Freitag, 18. März 2016

Fortsetzung des Interviews von J. Servais mit dem Papa Emeritus, dritter und letzter Teil

Fortsetzung des Interviews, das Jacques Servais, SJ, im vergangenen Oktober mit Papst em. Benedikt XVI führte. Klicken
"Als Anselm sagte,  daß Christus am Kreuz sterben mußte, um die unendliche Beleidigung Gottes zu heilen und auf diese Weise die zerstörte Ordnung wieder herzustellen, bediente er sich einer Sprache, die der moderne Mensch schwer ertragen kann. Sich so auszudrücken, birgt die Gefahr mit sich, auf Gott ein Bild zu projizieren- eines Gottes, der ohne Nachsicht mit der Sünde des Menschen ist, mit Gefühlen von Gewalt und Aggression, vergleichbar mit dem, was wir an uns selbst erfahren können.
Wie ist es möglich, so von Gottes Gerechtigkeit zu sprechen, ohne die in den Gläubigen tief und fest verankerte Sicherheit, daß der Gott der Christen der "Gott reich an Gnaden" ist- zu unterminieren? Das Konzept des Heiligen Anselms  ist für uns jetzt unverständlich geworden. Es ist unsere Aufgabe, zu versuchen, die Wahrheit, die hinter dieser Ausdrucksweise verborgen liegt, wieder  zu verstehen.
Ich würde dafür 3 Gesichtspunkte anbieten:
a) der Kontrast zwischen dem Vater, der auf absolute Weise auf Gerechtigkeit besteht, und dem Sohn, der dem Vater gehorsam ist und den grausamen Forderungen der Gerechtigkeit gehorcht, ist heute nicht nur unverständlich sondern in sich selbst-vom Gesichtspunkt der trinitarischen Theologie-auch falsch. Der  Vater und der Sohn sind einer-und deshalb ist auch íhr Wille einer. Wenn der Sohn im Garten Gethsemane mit dem Willen des Vaters kämpft, geht es nicht darum, den grausamen Plan des Vaters für ihn selbst anzunehmen sondern eher darum, die Menschheit in den Willen Gottes mit hinein zu ziehen. Wir werden darauf später zurück kommen müssen- auf das Verhältnis der beiden Willen- des Vaters und des Sohnes. 
b) Warum also das Kreuz und Versöhnung? Irgendwie muß die Antwort auf diese Fragen in den Verdrehungen modernen Denkens, das wir  oben erwähnt haben, auf eine neue Weise formuliert werden. Stellen wir uns selbst vor diesen unglaublichen Berg von Bösem, Gewalt, Falschheit, Hass, Grausamkeit und Arroganz, die die ganze Welt anstecken und zerstören. Diese Masse an Bösem kann nicht einfach als nicht existent bezeichnet werden, nicht einmal durch Gott. Es muß gereinigt, überarbeitet und überwunden werden.
Das Alte Israel war überzeugt, daß das tägliche Opfer für die Sünden und darüber hinaus die große Liturgie des Versöhnungstages (Yom Kippur) als Gegengewicht gegen die Masse des Bösen in der Welt nötig waren, und daß nur durch eine solche Wiederherstellung des Gleichgewichts, die Welt, wie sie war, erträglich bliebe.
Als die Opfer aus  dem Tempel verschwanden, mußte man fragen, was man der größeren Macht des Bösen entgegensetzen konnte, wie man ein Gegengewicht finden könne.
Die Christen wußten, daß der zerstörte Tempel durch den auferstandenen Körper des gekreuzigten Herrn ersetzt worden war und in seiner radikalen und unermeßlichen Liebe ein Gegengewicht geschaffen worden war gegen die unermeßliche Präsenz des Bösen.
In der Tat wußten sie, daß die bis dahin dargebrachten Opfer nur als eine Geste des Verlangens nach einem genuinen Gegengewicht verstanden werden konnten.
Sie wußten auch, daß angesichts der exzessiven Macht des Bösen nur die unendliche Liebe genügte, nur eine unendliche Versöhnung.
Sie wußten, daß der gekreuzigte und auferstandene Christus eine Macht war, die die Macht des Bösen kontern konnte und die Welt retten. Und auf dieser Basis konnten sie sogar die Bedeutung ihres eigenen Leidens verstehen, als in die leidenden Liebe Christi eingebunden und Teil der erlösenden Kraft einer solchen Liebe war.Oben habe ich den Theologen zitiert, für den Gott für seine Sünden an der Welt leiden mußte. Jetzt - Dank seiner umgekehrten Perspektive - die folgende Wahrheiten auftauchen: Gott kann "es einfach nicht so lassen, wie es ist", die Masse des Bösen, die aus der Freiheit kommt, die er selbst garantiert. Nur Er, der kam um das Leiden der Welt zu teilen, kann die Welt erlösen

c) Auf dieser Basis, wird die Beziehung zwischen Vater und Sohn verständlicher. Ich werde dazu eine Passage aus dem Buch von Henri de Lubac  über Origenes, die ich für sehr klar halte, zitieren:"Der Erlöser kam in die Welt aus Leidenschaft für den Menschen. er nahm die Passion auf sich, schon bevor er gekreuzigt wurde, sogar bevor er herabstieg, um unser Fleisch anzunehmen: hätte er das nicht vorher erlebt, wäre er nicht gekommen, um unser menschliches Leben zu teilen, 
Aber was war dieses Leiden, das er im Voraus für uns erlitt? Es war die Passion der Liebe. Aber der Vater selbst, der Gott des Universums,- er der mit dem langen Leiden , Geduld,  Gnade und Mitleid überfließt, leidet er nicht auch auf gewisse Weise.
"Der Herr euer Gott hat eure Wege auf sich genommen als einer der seinen Sohn auf sich nimmt" (Deut. 1, 31) Gott hat so unsere Gebräuche übernommen als der Sohn unser Leiden auf sich nahm"
Der Vater ist nicht ohne Gefühl. Wenn er angerufen wird, kennt er Gnade und Mitleid. Her nimmt das Leiden aus der Liebe wahr."             

In einigen Teilen Deutschlands gab es eine sehr bewegende Verehrungform, die die Not Gottes bedenkt. Für meinen Teil läßt das vor meinen Augen das eindrucksvolle Bild des leidenden Vaters entstehen läßt, der als Vater innerlich das Leiden seines Sohnes teilt.
Auch das Bild des "Gnadenthrones" ist Teil dieser Verehrung: der Vater stützt das Kreuz und den Gekreuzigten, beugt sich liebend über ihn und die beiden sind zusammen am Kreuz. Und so nimmt man auf eine reine und große Weise wahr, was Gottes Barmherzigkeit bedeutet, was die Teilnahme Gottes am Leiden des Menschen bedeutet. Das ist keine Sache einer grausamen Gerechtigkeit, nicht eine Sache des väterlichen Fanatismus, sondern eher der Wahrheit und der Wirklichkeit der Schöpfung: das wahre innere Überwinden des Bösen, das letztendlich nur durch das Leiden der Liebe realisiert werden."


Servais:
"In den spirituellen Exerzitien benutzt Ignatius von Loyola nicht doe Rachebilder des Alten Testamentes- denen Paulus widerspricht. Nichtsdestoweniger lädt er uns ein, zu bedenken, wie der Mensch- bis zur Inkarnation, in die Hölle hinabstieg und das Beispiel der zahllosen anderen, die dort für viel weniger Sünden endeten, als ich begangen habe."
In diesem Geist lebte der Hl. Franziskus Xavier seine pastorale Arbeit, überzeugt er müsse versuchen, so viele Ungläubige wie möglich vor diesem schrecklichen Schicksal zu retten. Die Lehre hat diese Passage über das Gericht über die guten und Bösen im Konzil von Trient formalisiert, die Jansenisten haben sie später radikalisiert und sie wurde später auf abgeschwächte Weise in den Katechismus der Katholischen Kirche aufgenommen. Kann man sagen, daß es an diesem Punkt in den vergangenen Jahrzehnten eine Art Entwicklung des Dogmas gab, die der Katechismus definitiv berücksichtigen sollte?"

Benedikt XVI
"Es gibt keinen Zweifel, daß wir an diesem Punkt mit einer tiefgreifenden Evolution des Dogmas gegenüberstehen. Während die Väter und Theologen des Mittelalters immer noch der Meinung sein konnten, daß die gesamte Menschheit katholisch werden müsse und daß es Heidentum nur noch an den Rändern gäbe, haben die Entdeckung der Neuen Welt und der Beginn der Modernen Zeit die Perspektiven verändert haben. In der zweiten Hälfte der vorigen Jahrhunderts wurde vollständig anerkannt, daß Gott nicht alle Ungetauften verloren gehen lassen könnte und daß auch ein rein natürliches Glück keine Antwort auf die fragen des menschlichen Existenz sein kann.
Wenn es wahr ist, daß die großen Missionare des 16. Jahrhunderts immer noh überzeugt waren, daß die Nichtgetauften für immer verloren seien,-was ihren missionarischen Eifer -so wurde diese Überzeugung nach dem Zweiten Vaticanischen Konzils endlich verlassen.
Daraus entstand eine tiefe doppelte Krise. Einerseits scheint das zukünftigem missionarischem Engagement jede Motivation zu nehmen. Warum sollte man versuchen, die Menschen zu überzeugen, den Christlichen Glauben zu akzeptieren, wenn sie auch ohne gerettet werden können? Aber auch für die Christen entstand ein Problem: die obligatorische Natur des Glaubens und die dazugehörige Lebensart fingen an, unsicher und problematisch zu erscheinen. Wenn es da diejenigen gibt, die ich auf andere Weise retten können, ist es letztendlich nicht klar, warum der Christ durch die Anforderungen des Christlichen Glaubens und seiner Moral gebunden sein sollte. Wenn Glaube und Erlösung nicht mehr voneinander abhängen, verliert der Glaube selbst seine Motivation.

In letzter Zeit sind mehrere Versuche formuliert worden-die universale Notwendigkeit es Christlichen Glaubens mit der Möglichkeit, sich selbst zu retten zu versöhnen.
Ich will hier zwei erwähnen: die wohlbekannte These vom "anonymen Christen" von Karl Rahner. Er behauptet, daß der grundlegende, essentielle Akt an der Basis des chrisltichen Lebens, das für die Erlösung wichtig ist, in der transzendentalen Struktur unseres Bewußtseins darin besteht, sich gegenüber dem ganz Anderen zu öffnen, gegenüber der Einheit mit Gott. Der christliche Glaube würde in dieser Sicht ins Bewußtsein heben, was die Struktur des Menschen als solchem ist. So daß, wenn der Mensch sich in seinem essenellen Sein selbst akzeptiert, er die Bedingungen des Christseins erfüllt, ohne zu wissen, was es in seiner Tiefe ist. Der Christ -fällt mit dem Menschlichen und in diesem Sinn ist jeder Mensch, der sich selbst akzeptiert, ein Christ, ohne es zu wissen. Es ist wahr, daß diese Theorie faszinierend ist, aber es reduziert das Christentum auf eine rein bewußte Präsentation dessen, was das menschliche Sein ist und deshalb das Drama der Veränderung und Erneuerung, zentral für den Christlichen Glauben übersieht.

Noch weniger akzeptabel ist die Lösung, die pluralistische Theorien vorschlagen, nach denen alle Religionen Wege zur Erlösung seien und in diesem Sinn, in ihrer Wirkung als gleichwertig angesehen werden müßten.
Die Kritik der Religionen wie sie im Alten, im Neuen Testament und in der frühen Kirche ausgübt wurde ist essentiell realitischer und konkreter und der Untersuchung der verschiedenen Religionen wahr. Eine so simplizistische Wahrnehmung ist der Größe des Themas nicht angemessen.

Erinnern wir uns an Henri de Lubac und mit ihm an einige andere Theologen, die über das Konzept der Stellvertretung reflektiert haben. Für sie ist die Präexistenz ( das Vor-sein) Christi ein Ausdruck ein fundamentaler Ausdruck des christlichen Lebens und der Kirche als solcher ist. Es ist möglich, dieses "Vor-sein" auf eine ein bißchen abstraktere Weise erklärt werden. Es ist wichtig für die Menschheit, daß darin Wahrheit ist, die geglaubt und praktiziert wird. Daß man dafür leidet, Daß man liebt. Diese Realitäten dringen mit ihrem Licht in die Welt und helfen ihr. Ich denke, daß in der gegenwärtigen Situation es für uns immer klarer wird, was der Herr zu Abraham sagte, daß 10 Gerechte ausreichten um die Stadt zu retten, aber daß sie sich selbst zerstöre, wenn sie diese geringe Zahl nicht erreiche.
Es ist klar, daß wir über die ganze Frage weiter nachdenken müssen."


Servais:
"In den Augen vieler säkularer, vom Atheismus des 19. und 20. Jahrhunderts geprägter Humanisten, ist es -wie Sie bemerkten- eher Gott, falls er existiert, und nicht der Mensch für die Ungerechtigkeit, das Leiden der Unschuldigen, den Zynismus der Macht, deren Zeugen wir machtlos in der Welt und der Geschichte werden. (....) In Ihrem Buch Jesus von Nazareth , wiederholen Sie was für sie-und für uns-ein Skandal ist: "Die Realität von Ungerechtigkeit, des Bösen kann nicht einfach ignoriert, nicht einfach beiseite geschoben werden. Es muß unbedingt überwunden und besiegt werden. Nur auf diese Weise gibt es wirkliche Barmherzigkeit. Ist das Sakrament der Beichte einer der Plätze, an dem man das Böse reparieren kann? Und wenn ja- wie?"

Benedikt XVI
"Ich habe schon versucht die Hauptpunkte dieses Themas in meiner Antwort auf Ihre dritte Frage zu erklären. Das Gegengewicht zur Herrschaft des Bösen kann in erster Linie nur in der menschlich-göttlichen Liebe Jesu Christi bestehen, die immer größer ist, als jede mögliche Macht des Bösen. Aber er ist nötig, daß wir uns selbst in diese Antwort , die Gott uns durch Jesus Christus gibt, einzubringen. Auch wenn das Individuum für einen Teil des Bösen verantwortlich ist und deshalb ein Komplize des Bösen, kann er zusammen mit Christus " das was an seinem <leiden noch fehlt, zu vollenden." (Kolosser 1, 24)
Das Sakrament der Buße hat auf diesem Gebiet sicher eine wichtige Rolle. Es bedeutet, daß wir immer zulassen, durch Christus geformt und umgewandelt zu werden und daß wir kontinuierlich von der Seite dessen, der zerstört, auf Seine Seite, die Seite dessen, der rettet, übergehen."


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