Samstag, 14. Januar 2023

Abschied eines dankbaren Gläubigen von Papst Benedikt XVI

Ein Mitglied der Diözese Köln, das nicht namentlich genannt werden möchte, einer der vielen Trauernden, die dem verstorbenen Papst Benedikt XVI persönlich die letzte Ehre erweisen wollten und der zu den Trauerfeierlichkeiten nach Rom reiste, hat uns diesen Bericht zukommen lassen, den wir mit Dank gern veröffentlichen. 

EIN BERICHT VON DEN TRAUERFEIERLICHKEITEN FÜR PAPST BENEDIKT XVI

Der Papst war gestorben. Spätestens als es mich am Abend zuvor an den Bildschirm trieb, um die Messe aus der Lateranbasilika zu verfolgen, die fürbittend für den im Sterben liegenden Emeritus vom Kardinalvikar seiner Diözese Rom gehalten wurde, wurde mir klar, daß es mein geistlicher Vater war, der da an der Schwelle zur Ewigkeit stand. Mein geistlicher Vater, der mir bereits vor meinem Abitur mit seinem Interview “Zur Lage des Glaubens” 1985 eine ganz neue Einsicht in die Grundlagen des Glaubens und in die Hintergründe der Krise der Kirche geschenkt hatte - eine Krise, die damals schon offenkundig war, ohne daß ich mir ihre heutige Dramatik hätte vorstellen können, eine Krise, die er - wie ich später erfuhr - bereits 1958 in seiner Schrift “Die neuen Heiden und die Kirche” regelrecht prophetisch vorhergesehen hatte. 
Ich sog daraufhin förmlich in mich auf, was ich von seinen Schriften zu fassen bekam und jede neue Entdeckung darin empfand ich wie eine Antwort auf die Fragen, die ich mit mir herumtrug, und auf die ich in meiner kirchlichen Umgebung keine befriedigende Antwort fand. Ja, der überlieferte Glaube ist historisch begründet, ja, er entspricht genau den Anforderungen unserer Vernunft und richtet uns darauf aus, ihre Erfüllung zu finden, ja, Gott will mir in Jesus wirklich persönlich begegnen und bietet mir seine Freundschaft an, in der ich immer tiefer in den guten Plan für mein Leben hineinfinden kann, den er in seiner Liebe zu mir hat. Offenkundig trug Joseph Ratzinger schon längst die Schlüssel zur Schatzkammer des Glaubens mit sich und machte reichlich Gebrauch davon, bevor der Herr ihm am 19. April 2005 dann die Schlüssel des Himmelreiches übergeben sollte. 

Als dann am Silvestertag gemeldet wurde, daß Benedikt XVI. heimgegangen war, wurde mir klar, daß ich mich von ihm persönlich verabschieden, ihm persönlich meinen Dank, meine Wertschätzung und mein “Auf Wiedersehen!” sagen musste. Daß noch ein Flug und ein Hotelzimmer im bezahlbaren Rahmen zu finden und ein paar Tage Urlaub ohne Weiteres zu bekommen waren, erschien mir wie eine Bestätigung des Himmels. Und so stand ich am Morgen des 4. Januar bei strahlendem Sonnenschein auf dem Petersplatz und reihte mich in eine Menschenmenge ein, die in einer seltsamen Mischung aus Andacht, Ergriffenheit und einer gläubigen Heiterkeit, in der sich für mich die Gewissheit abzeichnete, einen neuen, mächtigen Fürsprecher an Gottes Thron geschenkt bekommen zu haben, durch den Petersdom zog, um dem in die Ewigkeit abberufenen Papa emeritus ihre Reverenz zu erweisen. 


Da war er nun aufgebahrt, unmittelbar vor dem Grab des Felsenmannes, dessen 264. Nachfolger er war, und zum ersten und einzigen Mal seit jenem 28. Februar 2013 wieder unter dem Ehrenschutz der Schweizer Garde. Die Zartheit und Zerbrechlichkeit, die er im Tod ausstrahlte, schien sein so oft verkanntes Wesen widerzuspiegeln und stand in einem merkwürdigen Kontrast zu der Eile, mit der die Gläubigen von den Ordnern regelrecht weitergedrängt wurden. Am Altar des Hl. Pius X. fand ich dann endlich Ruhe und Gelegenheit, ihn im Gebet dem Herrn anzuvertrauen und Gott für diesen außergewöhnlichen Papst zu danken, der nach den Worten von Kardinal Meisner klug wie ein Dutzend Professoren und dabei fromm wie ein Kommunionkind gewesen und gerade aufgrund dieser Kombination vielfach schon zu Lebzeiten als Kirchenlehrer, als Kirchenvater der Neuzeit angesehen wurde und wird.




Kommt diese Kombination nicht auch in seinen letzten Worten zum Ausdruck, in denen sich wie in einem Brennglas die Weisheit wie die Liebe seiner Verkündigung sammelt: "Signore, ti amo!" - "Herr, ich liebe dich!". Dann fiel mir auf, wie ich ganz selbstverständlich begann, seine Fürsprache in Anspruch zu nehmen - für persönliche Belange wie für die großen Anliegen der Kirche, gerade der Kirche in Deutschland. Die Sorge um sie hat Benedikt sogar in seinem Geistlichen Testament zum Ausdruck gebracht, wo er uns - seine Landsleute - auffordert, am Glauben festzuhalten.

Frühmorgens am nächsten Tag führte der Weg mich dann zum Requiem auf den Petersplatz, der noch in diffusem Dämmerlicht lag. Nebel versperrte den Blick nach oben wie ein Sinnbild für die Situation der Kirche unserer Tage und begann sich erst zu lichten, als die unüberschaubare Zahl aus allen Völkern und Nationen gemeinsam begann, den Rosenkranz zu beten - in Latein. Welche Kraft doch darin liegt, in dieser gemeinsamen Sprache beten zu können, war besonders beim abschließenden Gesang des Salve Regina zu spüren. 


Und dann brandete Beifall auf, als der Sarg mit dem heimgegangenen Papst aus dem Dom heraus zum Platz vor dem Freialtar getragen wurde. Trotz aller betonten Einfachheit ließ das Requiem - das erste, das je ein Papst für seinen unmittelbaren Vorgänger gehalten hat - doch den Glanz der Wahrheit aufleuchten, der jeder Liturgie innewohnt, die sowohl rite et recte wie auch mit der spürbaren inneren Anteilnahme des Zelebranten und der Gläubigen gefeiert wird. Deutlich vernehmbar waren nach der Kommunion die Rufe “Santo subito!” und noch einmal das altvertraute “Benedetto!”, als der Sarg wieder unter dem Beifall der Gläubigen zurück in den Petersdom zur Beisetzung getragen wurde. Noch einmal wehten die bayerischen - und auch einige schwarz-rot-goldene - Fahnen in großer Zahl auf dem Petersplatz, noch einmal war hier deutsch eine der am meist gehörten Sprachen. 

Und wie wohltuend war es doch, sich einmal wieder in einer Gemeinschaft zu wissen, die offenbar einfach das normal Katholische zu leben verstand, ohne der permanenten Aggressivität der deutsch-synodalen, der “anders-katholischen” Mainstream-Kirche ausgesetzt zu sein. 


Das zeigte sich gerade in einer zufälligen Begegnung mit einer Kollegin (beide arbeiten wir in der Verwaltung eines deutschen Bistums), bei der sich herausstellte, daß wir in gleicher Weise über Glaube und Kirche denken, aber auch gleichermaßen gelernt haben, bei der Arbeit mit Äußerungen hierüber Vorsicht walten zu lassen. Wie gut ist es zu wissen, gerade in dieser Umgebung mit seinen Überzeugungen doch nicht allein zu sein! Und so erlebten wir gemeinsam diese Tage als ein geistliches Auftanken, in denen wir die Atmosphäre der Ewigen Stadt in uns aufnehmen konnten, die ihre Besucher an jeder Ecke mit dem Zeugnis von Heiligen in Berührung bringt, die durch die Jahrhunderte sich immer wieder neu vom Herrn prägen ließen und in dieser Begegnung ihre Mitmenschen prägten, angefangen von Petrus und Paulus bis zu den Märtyrern unserer Tage, denen der Hl. Johannes Paul II. die Basilika S. Bartolomeo auf der Tiberinsel als Gedenkstätte gewidmet hat. (Hinzu kommt die Aura von 2800 Jahren Geschichte - ist nicht jeder Reisende hier unbewusst den Wurzeln der eigenen Identität auf der Spur?)


Der pure Zufall führte mich zwei Tage später zu der in den engen Straßen am Tiber versteckten Kirche S. Trinita dei Pellegrini, die der Seelsorge der Petrusbruderschaft anvertraut ist. In der übervollen Kirche wurde für den heimgegangenen Papst ein Pontifikalrequiem zelebriert, das zeigte, zu welcher Höhe die Liturgie imstande ist, wenn sie die Fesseln selbstverordneter Einfachheit ablegt und sich allein darauf fokussiert, ausgerichtet auf den Herrn das Geheimnis des Glaubens mit allen Möglichkeiten zum Ausdruck zu bringen. Besonders sinnfällig war dies nicht nur zu sehen an der in einem Meer von Kerzen stehenden Tumba, auf der eine Tiara ruhte, sondern mehr noch an der Ehrfurcht gegenüber dem Altarssakrament, zu der diese "forma extraordinaria", wie Benedikt XVI. sie benannt hatte, die Gläubigen führte. Und die Altersstruktur der Gläubigen wie der Priester, die in einem extremen Kontrast zu den heimatlichen Erfahrungen stand, führte unwillkürlich zu dem Gedanken, ob hier nicht doch etwas von der Zukunft der Kirche aufschien.


Am Sonntagmorgen zog uns die Meldung, dass nun das Grab von Benedikt XVI. zugänglich war, in die Grotten von St. Peter. Vorbei am Grab des hl. Petrus, in dem die einzigen verifizierbaren sterblichen Überreste eines Menschen ruhen, der Jesus persönlich begegnet ist, führte der Weg zum Petrus der jüngsten Vergangenheit, der für die ganze Kirche wirklich ein Felsen war und den ich auch persönlich als Felsen erleben durfte, der mir eine sichere Grundlage auf dem Weg zu Jesus und mit Jesus geschenkt hat.

Zum Abschluss dieser Tage genossen wir den Blick von der Terrasse der Engelsburg. Das prachtvolle Panorama weckte in uns noch einmal das Bewusstsein, als katholische Christen in dieser Stadt wirklich zu Hause zu sein, auch wenn wir unzählige Kilometer entfernt leben. Hier ist unsere geistliche Heimat, weil wir hier die Zeugnisse finden, an denen wir unseren Glauben, die Grundlage unseres Lebens festmachen können."


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