Montag, 5. Juli 2021

Gagliarducci: Die Diktatur der Öffentlichen Meinung bei Mißbrauchsfällen

In seiner heutigen Kolumne in Monday in the Vatican befaß A. Gagliarducci sich mit dem Umgang mit realen und vermuteten klerikalen Mißbrauchsfällen und den sich daraus ergebenden Gefahren.  
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"PAPST FRANZISKUS UND DAS RISIKO DES CHARAKTERMORDES"

Kardinal Angelo Bagnasco war in Polen um Vorwürfe wegen Mißbrauchs-Vertuschungs gegen Karidnal Stanislaw Dziwicz, Erzbischof em. von Krakau und legendärer Sekretär von Johannes Paul II, zu untersuchen, Die Vertuschung soll in der Zeit stattgefunden haben, in der Kardinal Dziwicz Erzbischof von Krakau war. Aber die Nachricht allein genügt, um einen Schatten auf das Pontifikat Johannes Pauls II zu werfen. Und um die Polnische Kirche auf fast wissenschaftliche Art anzuklagen. 

Die Vorwürfe der Vertuschung gegen Dziwicz sind nur die letzten einer Serie. Außer den noch festzustellenden Fakten- ist es wert, sich eingehender mit der Begründung der Vorwürfe und der Art, wie mit ihnen umgegangen wird, zu beschäftigen. Es besteht das Risiko einer Dikatatur der Öffentlichen Meinung, die am Ende keinen klaren Blick auf die Dinge zuläßt.

Wir können nicht sagen, ob Kardinal Dziwicz wirklich Pädophilie-Vorwürfe vertuscht hat. Wir können aber versuchen, den Kontext zu verstehen, in dem der Kardinal lebte. Während der Sowjet-Diktatur wurden Mißbrauchsvorwürfe erhoben, um Priester zu diffamieren und die Kirchenhierarchie hat gelernt, dem nicht zu glauben,. Es ist eine Art, die Kirche zu beschützen, viellecht extrem aber echt. Und Kardinal Dziwizc war davon durchdrungen. 

Das war auch Johannes Paul II, wie man im umfangreichen McCarrick-Report lesen kann, der auf alle Fälle auf eine Weise geschrieben zu sein scheint, um das Pontifikat Johannes Pauls II in einem schlechten Licht erscheinen zu lassen. 

Über den Wahrheitsgehalt der Beschuldigungen hinaus, müssen weitere Themen bedacht werden. Es ist nötig, Licht auf das zu werfen, was passiert ist. Das sollte niemand in Frage stellen. Aber da sind noch andere Fragen. Warum sickert diese Nachricht durch? Und warum werden diese Nachrichten von der Kommunikationsabteilung des Hl. Stuhls nicht erschöpfend behandelt? Diskretion ist wichtig und notwendig, deshalb werden Informationen über diese Art Untersuchungen nicht veröffentlicht. Die Kirche will zuerst verstehen, woher die Vorwürfe kommen und ob sie wahr sind. Der Druck der Öffentlichen Meinung könnte ihr Urteil beeinflussen. 

Wenn die Nachricht erst zur Presse durchgedrungen ist, muss offiziell reagiert werden, weil die Kirche vor allem anderen geschützt werden muss: die Flecken einiger oder vieler können die schöne und positive Idee der Kirche nicht ändern. Die Leaks sind unter anderem deshalb interessant, weil sie eine Vorstellung davon geben, wer die Quellen sind. Wenn es nicht die Kommission des Papstes ist, wenn es nicht die Nuntiatur ist, kommen die Informationen entweder von den mutmaßlichen Opfern oder von den mutmaßlichen Anklägern. Aus welchem Grund sollten sie die Leute wissen lassen wollen, was vor sich geht?

Das zweite Thema ist eher streng juristischer Natur: wie wird Vernachlässigung definiert? Auf Grund welcher Beweise entscheidet man, ob eine Person (in diesem fall ein Kardinal) nachlässig war oder nicht? Die Unklarheit des Begriffs läuft Gefahr, zu Rechtswillkür zu führen. Jeder kann der  Nachlässigkeit beschuldigt werden, nicht eingegriffen zu haben, als er es konnte- trotz jeden Beweises für das Gegenteil. 


Das dritte Thema betrifft speziell die Angriffe auf die Polnische Kirche. Und geht auf 2019 zurück, als das angebliche Opfer Marek Lisinski, Präsident der Polnischen Stiftung "Habt keine Angst" mit großem Medien-Hype nach Rom kam, um Papst Franziskus am Ende einer Generalaudienz zu treffen- zusammen mit der ehrenwerten Joanna Scheruing-Wielgus, Mitglied der liberal-libertinären "Jetzt" Partei, die für ihren anti-kirchlichen Standpunkt bekannt ist; und Agata Diduszko-Zyglewska, die mit der radikalen linksextremen Bewegung "Politische Kritik" verbunden und Organisatorin der Atheismus-Tage ist, die die Abschaffung des Religionsunterrichts in den Schulen anstrebt. 

Später wurde Dank der Enthüllungen des Journalisten Sebastian Kareczewski und der liberalen und der katholischen Kirche gegenüber offen feindlichen Zeitung   "Gazeta Wyborcza" entdeckt, daß Lisinski kein wirkliches Opfer war. Er hatte sich von einem Priester Zdzislaw Witkowski Geld geliehen und wollte seine Schulden nicht zurück bezahlen und hat dann statt dessen den Priester beschuldigt, ihn 30 Jahre früher belästigt zu haben.

Das ist natürlich ein Zufall, aber es zeigt, wie sorgfältig Mißbrauch behandelt werden muß. U.a. ist in Polen Mißbrauch ein Weg geworden, um die Kriche anzugreifem, besonders jetzt, wo das Land politisch eine störrische Anti-Mainstream-Richtung einschlägt: ein  Polen, das Abtreibung aus eugenischen Grüden für verfassungswidrig erklärt hat, das einen diplomatischen Kanal zur Repatriierung polnischer Bürger aus England anbietet, um einer maskierten Euthanasie vorzubeugen, ein Polen, das eine Nation ist, die sicher von denen nicht gemocht wird, die für diese neuen Rechte werben und sogar Regierungen beeinflussen. Es geht um viel Geld und eine starke Organisation schiebt diese Themen an. 

Das betrifft Polen, aber auch andere Nationen oder Politiker, die einen besonderen Standpunkt einnehmen. Das festzustellen bedeutet nicht, sich in Verschwörungstheorien zu ergehen. Es bedeutet eher, alle Aspekte der Wirklichkeit zu bedenken. 

Werden Nationen angegriffen, wird es die Kirche umso mehr. Als Kardinal Philippe Barbarin in Frankreich im Januar 2020 vom Vorwurf der Vertuschung von Mißbrauch freigesprochen wurde, hat der Theologe Massimo Faggioli kommentiert, daß der Freispruch im Gericht "den von der Öffentlichen Meinung bereits gefällten Schuldspruch nicht umstoßen kann, der für das Vertrauen in die katholische Kirche zählt." 

Kurz gesagt, der essentielle Punkt ist die Glaubwürdigkeit nicht die Wahrheit. Die Kirche kann sich nicht gegen ungerechte Vorwürfe verteidigen, weil ihre Glaubwürdigkeit unterminiert wird. Ihre Glaubwürdigkeit basiert nicht auf Fakten sondern darauf, was die Öffentliche Meinung denkt. Angenommnen man kann Glaubwürdigkeit leichter durch das Bezeugen des Glaubens und der Wahrheit erreichen als durch das Akzeptieren unbegründeter Vorwürfe, ist es wahr, daß das Mißbrauchs-Drama die Kirche in eine Position geworfen hat, in der sie nicht weiß, wie sie antworten soll. 

Es besteht die Gefahr des Charaktermordes an jedem des Mißbrauchs beschuldigten Priester oder der Nachlässigkeit beschuldigten Bischofs. Sogar als Kardinal George Pell vor seinem Freispruch schuldig gesprochen wurde, gab es lauwarme Reaktionen. Das passiert auch, wenn eine Diözese beschließt, lieber Entschädigungen zu zahlen, als einen Prozess zu riskieren- um einen Skandal zu vermeiden. Und es ist passiert, daß des Mißbrauchs beschuldigte Priester, die von ihren priesterlichen Aufgaben entbunden und später für unschuldig befunden wurden, später nicht in ihre Diözese zurück kehren konnten. 

Das ist die Macht der Diktatur der Öffentlichen Meinung.  Und die Anwort der Kommunikation der Kirche scheint nicht in der Lage zu sein, dieses Problem einzugrenzen. Im Gegenteil- es gibt das Gefühl, nie in der Lage zu sein, die Öffentliche Meinung beeinflussen und niemals durch die Beteuerung der Wahrheit überzeugen zu können. Manchmal werden Maßnahmen ergriffen, die eher populistisch als real erscheinen. Wie die Abschaffung des Papst-Geheimnisses bei Mißbrauchs-Verbrechen an Jugendlichen, auch wenn das Papstgeheimnis auf diese Fälle nicht anzuwenden ist. 

Die Entscheidung, das Papst-Geheimnis abzuschaffen, erzeugt den Eindruck (und mehr als das), daß das päpstliche Geheimnis ein Mittel war, Mißbrauch zu vertuschen. Dennoch war es nur ein Organisationsprinzip. 

Die Anwort riskiert daher, mehr Schaden anzurichten als die Schauprozesse. Das ist sicher keine ideale Aussicht. Wenn die Kirche im hier und jetzt definiert wird- ohne historische Tiefe- besteht die Gefahr, daß die Angriffe auf den Polnischen Papst ein ganzes Pontifikat in Frage stellen. Aber ist es das, was wir wollen?  Wollen wir, daß alles in einem Jahr Zero sein soll? 

Das ist schwer zu sagen. Es wäre jedoch gut, wenn die Vorwürfe gegen Kardinal Dziwicz in den Konext gestellt würden. Wenn auch nur, um zu vermeiden, daß Sensationsjournalismus die Kirche verletzt. Eine gute Antwort der Kommunikation der Kirche muß auf der Wahrheit basieren. Ganz gleich, wie sehr das die Kirche in eine unkomfortable Lage bringt. "

Quelle: Monday in th Vatican, A. Gagliarducci

 

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