Montag, 28. Februar 2022

Die Diplomatie des Hl. Stuhls in Zeiten der Ukraine-Krise

In seiner heutigen Kolumne für Monday in the Vatican kommentiert A. Gagliarducci die päpstliche Diplomatie im aktuellen Pontifikat- besonders im Hinblick auf die derzeitigen Ereignisse in der Ukraine.  Hier geht´s zum Original:  klicken

"PAPST FRANZISKUS UND DIE UKRAINE-KRISE. WAS ER GETAN HAT UND WAS ER HÄTTE TUN KÖNNEN"

Papst Franziskus hat -mit Fokus auf dem Krieg in der Ukraine- für den 2. März, Aschermittwoch, einen weiteren Tag des Gebets für den Frieden ausgerufen. Seit Beginn seines Pontifikates wollte Papst Franziskus dem Gebet die führende Rolle bei seinen diplomatischen Entscheidungen einräumen. Vom Tag des Fastens und Gebets für Syrien im September 2013 bis zum Gebet für den Frieden im Mittleren Osten in den Vaticanischen Gärten im Juni 2014, bis zu den spirituellen Exerzitien für die Führer des Süd-Sudans im Vatican im April 2019 zu den Gebetstagen für Kongo und Süd-Sudan und dann für den Libanon. 

Was die Ukraine betrifft, hat Papst Franziskus sich mit der Synode der Ukrainisch Griechisch-Katholischen Kirche im Juli 2019 getroffen. Bei diesem Treffen haben weder er noch Kardinal Pietro Parolin, der vatikanische Staatssekretär, gezögert, das was in der Ukraine passierte als "hybride Kriegsführung" zu bezeichnen. 

Dann gab es die "Papst für die Ukraine"-Initiative, das Treffen mit dem Großerzbischof der Ukrainisch-Griechisch-Orthodoxen Katholischen Kirche, Svjatoslav Shevchuk, den Papst Papst Franziskus kennt seit er Erzbischof von Buenos Aires war und die beiden Besuche von Kardinal -Staatssekretär Pietro Parolin und von Kardinal Leonardi Sandri, Präfekt des Kongregation für die Orientalischen Kirchen im Lande. 

Die Nuntiatur in der Ukraine hatte in den vergangenen Jahren hochgestellte Diplomaten: bei der Krise von 2014 mit den sog. "Euromaidan"-Unruhen Erzbischof Thomas Gullickson vor Ort, der bewies. daß er das Geschehen in  der Ukraine klar lesen  konnte; dann wurde Erzbischof Claudio Gugerotti als Nuntius ernannt, einen fießend Russisch sprechenden, profunden Kenner der Ostkirchen, der als einer der wenigen Diplomaten auf diesem Gebiet fähig war, die Konfliktorte zu erreichen; schließlich wurde in diesem Jahr Visvaldas Kulbolkas als Nuntius ausgewählt, der die Lage in der Ukraine gut kennt, weil er für die Kiew-Dossiers im vatikanischen Staatssekretariat zuständig war. 

Trotz vieler Gesten erscheint die Diplomatie des Hl. Stuhls schwach, fast unwichtig. Sie hat keine kritische Perspektive der Aktionen der Präsidentschaft von Vladimir Putin entwickelt. Sie hat es vorgezogen, bei einigen essentiellen Themen nicht Stellung zu beziehen, und im Namen des Dialogs bei den Gebieten, die die Mächte nicht wollten, zu schweigen. Statt dessen hat der Papst seine Position vager Apelle für Frieden und guten Willen verstärkt. die die Herzen der Menschen rühren kann aber sicher keine schnelle politische Wirkung haben. 


Das jüngste Ereignis war Papst Franziskus´ Besuch in der Botschaft der Russischen Konföderation beim Hl. Stuhl am 25. Februar. Das aber aber jedoch keine diplomatische Intervention.  Der Papst hätte den Botschafter einbestellen können. Aber indem er das nicht getan hat, hat er die Wirkung seiner institutionellen Rolle geschwächt. Er hat als Priester gehandelt, nicht als Oberhaupt der ältesten Diplomatie der Welt. Es scheint seltsam, aber diese Gesten können sein Eingreifen weniger maßgeblich werden lassen. Was ist, wenn er nur ein Hirte ist, wenn auch ein wichtiger, die Wirkung dessen, was er sagt oder fordert?

Wir müssen klar sagen: zu denken, daß ein einziger päpstlicher Apell heute diplomatische Wirkung erzielen kann, ist eine Illusion. Der Hl. Stuhl behält seine Rolle als glaubwürdiger internationaler Partner hauptsächlich als eine dritte Nation, auf deren Mediation man vertrauen kann. Aber Mediation funktioniert nur, wenn die Parteien verhandeln wollen und nicht nur, weil der Hl.Stuhl das ermöglichen will. 

Auf gewisse Weise hat der Hl. Stuhl die Aura der Vertrauenswürdigkeit verloren,  deretwegen auf internationaler Ebene auf ihn gehört wurde. Papst Franziskus´ Diplomatie hat sich auf große globale Themen und die Entwicklungs-Agenda -wie Migration, Entwaffnung und Ökologie konzentriert. Aber dieser eine, weitere Impuls der fehlte, war das vom Glauben an Gott  und durch die Begegnung mit Jesus Christus gegebene prophetische Wort im Hintergrund. Sie ist pragmatische Diplomatie geworden und das hat sie auf gewisse Weise zu einer Diplomatie wie alle anderen gemacht. Die Vaticanische Ostpolitik wurdc nach dem Kalten Krieg des exzessiven Pragmatismus beschuldigt. Aber das war- nichtsdestotrotz- ein Pragmatismus, der dazu diente, Priester vor stöändiger Verfolgung zu bewahren, die apostolische Sukzession zu garantieren. Er war etwas in Themen und Ausrichtung etwas ganz anderes. Vielleicht kritisierbar, aber anders. 

Was hätte die Diplomatie des Hl. Stuhls in dieser speziellen Krise tun können oder sollen? 

Erster Punkt: internationale Aufmerksamkeit entwickeln. Das verbreitete Informationsnetzwerk der Nuntien und Missionare gehört zu den besten der Welt. Die Kirche ist dabei, spricht zu den Menschen und hat die Hilfsmittel, um detaillierte Analysen durchzuführen. Daß es eine Eskalation geben könnte- war eine Möglichkeit. Aber nehmen wir an, daß die Diplomatie des Hl. Stuhls eine Eskalation nicht aufhalten kann. In diesen Fällen kann er eine öffentliche Meinung schaffen, die die Gründe für diese Eskalation verstehen kann, die über die übliche Dichotomie des nein zum Krieg/ ja zum Krieg hinausgeht.  Wo war die Analyse der Katholischen Medien zu den Gründen des Ukraine-Konflikts dieser Jahre? Wo wurde die Information verbreitet? Wo wurde die Diskussion verbreitet?

Zweiter Punkt: zusätzlich zum Engagement in Kommunikations-Netzwerken ist es wichtig, multilateral und auf koordinierte und nachhaltige Weise zu arbeiten. Der Hl. Stuhl unterhält Repräsentanten bei den UN und großen internationalen Organisationen. Es war fundamental und nötig, geopolitische Themen in den Mittelpunkt zu stellen, besonders die Frage eines möglichen Krieges im Herzen Europa. Man hätte Parallel-Veranstaltungen, Texte und schriftliche Apelle organisieren sollen, strukturiert und periodisch Interviews geben sollen. Die internationalen Partner hätten darauf aufmerksam gemacht werden sollen, daß der Hl. Stuhl die Lage beobachtet. 

Dritter Punkt: die Politik des Appeasements zugunsten einer Diplomatie der Wahrheit aufgeben. Das bedeutet, pragmatisch mit allen Partnern zu sprechen, zusammen zu arbeiten ,aber bei speziellen Themen keinen präzisen Standpunkt einzunehmen. Putin konnte sogar dem Papst zuvorkommen, indem er ihn an seinem Geburtstag anrief, als bekannt wurde, daß der Papst mit ihm über die Ukraine sprechen wollte. Das sind Initiativen, die der Papst hätte ergreifen sollen. Humanitäres Engagement genügt nicht. Es ist auch nötig, zu zeigen, daß man keine Angst davor hat, Themen auf den Tisch zu legen. Der Hl. Stuhl kann das tun, weil er keinerlei eigene Interessen hat-außer der Freiheit ihrer Kinder und der Würde des Menschen. 

Vierter Punkt: mit dem beim Hl. Stuhl akkreditierten diplomatischen Corps arbeiten. Sie treffen, Standpunkt austauschen, die Regierungen die Standpunkte wissen lassen.  Diesen Austausch öffentlich machen, damit den Leuten bewußt wird, daß es einen  mainstream-Standpunkt gibt, aber auch einen breiteren Blickwinkel. Worte der Hoffnung entstehen aus größeren Aussichten. 

Fünfter Punkt: weiterhin den Nachdruck auf die Wichtigkeit des Glaubens legen. Es gibt keine Brüderlichkeit, wenn es keinen gemeinsamen Vater gibt. Aber Christen glauben, daß dieser Vater schon einen inkarnierten Sohn hat, Christus. Es ist die Gegenwart Christi, lebendig in der Eucharistie, die dazu aufruft die menschliche Würde zu bewahren, die die Soziallehre der Kirche lebendig macht. Es mag absurd erscheinen. aber der Moment, in dem die Eucharistie relativiert wird, oder die rettende Wirklichkeit des Evangeliums beiseite gelegt wird, verliert die Kirche an Kraft. Sie wird zu einer Art NGO. Man muß viel über Chritianophobie sprechen und das ist ein sakrosanktes Thema. Die Verfolgung der Christen, verdeckt oder nicht verdeckt isz groß und gegenwärtig. Aber Christianophobie ist ein soziologisches Konzept.  

2012 als Benedikt XVI von Christianophobie sprach, gab es ein Gerücht, daß er im ersten Entwurf der Rede das Wort Christo-Phobie benutzt habe, d.h. die Angst vor Christus. Ich denke, das ist ein Thema, das erneut vorgeschlagen werden sollte- kraftvoll- auch beim Diskurs über Konflikte. Man muß verstehen, daß die Rückkehr zu Christus der einzige Weg ist, nicht nur für Europa sondern für die ganze Welt, um Streitigkeiten zu vermeiden, mit den Erinnerungen zu versöhnen, eine authentische Identität zu schaffen, in deren Zentrum die Menschenwürde steht. 

Kurz gesagt: wir müssen zur Kraft des Evangeliums zurückkehren, unterstützt durch Vernunftsgründe. Nicht nur darauf hoffen, auf die beteiligten Kräfte eine abschreckende Wirkung zu haben. Beim letzte Kardinalskonzil wurde auch über die Rolle der Nuntien gesprochen. Sie sollen ein stärkeres missionarisches Profil haben. Es wurde bereits beschlossen, daß ein Jahr der Mission ihren Untersuchungen folgen sollte. Aber der Nuntius muss eine eine kulturelle Elite schaffen, Er muß die Missionare koordinieren. er muß an der Ernennung neuer Bischöfe mitarbeiten. Nur auf diese Weise wird er in die Zukunft blicken können. 

Und das ist- vielleicht eine der größten Lektionen, daß die Diplomatie des Hl. Stuhls in diesem Augenblick lernen muß. Das ist zumindest meine bescheidene Meinung. 

Quelle: A. Gagliarducci, Monday in the Vatican

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