Montag, 19. Februar 2018

Als Christ in einer nichtchristlichen Welt leben- in der Spätantike und jetzt: ein Vergleich-...Fortsetzung


Natürlich gab es am Ende des 3. Jahrhunderts mit dem Mönchstum in der kirchlichen Praxis eine Form einer Entfremdung von der "polis" und der Wahl der "Wüste", die sich dann als die dritte Option präsentieren sollte. Das aber betrifft eine elitäre Gruppe von Individuen und ist eher eine kritische Selbstdistanzierung als ein Verlassen der Stadt.
Der Mönch verläßt tatsächlich das städtische soziale Umfeld, hält aber eine sehr intensive und enge Beziehung zu ihr aufrecht, weil er die Beziehung zu anderen Christen behält, "die in der Welt bleiben" und macht aus seinem Eremiten-Leben einen Maßstab zu alle jene, die weiterhin im städtischen Raum leben.

Aber es gibt noch eine vierte Art der Beziehung, die eine Minderheitsgruppe mit der Welt, die sie umgibt und "belagert", haben kann und sie besteht darin, in eine sehr kritische Beziehung einzutreten und -kraft der Fähigkeit dieser Gruppe zur Aufrechterhaltung von Solidität und Konsistenz des Verhaltens bezüglich der so gewonnenen Urteile- einen kulturellen Einfluss auf eine Gesellschaft auszuüben, der auf lange Sicht, die allgemeine Ordnung in eine Krise bringen kann.

Die fundamentale Frage, die wir uns stellen sollten, ist deshalb nicht: "Wie haben die Christen das Römische Imperium erobert?" sondern eher "Wie haben sie als Christen in einer völlig unchristlichen Welt gelebt?" das heißt in einer Welt, die von ihnen als fremd und feindlich gegenüber Christus wahrgenommen wurde?

Die Christenheit war in der Tat fähig, über eine Zeitspanne von mehreren Jahrhunderten, einen wirklichen Wechsel der kulturellen Paradigmen,  eine Weltsicht, Verhaltensmodelle, Ausdrucksformen zu realisieren und eine Position einzunehmen, die im öffentlichen Raum etwas weniger randständig war und immer mehr Einfluß auf ihn gewann.

Das Christentum ging in der antiken Welt- über eine Zeitspanne von 3 Jahrhunderten-den Weg vom Stigma des "existiabilis superstitio" vom tödlichen, von allen zurückgewiesenen Aberglauben, zur Anerkennung seiner völligen Plausibilität als religiöse und kulturelle Basis des von Konstantin neu gegründeten Reiches, ohne daß die Christen inzwischen die Mehrheit oder immerhin eine ansehnliche Minderheit der Bevölkerung gebildet hätten.

Es ist wichtig, klarzustellen, daß-weil "Gott den Sohn nicht in die Welt geschickt hat, um über die Welt zu urteilen, sondern damit die Welt  durch ihn gerettet werde": (Joh, 3:17) , vom christlichen Standpunkt aus, die Form dieses Urteils weder Verdammung noch unterschiedslose Offenheit sondern eben genau "Krisis" ist.

In seinem positiven Wert der Unterscheidung zwischen wahr und falsch, gut und böse, schön und häßlich, nützlich und schädlich- basierend auf einem Vergleich mit einem Kriterium- ist Krisis in der Tat das Urteil, das geschlossene Systeme aufbricht, ihre latenten Spannungen und Widersprüche und die inneren Beziehugen zwischen den Elementen, die sie bilden und die Regeln, die ihr Funktionieren in Frage stellen, aufdeckt: mit einem Wort- es stellt sie auf den Prüfstand und öffnet sie für Änderungen.

Die Möglichkeit der "Krisis" hängt von der historischen Tatsache der Inkarnation des Gottessohnes ab, der in die Welt kommt, aber anders als die Welt ein Vergleichselement einführt. ein Kriterium für Beobachtungen, das der menschlichen Weisheit sonst vorenthalten würde

Hilfe bei der Illustration dieses Konzepts kommt von einem Zitat aus den ersten Predigten zum Hexameron von Basil von Caesarea. In dieser Predigt stellt der große Kirchenvater aus Kappadokien fest, daß an einem bestimmten Punkt die weltliche Weisheit- die Wissenschaft der Griechen.- fähig ist, alles Sichtbare zu messen, aber fasziniert von der Kreisförmigkeit der kosmischen Bewegungen nicht in der Lage ist, ihr einen zeitlichen Anfang zuzurodnen und deshalb denkt, daß die Welt unendlich ist, weil "sie ohne Anfang ist."
Was sie nicht weiß, ist daß am Anfang "Gott schuf".
Offen für eine ausschließlich räumliche Dimension aber gegenüber einer zeitlichen versschlossen, ist die Naturphilosophie der Heiden unfähig, das Geschehen in der Welt zu beurteilen, weil sie ihre Bedeutung und ihre Exponenten nicht verstehen kann, sie also de facto in der Lage sind, die ganze Welt zu  beobachten. zu beschreiben, zu zählen und zu messen, aber keine einziges Mittel gefunden hat, zu dem Punkt zu kommen, an Gott als den Schöpfer des Universums und den gerechten Richter  zu denken, der die Handlungen gerecht entlohnt oder eine Vorstellung vom Ende der Welt zu entwickeln, die mit der Lehre eines Gerichts übereinstimmt.

Mit anderen Worten: was Basil meint ist, daß ohne Anfang (und konsequenterweise dann auch ohne Ende) eine "Krisis" der Welt nicht möglich ist, weil die Welt- trotz ihrer wechselnden Erscheinungsbilder-sich selbst ewig gleicht und mit nichts anderem, mit keinem oder etwas anderem, was vor oder nach , unter oder über ihr war, als mit sich selbst verglichen werden kann

Die physikalische Theologie der heidnischen Philosophen ist deshalb nicht in der Lage die Welt zu beurteilen. weil es keinen äußeren Punkt zur Unterstützung für die Konstruktion eines Hebels gibt.
Durch die Inkarnation des Sohnes Gottes behaupten die Christen dagegen, diesen Unterstützungspunkt gefunden zu haben, der ihnen erlaubt, diese kritische Opertion durchzuführen.

Es ist dieses Bewußtsein für die "kritische Kraft" der Schöpfung und Inkarnation, mit dem es Tertullian mehr als eineinhalb Jahrhunderte vor Basil unternahm, über die Wirklichkeit der Welt, die "die Christenheit belagert"  zu urteilen." [...]

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Leonardo Lugaresi ist gelehrter Patristiker und Professor in Bologna ebenso wie ein geschätzter Mitarbeiter des "Osservatore Romano" und den Lesern von Settimo Cielo  wegen seiner Beiträge zu den aktuellen neuen Formen des Polytheismus bekannt.

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister

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