Mittwoch, 15. September 2021

S. Magister berichtet: Entwurf für kanonische und kirchenrechtliche Normen für einen Papstrücktritt

Sandro Magister kommentiert für Settimo Cielo den Stand der Dinge bei der Debatte über den status eines Papa emeritus, eines amtsunfähigem Papstes und beim Verfassen der neuen Normen.
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"EMERITIERTER PAPST, AMTSUNFÄHIGER PAPST. WO STEHEN DIE NEUEN NORMEN?"

In diesem Sommer wurden Gerüchte über einen möglichen Rücktritt von Papst Franziskus verbreitet- teilweise durch einen in Italien in einer Fachzeitschrift veröffentlichten gelehrten Artikel, der neue kanonische Normen sowohl für den Rücktritt eines Papstes als auch für seine völlige Amtsunfähigkeit vorschlug.

Die Autorin des Artikels, Geraldina Boni, ordentliche Professorin für Kanonisches Recht und Kirchenrecht an der Universität von Bologna, ist auch Konsultatorin des Päpstlichen Rates für legislative Texte - und das genügte, um vermuten zu lassen, daß man im Vatican Normen für den Rücktritt des Papstes vorbereitete, Normen, die ein präzises juristischer Rahmenwerk für seinen bevorstehenden Amtsverzicht liefern würden. 

Aber nichts von alle dem ist passiert. Nachdem, was Settimo Cielo weiß, bewegt sich im Vatican nichts in diese Richtung- am allerwenigsten der Papst. 

Die Initiative liegt ganz und ausschließlich außerhalb der vatikanischen Mauern. Sie ist das Werk eines internationalen Gelehrten-Netzwerks, das seine treibende Kraft in Professor Boni und den Professuren für Kanonisches-und Kirchenrecht der Universität Bologhna hat- genau so wie vor einem Jahrtausend, als der große Gratian dort lehrte und sie die Werkstatt der juristischen Architektur der Katholischen Kirche wurde. 

Die Baustelle, auf der diese Gelehrtena arbeiten, ist eine vielsprachtige virtuelle Plattform, die allen zugänglich ist und auf der sich Schritt für Schritt neue Normen entwickeln, die die Lücken des aktuellen Kanonischen Rechtes in zwei so wichtigen Punkten- wie Rücktritt und die völlige Amtsunfähigkeit eines Papstes- füllen sollen..

Wenn diese Gelehrten glauben, einen angemessen ausgefeilten Plan zu haben, werden sie ihn "dem obersten Gesetzgeber“ anbieten, d. h. Papst Franziskus, der entscheiden wird, was damit zu tun ist.

Bis jetzt hat niemand detailliert von dieser Baustelle berichtet- wie sie arbeitet und was sie entwickelt. Das hat Prof. Boni in diesem Text getan, den sie Settimo Cielo anvertraut hat. 

Sie ist an der Reihe: 

"ZWEI JURISTISCHE LÜCKEN,  DIE GEFÜLLT WERDEN MÜSSEN" 

von Geraldina Boni

Es ist bekannt, daß die jüngsten Ereignisse im Papsttum nach dem Rücktritt von Benedikt XVI zu einer beispiellosen Koexistenz des amtierenden römischen Papstes mit dem "emeritierten“ Papst geführt haben. Darüber hinaus wird immer deutlicher, daß Umstände eintreten können, in denen ein Papst aufgrund von fortschreitendem Alter oder schwerwiegenden gesundheitlichen Problemen mit Hilfe von Medizin und Technik am Leben bleiben kann, das "munus petrinum“ aber nicht ausüben kann.

Der völlig blockierte  Römische Stuhl wird nur im Kodex des Kanonischen Rechts erwähnt, aber nicht geregelt-trotz der Tatsache, daß Kan. 335 sich auf ein spezielles Gesetz für diese Möglichkeit bezieht, aber nie umgesetzt wurde. Und vor allem ist keine rechtliche Lösung ausgearbeitet worden, um der Universalkirche ihr Oberhaupt zu sichern, wenn der römische Papst sie aufgrund einer totalen, dauerhaften und irreversiblen Behinderung nicht mehr regieren kann: mit schwerem Schaden für die kirchliche Körperschaft. Dies sind zwei wichtige normative Lücken, die geschlossen werden sollten.

Mit der Veröffentlichung meines Artikels in der Fachzeitschrift "Staat, Kirche und konfessioneller Pluralismus" im Juli habe ich versucht, eine Diskussion über diese wichtigen Themen unter den Kirchenrechtlern anzustoßen, und eine anschauliche Darstellung potentieller Normen zu skizzieren und diese bewusst zweifelnd, alternativ oder fragend vorzustellen: gerade um Raum für fruchtbaren Widerspruch zu lassen.

In der Zwischenzeit-bereits im Jahr 2020-, hat eine kleine Gruppe von Kanonisten aus verschiedenen Ländern, nachdem die wichtigsten zu regelnden Punkte identifiziert waren, zwei normative Schemata erstellt. Dieses "Team“ arbeitete via Internet zusammen, das in Zeiten der Pandemie zu jedermanns Helfer geworden ist, indem es häufige Online-Meetings einberufen hat, um gemeinsam mit größtmöglicher Freiheit über alle auf dem Tisch liegenden Themen nachzudenken: im nachhinein wurden die Entwürfe geprüft  und von jedem nach genauer Prüfung kommentiert. Es wurden auch begründete Auswahlen getroffen, bei denen zwei oder mehr Optionen umrissen wurden, die wiederum von unterschiedlichen theologisch-dogmatischen Visionen abhingen, bei denen jede geltende juristische Norm implizit als akzeptiert vorausgesetzt wurde.

Die beiden skizzierten legislativen Vorschläge - einer zum völlig blockierten römischen Sitz und der andere zur kanonischen Situation, wenn der Bischof von Rom auf sein Amt verzichtet, sind- nachdem diese Vorbereitungsarbeiten einmal beendet waren, vollständig auf einer website veröffentlicht, um sie den Kirchenrechtlern in aller Welt bekannt zu machen. Sie wurden im Original in Italineisch und Spanische geschrieben und diese beiden Versionen stellen fie primären Bezugstexte dar, aber um den Horizont für die Beratungen zu erweitern, sind auch englische, französische und deutsche Übersetzungen vorbereitet worden. 

Die wichtigste Neuerung für die Planung für den blockiteren Römischen Sitz betrifft die Einführung (auch durch eine Änderung des CIC) der "völligen Behinderung aus Grund von irreparabler "Unfähigkeit" des Papstes" als dritte Ursache für die Beendigung des Petrinischen Amtes, die dem Tod und dem Rücktritt hinzugefügt wurden. 

Für den Fall, daß der römische Stuhl aufgrund der unheilbaren "inhabilitas“ des Pontifex Maximus vollständig blockiert werden sollte – so daß dieser nicht einmal freiwillig auf sein Amt verzichten könnte – wurde die durch sorgfältig geregelte Verfahren (unter Einschaltung ärztlicher Beratung und Bestätigung durch eine qualifizierte Mehrheit des Kardinalskollegiums) rechtlich dem vakanten Stuhl gleichgestellt: mit der Einberufung des Konklaves zur Wahl des neuen Nachfolgers Petri. Dieses überspringt sozusagen den blockierten Stuhl und wechselt in die Vakanz, ohne daß es zu einem Amtsverzicht kommt, der aufgrund der Unfähigkeit des Papstes natürlich unmöglich wäre. Allein an diesem Beispiel wird deutlich, wie wichtig es ist, diese grundlegenden Dreh- und Angelpunkte der kanonischen Ordnung zu berühren, insbesondere das mit dem Primat des Bischofs von Rom untrennbar verbundene Prinzip des "prima sedes a nemine iudicatur“.

Im Hinblich auf den "emeritierten Papst“ wurde jedoch angesichts der heiklen Situation beschlossen, die Disziplin deutlich einzuschränken- einschließlich nur weniger, unbedingt notwendiger Normen, um schädliche Missverständnisse zu vermeiden und praktische Unannehmlichkeiten zu beseitigen. Diese sollen vor allem  nicht vorschreibend und aufdringlich, sondern ermahnend formuliert werden: vor allem mit der Absicht - die Ausübung einiger Rechte des Rücktretenden in gewisser Weise einzuschränken und die Würde dessen, der den Thron Petri innehatte, nicht zu veletzen. Enthalten sind daher einige wesentliche Regeln zum Akt des Amsverzichts (z B. zu den Formalitätn des realen Datums), Vorkehrungen für den Titel, Art der Ansprache, Wohnort, Unterhalt, Beziehung zum römischen Pontifex, persönliche Lebensweise, kirchliche und öffentliche Verantwortung, Begräbnis und Beerdigung des zurückgetretenen Bischofs von Rom.

Diese neu eingerichtete internet-Plattform ist deshalb der virtuelle Ort eines bis dahin von den Kirchenrechtlern nie erlebten gelehrten Dialogs, - ohne Filter und mit bemerkenswerten Möglichkeiten zur Interaktion- so daß das Gelehrten-Forum im web hoffentlich blüht- als eine Art digitalisierter Runder Tisch- ohne subjektive Ausschlüsse oder Begrenzungen jeder Art, außer jener, die offensichtlich der Bewahrung der Ruhe und der gelehrten Dialektik zuzuordnen sind. Auf dieser Multimedia-Plattform -fast eine digitale "Agora" - kann jeder Jurist und ebenso jeder Theologe oder Historiker seinen eigenen Gedankenbeitrag leisten- ob dadurch, daß er es unterzeichnet und der ganzen Gelehrtengemeinde sichtbar macht, oder indem er seine Überlegungen dem Herausgeber-Team anonym zuschickt, die es prüfen und dem Schreiber ein feedback geben werden. Jeder kann zusätzlich zu den Gliederungen und Kommentaren, die nach und nach den Projekten hinzugefügt werden, auch weiterführende Stellungnahmen, Dossiers, Dokumentationen verschiedener Art, Bibliographien etc. hochladen.

Am Ende dieser Gemeinschaftsarbeit werden die Projekte dem obersten Gesetzgeber präsentiert, damit er -wie er möchte- davon Gebrauch machen kann: Er ist dafür verantwortlich, den authentischen lateinischen Text zu liefern, damit er promulgiert wird, wobei er sich auch hier nicht nur der Hilfe der Latinisten sondern auch der Kanonisten bedient, die nicht umhin können, sich zum technischen Entwurf der Normen im juristischen Latein zu äußern, der ja den Versionen in den Nationalsprachen zwangsläufig zugrunde liegt.

Hier ist die Adresse der Plattform:

> www.progettocanonicosederomana.com

Das Kirchenrecht stellt deshalb sein Wissen und seine Fähigkeiten in den Dienst des Stellvertreters Christi und mit ihm der Kirche und des Volkes Gottes und fördert gleichzeitig die Verwirklichung der "Synodalität“ in der Ausübung der Gesetzgebung, mit breiter Mitwirkung bei der Normenfindung, um das beste Ergebnis zu erzielen. 

Das war so auch in den Anfängen der Rechtswissenschaft zu Beginn des Jahres 1000: in einer Zeit großen Überschwangs, in der insbesondere Juristen und Gesetzgeber-Päpste, nicht selten Studenten oder Dozenten der Universität Bologna-die sehr stark miteinander verbunden waren. Gratian war hier der wegweisende Initiator einer aus methodischer Sicht ausgesprochen innovativen Schule, die in den folgenden Jahrhunderten einen beachtlichen Beitrag zum Aufbau der kirchlichen Rechtsarchitektur leistete und auf die fruchtbare Allianz zwischen den Herausforderungen einer neuen Zeit prompt reagierte „auctoritas“, gesetzgebende Gewalt und "Ratio“, Doktrin.

Heute würden wir uns gern wieder mit dieser außerordentlichen Erfahrung verbinden- und die alte Wurzel mit den durch die Kommunikationstechnologie vorgeschobenen Grenzen kombinieren, um für die Ausarbeitung von Gesetzen zum Teilen und zur Synodalität zu ermutigen. Das ist der besondere Beitrag, den das Kanonische Recht zu Beginn des 3. Jahrtausends anbieten könnte: noch einmal und mit beispiellosen Mitteln eine tragende Rolle zu übernehmen - mit dem Ziel, eine Lösung für die heutigen Probleme zu finden- gemäß der wahren Berufung des Rechtes. "

Quelle: S.Magister, Settimo Cielo, Prof. G.Boni

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