Montag, 13. April 2015

Völkermord an den Armeniern

Stefano Magni schreibt bei la Nuova Bussola Quotidiana zu der gestrigen Hl. Messe am Barmherzigkeitssonntag, die Papst Franziskus zusammen mit dem armenischen Episkopat zum Gedenken an die Opfer des Völkermordes an den Armeniern in Sankt Peter feierte und gibt eine historische Zusammenfassung der Ereignisse  von 1915.
Hier geht´s zum Original: klicken

"VÖLKERMORD AN DEN ARMENIERN, GEDENKEN AN DAS BÖSE UND DIE BARMHERZIGKEIT"

"Am 12. April begehen wir den Barmherzigkeitssonntag. Papst Franziskus bereitet sich darauf vor, die Messe in Sankt Peter zusamen mit den armenischen Katholiken zu feiern. Warum gerade mit den Armeniern? Weil in diesen April 2015 der 100. Jahrestag des Völkermordes fällt, dessen Opfer sie im I. Weltkrieg durch das Osmanische Reich wurden.
Das offizielle Gedenken an den Völkermord- den die Armenier "Metz Yeghern" nennen, das "große Böse"- findet am kommenden 24. April statt. Die Messe in Sankt Peter geht dem also 14  Tage voraus. Das ist keine zufällige Wahl: der Papst, der das Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen hat, will an das große Übel des 20. Jahrhunderts, den Völkermord, erinnern, um die Barmherzigkeit für die Vergangenheit und Gegenwart anzurufen..
"Wir werden die Göttliche Barmherzigkeit anrufen, daß sie uns allen helfe, in der Liebe zur Wahrheit und Gerechtigkeit, jede Wunde zu heilen und konkrete Gesten zur Versöhnung und zum Frieden unter den Völkern zu beschleunigen, denen es bis heute noch nicht gelungen ist, zu einer vernünftigen gemeinsamen Lesart der traurigen Ereignisse zu kommen."
"Es ist wichtig"-fuhr der Papst fort-"von Gott die Weisheit des Herzens zu erbitten: die Erinnerung an die Opfer von vor 100 Jahren stellt uns in der Tat vor das Dunkel des Mysterium Iniquitatis. Man versteht es nur dadurch."
Das Böse, das das Ziel hat, ein ganzes Volk auszulöschen.
"Wie das Evangelium sagt: Im Inneren seines Herzens kann der Mensch sich an die dunkelsten Mächte binden, fähig Programme zur systematischen Auslöschung des Bruders zu erdenken, ihn als Feind zu betrachten, als Individuum ohne Menschenwürde. Aber für den Gläubigen führt die Frage nach dem vom Menschen begangenen  Bösen auch zur Teilnahme an der erlösenden Passion."

Der Genozid von 1915 an den Armeniern ist eine Geschichtsepisode, die in Italien und der westlichen Welt -außerhalb der armenischen Diaspora -noch relativ unbekannt ist. Ihr ideologischer Grund ist unter Historikern noch Gegenstand von Diskussionen. Der Kontext, in dem er geschah, ist bekannt : das Osmanische Reich hatte im November 1914 den Ländern der Entente (Groß-Britannien, Frankreich, Serbien und Russland) den Krieg erklärt und trat an der Seite Deutschlands und Österreich-Ungarns in den I. Weltkrieg ein.




Der Beschluss, die armenische Minderheit, die größte und einflussreiche Minderheit des Reiches- die vor allem in den Regionen östlich von Anatolien beheimatet war, auszulöschen, wurde im Februar 1915 gefaßt.
Beschleunigt und bestärkt wurde dieser Konflikt durch die Niederlage der Osmanen gegen die Russen  in der Schlacht von Sarikamish im Kaukasus.
Die türkischen Kräfte, die Jungtürken (Militärs, Nationalisten, Bewunderer Mazzinis, an die Macht gekommen, um das Imperium zu modernisieren und paradoxerweise zu befreien) befürchteten, daß die Armenier sich mit den Russen vereinigen und das Osmanische Reich an seiner Flanke angreifen könnten.
Man weiß noch nicht, ob der Plan die Armenier auszurotten- oder die militärische "Notwendigkeit" zuerst aufkamen und ob der militärische Grund der wahre Grund war, oder nur der Vorwand, um einen seit Jahrzehnten vorbereiteten Plan zu realisieren.

Die armenische Gemeinde in der Türkei hatte bereits andere schwere Massaker erlitten, besondes 1894 bis 1896, also bevor die Jungtürken an die Macht gelangten. Aber diese Massaker erreichten nie- wie jenes von 1915- die Ebene einer Systematik und einer solchen Größe - der eines wirklichen Völkermordes.
Das "Große Böse" war also ein Endpunkt, zu diesem Zeitpunkt einzigartig in der Geschichte und gab das negative Beispiel für alle folgenden großen Vernichtungsaktionen des 20. Jahrhunderts ab.
Hitler selbst zitierte es-am Vorabend der Shoah- mit finsterer Ironie: "Wer erinnert sich heute noch an das Schicksal der Armenier?"
Die Massaker von 1894-96 waren einfach religiöser Natur: Der staatliche Islam ermutigte  und tolerierte das Progrom an einer christlichen Minderheit. Der Genozid von 1915 war sowohl nationalistisch als auch islamisch motiviert.
Bevor er begann- 1914- erklärte des Osmanische Reich offiziell den "Heiligen Krieg". Sofort nach dieser Proklamation des Djihads begannen sich paramilitärische Einheiten zu bilden, die zur Auslöschung entschlossen waren. Von diesem Standpunkt aus sind der Djihad und der Armenier-Genozid von Muslimen gegen Christen geführt- eng miteinander verbunden.
AA+A++


1915, marcia della morte


Aber die Jungtürken gingen in ihrer mörderischen Wut noch einen Schritt weiter: die ethnische Säuberung der Türkei, um eine homogene Nation zu schaffen.
Bei den Massakern von 1894-96 konnte die Zahlung einer Unterwerfungssteuer, die Konversion zum Islam oder die Korruption lokaler Funktionäre noch Leben retten. Während des Völkermordes 1915 führte die reine Zugehörigkeit zur armenischen "Rasse" zur physischen Vernichtung, unabhängig von der Religion. Und man erinnert sich, daß andere Muslime des Reiches, die gegen die osmanische Autorität rebellierten, wie die Araber von Aleppo und Syrien, dabei halfen, viele Verfolgte zu retten.
Von diesem Gesichtspunkt aus kann man das "Große Böse" als atheistischen Völkermoird betrachten, wie auch die armenische Schriftstellerin Antonia Arslan in ihrem Roman "La Masseria delle Allodole" schreibt, in dem eine der Personen eine Vorahnung von einem "leeren Himmel, ohne Gott" hat-wenige Tage vor der Ausrottung.

Der Genozid begann bereits im Februar 1915-mit einer Übung. Die einberufenen Armenier wurden von ihren Abteilungen isoliert und erschossen. Auf diese Weise versuchten die Osmanen, die Armenier jeder Verteidigungsmöglichkeit zu berauben, indem sie alle waffenfähigen Männer eliminierten. Glücklicherweise für die Verfolgten gelang es genügend bewaffneten Männern, vor diesem ersten Massaker zu fliehen und Widerstandnester im östlichen Anatolien zu bilden.
Am 24. April 1915 wurden in Konstantinopel (Istanbul) alle Exponenten der intellektuellen und der politischen Klasse der Armenier verhaftet, deportiert und ermordet. Und am 24. April, dem Tag an dem die Türken die Erinnerung an ein ganzes Volk auslöschen wollten, indem sie alle seine gewichtigen Geister ermordeten, ist der Tag, an dem die offizielle Feier der Erinnerung an das Metz Yeghern stattfindet.
Am Morgen des 24. Aprils begann der wahre und eigentliche Völkermord: ganze Dörfer, Frauen, Kinder, Alte wurden gezwungen, Hunderte von Kilometern zu marschieren, willkürlich getötet, oder von den Kurden (damals die schlimmsten Kollaborateure beim Völkermord) zum Tod in den Bergen verurteilt, oder in den Konzentrationslagern in Syrien dem vorsätzlichen Hungertod ausgeliefert.

Die Jungtürken hatten es eilig: die Kräfte der Entente waren am 25. April auf der Halbinsel Gallipoli gelandet und hätten das Osmanische Reich in wenigen Monaten besiegen können. Die Intensität des Mordens nahm mit den Kämpfen um Gallipoli zu. Die Entente verlor diese Schlacht (auch wenn sie den Krieg drei Jahre später gewann) und die Osmanen konnten so ihren Genozid vollenden.
Nur einige Nester verzweifelten Widerstandes -wie jenes von Mussa Dagh- konnten Dank der Intervention der französischen Marine evakuiert werden. Auch der Nordosten Anatoliens wurde durch die russische Invasion von 1915 -16 gerettet, Es gelang auch vielen, sich nach Aleppo zu retten, wo sich- bis nach einem Jahrhundert die neuen Djihadisten kamen-, eine große, dem Genozid entkommene Gemeinde bildete.
Im Rest des osmanischen Gebietes war es für die Armenier unmöglich, die Verfolgung zu überleben. Es wurden um die 1,4 Millionen Tote.

                              1916, fossa comune scoperta dai russi

Der Papst erinnert besonders an das Beispiel von Aleppo: "Ich denke voller Traurigkeit besonders an diese Zonen, wie Aleppo- die Stadt der Märtyrer- die über 100 Jahre für die wenigen Überlebenden ein sicherer Landeplatz waren. Solche Regionen, die in letzter Zeit das Bleiben der Christen in Gefahr sehen"- bekräftigte der Hl. Vater. 
Diese Gebiete liegen jetzt im Schussfeld der Mörsergranaten der Djihadisten, erst der Al-Nusrah-Front und jetzt der ISIS.
Die armenischen Christen dieser Region sind in Gefahr, das Schicksal ihrer Vorfahren zu erleiden, wie uns bereits vor 2 Jahren Antonia Arslan erklärte. Von daher die Anrufung der göttlichen Barmherzigkeit.
Aber auch- wie wir vermutlich in der Predigt am 12. April hören werden- die Anrufung internationaler Hilfe in der Ausübung jener "Verantwortung zu schützen" die im internationalen Recht festgelegt ist, mehr als in der Doktrin der Kirche.
Während des Genozids 1915 konnte die internationale Intervention das Morden an diesen 1,5 Millionen von den Türken ausgerotteten Armeniern nicht aufhalten, rettete aber anderen Hunderttausenden das Leben.
Konkret taten nicht nur die bereits zitierten Franzosen und Russen etwas im östlichen Anatolien, sondern auch die deutsch-österreichischen Verbündeten des Osmanischen Reiches bemühten sich über diplomatische Kanäle, soviele Menschen zu retten, wie möglich. Die Österreicher und Deutschen mühten sich, die Wiederholung bei anderen Genoziden zu verhindern- sie verboten den Jungtürken die jüdische Bevölkerung Palästinas auszurotten, als die Engländer 1916-1917 dort landeten und verboten ihnen, die griechische Bevölkerung der Ägäisküste 1917-18 zu töten, nach dem Kriegseintritt Griechenlands an der Seite der Entente (die Griechen erlitten ein anderes Massaker durch die Hand der Türken- Jahre nach Ende des Krieges, als internationale Interventionen unmöglich waren)

Die post-osmanische Türkei- von ihren Anfängen bis jetzt- hat immer versucht, die Erinnerung an den Genozid zu tilgen.
Es ist ein Negationismus am Werk, der jeden schwer bestraft, der daran erinnert. In der Türkei wird die Feier von Metz Yeghern durch die Feier des Sieges von Gallipoli (genau der osmanische Sieg, der die Vollendung des Völkermordes ermöglichte) übertrumpft, am kommenden 25. April auf Anordnung von Recep Tayyip Erdogan: die türkische Regierung versucht auf diese Weise, die Staatsoberhäupter aus aller Welt in die Türkei zu bringen, um zu verhindern, daß sie sich einen Tag vorher in Armenien treffen. Indem man die Erinnerung tilgt, versucht man, sich von der Schuld reinzuwaschen und die Verantwortlichkeit nicht zuzugeben.

Aber- wie Papst Franziskus erinnert: man muß "sich an die Vergangenheit erinnern, um daraus Kraft für die Gegenwart mit der freudigen Verkündigung des Evangeliums und der Bezeugung der Barmherzigkeit zu ziehen."
Quelle: Stefano Magni. La Nuova Bussola Quotidiana



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen

Mit dem Posten eines Kommentars erteilen Sie die nach der DSGVO nötige Zustimmung, dass dieser, im Falle seiner Freischaltung, auf Dauer gespeichert und lesbar bleibt. Von der »Blogger« Software vorgegeben ist, dass Ihre E-Mail-Adresse, sofern Sie diese angeben, ebenfalls gespeichert wird. Daher stimmen Sie, sofern Sie Ihre email Adresse angeben, einer Speicherung zu. Gleiches gilt für eine Anmeldung als »Follower«. Sollten Sie nachträglich die Löschung eines Kommentars wünschen, können Sie dies, unter Angabe des Artikels und Inhalt des Kommentars, über die Kommentarfunktion erbitten. Ihr Kommentar wird dann so bald wie möglich gelöscht.