Dienstag, 16. Juni 2020

EIn Blick in die deutsche Geschichte hilft den Synodalen Weg zu verstehen....LESEN!

Sandro Magister läßt bei Settimo Cielo Roberto Pertici mit einem Rückblick in die Geschichte katholischer deutscher Sonderwege zu Wort kommen, die zum Verständnis des Synodalen Weges beitragen kann.  Hier geht´s zum Original:  klicken 

"DIE SYNODE IN DEUTSCHLAND HAT MINDESTENS DREI VORGÄNGER. ALLE ENDETEN MIT EINEM SCHISMA."

"Der Synodale Weg in Deutschland entpuppt sich jeden Tag mehr als ein ernstes Risiko für den "Weg" der Katholischen Kirche- nicht nur in Deutschland sondern weltweit.
Um das zu erkennen, braucht man nur die bisher produzierten Dokumente zu lesen:

und auch die Sorgen wahrnehmen, die das bei einem ansonsten -prodeutschen Papst wie Franziskus hervorgerufen hat. 
Bei Settimo Cielo hat Prof. Pietro De Marco wiederholt die theologische und kirchliche Zusammensetzung der Versammlung kritisiert 
"Die Synode der Deutschen Kirche unter der analytischen Lupe. Eine Revolution, die sich selbst zerstört."  
"Von der Deutschen Synode bis zum Kloster von Bose. Anatomie der Katholischen Revolutionen" 

Aber zu gleichen Zeit ist eine Analyse des historischen Charakters aufschlußreicher denn je. Und das hat Roberto Pertici getan, Prof. für Zeitgenössische Geschichte an der Universität Bergamo und Spezialist für die Beziehungen zwischen Kirche und Staat.

Mit einem Unterschied betont Pertici: "Während diese drei Strömungen nur geringe Unterstützung bei wenigen und isolierten Repräsentanten des deutschen Episkopates fanden, haben sich heut fast alle deutschen Bischöfe auf die Seite der tollkühnen synodalen Reformen gestellt.


Und was sie vereint, ist das Ziel, die Katholische Kirche in eine Trennung von ihrer "Romanitas" zu führen- in einem Prozess der Dekonfessionalisierung, die bereits von den Protestanten weit vorangetrieben wurde, wie Petrici schon in einem Beitrag für Settimo Cielo vor zwei Jahren festgestellt hat. 

In zufälliger zeitlicher Übereinstimmung haben am Pfingstsonntag 30 deutsche katholische und protestantische Theologen -mit Johanna Rahner als Sprecherin- einen Appell unterzeichnet, in dem sowohl die Rücknahme der Exkommunikation Luthers als auch Luthers Bezeichnung des Papstes als Antichrist gefordert wird. 

Gute Lektüre! 



"DIE DEUTSCHE KIRCHE ZWISCHEN NATIONAL-APPEAL UND RÖMISCHEM PRIMAT" 
von Roberto Pertici 

Die Beiträge von Sandro Magister und Pietro De Marco zum Synodalen Weg in Deutschland und dem möglichen schismatischen Abdriften der deutschen Kirche sind für diejenigen sehr interessant, die versuchen, die Beziehung zwischen der Katholischen Kirche und der zeitgenössischen Gesellschaft zu verstehen.

Und dennoch hat der Historiker - sogar wenn er kein Spezialist für die hochkomplizierte Religionsgeschichte Deutschlands ist- den Eindruck eines Déja vu. Wenn auch mit teilweise neuem Inhalt- bewirkt durch die soziokulturelle Entwicklung der letzten 50 Jahre - stehen wir einem weiteren Versuch Einzelner und Gruppen- heute scheinen sie eine Mehrheit zu sein- des deutschen Katholizismus eine Art Nationalkirche zu etablieren, mit dem Ziel auf Dauer eine religiöse Einheit in der Mitte zu schaffen und sie durch eine substantielle Protestantisierung ihrer Theologie, Liturgie und inneren Struktur wieder zusammenzufügen. 

Wenn man dieses nationale Ziel nicht im Gedächtnis behält, andere würden nationale Versuchung sagen, besteht die Gefahr alles auf eine religiöse Abweichung, auf einen Kampf zwischen Orthodoxie und Heterodoxie, einen innerkirchlichen Konflikt zu reduzieren: alles Dinge, die da sind, aber die vielleicht nicht ausreichen, um das Phänomen, das wir vor Augen haben, ganz zu erklären. 

Der deutsche Katholizismus schwankte oft zwischen diesem "National-Appeal"( in der Praxis eine- vielleicht uneingestandene- Anziehung zum Protestantismus, mit dem -das sollte nicht vergessen werden. er in Symbiose lebt) und der Anerkennung des Römischen Primats hin und her, ein Schwanken, das noch  schmerzlicher und dramatisch wird durch die Tatsache, daß von Luther und Ulrich von Hutten an, die deutsche Identität präzise im Gegensatz zum "Römischen Babylon" geformt wurde. Kann man ein "guter Deutscher" und gleichzeitig katholisch sein, soll heißen einer fernen Macht gehorsam, die von so vielen Mitbürgern gehaßt wird? Diese Frage hat sich in den Jahrhunderte der deutschen  Geschichte entwickelt- bis hin zu Bismarcks Kulurkampf und der Religionspolitik im Dritten Reich.

Im frühen 19. Jahrhundert war die herausragendste Persönlichkeit dieses National- Appeals und dem ihm zugrunde liegenden theologisch-erzieherischen Gedanken Heinrich Ignaz von Wessenberg (1774-1860), Generalvikar und Bischofsadministrator der Diözese Konstanz, der sein Programm einer deutschen Nationalkirche vorschlug und verteidigte beim Wiener Kongress (nicht weniger). 
Hinter ihm stand die klassische antirömische Tradition des Febronianismus* (die Reduzierung der Päpstliche  Rechte auf einen einfachen Ehrenprimat- nicht den der Jurisdiktion, größere Bedeutung für dem Episkopat, den Primat des Konzils über den Papst, das Recht des Staates auf Vorrechte gegen ein Eingreifen des Hl. Stuhls) und der Kampf des aufgeklärten Katholizismus gegen die Manie von Wallfahrten, Reliquienkult und das Autoritäre der kirchlichen Strukturen. 

Franz Schnabel, der große Historiker des 19.Jahrhundert-Deutschlands - faßt Wessenbergs religiöse Gedanken so zusammen: Austausch der Wissenschaft durch eine rationalistische, die Einrichtung eines kirchlichen Parlaments in den Diözesen, die Ausbildung des Klerus gemäß der modernsten Wissenschaft, Infragestellung des klerikalen Zölibats, Reform des liturgischen Lebens, die Predigt zum wichtigsten Teil der Seelsorge machen, Einführung der deutschen Messe und die Eindeutschung des Breviers, der Gesänge und der Devotionalienbücher, Feindseligkeit gegenüber Pilgerfahrten und Bettelorden, die Reform der Kirchenarchitektur nach protestantischem und puritanischem Stil, so streng und grau wie möglich (für den Hauptaltar war niemand außer Christus zugelassen,  Bilder von Heiligen wurden vermieden, außer Kirchenpatrone, die aber nur auf Seitenaltären, so lange es die noch gab".) 
Eine seiner Anordnungen für Hochzeiten ließ das Segnen interkonfessioneller Ehen zu, vorausgesetzt, daß die Söhne der Konfession des Vaters und die Töchter der der Mutter folgten. 
Ohne eine historische Abkürzung zu nehmen- ist da nicht eine gewisse Familienähnlichkeit im Hinblick auf die Thesen des aktuellen "Synodalen Weges"?

Ein weiteres sensationelles Beispiel für den "National-Appeal" war das Schisma des Schlesischen Priesters Johannes Ronge Mitte der 1840-er, nachdem drei Jahrzehnte seit dem Wiener Kongress vergangen waren, Jahrzehnte, in denen das deutsche Nationalbewußtsein sich enorm entwickelt hatte und übermäßig erregt war, während der Ultramontanismus die päpstliche Politik beherrschte.

Auch hinter Ronge stand die Tradition der Febronianer, die in Schlesien noch lebendig war. Im Oktober 1844 schrieb er einen offenen Brief an den Bischof von Trier, Arnoldi, um die Ausstellung der berühmten Reliquie, der "Tunika Christi", zu verurteilen, zu der eine halbe Million Pilger gekommen waren. Ronge beschuldigte Arnoldi, bewußt unbesonnene katholische Gläubige durch "unchristliches Theater" zugunsten der sich leerenden kirchlichen Geldkassetten zu manipulieren und die "materielle und spirituelle Sklaverei Deutschland gegenüber Rom zu fördern.
Der schlesische Priester sprach dabei zwei verschiedene Zuhörerschaften an und versorgte jede mit einem spezifischen Ziel: er lud die im Katholischen Klerus anwessenden Rationalisten ein sich dem theologischen Konformismus entgegen zu stellen und die Deutschen Mitbürger- Katholiken und Protestanten- die konfessionelle Teilung Deutschlands zu überwinden. Nach seiner Exkommunikation 1844 kündigte er an, eine eigene "Deutsche Allgemeine Kirche" zu gründen (s. Todd H. Weir "Säkularismus und Religion im Deutschland des 19. Jahrhunderts, Der Aufstieg der Vierten Konfession", Cambridge University Press 2014)

Wie viele Anhänger Wessenbergs nach 1830, radikalisierte auch Ronge seine politischen und religiösen Standpunkte: er nahm an den Ereignissen im Frankfurter Parlament zwischen 1848 und 1849 teil, ging dann ins Exil nach Groß-Britannien, wo er ein Meister des Säkularismus und der Freidenkerei wurde.

Ein Schisma von Professoren und Intellektuellen- sogar wenn auch die Zustimmung eines berühmten Prälaten und Historikers wie Ignaz von Döllinger nicht fehlte- war das der Altkatholiken 1871, im Widerstand gegen das Dogma der Päpstlichen Unfehlbarkeit, das am 18. Juli 1870 vom I.Vaticanischen Konzil approbiert worden war,
Laut einem ihrer Führer, des großen Kirchenrechtlers Johann Friedrich von Schulte, veränderte dieses Dogma das Wesen der Kirche und ihre apostolische Konstitution und stellte eine Bedrohung für die Staaten dar, weil es dem Hl. Stuhl enorme Möglichkeiten zur Intervention in ihre inneren Angelegenheiten  geben würde, und von Episkopat, Klerus und Gläubigen blinden Gehorsam fordere.
Diese Gefahr sei besonders offensichtlich für das am 18. Januar 1871 neu gegründete Deutsche Reich, in dem es eine starke katholische Präsenz gab, die besonders in einigen Staaten einflußreich war und eine neue Katholische Partei, das Zentrum, mit dem Risiko der lange Arm des Vaticans in der deutschen Politik zu werden.

Dogmatische und religiöse Sorgen deshalb und nationale und antirömische Sorgen bestanden zur gleichen Zeit bei Schulte und den Altkatholiken, in der lllusion beim deutschen Episkopat Unterstützung zu finden, der dagegen- mit sehr wenigen Ausnahmen.- sich der Unfehlbarkeitsmehrheit angeschlossen hatte. Dann suchten die Altkatholiken einen Fürsprecher an der Spitze des neuen Reichs- besonders in Fürst Bismarck und es ist  bekannt, daß dieses Bündnis dann eine der Grundlagen des folgenden Kulturkampfes wurde.

Diesen drei Versuchen begegnetet der Hl. Stuhl mit einer starken Verurteilung, mit kanonischen Prozessen und Exkommunizierung und hatten wenig Gefolge bei Klerus und Laien. obwohl die Ronge-Sekte der Deutschkatholiken noch mehrere Jahrzehnte überlebte und es die Altkatholiken bis heute gibt.
Ohne- das betone ich- die historischen Parallelen zu übertreiben, scheint es, daß der heute begonnene Synodale Weg (dessen Radikalität Wessenberg sicher erstaunt hätte und vielleicht sogar Ronge und Döllinger) die deutsche Hierarchie in ihrer Ganzheit erobert hat.

Ich glaube, daß auf die dem heutigen Synodalen Weg zugrunde liegende Philosophie schon vor Jahren von einem herausragenden deutschen Kirchenmann - wie Walter Kasper- hingewiesen worden ist. Ich hatte schon die Gelegenheit, die Leser von Settimo Cielo auf die Lutherkonferenz am 18. Januar 2016 aufmerksam zu machen (W. Kasper: "Martin Luther. Eine ökumenische Perspektive" Brescia Queriniana, 2016) und die dort gemachten Vorschläge zu einer "Dekonfessionalisierung" sowohl der Protestantischen Konfession als auch der Katholischen Kirche und einer Art Rückkehr zum "status quo ante", vor dem Ausbruch der religiösen Konflikte im 16. Jahrhundert. Weil eine solche "Dekonfessionalisierung" auf lutherischen Gebiet schon stattgefunden habe, müßte jetzt die Katholische Welt mit größerem Mut in dieser Richtung vorangehen. Kasper spricht von einer "Wiederentdeckung der ursprünglichen Katholizität, die nicht auf einen konfessionellen Standpunkt beschränkt ist".
Es ist klar, daß Kaspers Vorschläge an die universale Kirche gerichtet sind , aber ebenso auch, daß ihre deutschen Wurzeln deutlich sind.

Die synodale Reise, die die  Deutschen Katholische Hierarchie vorschlägt, verläuft genau nach dieser Dekonfessionalisierung und stimmt deshalb auch mit den anderen Komponenten des deutschen Christentums überein. Sie hat sicher die theologischen Pfade hinter sich, die Pietro De Marco aufgezeigt hat, aber sie erscheint eher wie ein klassischer historischer Ermüdungsprozess. Der Eindruck ist, daß die klassischen Gründe und Motive der katholischen Theologie und Ekklesiologie, an die De Marco erinnert, keinen der Mehrheit der Hierarchie und in der deutschen Katholischen Welt mehr wirklich interessieren, die jetzt einen eher politischen Blickwinkel hat, wie De Marco auch warnt - als auf theologische oder fundamentale Fragen- außerdem auf einer Linie mit dem immer größeren Gewicht der Politik im Katholischen Diskurs. Was wird im Leben der verbliebenen Gläubigen wirklich fehlen, wenn die synodale Reise weitergeht und vollendet wird, um die religiöse Einheit in Deutschland wieder herzustellen?

Was ist mit Rom? "Die Intendanz wird folgen" Ich habe den Eindruck, daß es das ist, was die deutschen Bischöfe denken, daß sogar Rom mit seinen Kolonnen früher oder später folgen wird."

Quelle: Settimo Cielo, S. Magister, R. Pertici 

*Febronianismus: aufklärerische, innerkatholische Reformbeewegung in der 2. Hälfte des 18. Jahrhunderts 

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