Montag, 8. November 2021

Der Papst und die Rechtstaatlichkeit

In seiner heutigen Kolumne kommentiert A. Gagliarducci in Monday in the Vatican die gesetzgebenden Aktivitäten von Papst Franziskus und seinen Umgang mit den beratenden Körperschaften des Hl. Stuhls.
Hier geht´s zum Original:  klicken

"PAPST FRANZISKUS, DIENEN (VERBORGENE) MITTEL DEM ZWECK?"

Es ist nicht einfach auf den ersten Blick, Papst Franziskus mit den gegenwärtigen legislativen Aktivitäten zusammen zu bringen. Seit Beginn seines Pontifikates hat der Papst das Image eines Papstes der Gesten. der ein gute Beispiel geben will und die Kirche aus ihren institutionellen Mauern heraus und an die Peripherie bringen will. Eine missionarische Kirche- die hinausgeht, wie Papst Franziskus zu sagen liebt. Eine Kirche im Zustand einer dauernden Synode, mit denen, die der Papst "Staatskleriker" nennt. 

Papst Franziskus hat selbst dazu beigetragen, dieses Image zu aufzubauen- mit großer Sorgfalt und Aufmerksamkeit für sein Bild in der Öffentlichkeit und öffentliche Äußerungen. Auf eine spezifische Frage antwortet der Papst nie mit ja oder nein. Stattdessen fordert er Differenzierung und eine pastorale Antwort, ohne zu definieren, wie vorzugehen ist- das letzte Beispiel ist die Frage der Kommunion für abtreibungsbefürwortende Politiker. Deshalb betont der Papst immer eine angebliche Kontinuität seiner Entscheidungen, ohne je wirklich Verantwortung zu übernehmen. 

Eine weitergehende Analyse, die über das hinausgeht, zeigt eine ganz andere Realität. Papst Franziskus trifft Entscheidungen persönlich, und umgeht fast immer die Körperschaften, die ihm bei der Gesetzgebung helfen sollen- in vielen Fällen durch nach Audienzen (die berühmten Reskripte)  formal handgeschriebene Dokumente und in anderen Fällen, indem er erste Gesetzentwürfe durch ein motu proprio anpaßt. 

In der Praxis nutzt Papst Franziskus seine ganze Macht als absoluter Monarch, um die Reformen, die er machen will, durchzusetzen, ohne die Beratunge oder die nötige Harmonisierung mit dem Kodex des Kanonischen Rechts abzuwarten. 

Um die Bedeutung dieser Entscheidung zu verstehen, muß man auch verstehen, wie der Hl. Stuhl immer gearbeitet hat. Der Papst ist ein absoluter Monarch, der Gesetze erlassen oder kassieren kann, wie es ihm beliebt. Ein altes Römisches Sprichwort erklärt das ironisch: "Der Papst erläßt die Bulle und der Papst kann die Bulle widerrufen" ("Il Papa bolla e il Papa sbolla")


Aber -obwohl er ein absoluter Monarch ist-, hat der Papst sich immer selbst als denjenigen wahrgenommen, der Einheit in die Kirche bringen muß. Seine Gesetze sind nicht seine Gesetze, aber sie sind Zusätze zu Gottes Gesetzen. Deshalb wurde die Kurie immer als die Körperschaft des Papstes wahrgenommen, als der Arm, der ihm hilft, Entscheidungen zu treffen, nicht als etwas Selbständiges. 

Aus diesem Grund haben die Päpste nie allein Gesetze gemacht. Obwohl sie die Macht hatten, das zu tun und obwohl es in der Geschichte Fälle absoluter Monarchen gab, haben die Päpste immer versucht, auf kollegiale Weise zu handeln. Im Mittelalter wurden wöchentlich drei Konsistorien einberufen, die nicht nur die  Gesetze betrafen sondern auch die Verwaltung des Staates.Das Sant´ Uffizio wurde nicht nur eingerichtet, um Häresien zu kontrollieren, sondern eher, um eine harmonische Entwicklung der Glaubensdoktrin zu gewährleisten. Und jeder legislative Text mußte sorgfältig abgewogen werden- gegenüber der Bewahrung der Kontinuität mit dem Kanonischen Recht, seiner normativen Hauptquelle. 

Nicht überraschend entsteht Kanonisches Recht aus dem Werk Gratians, der alle Gesetzesquellen harmonisiert und klassifiziert hat und aus ihnen einen einzigen und harmonischen Corpus gemacht hat. Kurz gesagt, es gibt die Tendenz zur Einheit, die die Päpste und ihre Reden ignoriert, was irgendwie das System der absoluten Monarchie überwindet. Diese Tendenz zur Einheit ist auch im Päpstlichen Rat für Legislative Texte zu finden, der von Paul VI eingerichtet wurde, mit der Aufgabe de facto die Übereinstimmung jedes Kirchengesetz mit dem Corpus des Kanonischen Rechts festzustellen und zu harmonisieren.  

Papst Franziskus hat mit dieser Tradition etwas gebrochen, weil er extremen Gebrauch von seinen legislativen Vorrechten macht. Das wird im Buch "Finis Terrae für das Kanonische Recht?" festgestellt, das durch eine Besprechung des langjährigen Vatican-Experten Sandro Magister in die Schlagzeilen kam. 

Im Text wird festgestellt, daß Papst Franziskus viele Entscheidungen (fast alle) getroffen hat, indem er einfach den Päpstlichen Rat für legislative Texte übergangen und mit nachfolgenden Korrekturen  weitergemacht hat und innerhalb des Hl. Stuhls eine problematische Situation erzeugt hat, genau weil es eine Rechtsunsicherheit gibt.

Zuerst wurden viele Korrekturen im vaticanischen Staatssekretariat ausgeführt, das versuchte ausgleichend zu wirken. 

Der jüngste und verblüffendste Fall betrifft den Vatican-Prozess zum Management des Staatssekretariat. Der Papst hat mit vier Reskripten in den Prozess eingegriffen und ist so weit gegangen, einige prozedurale Garantien aufzuheben.  Am Ende mußte er einige Entgscheidungen zurücknehmen, mußten die Untersuchungen neu beginnen, aber die Tatsache bleibt, daß die Rechtsstaatlichkeit in Anführungszeichen gesetzt wurde. 

Sind die Entscheidungen von Papst Franziskus nicht nur mit dem kanonischen  Recht vereinbar und transparent sondern auch mit der Soziallehre der Kirche? In einigen Fällen scheint die Antwort nein zu sein. Aber das scheint so, weil es keine Möglichkeit zu weiteren Analysen gibt. Die legislativen Aktivitäten sind zu schnell und die beratende Aktivität zu gering.

Papst Franziskus nutz alle Möglichkeiten aus, die ihm zur Verfügung stehem, um den Vatcian dahin zhu bringen, wo er seiner Meinung nach sein sollte. Und der Hl. Stuhl- vom speziellen Gesichtspunkt aus- versucht die Transparenz der Kommunikation aufrecdht zhu halten und garantiert den Journalisten Zugang zu den Vorgängen und diversen Aktivitäten des Papstes. Aber viele andere Entscheidungen, selbst wichtige, werden direkt vom Kardinalsrat kommuniziert, -ohne Erklärung, ohne Pressekonferenz, bei der man Fragen stellen kann-  von der Kurienreform zum Budget des IOR und vor kurzem zum Jahresbericht der Finanzaufsicht- und so ein Narrativ geschaffen, das keine Vertiefung zuläßt.

Außer dem Protest der Medien (zuletzt gegen die Absage der Live-Übertragung des Besuchs von Präsident Biden), gibt es keine katholischen Intellektuellen, die einen starken Standpunkt eingenommen haben. und so läuft jeder Bericht über die Situation, der nicht  auf diese Problematik eingeht, Gefahr, sie zu legitimieren. Keine Story kann diese Tatsache ignorieren: der Papst nutzt alle Vorrecht eines Papst-Königs, bringt dadurch aber den Hl. Stuhl in Gefahr.  Auch wenn er Entscheidungen in gutem Glauben trifft, hat er problematische Situationen geschaffen und- soweit die Staatsrechtlichkeit betroffen ist- in manchen Fällen inakzeptable. Und das ist der für jede Analyse notwendige Ausgangspunkt. 

Quelle: A. Gagliarducci, Monday in the Vatican

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