Freitag, 7. Mai 2021

30 Jahre Enzyklika Centesimus Annus

Pater Raymond de Souza, Priester in der Erzdiözese Kingston /Ontario, hat bei FirstThings einen Beitrag zum 30. Jahrestag der Enzyklika Centesimus Annus des Hl. Johannes Pauls II veröffentlicht. 
Hier geht´s zum Original: klicken

                          "CENTESIMUS ANNUS 2021"

Der 1. Mai hat bei Anhängern des Hl. Johannes Pauls II glückliche Erinnerungen geweckt. An diesem Tag vor 10 Jahren hat Benedikt XVI seinen Vorgänger auf dem Petersplatz- wo noch das Santo Subito von vor 6 Jahren nachhallte, selig gesprochen. Das war die letzte große Seligsprechung oder Kanonisierung im Stil der Johannes Paul-Feiern- jener großen internationalen Feste, wie es die Erhebung von Maximilian Kolbe, Edith Stein, PaterPio oder Mutter Teresa waren. 

Unter Papst Franziskus sind die Zeremonien sogar für seine persönlichen Helden wie den Hl. Paul VI und den Hl. Oscar Romero massiv gedämpft worden. 2019 hat er Sr. Dulce Lopes Pontes, die "Mutter Teresa von Brasilien" und Nationalheldin kanonisiert, ohne auch nur ihren Namen zu erwähnen. 

Der 1.Mai dieses Jahres war auch der 30. Jahrestag von Centesimus Annus, der Meilenstein-Enzylika von 1991 von Johannes Paul, von der Bischof Robert Barron sagt, daß sie "die katholische Soziallehre besser zusammenfaßt als jedes andere Dokument." 

Die Größe von Lehrdokumenten kann daran gemessen werden, wie gut sie in wechselnden Umständen bestehen. Das 100. Jahr, worauf sich Centesimus Annus bezieht, war 1891, das Jahr von Rerum Novarum von Papst Leo XIII. In dieser Charta für zeitgenössische Katholische Soziallehre hat Leo 26 Jahre vor der bolschewistischen Revolution diagnostiziert, daß die marxistische Lösung als Therapie für die Nöte der Arbeiter "schlimmer ist als die Krankheit"

Bischof Barrons "Word on Fire" hat einen exzellenten Sammelband von Texten mit dem Titel "Sammlung der Katholischen Soziallehre" veröffentlicht. Das ist nicht die typische Abhandlung des Themas. In der Sektion über Zeugen der Tradition- von den Kirchenvätern bis zu zeitgenössischen Heiligen - ist der längste Abschnitt Dorothy Day gewidmet, die ihre Unterstützung streikender Arbeiter erklärt :"nicht wegen Löhnen, Arbeitsstunden und Arbeitsbedingungen -sondern wegen der fundamentalen Wahrheit, daß Menschen nicht wie Vieh sondern wie menschliche Wesen, "Tempel des Hl. Geistes" behandelt werden sollten:" 

Der Papst der Solidarnosz hätte zugestimmt. Tatsächlich hat Johannes Paul 1981 eine ganze Enzyklika über die Würde der Arbeit geschrieben, Laborem Exercens. Die hat es nicht in die Liste der Lehrdokumente in Barrons Sammlung geschafft, bemerkenswerterweise sind die beiden einzigen Enzykliken, die als Ganzes aufgenommen wurden, Rerum Novarum und Centesimus Annus. 

Die Erstere war so groß, daß es bei Leos Nachfolgern üblich wurde, ihre eigenen Texte zur Katholischen Soziallehre an ihren 10. Jahrestagen zu formulieren: 1931 Quadragesimo Anno von Pius XI, 1961 Mater et Magistra von Johannes XXIII, 1971 Octogesima Adveniens und 1981 Laboren Exerzens von Paul VI. Papst Franziskus würde üblicherweise etwas in diesem Jahr veröffentlicht haben, aber seine Enzyklika zur menschlichen Brüderlichkeit Fratelli Tutti wurde im vergangenen Jahr veröffentlicht, um vor den Amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu erscheinen. 


Es gibt viele Punkte der Übereinstimmung zwischen Leo XIII und Johannes Paul II, aber in der Soziallehre können sie als die großen Meister der menschlichen Freiheit betrachtet werden. Jeder lehrte, daß die Sozialordnung die Freiheit anerkennen muß, die dem Individuum, den Familien, den Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften eigen sind- allen, deren Freiheit zum Allgemeinwohl beiträgt. 

Johannes Paul hat die wirtschaftliche Freiheit sehr verteidigt, aber festgestellt daß "wirtschaftliche Freiheit nur ein Element der menschlichen Freiheit ist". Der Mensch ist frei geschaffen; die wirtschaftliche Freiheit ist nicht die wichtigste Freiheit, aber sie ist vital insofern, daß so große Teile des täglichen Lebens wirtschaftlichen Aktivitäten gewidmet sind. 

So dient die "freie Wirtschaft" (Johannes Paul zog diesen Ausdruck dem "Kapitalismus" oder der "Marktwirtschaft" vor)  der menschlichen Freiheit als Ganzes: 

"Wenn sie autonom wird, wenn der Mensch mehr als Produzent oder Konsument von Waren gesehen wird als ein Subjekt, das produziert und konsumiert, um zu leben, verliert die wirtschaftliche Freiheit ihre nötige Beziehung zur menschlichen Person und endet damit, ihn zu entfremden und zu unterdrücken,"(39) 

Johannes Paul wußte gut, daß eine freie Gesellschaft keine Maschine ist, die von selbst läuft. Die schärfsten Zeilen in Centesimus Annus sind: "Demokratie ohne Werte verwandelt sich leicht in offenen oder kaum verhüllten Totalitarismus". Nach 30 Jahren rütteln diese Zeilen nicht länger auf- sie sind die einfache Beschreibung des derzeitigen Zustands des demokratischen Projektes. 

Johannes Paul wuchs in einer unterdrückten Nation auf, die danach lechzte, von fremden Besatzern frei zu sein. Daher seine Betonung der Freiheit. Papst Franziskus ist eine einem unabhängigen und freien Land aufgewachsen, das sich selbst verarmen ließ, dem einzigen Land, das von im Weltrmaßstab führendem Reichtum zu weitverbreiteter Armut regredierte- unabhängig von Krieg oder fremder Besatzung (...)  Papst Franziskus ist deshalb viel skeptischer gegenüber dem, was menschliche Freiheit und Kreativität auf dem Wirtschaftssektor vollbringen können. 

Dennoch wäre es ein Fehler, einen völligen Bruch zwischen Johannes Paul und Franziskus zu sehen. Obwohl Franziksus die ungewöhnlich weite Vision Johannes Pauls verengt hat, baut er auf dem auf, was man in Centesimus Annus findet.  

Der Schlüsselbegriff ist " Ökologie des Menschen",  ein Begriff, den Johannes Paul 1991 ins Lehramt einführte: 

Obwohl die Menschen zu Recht besorgt sind- wenn auch viel weniger als sie sollten- wegen der Erhaltung der natürlichen Lebensräume verschiedener Tierarten, die vom Aussterben bedroht sind, weil sie feststellen, daß jede dieser Spezies ihren besonderen Beitrag zum natürlichen Gleichgewicht im allgemeinen leistet, werden zu geringe Bemühungen unternommen, um die moralischen Bedingungen für eine authentische "Ökologie des Menschen" sicherzustellen. Gott hat dem Menschen nicht nur die Erde gegeben, der sie mit Respekt für den ursprünglichen guten Zweck, für den sie ihm übergeben wurde. benutzen muß -sondern auch der Mensch ist ein Geschenk Gottes an den Menschen. Er muß deshalb die natürliche und moralische Struktur, die ihm anvertraut wurde, respektieren,." (/38) 

"Ökologie des Menschen" ist nicht nur eine Brücke zu den weitverbreiteten ökologischen Sorgen in der zeitgenössischen Kultur, sie ist eine Brücke zur älteren Katholischen Tradition des Naturrechts, der  immerwährenden Philosophie, die Leo XIII so leidenschaftlich wiederbeleben woltte. Benedikt XVI sollte die " Ökologie des Menschen"  zu einem zentralen Teil seiner eigenen Sozial-Enzyklika Caritas in Veritate (2009) machen- ebenso wie zum zentralen Bild seiner Meilenstein-Rede vor dem Deutschen Bundestag 2011. 

Benedikt hat über die Ökologie des Menschen mit seinen eigenen Worten gesprochen "integrale menschliche Entwicklung" Das wurde von Franziskus in seiner Kurien-Reform als Name des neuen Vaticanischen Dikasteriums gewählt, das sich mit politischen und wirtschaftlichen Fragen befaßt.

Diese Echos von Centesimus Annus findet man im Herzen der "grünen" Enzyklika Laudto Si´, von der Papst Franziskus behauptet, daß sie eine Enzyklika in der Tratition von Rerum Novarum ist: 

Ökologie des Menschen beinhaltet auch eine andere profunde Realität; die Beziehung zwischen dem menschlichen Leben und dem Moralgesetz, das unserer eigenen Natur eingeschrieben und für die Schaffung einer würdigeren Umwelt nötig ist. Papst Benedikt hat von einer "Ökologie des Menschen" gesprochen- basierend auf der Tatsache, daß "der Mensch auch eine Natur hat, die er respektieren muß und die er nicht nach Gutdünken manipulieren kann." 

Die Verbindungen zwischen den pro-life-Bekundungen der Kirche, der Umweltlehre, der Verteidigung der Wirtschaftsfreiheit und der Sorge für die Armen sind alle in Centesimus Annus gegenwärtig. Vor 30 Jahren -in der unmittelbare Folge des Zusammenbruchs des Europäischen Kommunismus- stand die Freiheitsfrage mehr im Mittelpunkt. Aber Centesimus Annus - wie alle großen Enzykliken - hat die Zeit überdauert und ist gereift- wie Rerum Novarum hundert Jahre vor ihr. "

Quelle: Pater R. de Souza, FirstThings 

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