Sonntag, 14. November 2021

Brief eines Dominikaners an den Papst, Fortsetzung

Fortsetzung von hier und hier

2. Nominalismus

"Während der Hegelianismus das Verständnis von Geschichte betrifft, beeinflußt der
Nominalismus das Verständnis von Einheit. Der Nominalismus geht davon aus, daß
äußerliche Einheitlichkeit (durch eine administrative Entscheidung von oben)
gleichbedeutend ist mit tatsächlicher Einheit. Das kommt daher, daß der Nominalismus
geistige Einheit zugunsten der Schaffung von Einheit durch Vorgaben und Maßstäbe
aufgibt. Sie, Heiliger Vater, schreiben: "Um die Einheit des Leibes Christi zu verteidigen, bin
ich gezwungen, die von meinen Vorgängern zugestandenen Erlaubnisse zurückzuziehen“.
Aber um dieses Ziel zu erreichen, haben Ihre Vorgänger mit guten Gründen die
entgegengesetzte Entscheidung getroffen. 
Wenn man versteht, daß wahre Einheit eine geistige und eine innere Komponente hat und sich 
insoweit von bloßer äußerer Einheit unterscheidet, dann wird man Einheit nicht nur in der 
Uniformität der äußeren Erscheinungsuchen. Damit erreichen wir keine wirkliche Einheit, sondern 
bloß Verarmung und das Gegenteil von Einheit: Spaltung.
Einheit entsteht nicht aus dem Entzug von Erlaubnissen, der Zurücknahme von
Genehmigungen und der Auferlegung von Beschränkungen. Bevor König Rehoboam von
Juda entschied, wie er in Sachen der Israeliten vorgehen sollte, die ihn um eine
Erleichterung ihrer Lage gebeten hatten, befragte er zwei Gruppen von Ratgebern. Die
älteren empfahlen Milde und eine Verminderung der Lasten des Volkes – Alter steht in der
Heiligen Schrift oft für Reife. Die Jüngeren aus der gleichen Generation wie der König
empfahlen eine strenge Antwort und die Vermehrung der Lasten – Jugend steht in der
Heiligen Schrift oft für Unreife. Der König folgte dem Rat der Jungen. Doch damit war die
Einheit zwischen Juda und Israel nicht zu erreichen. Im Gegenteil: damit begann die
Spaltung des Landes in zwei Königreiche (Könige 12). Unser Herr heilte diese Spaltung
durch Milde, denn er wußte, daß der Mangel an dieser Tugend die spaltung verursacht
hatte.
Vor Pfingsten beurteilten die Apostel Einheit nach äußeren Kriterien. Der Erlöser selbst hat
dieses Verhalten berichtigt. Als der Hl. Johannes ihm sagte: „Meister, wir haben gesehen,
wie ein Mann in Deinem Namen böse Geister austrieb, haben wir das nicht zugelassen,
weil er keiner von uns war“ antwortete er: „Laßt ihn gewähren, denn wer nicht gegen euch
ist, ist mit euch“. (Lk 9, 49-50, vergl. Mt 9, 38-41). Heiliger Vater, Sie hatten viele
hunderttausend Gläubige, die nicht „gegen Sie waren“. Und Sie haben so viel getan, um
ihnen das Leben schwer zu machen! Wäre es nicht besser gewesen, den Worten des
Erlösers entsprechend eine tiefere, geistige Grundlegung von Einheit anzuzeigen?
Hegelianismus und Nominalismus sind oft Verbündete, weil das materialistische
Verständnis von Geschichte zu der Überzeugung führt, daß jedes Stadium zu einem
unwiderruflichen Ende kommt.

3) Glaube an die Unfehlbarkeit des Papstes. Als Papst Benedikt XVI größere Freiheiten für den Gebrauch der klassischen Form der Liturgie gewährte, bezog er sich auf eine jahrhundertealten Brauch und Usus. Das ergab eine solide Basis für seinen Entschluss. Die Entscheidung Eurer Heiligkeit basiert auf keiner solcher Grundlage. Heiliger Vater, sie hebt etwas auf, das schon sehr lange existiert und überdauert hat. Heiliger Vater, Sie schreiben, daß Sie in den Entscheidungen des Hl. Pius V Unterstützung finden, aber der hat Kriterien angewandt, die genau das Gegenteil Ihrer eigenen sind. Was Jahrhunderte bestanden hat und Bestand hatte, sollte seiner Meinung nach weiter bestehen, nur das Neue sollte abgeschafft werden...Die einzige Grundlage für Ihre Entscheidung ist daher der Wille einer Person, die mit päpstlicher Autorität ausgestattet ist. Kann diese Autorität- wie groß sie auch sein mag- leugnen, daß die alten liturgischen Bräuche Ausdruck der lex orandi der Römischen Kirche sind?


Der Hl. Thomas von Aquin stellt sich die Frage, ob Gott bewirken kann, daß etwas, das einmal existiert hat, nie existiert hat? Die Antwort ist nein, denn Widerspruch gehört nicht zu Gottes Allmacht. (Summa Theologiae, S.1, 25, Art.4). So kann auch die päpstliche Autorität nicht bewirken, daß traditionelle Rituale, die jahrhundertelang den Glauben der Kirche (lex credendi) ausgedrückt haben, eines Tages plötzlich nicht mehr das Gesetz des Betens der selben Kirche (lex orandi) zum Ausdruck bringen. Der Papst kann Entscheidungen treffen, aber keine, die eine Einheit verletzen, die sich -weit über die Dauer des Pontifikates hinaus- auf Vergangenheit und Zukunft erstrecken. Der Papst steht im Dienst der Einheit, die größer ist als seine Autorität. Das ist eine von Gott gegebene Einheit- nicht menschlichen Ursprungs. Daher hat diese Einheit Vorrang vor der Autorität und nicht die Autorität vor der Einheit. 

4) Kollektive Verantwortung. Wenn Sie auf die Motive Ihrer Entscheidung hinweisen, Hl. Vatererheben Sie diverse und schwere Vorwürfe gegen jene, die die von Papst Benedikt XVI gewährten Möglichkeiten nutzen. Es wird aber nicht erklärt, wer diesen Mißbrauch begeht, oder wo und wie viele. Da sind nur die Worte "oft" und "viele". Wir wissen nicht einmal, ob das eine Mehrheit ist. Wahrscheinlich nicht. Obwohl keine Mehrheit- sind alle jene, die die oben erwähnten Möglichkeiten nutzen, dennoch durch eine drakonische Sanktion betroffen. Sie sind- entweder sofort oder in einer nicht näher bezeichneten Zukunft ihres spirituellen Weges beraubt worden. Es gibt sicher Leute, die Messer mißbrauchen. Sollte deshalb die Produktion und Verbreitung von Messern verboten werden? Ihre Entscheidung, Hl. Vater, ist weitaus schmerzlicher als es die hypothetische Absurdität eines universalen Verbots der Herstellung von Messern wäre. 

Hl. Vater warum tun Sie das? Warum haben Sie die heilige Praxis der antiken Form, das Allerheiligste Opfer unseres Herrn zu zelebrieren, angegriffen?  Die Mißbräuche bei anderen Formen, obwohl weit verbreitet oder universal, führen zu nichts als Worten, die nicht über allgemeine Begriffe hinausgehen. Aber wie kann man mit Autorität lehren, daß "das Verschwinden einer Kultur genau so schwerwiegend, oder sogar noch schwerwiegender ist, als das Verschwinden einer Pflanzen-oder Tierart. "(Laudato Si` 145) und dann einige Jahre später- in einem einzigen Schritt- beschließen, daß große Teile des eigenen spirituellen und kulturellen Erbes der Kirche ausgelöscht werden muß? Warum gelten die Regeln der von Ihnen formulierten "tiefen Ökologie" in diesem Fall nicht? Warum haben Sie nicht stattdessen gefragt, ob die ständig wachsende Zahl der Gläubigen, die die traditionelle Liturgie besuchen, ein Zeichen des Hl. Geistes sein könnte? Sie haben den Rat von Gamaliel (APG..5) nicht befolgt. Stattdessen schlagen Sie sie mit einem Bann, für den es nicht einmal eine vacatio legis gibt.

Gott der Herr, Modell für die irdischen Herrscher- und vor allem- für Kirchenautoritäten- benutzt seine Macht nicht auf diese Weise. Die Hl. Schrift spricht so zu Gott: "Deine Stärke ist ja Grund für Deine Gerechtigkeit und der Umstand, daß Du alles beherrscht, gestattet Dir, alles zu schonen. Stärke zeigst Du nur, wenn man an die Machtfülle nicht glaubt, und Du bestrafst den Trotz bei denen, die sie kennen. Obgleich Du über Stärke verfügst, richtest  Du mit Milde und leitest uns mit großer Nachsicht, denn die Macht steht Dir zur Verfügung sobald Du willst."  (Wis 12, 16-18). 

Wahre Macht muß sich nicht selbst durch Härte beweisen. Und Härte ist keine Eigenschaft der Autorität, die dem göttlichen Beispiel folgt. Unser Erlöser selbst hat uns eine genaue und verläßliche Lehre dazu hinterlassen (Mt. 20, 24-28) . Nicht nur ist- sozusagen.- den Leuten der Teppich unter den Füßen weggezogen worden, die auf Gott zugehen; es ist der Versuch gemacht worden, sie des Bodens, auf dem sie gehen, zu berauben. Dieser Versuch wird nicht gelingen. Nichts, das im Konflikt zum Katholizismus steht, wird in Gottes Kirche akzeptiert werden. 

Hl. Vater, es ist unmöglich, 12 Jahre lang den den Grund unter den eigenen Füßen zu erleben und plötzlich festzustellen. daß er nicht mehr da ist. Es ist unmöglich, zu beschließen, daß meine eigene- nach vielen Jahren wiedergefundene Mutter- nicht meine Mutter ist! Die päpstliche Autorität ist sehr groß. Aber selbst sie kann nicht bewirken, daß meine Mutter aufhört, meine Mutter zu sein. Ein einziges Leben kann keine zwei sich gegenseitig ausschließende Rupturen ertragen, von denen die eine einen Schatz öffnet, während die andere, behauptet, daß dieser Schatz liegen gelassen werden muß, weil er seinen Wert verloren hat. Wenn ich solche Widersprüche akzeptieren müßte, hätte ich keinerlei intellektuelles Leben mehr und deshalb auch kein spirituelles Leben. Bei zwei sich widersprechenden Statements kann man befehlen, jede Behauptung-  wahr oder falsch- zu befolgen. Das bedeutet das Ende des rationalen Denkens, das Ende jeder Wahrnehmnung von Realität, das Ende einer effektiven Kommunikation von irgendwas zu irgendwem. Aber alle diese Dinge sind Grundkomponenten des menschlichen Lebens im Allgemeinen und des dominikanischen im Speziellen.

Ich habe keine Zweifel bzgl. meiner Berufung. Ich bin fest entschlossen, mein Leben und meinen Dienst innerhalb des Dominikanerordens fortzuführen. Aber um das zu tun. muß ich in der Lage sein, vernünftig und logisch zu argumentieren. Nach dem 16. Juli 2021 ist das für mich innerhalb der bestehenden Strukturen nicht mehr möglich. Ich sehe vollkommen klar, daß der Schatz der Hl. Riten der Kirche, der Grund unter den Füßen jener, die sie praktizieren und die Mutter ihrer Frömmigkeit, weiterhin existiert. Mir ist ebenso klar geworden, daß ich Zeugnis dafür ablegen muß.

Mir ist jetzt keine andere Möglichkeit geblieben, als mich an jene zu wenden, die ganz am Anfang der radikalen Veränderungen (Veränderungen- lassen Sie mich das feststellen- die weit über den Willen des II. Vaticanischen Konzils hinausgehen) die Tradition der Kirche- zusammen mit dem Respekt der Kirche vor den Erfordernissen der Vernunft -verteidigt haben und die fortfahren, das unveränderliche Erbe des Katholischen Glaubens den Gläubigen weiterzugeben: der Priesterbruderschaft des Hl. Pius X. Die FSSPX hat ihre Bereitschaft gezeigt, mich anzunehmen-und meine Dominikanische Identität zu akzeptieren. Sie ermöglicht mir nicht nur ein Leben des Dienstes an Gott und der Kirche, einen Dienst, der nicht durch Widersprüche behindert wird, sondern auch die Gelegenheit, jenen Widersprüchen entgegen zu treten, die ein Feind der Wahrheit sind und die die Kirche so kräftig angegriffen haben. 

Es gibt eine Kontroverse zwischen der FSSPX und den offiziellen Strukutren der Kirche. Das ist ein innerer Streit innerhalb der Kirche und betrifft Angelegenheiten von großer Wichtigkeit. Die Dokumente und Entscheidungen des 16. Juli haben dazu geführt, daß mein Standpunkt in diesem Thema mit dem der FSSPX konvergiert. Wie im Fall irgendeines wichtigen Streites, muß auch dieser entschieden werden. Ich bin entschlossen, dem meine Bemühungen zu widmen, Ich betrachte diesen Brief als Teil dieser Bemühung. Die Mittel, die ich benutze, können nur demütiger Respekt für die Wahrheit und Sanftheit sein, die beide einer übernatürlichen Quelle entspringen, Dann können wir auf die Beeindigung der Kontroverse und die Wiederherstellung der Einheit hoffen, die nicht nur die jetzt Lebenden umfaßt sondern auch alle Generationen- sowohl frühere als auch zukünftige.

Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit, die Sie meinen Worten gewidmet haben und bitte Sie, Allerheiligster Vater, um Ihren Apostolischen Segen.

In kindlicher Ehrerbietung ín Christus"

Fr, Wojciech Gołaski, O.P.

Quelle: Fr.W. Golaski, Rorate Caeli

 

1 Kommentar:

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