Samstag, 11. Februar 2012

Wenn der Schuster nicht bei seinem Leisten bleibt

Immer wieder fühlen sich einige Menschen berufen, die Grenzen ihrer Qualifikation zu überschreiten und sich in leichter Selbstüberschätzung auch in anderen Fachgebieten kompetent zu fühlen, da werden Bundestagspräsidenten zu  Christusverbesserern und Papstwählern ex ante oder unterbeschäftigte  Ärzte outen sich als Religions-und  Kirchenhistoriker.
Letzteres durften die Leser der Februarausgabe des Hamburger Ärzteblattes miterleben. Dort wagt sich der immer gern auch im Literarischen dilettierende Schriftleiter & Internist Dr.Hanno Scherf, der nicht an einem zu gering ausgeprägten ego leidet, an die Aufdeckung der Wurzeln des europäischen Antisemitismus und -das muß heute sein- er will auch gleich noch einen Hauptschuldigen finden.
Das fällt ihm wider Erwarten leicht und er begnügt sich nicht mit seiner Diagnose- nein ganz nebenbei  entlarvt er auch noch die Transubstantiation und das von Papst Urban IV eingeführte Fest Fronleichnam als mittelalterlich-abergläubischen Mumpitz.
Da erledigen sich ganze Jahrhunderte von Kirchengeschichte ganz von selbst- hätte der Heilige Stuhl nur viel früher auf Dr. Scherf gehört- oder besser noch auf den Bakteriologen Stefan Winkle, der 1983 in "Laboratoriumsmedizin"  über das Blutwunder von Bolsena  geschrieben hatte.
"Der Keim des Antisemitismus"  - so lautet denn auch der Titel des Scherfschen Artikels- war eben dieses Blutwunder.
Der Keim Serratia marcescens besiedelte immer schon kohlehydrathaltige Lebensmittel- so dann auch die Hostien, bildeten ein blutrotes Pigment und erweckte so den Eindruck von Blut.

Das hatte schon in der Antike für Verwirrung gesorgt- z.B. bei den Sodaten Alexander des Großen, deren Brot plötzlich rote Flecken aufwies und eben auch später im "dunklen" Mittelalter.
Nach dem Hobbyhistoriker Hanno Scherf begann das Verhängnis mit dem Beginn der Verwendung von Hostien in der Katholischen Kirche- weil diese eine guten Nährboden für den beschriebenen Keim darstellten und es so immer wieder zu Rotverfärbungen im Sinne eines Blutwunders gekommen sei.
Das erste Wunder der blutenden Hostie trug sich 1263 in Bolsena zu- Hostie und Corporale wurden nach Orvieto gebracht.
Der dort gerade anwesende Papst Urban IV erkannte das Wunder an,  führte das Fronleichnamsfest ein und  ließ den Dom von Orvieto errichten ( der übrigens wunderschön ist)
So weit noch so harmlos.
Doch nun erklärt Hanno Scherf den Lesern, daß es die Transsubstantiationslehre war, die die menschliche Einfalt und Intoleranz zu Judenhaß , antisemitischen Exzessen, Beschuldigungen aller Art und Pogromen führte. Nach der Logik des Hamburger Internisten hätte es diese also ohne die Transsubstantiationslehre  nicht gegeben.Überdies vergißt er zufällig? daß es damals nicht die katholische Kirche gab, sondern nur DIE Kirche.
Ja - es habe auch noch andere Gründe gegeben, Neid auf Reichtum  etc- aber das wird nur ganz klein und nebenbei erwähnt, daß der gelbe Fleck am Gewand der Juden -schon lange vorher von den Muslimen eingeführt worden war- ebenso wie eine räumliche Trennung zwischen Juden und Muslimen verschweigt unser sonst so beredter Doktor.
Vielleicht weiß er es nicht oder er will es nicht wissen.
Er läßt eine lange und minutiöse Auflistung aller Blutwunderwallfahrtsorte folgen, die natürlich alle aus Hab-und Raffgier entstanden waren und erhalten blieben.
Die Beschreibung der Blutwunder endet mit der Entdeckung des Keimes Serratia m. durch Prof. Bizio Universität Padua und dem Verdikt des Hygienikers Winkle, daß dieser eigentlich so harmlose Keim nicht nur mehr Menschen umgebracht habe als mancher bösartige sondern auch zeige , wozu die Intoleranz des einfachen brutalen Massenmenschen- vulgo Katholiken- fähig sei.
Natürlich muß abschließend auch noch ein Aufklärer zu Wort kommen, der alle , die sich über ein Wunder wundern zu tumben Toren erklärt.
Ich bin sicher, man hätte dieses Thema auch etwas weniger vorurteilsbeladen angehen können.

3 Kommentare:

  1. Es gibt auch noch andere Blutwunder, (ohne Serratia marcescens) z.B Walldürn und Lanciano, sowie das Blutwunder des Januarius in Neapel.
    Aber wie sagt der Pfarrer im berühmten Film über Lourdes "Das Lied von Bernadette"
    Für den der nicht glaubt ist keine Erklärung möglich. Für den der glaubt ist keine Erklärung nötig!"

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  2. ja- nur leider hat der Hobbykirchen-und antisemitismushistoriker Scherf eine heidnisch-agnostische Leserschaft, die das alles nicht weiß, Katholiken nur aus den Medien kennt und ihnen prinzipiell "alles" zutraut.
    Da ist immer nur von mittelalterlich die Rede und die Assoziationen zu Kreuzzügen Inquisition, Ketzerverbrennungen etc. etc. kommen sofort.
    Wie schön und exkulpierend ist es da doch, wenn man so den Antisemitismus mit all seinen schrecklichen Verbrechen an der Konsubstantiation und Fronleichnam festmachen kann- schon ist man aus dem Schneider und kann sich herrlich als Gutmensch fühlen.
    Da macht es dann nichts mehr, daß Luther, der ja nun gerade die Sakramente für überflüssig deklariert hatte, von geradezu pathologischem Judenhaß beseelt war und möglicherweise als Quell späterer Taten gelten konnte -und wenn wir uns recht erinnern, war das preußische deutsche Kaiserreich aus dem später Deutschland wurde ja nun dezidiert antikatholisch.
    Aber der Herr Dr. Scherf sieht sich zum RKK-Bekämpfer bestellt und hat sein Feindbild fest verinnerlicht.

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  3. Das Fronleichnamsfest,das ja m.W. auf die Visionen der Juliane von Lüttich zurückgeht,war ja ausgerechnet den Nazis sehr verhasst ,weil es besonderes als Demonstration des Glaubens gegen das Regime begriffen wurde.

    Dabei hätten sie es,wenn man des Doktors verkorkstem Geschichtsverständnis folgt,sehr lieben müssen.

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