Dienstag, 26. Januar 2021

S. Gregg: "Ratzingers Weg"

Samuel Gregg beschreibt in  "The Public Discourse"  den Weg und das Denken Joseph Ratzingers anhand seiner Biographie.
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                        "RATZINGERS WEG"

"Für einen Katholiken ist es eine entmutigende Zeit. Die sexuellen und finanziellen Skandale, die die Kirche gedemütigt haben, haben ihre Fähigkeit die Wahrheit zu bezeugen,  ernsthaft kompromittiert. Das hat auch der McCarrick-Report mit seinem Beweis für eine seit Jahrzehnten weitverbreitete Verlogenheit, Feigheit, Kumpanei und Karrierismus unter dem höherm Klerus getan. Dann ist da die Tasache, daß die Worte einiger westeuropäischen Bischöfe- besonders deutsch-sprachiger- anzeigen, daß sie nicht die Fülle des Katholischen Glaubens haben. Und wer ist nicht durch den Grad bestürzt, den der sentimentale Humanitarismus als de-facto-Orthodoxie bei vielen Katholiken angenommen hat? Vorsätzliche Zweideutigkeit und stakre GEfühle sind in, Klarheit und ein vernünftiger Glaube sind out. 

Meiner Erfahrung nach endet jedes Gespräch darüber, warum die Kirche sich in dieer Lage befindet unvermeidlich beim II. Vaticanischen Konzil. 65 Jahre nach seinem Ende, besteht die Spaltung bzgl. der Bedeutung des II. Vaticanums weiter und sein Platz in den Kontroversen, die seit 1965 den Katholizismus umschlingen. 

Eine Person, die beim II. Vaticanum eine wichtige Rolle spielten, war ein junger Professor, damals noch außerhalb seines Heimatlandes Deutschland relativ unbekannt. Seine Zeit beim Konzil beschließt den ersten Teil einer zweiteilig angelegten Biographie dieses Intellektuellen, der dann einmal Papst werden sollte. Autor des Buchs ist der deutsche Journalist Peter Seewald, der Joseph Ratzinger seit 1997 ausführlich interviewt hat. In "Benedikt XVI . Ein Leben. Band 1. Eine Jugend in Nazideutschland bis zum II.Vaticanischen Konzil. 1928- 1965" hat Seewald einen weithin informierten Bericht über einen Mann geschrieben, der die Debatten innerhalb der Kirche im Westen jahrzehntelang bestimmt hat. 

Unter dem Schatten des Hakenkreuzes

1927 geboren, wuchs Ratzinger in einem Deutschland auf, das eine rapide.politische wirtschaftiche und kulturelle Veränderung durchmachte. Die Gebräuche und Traditionen die mit dem vergangenen monarchischen Autoritarismus verbunden waren- erklärt Seewald- stießen mit den neuen Entwicklungen zusammen, dem Anwachsen der Massenkultur, sozialer Emanzipation und der Ausbreitung von rassistischen und marxisitischen Ideologien, bemäntelt mit dem Gewand moderner Wissenschaft. 


Ratzingers Jugend fand etwas entfernt von diesen Wirren statt. Er verbrachte seine Jugend im frommen, ländlichen Bayern, in dem die Kirche allgegenwärtig war. Im Rückblick beschreibt Ratzinger diese Atmosphäre als "Traumland, markiert durch Barock-Architektur Klöster, Prozessionen, Passionsspiele und Mozart. "

Diese vielleicht romantisierte Welt wurde schrittweise in die Konflikte, die in Deutschland 1929 nach dem finanziellen Zusammenbruch und der Großen Depression folgten, hineingezogen,, in der Millionen Deutsche begannen,in radikalen Lösungen wie dem Nationalsozialismus oder Kommunismus nach Rettung zu suchen. Nach dem II. Weltkrieg behaupteten diese Deutschen, immer gegen das Nazi-Regime gewesen zu sein, Im Fall der Familie Ratzinger liefert Seewald zahlreiche Beweise, daß sie den Nationalsozialismus und seinen Führer von Anfang an verabscheuten und nie in ihrer Feindschaft wankten. 

Ratzinger hat später lange über die Antwort der deutschen Christen auf den Nazismus nachgedacht, und fesrgestellt, daß viele ihren Glauben an die neuen Gegebenheiten anpaßten haben. Viele Protestanten haben das "positive Christentum" (ein Art Christentum ohne Judentum) angenommen, trotz des Widerstands der Theologen der Bekennenden Kirche wie Martin Niemöller und Dietrich Bonhoeffer. 

Bei den Katholiken hatten es die Nazis schwerer,voranzukommen. Seewald weist aber darauf hin, daß die Katholischen Bischöfe in Deutschland, obwohl sie den Nationalsozialismus zuerst stark verurteilten, nach 1933 versucht haben, einen modus vivendi mit den neuen Herrschern zu finden. Das hinderte das Regime nicht, deutschlandweit die Schrauben bei Aktivitäten der unabhängigen Katholiken anzuziehen oder lautstarke Anti-Nazipriester in Konzentrationslager zu bringen. Unter diesen Umständen konnte Ratzingers Entscheidung, Priester werden zu wollen, von den Autoritäten nur als Dissens von der Nazi-Ideologie interpretiert werden. 

Ratzinger fand vor dem ihn ungebenden Wahnsinn Zuflucht in der Katholischen Liturgie. Aber er sah die Liturgie auch als Vorwegnahme einer größeren Realität. Diese Vision ging einher mit seinem wachsenden intellektuellen Interesse an den Zielen der Religion. "Von Anfang an" sagte Ratzinger, "hat alles, was in der Religion gesagt wurde, mich auch rational interessiert." 

Hier finden wir ein Muster, das Ratzingers Leben charakterisieren sollte. Er war dem Inneren der Kirche und ihrem Glaubensleben tief verbunden, aber auch entschlossen, die Vernunft zu gebrauchen, um die Wahrheit der Offenbarung zu erhellen. Er wollte die Bedeutung des Glaubens für ein christliches Leben angesichts von Ideologien erklären, die die Rationalität einschränkten. Es ist eine Denkweise, die nicht zu zeitgenössischen konservativ-progressiven Kategorien passte - auch nicht -  in Religion oder in Politik.

Augustinus und Physik 

Das von den Nazis entfesselte Grauen wurde Ratzinger in der zweiten Hälfte des II, Weltkriegs bewußt. Als in die Wehrmach eingeschriebener Teenager wurde er Zeuge von Deportationen von Juden und erlebte die Wirkung der Flächenbombardierung Deutschlands, Er konnte auch nicht vermeiden, festzustellen, wie fast alle Institutionen Deutschlands und Millionen individueller Deutscher moralisch kompromittiert wurden- auch wenn die meisten Deutschen das nach 1945 nicht zugeben wollten. 

Bemerkenswerterweise erlebte der deutsche Katholizismus nach Deutschlands Kapitulation eine Renaissance, zumindest wiesen darauf eine merkliche Steigerung der Teilnahme an der Messem Bekehrungen und Priesterberufungen hin. Mitten in diesem "Katholischen Frühling" erlangte die Kirche beträchtliche politische Schlagkraft- mit Hilfe ihres Einflusses durch die katholisch-dominierten Christdemokratischen Regierungen. Viel Deutsche erkannten, daß trotz ihre vielfältigen und schweren Versagens die Kirche nicht ganz von den  Nationalsozialisten beeinflußt worden war- und sie hatte viele Märtyrer, die das bewiesen. 

Dennoch beobachtete Ratzinger als Seminarist und junger Priester etwas anderes. Hinter der offensichtlichen institutionellen Stärke schwand der Katholische Glaube. 12 Jahre Naziherrschaft - kombiniert mit der materiellen und moralischen Zerstörung eines brutalen Weltkriegs hatten den religiösen Glauben zutiefst erschüttert. Ratzinger sah die sich ausweitende Kluft zwischen der Organisationstiefe des deutschen Katholizismus und dem tatsächlichen Glaubensleben nicht als Erster. Schon 1946 hatte die Theologin Ida Friederike Görres eine stille Ernüchterung gegenüber der Kirche erkannt, die Bischöfe, Priester und Theologen anzusprechen versäumt hatten. 

Dieses Problem beherrschte während der Seminarjahre Ratzingers Denken. seine Dienste als junger Kurat und seine theologische Karriere vor dem II. Vaticanischen Konzil- Während dieses Weges prägten ihn besonders drei Erfahrungen. 

Eine war seine Lektüre bestimmer katholischer Theologen, die sich vor dem II. Vaticanum unter einer Wolke befanden- eingeschlossen Hans Urs von Balthasar und besonders Henri de Lubac, S.J. Das Buch des Letzteren von 1938 "Catholicisme" zeigte Ratzinger einen Weg zur  Erneuerung der Kirche in der Moderne durch Rückkehr zur Schrift und zu den Kirchenvätern. 

Ein zweiter Schlüsselmoment war Ratzingers Begegnung mit dem so dynamischen Denker Augustinus von Hippo und seinen "Confessiones", Da- stellt Seewald fest- entdeckte Ratzinger eine wahre Biographie, eine reale Person, die aktiv in der Geschichte handelte - seiner intellektuellen Fähigkeit bewußt. Jemanden der über den Glauben nachdachte und ihn lebte." Es ist nicht schwer zu erkennen, wie Ratzinger- wie zahllose andere Christen-von dieser lebhaften und offenen Persönlichkeit angezogen wurde. Es gab aber noch etwas anderes, das Ratzingers Aufmerksamkeit erregte. Augustinus´ passionierte Suche nach der Wahrheit." Was diese Suche inspirierte- stellte Ratzinger fest- war der Glaube an Christus. Weit davon entfernt, seine intellektuelle Kühnheit einzuschränken, trieb ihn  der Wunsch, "Gott und die Seele zu kennen" an. Ratzinger schrieb später - zusammen mit dem Weg der Wahrheit, der der Weg des Mutes, der Demut und ständiger Klärung ist." 

Ratzingers dritte Inspirationsquelle war eine unerwartetere. Bei umfassendem Lesen in der Nachkriegszeit entdeckte er, daß viele Naturwissenschaftler - diese modernsten aller Denker- ihren Weg zurück zu Gott fanden. Personen wie der Münchner Physiker Aloys Wenzel, der Astrophysiker Sir Arthur Eddington und der Nobelpreisträger und theoretische Physiker Werner Heisenberg sprachen- wie Ratzinger bemerkte.- plötzlich über einen "Schöpfergott". Ratzinger war beeindruckt von Albert Einsteins Beharren darauf, daß "Gott nicht würfelt. Eher hat er die Welt nach einem geordneten Plan geschaffen. Es ist die Aufgabe der Wissenschaftler, das zu entdecken." 

Alles das bestärkte Ratzingers Glauben daran, daß der Gott, den man in der Schrift findet, kein Kantianische Ideal, weniger noch ein Hegelscher Geist der Geschichte war, er war der schöpferische logos, der am Anfang der Zeiten steht. der sich zuerst dem Jüdischen Volk offenbarte, bevor ER sich selbst völlig in der Person von Jesus von Nazareth manifestierte. Es war dieser Christus-logos, der den Menschen erlaubte, die Wahrheit ganz zu verstehen, einschließlich dieser Realitäten der Nachaufklärungszeit. mit der die Katholiken rangen. Indem er diese Sichtweise beibehielt- glaubt Seewald- bewegte er sich auf das Zentrum der Gelehrtheit Ratzingers im Vorfeld des II. Vaticanums zu." (...)

Fortsetzung folgt....

Quelle:  S. Gregg, Thepublicdiscourse  

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