Mit dieser Frage setzt sich Stefano Fontana in La Nuova Bussola Quotidiana auseinander und kommentiert die Signale, die Papst Franziskus in Interviews mit den Herausgebern der Jesuitenzeitschrift "La Civiltá Cattolica" ausgesandt hat, um der Kirche und dem kommenden Pontifikat unwiderruflich die Richtung vorzugeben.
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"DIE HYPOTHEK AUF DAS NÄCHSTE PONTIFIKAT"
Im Gespräch mit den Herausgebern der von Civiltà Cattolica herausgegebenen Jesuitenzeitschriften hat Papst Franziskus einige starke Konzepte seines Pontifikats wiederholt, mit denen er versucht, das kommende Pontifikat zu konditionieren. Ein Thema war vor allem die Wahrheit, ein Thema, das in seiner Konzeption "historistisch" ist, nicht objektiv und nicht für immer gültig. Ein problematisches Konzept, das viele Konsequenzen haben kann.
La Civiltà Cattolica hat in ihrem neuesten Magazin den Text des Gesprächs veröffentlicht, das Franziskus am vergangenen 19. Mai mit den Leitern der europäischen Kulturzeitschriften der Jesuiten führte. Ein Dialog, der sehr sorgfältig geprüft werden muss. Zunächst kann jedoch eine kurze Einführung nützlich sein. In dieser letzten Periode, auch nach der Verschlechterung der körperlichen Verfassung von Franziskus und der Absage einiger Auslandsreisen, haben Beobachter wieder begonnen, von einem Pontifikat zu sprechen, das auf das "Ende" zugeht.
Einige haben auch darauf hingewiesen, daß Franziskus gerade wegen "motus in fine velocior" seine Aktivitäten intensivieren würde, die darauf abzielen, das nächste Pontifikat strukturell zu konditionieren, so daß die Kirche nicht mehr zurückkehren kann. Eines der Hauptinstrumente dieses Plans, aber nicht das einzige, weil auch die Liturgie eine sehr lebhafte Front ist, wäre die engmaschige Ernennung von Kardinalwählern bergoglianischen Glaubens. Inzwischen sind 60 Prozent des Kardinalskollegiums von Franziskus ernannt worden.
In diesem Zusammenhang kam es dann zu dem Gespräch mit den Direktoren der Jesuitenzeitschriften, von denen wir sprachen. Es war ein methodischer Diskurs, in dem Franziskus zu einigen der Hauptkriterien seiner Argumentation zurückkehrte, insbesondere zu dem Kriterium "Die Realität ist der Idee überlegen". Die Zukunft der Kirche wird nicht nur durch Ernennungen bedingt, sondern auch durch die Bereitstellung neuer Kriterien, so daß es auch und vor allem in der Denkweise kein Zurück mehr gibt.
Der Slogan "Die Realität ist der Idee überlegen" ist mehrdeutig. Es kann im Sinne der klassischen christlichen Philosophie und Theologie als die Abhängigkeit unseres Denkens von der Realität interpretiert werden, die die Wahrheit unseres Denkens und Sagens darstellt. Es ist wahr zu sagen, was ist, und zu leugnen, was nicht ist. Er kann aber auch in einem existenziellen, erfahrungsbezogenen, historischen, soziologischen Sinne verstanden werden: Die laufenden Prozesse sind wichtiger als Ideen, weil Ideen aus ihnen geboren werden und nicht umgekehrt. Meiner Meinung nach hat Franziskus diese zweite Version im Sinn.
Franziskus machte das zum Leitkriterium seiner Ansprache an die Direktoren vom 19. Mai und wandte es vor allem auf das ihm sehr am Herzen liegende Thema der Unterscheidung an. Er sagte, daß Ideen abstrakt sind, während nur das Unterscheidungsvermögen real ist, weil es genau an der Realität gemessen wird. Jesuitische Zeitschriften sollten also keine abstrakten Ideen – "mathematische Gleichungen, ein Theorem" – vorschlagen, sondern Erfahrungen und Möglichkeiten zur Unterscheidung. Ich habe mir die neueste Ausgabe der Zeitschrift "Aggiornamenti sociali" der Mailänder Jesuiten besorgt und habe diesen Eindruck betätigt gefunden. Das ist in der Tat so, der Untertitel des Magazins lautet: "Bindungen entdecken in einer sich verändernden Welt". Die Bindungen werden innerhalb des Prozesses "entdeckt", es gibt keine Ideen und Kriterien, die ihrem Wissen und der Unterscheidung vorausgehen. Das ist die Art des Denkens und Tuns, die Franziskus den Kulturzeitschriften der Jesuiten aufzeigte: "Ideen müssen aus Erfahrung kommen, Unterscheidungsvermögen ist das, was wirklich zählt".
Ein solcher Ansatz gilt jedoch nicht. Das Licht für die Unterscheidungsvermögen kann nicht von der Unterscheidung selbst ausgehen, sondern muss ihr vorausgehen. Aus einer dunklen Sache, dem Unterscheidungsvermögen,das Licht braucht, kann das Licht, das es ihm erlaubt, sich selbst zu klären, nicht kommen. Der Grund dafür ist ein elementares Prinzip: Niemand gibt sich selbst, was er nicht hat. Was dunkel ist, kann sich kein Licht geben. Baron Münchhausen kann sich nicht selbst aus dem Sumpf ziehen, indem er sich an den Haaren nimmt. Dieses Prinzip – niemand gibt sich selbst, was er nicht hat – ist die Anwendung des anderen Prinzips, das noch radikaler ist: nichts wird aus dem Nichts geboren.
In diesem Gespräch mit den Herausgebern der Jesuitenzeitschriften hat Franziskus noch einmal seine eigene Erkenntnistheorie, das heißt seine Auffassung von Wahrheit, Wissen und Handeln bekräftigt. Er verurteilte – in Wahrheit in sehr annähernder Weise – die Idee als abstrakt, wenn sie nicht aus der Unterscheidung der Wirklichkeit entspringt, und wies auf seine eigene Auffassung von Wahrheit als etwas hin, das aus einer Beziehung entsteht – die Wahrheit als Beziehung war von ihm bereits nach seiner Wahl im allerersten Interview mit Pater Spadaro vorgeschlagen worden, und selbst damal hatte er damit viele beunruhigt – innerhalb eines Prozesses der Unterscheidung, die konstitutiv für die Entstehung der Wahrheit wird, anstatt sich von ihr leiten zu lassen. Es gibt viele Elemente, die diese Auffassung von Wahrheit als "historistisch" definieren können, für die Unterscheidung nicht das Ergebnis ist, sondern der ursprüngliche (a priori) Kontext, aus dem die Wahrheit geboren wird. Es ist offensichtlich, daß eine Wahrheit, die in diesem Sinne verstanden wird, immer relativ sein wird.
Die bergoglianische Erkenntnistheorie, die auf ihre Weise mit vielen Zugeständnissen an ihre eigene Rhetorik sowohl spontan als auch geplant vorgetragen wird, hat enorme Auswirkungen auf die gesamte Theologie und nicht nur auf die Moraltheologie, mit der das Konzept der Unterscheidung am meisten verbunden ist. Um ein Beispiel zu nennen: Lehre und Tradition können keine Unterscheidungskriterien mehr sein, weil sie sich auf diese Weise in abstrakte Ideen verwandeln würden, wie "eine mathematische Gleichung oder ein Theorem".
An dieser Stelle können wir zu der oben gemachten kurzen Prämisse zurückkehren. Geben wir als Hypothese für unsere Überlegung zu, daß Franziskus wirklich strukturelle Eingriffe vornehmen will, damit die Kirche nach ihm – auch wenn sie es will – nicht mehr zurückkehren kann. Sie kann dann zum Beispiel nicht mehr zum klassischen Wahrheitsbegriff zurückkehren. In diesem Fall sollte er für Schlüsselpositionen – wie das Kardinalskollegium – Personen ernennen, die diese philosophische und theologische Erkenntnistheorie teilen. Angesichts einer solchen Aussicht gibt es wenig zu sagen und viel zu beten."
Quelle: S. Fontana, LNBQ
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