Samstag, 18. April 2020

Sandro Magister kommentiert noch einmal die päpstlichen Osterfeierlichkeiten

Sandro Magister kommentiert bei Settimo Cielo  noch einmal die diesjährigen besonders politisch geprägten Osterfeierlichkeiten von Papst Franziskus und hängt den gelehrten Erklärungsversuch des Kirchenhistorikers Roberto Perticis an.
Hier geht´s zum Original: klicken 

"Franziskus, der Papst, der Politik aus erster Hand macht. Die Analyse eines Kirchenhistorikers."  

Casarini
Dieses letzte, diesjährige Osterfest von Papst Franziskus war ein sehr politisches, wie er durch diese drei Handlungen illustrierte:

 -am 12, April, dem Sonntag, an dem die Auferstehung Christi gefeiert wird, mit der Urbi-et-Orbi
Rede, in der er Europa aufforderte, "weitere Beweis von Solidarität zu geben- und sich innovativen Lösungen zuzuwenden."

 -ebenso am Ostersonntag -indem er einen enthusiastischen Brief an die "Volksbewegungen schickte, die für ihn die Avantgarde der Menschheit in der Revolution gegen die Dominanz der Staaten und Märkte sind.

 -und zwei Tage zuvor, am 10. April, Karfreitag, als er Luca Casarini, einem Globalisierungsgegner, den der Papst zum Helden der Hilfe für Migranten im Mittelmeer erkoren hat, eine handgeschriebene Karte schrieb.

In einem vorangegangenen Post haben wir bei Settimo Cielo den Brief an die Volksbewegungen präsentiert, während die Karte an Casarini oben wiedergegeben wird- und hier in einem Transskript:

 "Luca, lieber Bruder,
Vielen Dank für Deinen Brief, den Michel mir brachte. Danke für das menschliche Mitleid, daß Du angesichts so viel  Leidens im Gesicht hast. Danke für Dein Zeugnis, das mir so gut tut,.
Ich bin Dir und Deinen Kollegen nahe. Danke für alles, was Du tust. Ich möchte Dir sagen, daß ich immer bereit bin zu helfen. Zähle auf mich.
Ich wünsche Dir ein heiliges Ostern, bete für Dich -bitte tu das auch für mich.
Möge der Herr Dich segnen!
Brüderlich- Franziskus."





Der vom Papst erwähnte Michel ist Kardinal Michael Czerny, ein Jesuit, Untersekretär für Migranten und Flüchtlinge im Dicasterium für ganzheitliche menschliche Entwicklung im Vatican., während Casarinis Brief zusammen mit der Antwort des Papstes von "Avvenire" veröffentlicht wurde.

Aber wie ist diese öffentliche, fast dreiste politische Militanz von Papst Franziskus eingehender zu analysieren? 

Der folgende Text, den wir in Form eines Briefes empfangen haben, ist eine gelehrte Antwort auf diese Frage. Der Autor ist Professor für zeitgenössische Geschichte an der Universität Bergamo und Spezialist für die Beziehung von Kirche und Staat. 

"PRIMAT DES SPIRITUELLEN ODER PRIMAT DES POLITISCHEN?
von Roberto Pertici

"Lieber Magister, 
Der Brief von Papst Franziskus an die "Volksbewegungen" und schon vorher seine Botschaft an Luca Casarini schien vielen die abnormale Rolle zu bestätigen, die Politik - und radikale linke Politik - in seinem Lehramt spielt.

Auch Sie haben von einer „seltsamen Osterbotschaft eines Papstes bei einer ganz und gar politischen Auferstehung“ gesprochen. In vielerlei Hinsicht ist es schwierig, Ihnen nicht zuzustimmen. Dennoch hat man den Eindruck, daß die wahre Innovation von Franziskus letztendlich eine ganz andere ist 
Das heißt, daß er sich explizit und direkt außerhalb der üblichen theologischen oder spirituellen Botschaften, die er offensichtlich jetzt für überflüssig hält, politisch engagieren sollte, und daß er dies mit einer politischen Kultur am „Rand“ der Hauptströmungen der zeitgenössischen Kultur tut. 

Ich weiß, es mag wie eine kühne These erscheinen, aber bei näherer Betrachtung wurde das päpstliche Lehramt, zumindest seit der Französischen Revolution, immer stark von der Politik beeinflusst, manchmal sogar mehr als vom religiösen Diskurs. Natürlich wurde dies in der Vergangenheit nicht so explizit zugegeben wie von Franziskus heute; natürlich war die Argumentation oft in einem Stil und einer Art von Argumentation festgefahren, die aus früheren Jahrhunderten stammen, aber es gab eine direkte Beziehung zwischen Theologie und Politik, und es ist nicht selbstverständlich, daß immer die erstere auf die letzte einwirkte.


Das liegt daran, daß die Kirche nach der Revolution aufgehört hatte, alles zu sein, selbst in katholischen europäischen Gesellschaften. Sie war ein Teil geworden, in der Tat ziemlich bald eine Partei: "le parti prêtre", von der die französischen Liberalen bereits nach 1815 sprachen. Es war die Zeit des "Rouge" und des "Noir", um Stendhals Worte zu verwenden, und die  Kirche war auf der Seite des „Noir“.

Natürlich hatte die Kirche ihre guten Gründe. Das Trauma der Revolution war immens gewesen, sie hatte zweimal die Unterdrückung der zeitlichen Macht des Papstes gesehen, zweimal waren die Päpste lange Zeit Gefangene gewesen; 1799, beim Tod von Pius VI, hatten viele gehofft oder befürchtet, dass sogar die apostolische Nachfolge unterbrochen würde. Nach 1815 war in der europäischen Gesellschaft die Sorge um die Wiederherstellung weit verbreitet: die Kirche wurde ihr Dolmetscher und förderte sie in einem zweideutigen Verhältnis zur politischen Macht.
Mehrdeutig, weil kein Souverän wirklich auf eine umfassende Wiederherstellung der „societas christiana“ vorbereitet war, so sehr, daß bald eine Reihe katholischer Denker, die davon geträumt hatten, zu sagen begann: Wenn die Dinge so sind, dann ist es besser die Kirche geht keine Kompromisse mehr mit diesen Staaten ein, sie sollte Segel setzen und über ihre Freiheit nachdenken. Die Einführung des Themas der Freiheit der Kirche implizierte jedoch mehr oder weniger explizit, mehr oder weniger instrumentell, die umfassendere der „modernen“ Freiheiten. Dann begann die große Zeit des liberalen Katholizismus, der mit Lamennais auch eine neue religiöse Philosophie suchte.

Von da an waren alle interessantesten kulturellen, theologischen und philosophischen Bewegungen im katholischen Bereich innerlich „politisch“: wie die von Vincenzo Gioberti und Antonio Rosmini in den 30er und 40er Jahren des 19. Jahrhunderts in Italien inspirierten Strömungen und die Wiedergeburt des englischen Katholizismus Mitte des neunzehnten Jahrhunderts. Die Entstehung des päpstlichen „Syllabus“ 1864 kann nicht ohne einen weiteren Schock verstanden werden, den von 1848-49, einem weiteren Fall zeitlicher Macht, mit den roten Fahnen der verschiedenen europäischen Revolutionen und mit Giuseppe Mazzini in Rom an der Spitze eines Republik der "Unholde und Freimaurer", wie es damals dargestellt wurde. Die Hoffnung darauf hatte Juan Donoso Cortés von Anfang an geäußert, der, obwohl er vor 1848 ein liberaler Katholik war, danach nichts weniger als eine Diktatur forderte. Aber war nicht schon in der ersten Phase von "La Civiltà Cattolica", der der 1850-er Jahre, der "politische" Diskurs vorherrschend, oder gab es keine Unterstützung für eine Religion, die ausdrücklich eine politische Bedeutung hatte?

Ein halbes Jahrhundert später war der „Modernismus“ eine im Wesentlichen theologische und philosophische Bewegung, wenn auch mit erheblichen politischen und sozialen Auswirkungen, aber sicherlich war der Antimodernismus auch eine politische Realität. Es ist kein Zufall, daß ein „hingebungsvoller Atheist“ wie Charles Maurras mit großer Vehemenz gegen Marc Sangnier und „Le Sillon“ stritt und Pius X immer als seinen Papst anerkannte: Er warnte davor, wenn der von der Kirche gebildete antimoderne Damm verletzt würde,  sein Projekt zur Wiederherstellung von Politik und Werten kompromittiert werden würde. Und in wieweit wurde bei den großen katholischen Intellektuellen, die ihm folgten und oft wie Jacques Maritain aus einem Agnostizismus und Säkularismus im Stil der Dritten Republik stammten, das Ausmaß der religiösen Bekehrung auch durch politische Faktoren motiviert und  wurden politische Entscheidungen durch religiöse Komponenten begründet?

Gleiches gilt für Dutzende von Philosophen und Schriftstellern aus allen Teilen Europas zwischen dem 19. und 20. Jahrhundert, die den „Renouveau catholique“ bildeten, der nach wie vor die letzte große katholische Kulturbewegung ist, die es geschafft hat, die Mauern zu verlassen. Wer kann in Péguy und Bernanos, Claudel und Mauriac, Eliot und Chesterton, Graham Greene, Hilaire Belloc und Sigrid Undset das Streben nach religiöser Wiederherstellung vom Projekt einer politischen Wiederherstellung unterscheiden? Und in der päpstlichen Verdammung von „Action Française“, die das Gewissen vieler französischer Katholiken so verletzt, wie viel Einfluss neben dem Misstrauen gegenüber den „heidnischen“ Positionen von Maurras, das vom politischen Drang von Pius XI ausging, auch politisch, mit den Kräften des Katholizismus allein fertig zu werden, ohne sie an ausländische Mächte auszulagern: der gleiche Antrieb, der 1931 und 1938 zu den Zusammenstößen zwischen dem Heiligen Stuhl und dem faschistischen Regime in Italien führen sollte?

Allen ist bekannt, daß gerade aus der päpstlichen Verurteilung der Maurras-Bewegung der lange Marsch des französisch-katholischen Progressivismus hervorging, der für die Ereignisse der folgenden fünfzig Jahre von entscheidender Bedeutung war. Zu der Zeit sprach Maritain von einem "Primat des Spirituellen“, der wiederhergestellt werden sollte. Doch hinter solchen „religiösen“ Programmen - wie hinter der berühmten „religiösen Wahl“ der katholischen Aktion in Italien in den frühen siebziger Jahren - tauchte in Wirklichkeit ein anderes politisches Projekt auf, ganz anders als das zuvor unterstützte.

 Lieber Magister, das könnte so weitergehen, aber ich möchte Sie nicht langweilen.
Bei näherer Betrachtung war selbst die weit verbreitete Feindseligkeit, die Benedikt XVI von großen Teilen der zeitgenössischen Kultur und sogar vom katholischen Establishment entgegengebracht wurde, in erster Linie politisch. Es hätte scheinen können, daß sich sein Lehramt in einem Klima befand, das durch den Zusammenbruch des Marxismus, das Ende des Kommunismus in Europa, die Reflexion über das Schicksal und die Identität des Westens nach dem Angriff auf die Zwillingstürme, die Verteidigung und Entwicklung der katholischen Tradition gekennzeichnet war,  bereits von Johannes Paul II verfolgt wurde,
Das wiederum hätte kurz gesagt zur Verbreitung eines neuen philosophisch-kulturellen „Konservatismus“ beitragen können, der zu dieser Zeit seine Karten auszuspielen schien.
Für Henri Tincq, den kürzlich verstorbenen Vaticanisten von "Le Monde", war dies eine Frage der "disziplinarischen, doktrinären und moralischen Vereisung der Kirche, die sie unfähig machte, sich den turbulenten Ereignissen der Gegenwart zu stellen". Für ihn und seine Zeitung bestand kein Zweifel: der Schwerpunkt der Kirche hatte sich „nach rechts“ verschoben.

Sie werden mir vorwerfen, immer und nur die oberen Ebenen, die theologischen und kulturellen Debatten zu betrachten. Ich gebe zu: es ist nicht einfach, die politische Bedeutung zu definieren, die der religiösen Erfahrung der vielen „Paysans de la Garonne“ der letzten zwei Jahrhunderte - um es noch einmal mit Maritain zu sagen - innewohnt. Aber selbst unter ihnen haben diejenigen, die sich entschieden haben, in der katholischen Welt zu bleiben, dies aus einer Kombination von bewussten und unbewussten Motiven getan, in denen sich Politik und Religion gegenseitig unterstützt haben. Ich sage nicht bei den Bauern der verschiedenen Aufstände des 19. und 20. Jahrhunderts, aber inwieweit  hat im militanten Flügel der Bürgerkomitees in Italien im Jahr 1948 die Religionszugehörigkeit das politische Handeln vorangetrieben hat und inwieweit hat der Antikommunismus die religiöse Position zementiert?

Man könnte sagen, dass die Spätmoderne einen intensiven Prozess der Politisierung der heutigen Gesellschaften und gleichzeitig ihrer „De-Spiritualisierung“ provoziert hat. Ein großer und durch und durch weltlicher italienischer Historiker wie Rosario Romeo sagte oft, daß in den letzten zwei Jahrhunderten eine neue Ethik entstanden sei, die die „alte katholische Moral“ ersetzt habe, die auf persönlicher Sünde, Hölle, Himmel usw. beruhte. Dieser Übergang wurde seiner Meinung nach  durch den "immer breiteren Platz [der in der heutigen Gesellschaft] von politischen Werten besetzt wird bestätigt". Männer und Frauen der späten Moderne sehen sich ratlos an, wenn sie von der Kirche als dem „mystischen Leib Christi“ hören, verstehen sie aber sehr gut, wenn sie als ethische oder ethisch-politische Agentur fungiert.

Die „anthropologische Wende“ eines wesentlichen Teils des zeitgenössischen Katholizismus nahm diesen Prozess zur Kenntnis, mit der Begründung, daß ihre Akzeptanz der einzige Weg war, einen Raum für eine erneute christliche Präsenz zu finden. Deshalb schlägt Franziskus „eine ganz und gar politische Auferstehung“ vor - um es in Ihren Worten auszudrücken, wenn Sie den Osterbrief des Papstes an die „Volksbewegungen“ kommentieren - und spricht so oft von Ökologie oder der Dritten Welt. Aber ich glaube das es eine politische Spannung der entgegengesetzten Natur auch bei vielen Gegnern von Franziskus innerhalb der Kirche gibt, und auch bei ihnen fällt der Appell an einen "Primat des Spirituellen“ mit einer anderen Politik zusammen.

Tatsache ist, daß sich die Säkularisierung - wie Benedikt XVI am 19. Oktober 2006 in Verona warnte - nicht nur in der Welt entfaltet hat, in der sich die Kirche befindet und bewegt, sondern auch die Kirche selbst beeinflusst hat. "Wir lernen", sagte er, "dieser" internen Säkularisierung "zu widerstehen, die die Kirche unserer Zeit bedroht, eine Folge des Säkularisierungsprozesses, der die europäische Zivilisation tiefgreifend geprägt hat."

Von dieser "inneren Säkularisierung" der Kirche ist der "Primat der Politik" in den verschiedenen und gegensätzlichen Formen ihres öffentlichen Diskurses eine der auffälligsten Erscheinungsformen."

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister, R. Pertici

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