werden, und Synodalität erfordert Primat“, sagt Kardinal Kurt Koch, Präfekt des Dikasteriums für die Förderung der Einheit der Christen, und hebt damit einen der wichtigsten Punkte eines neuen Studiendokuments mit dem Titel "Der Bischof von Rom“ hervor. Der am Donnerstag, dem 13. Juni, veröffentlichte Text fasst die Entwicklungen im ökumenischen Dialog zum Thema Primat und Synodalität in den Jahrzehnten seit der Veröffentlichung von Ut unum sint, der wegweisenden Enzyklika von Papst Johannes Paul II. über die Einheit der Christen, zusammen.

Kardinal Koch hat mit Andrea Tornielli über das neue Dokument gesprochen.

Interview mit Kardinal Kurt Koch

Eminenz, können Sie zuerst erklären, was dieses Dokument ist und dann, wie es entstanden und was sein Zweck ist?

"Dieses Dokument mit dem Titel Der Bischof von Rom ist ein Studientext, der eine Synthese der jüngsten ökumenischen Entwicklungen zum Thema Primat und Synodalität bietet. Seine Entstehung geht zurück auf die Einladung des heiligen Johannes Paul II. in Ut unum sint an alle Christen, "gemeinsam natürlich“ die Formen zu finden, in denen das Amt des Bischofs von Rom "einen Dienst der Liebe“ vollbringen kann, der von allen anerkannt wird. Diese Einladung wurde von Papst Benedikt XVI. und Papst Franziskus wiederholt bekräftigt. Das Dokument fasst etwa dreißig Antworten auf diese Einladung und etwa fünfzig Texte ökumenischer Dialoge zu diesem Thema zusammen."

In der Enzyklika Ut unum sint (1995) hat Johannes Paul II. seine Bereitschaft erklärt, über die Formen der Ausübung des Primats des Bischofs von Rom zu diskutieren. Welcher Weg wurde in diesen drei Jahrzehnten beschritten?

"Die Frage des Primats wurde in den letzten Jahrzehnten in fast allen ökumenischen Kontexten intensiv diskutiert. Unser Beitrag berichtet über die Fortschritte und hebt die Tatsache hervor, dass die theologischen Dialoge und Antworten auf die Enzyklika von einem neuen und positiven ökumenischen Geist in der Diskussion zeugen. Dieses neue Klima ist bezeichnend für die guten Beziehungen, die zwischen den christlichen Gemeinschaften entstanden sind, für jene „wiederentdeckte Brüderlichkeit“, von der Ut unum sint spricht.

Man kann sagen, dass sich die ökumenischen Dialoge als der geeignete Rahmen für die Diskussion dieses sensiblen Themas erwiesen haben. In einer Zeit, in der die Ergebnisse des ökumenischen Engagements oft als dürftig oder unbedeutend angesehen werden, zeigen die Ergebnisse der theologischen Dialoge den Wert ihrer Methodik, d. h. der Reflexion, die "natürlich gemeinsam“ durchgeführt wird."


Beim Lesen des Dokuments fällt einem zunächst der wachsende Konsens auf, der in den verschiedenen ökumenischen Dialogen über die Notwendigkeit des Primats herrscht. Bedeutet das, dass die anderen christlichen Kirchen die Rolle des Bischofs von Rom nicht mehr nur as Hindernis für die Einheit wahrnehmen?

"1967 erklärte Paul VI., daß "der Papst [...] ohne Zweifel das größte Hindernis auf dem Weg zur Ökumene ist“. Fünfzig Jahre später bezeugt eine Lektüre der Dialogdokumente und Antworten auf Ut unum sint jedoch, daß die Frage des Primats für die gesamte Kirche und insbesondere des Amtes des Bischofs von Rom nicht mehr nur als Problem, sondern vielmehr als Gelegenheit für eine gemeinsame Reflexion über die Natur der Kirche und ihre Mission in der Welt gesehen wird. Darüber hinaus gibt es in unserer globalisierten Welt zweifellos ein wachsendes Gefühl für die Notwendigkeit eines Dienstes der Einheit auf universeller Ebene. Die Frage, die sich stellt, ist, sich darauf zu einigen, wie dieser Dienst ausgeübt werden soll, den Johannes Paul II. als "Dienst der Liebe“ definiert hat.

Wie hat sich die Art und Weise der Ausübung des Primats in den zwei Jahrtausenden der Kirchengeschichte verändert? Und welche Entwicklung könnte es geben, um diese Ausübung auch für andere Kirchen akzeptabel zu machen, die heute nicht in voller Gemeinschaft mit Rom stehen?

"Sicherlich hat sich die Art und Weise der Ausübung des Petrusamtes im Laufe der Zeit je nach historischen Umständen und neuen Herausforderungen weiterentwickelt. Für viele theologische Dialoge bleiben jedoch die im ersten Jahrtausend hochgehaltenen Prinzipien und Modelle der Gemeinschaft paradigmatisch für eine zukünftige Wiederherstellung der vollen Gemeinschaft. Bestimmte Kriterien des ersten Jahrtausends wurden als Bezugspunkte und Inspirationsquellen für die Ausübung eines allgemein anerkannten Dienstes der Einheit identifiziert.

Obwohl das erste Jahrtausend entscheidend ist, erkennen viele Dialoge an, dass es weder idealisiert noch einfach nachgeahmt werden sollte, weil die Entwicklungen des zweiten Jahrtausends nicht ignoriert werden können und weil ein Primat auf universaler Ebene den zeitgenössischen Herausforderungen Rechnung tragen sollte. In jedem Fall muss eine erneuerte Ausübung des Primats letztlich dem Dienst, der Diakonie, nachempfunden sein. Autorität und Dienst sind eng miteinander verbunden."

Ist es möglich, sich für die Zukunft eine gemeinsame Form der Ausübung des Petrusprimats über die gesamte Christenheit vorzustellen, die von der Jurisdiktion des Papstes über die lateinische Kirche getrennt ist?

"Tatsächlich legen einige ökumenische Dialoge eine klarere Unterscheidung zwischen den verschiedenen Verantwortlichkeiten des Bischofs von Rom nahe, insbesondere zwischen dem, was man als patriarchalisches Amt des Papstes innerhalb der westlichen oder lateinischen Kirche bezeichnen könnte, und seinem primatialen Dienst der Einheit in der Gemeinschaft aller Kirchen, sowohl der westlichen als auch der östlichen.

Darüber hinaus betonen sie die Notwendigkeit, die patriarchalische und primatiale Rolle des Bischofs von Rom von seiner Funktion als Staatsoberhaupt zu unterscheiden. Die Betonung der Ausübung des Amtes des Papstes in seiner Teilkirche, der Diözese Rom, die Papst Franziskus besonders hervorgehoben hat, trägt dazu bei, sein bischöfliches Amt zu betonen, das er mit seinen Mitbrüdern im Bischofsamt teilt."

Dieses Dokument wird veröffentlicht, während die katholische Kirche einen synodalen Weg durchläuft, der sich genau um das Thema Synodalität dreht. Welche Verbindung besteht zwischen Synodalität und Primat?

"Gewiss haben einige Dialoge versucht, das Erste Vatikanische Konzil im Lichte seines historischen Kontexts, seiner Zielsetzung und seiner Rezeption zu interpretieren. Da seine dogmatischen Definitionen zutiefst durch historische Umstände geprägt waren, legen sie der katholischen Kirche nahe, nach neuen Ausdrücken und Vokabeln zu suchen, die der ursprünglichen Absicht treu bleiben, sie in eine Ekklesiologie der Gemeinschaft zu integrieren und sie an den gegenwärtigen kulturellen und ökumenischen Kontext anzupassen. Man spricht daher von einer "Neurezeption“ oder sogar "Neuformulierung“ der Lehren des Ersten Vatikanums."

Was sind die nächsten Schritte, um die gemeinsame Reflexion der Kirchen über den Primat fortzusetzen?

"Diese Studie schließt mit einem kurzen Vorschlag der Vollversammlung des Dikasteriums mit dem Titel "Auf dem Weg zu einer Ausübung des Primats im 21. Jahrhundert“, in dem die wichtigsten Vorschläge der verschiedenen Antworten und Dialoge für eine erneuerte Ausübung des Dienstes der Einheit des Bischofs von Rom aufgeführt werden. Unser Dikasterium möchte diesen Vorschlag zusammen mit dem Studiendokument den verschiedenen christlichen Gemeinschaften vorlegen und sie um ihre Meinung zu diesem Thema bitten. Wir hoffen daher, die Diskussion – "gemeinsam natürlich“ – fortsetzen zu können, um das Amt der Einheit des Bischofs von Rom "in gegenseitiger Anerkennung“ ausüben zu können."

Quelle: A. Tornielli, Vaticannews

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