Montag, 2. November 2020

Gefährdet der Umgang mit dem aktuellen Finanzskandal die Unabhängigkeit des Hl. Stuhls?

In seiner heutigen Kolumne bei "Monday in the Vatican" analysiert und kommentiert A. Gagliarducci die Entstehung und mögliche Auswirkungen des aktuellen Finanzskandals im Vatican,  Hier geht´s zum Original:  klicken

"PAPST FRANZISKUS UND DIE UNABHÄNGIGKEIT DES HL. STUHLS" 

In der Becciu-Affäre gibt es ein Detail, das fast unbemerkt geblieben ist. Dennoch ist es ziemlich wichtig; der Vatican hat via Interpol die italienische Polizei gebeten, einen italienischen Staatsbürger zu verhaften. Der Vatican bittet den Italienischen Staat auch, diesen italienischen Staatsbürger an den Vatican auszuliefern. Der Auslieferungsantrag kann beträchtliche Auswirkungen auf den Vatican selber haben; er könnte die Beziehung zwischen Italien und dem Hl. Stuhl verändern und einen Präzedenzfall für andere, ähnliche Siuationen bilden. 

Der Vatican hat um die Auslieferung von Cecilia Marogna gebeten, die früher einmal als Beraterin für das Vaticanische Staatssekretariat engagiert worden war und die angeblich Geld des Vaticans für persönliche Zwecke ausgegeben hat. Marognas Verhaftung ist Teil der Untersuchung des Vermögens des Staatssekretariates. Sie wurde auf Bitten des Vaticans verhaftet. Marogna war von Kardinal Angelo Becciu verpflichtet worden, als er Substitut im Staatssekretariat war. 

Es ist wert, sich zu erinnern, daß Becciu nach Aufforderung durch Papst Franziskus als Präfekt der Heligsprechungskongregation zurückgetreten ist und auf seine Vorrechte als Kardinal verzichtet hat. Der Vatican hat nicht bestätigt, ob es speziell gegen Becciu gerichtete Untersuchung gibt. Laut der Presse gibt es sie. 

Das Auslieferungsgesuch könnte die Beziehungen zwischen Italien und dem Hl. Stuhl beeinflussen, weil die beiden Staaten kein Auslieferungsabkommen haben. Der Lateran-Vertrag von 1929 besagt, daß der Vatican italienische Verbrecher verhaften und übergeben kann, die in den Vaticanischen Mauern Zuflucht suchen. Von Auslieferung wird nicht gesprochen. 


Gemäß dem alten Prinzip, daß der Hl. Stuhl niemals bilaterale Vereinbarungen akzeptiert, die die Besonderheit des Staates, die ihn von allen anderen unterscheidet, gefährden. Weil jede Vereinbarung in beide Richtungen funktionieren muß- versucht der Hl Stuhl immer, solche Vereinbarungen zu  vermeiden, die seine Souveränität gefährden. 

Der Auslieferungsantrag ist ein Präzendenzfall. Wenn es keine vorbestehende Vereinbarungen gibt, muß Italien der Auslieferung nicht zustimmen. Italien kann einen Auslieferungsantrag von einem Staat ablehnen, der die Respektierung der Menschenrechte nicht garantieren kann- der Papst ist der Oberste Richter und Gesetzgeber im Vatican und kann direkt in Gerichtsprozesse eingreifen- oder von einem Staat, der vielleicht die Gegenseitigkeit nicht beachtet. 

Würde Italien der Auslieferung zustimmen, wäre das eine politische Entscheidung. Der Vatican wäre verpflichtet, das Gegenseitigkeitsprinzip zu garantieren. Wer kann sagen, daß Italien in Zukunft vom Vatican nicht die Auslieferung eines Monsignore, Bischofs oder sogar Kardinals verlangt, wenn letzterer auf seine Immunität verzichtet? Wer will garantieren, daß die Kirche nicht wegen des Rechtsprinzips seines Vorgehens angegriffen wird? 

Deshalb droht das Auslieferungsersuchen der Vatican-Richter- mehr Problem zu schaffen als es vielleicht löst. Es handelt sich um einen Auslieferungsantrag geringeren Charakters, eine nebensächliche Sache innerhalb der Skandale, die Teil eines internen Bandenkrieges im Vatican zu sein scheint. Warum also für Cecilia Marogna die Auslieferungskarte ziehen- mit allen damit verbundenen Risiken? 

Es gab zunehmende Sorgen zur problematischen Art, die Italien mit dem Hl. Stuhl verbindet- wie sie sich bei den beiden Vatileaks-Prozessen gezeigt hat

Die jüngsten Vorkommnisse zeigen Methode: es beginnt mit einem Fall von geringerem Ausmaß. dann gibt es juristische Maßnahmen, die mit dem Fall verbunden sind und am Ende wird dann die Gesetzgebung verändert. 

Marognas Fall scheint dramatisch dem der 23 Millionen Euro aus der Transaktion des IOR zu ähneln, die Italienische Gerichte 2020 stoppten und dann die Guthaben einfroren. Diese 23 Millionen waren Teil von Geld-Transfers von einem IOR-Konto auf ein anderes (das IOR ist keine Bank und hat Konten bei anderen internationalen Banken). Das Zurückhalten des Geldes scheint Teil einer Abkategie des Drucks gegen den Hl. Stuhl gewesen zu sein. 2009 hat der Hl. Stuhl das Geldwäsche-Abkommen mit Europa unterzeichnet, was bedeutete daß der Hl. Stuhl ein Anti-Geldwäsche-System einführen mußte. 

Nachdem der Vatican Gesetz 27 - sein erstes Anti-Geldwäschegesetz- angenommen hatte, hat der Italienische Staatsanwalt die Blockade aufgehoben.  Das Vermögen blieb aber wegen einiger aus mangelnder Sorgfalt ungelöster Probleme eingefroren, Das Vermögen wurde erst fast vier Jahre später freigegeben. 

In der Zwischenzeit entwickelte sich die Politik des Vaticans in zwei Stufen. Die erste war durch die Dringlichkeit konkrete Themen zu bewältigen, -wie das Zurückhalten des Guthabens durch Italien.- charakterisiert.  Der Vatican ging diese Themen dadurch an, die guten bilateralen Beziehungen zu Italien zu betonen - wie sich in der Tatsache zeigte, daß nur Italiener für kritische Ämter im IOR und der Finanzsaufsicht ernannt wurden. Über institutionelle Apekte hinaus, wurde auf den "charismatischen " Einfluß Einzelner gesetzt, denen Entscheidungsbefugnis erteilt wurde. Diese Zugehensweise führte jedoch nicht zu den erwarteten Ergebnissen. 

So begann  also die zweite Stufe. Anders als die erste, zeichnete sich die zweite Stufe durch eine Politik der Nachhaltigkeit aus. Das Anti-Geldwäsche-Gesetz wurde zweimal erneuert, der Hl. Stuhl schaute mehr auf das internationale Szenario und das juristische und institutionelle Rahmenwerk wurde konsolidiert. Als das IOR die Rückerstattung der Guthaben ankündigte, mußte anerkannt werden, daß der Grundstein, der einige Zeit zuvor gelegt worden war, sehr solide war.

Wie ist das mit Marognas Fall zu vergleichen? Es gibt einen kleinen casus belli, der den Hl. Stuhl in beiden Fällen in eine Notsituation bringt. Auf diese Weise ist die Unabhängigkeit des Hl. Stuhls gefährdet. 

Sowohl heute wie in der Vergangenheit gibt es eine Präferenz für eine robuste bilaterale Politik mit Italien. Es gibt viele Italiener, die auf die Spitzenränge des IOR und der Finanzaufsicht zurückgekehrt sind. Und noch einmal wurden einige wegen ihres persönlichen Charismas beauftragt. 

Das ist eine Rückkehr zu Stufe 1. Was beunruhigt, ist daß niemand am Horizont auftaucht, der die Kirche zu Stufe 2 führen kann- zu der der mittelfristigen Lösungen. Es gab solche Männer, aber sie wurden rausgeworfen oder als "Kollateralschäden" von hinterhältigen Streitigkeiten beiseite geschoben.

Deshalb stecken wir im Notfall-Modus fest. Diese Situation nützt denen, die immer der Ansicht waren, daß der Hl. Stuhl eine Gelegenheit zur Verbesserung der Karriere und nicht der Staat sei, dem sie dienen sollten. So verteidigt niemand mehr den Hl. Stuhl, Das kann ein ernstes Problem werden, auch für den Papst."

Quelle: A. Gagliarducci, Monday in the Vatican


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