Donnerstag, 16. März 2023

Religionsfreiheit, Kultfreiheit, Gewissensfreiheit...

Anläßlich einer geplanten Vorlesungsreihe zur Soziallehre Benedikts XVI veröffentlicht La Nuova Bussola Quotidiana noch einmal die Ansprache, die der verstorbene Papst vom 19.Januar 2012 vor den us-amerikanischen Bischöfen zum Thema.  
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"DAS ZEUGNIS DER KIRCHE IST IHREM WESEN NACH ÖFFENTLICH" 

Morgen, am 17. März 2023, um 21 Uhr wird Kardinal Gerhard Ludwig Müller die erste Lektion der Nationalen Schule für Soziallehre der Kirche "Gottes Platz in der Welt. Die Soziallehre Benedikts XVI." geben. Sie haben noch Zeit, sich zu registrieren.

In Vorbereitung auf die Schule veröffentlichen wir den Text der Ansprache, die Benedikt XVI. an die Bischöfe der Vereinigten Staaten anlässlich ihres Ad-limina-Besuchs am 19. Januar 2012 gehalten hat. Dies ist wahrscheinlich die letzte große soziale Rede, die er vor seinem sogenannten "Rücktritt" hielt, eine Rede, die nicht nur die Vereinigten Staaten betrifft. Der Text ist kurz, aber dicht und präsentiert viele der charakteristischen Merkmale seines Denkens, zusammen mit einigen Ideen, die es wert sind, vertieft zu werden, wie zum Beispiel, ob die Aufgabe der Kirche gegenüber der politischen Gemeinschaft nur ethisch ist oder nicht auch religiös sein sollte. Wir schlagen sie als Einladung zur Teilnahme an unserer Schule vor, wo all diese Themen angesprochen werden.

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ANSPRACHE VON PAPST BENEDIKT XVI. AN DIE BISCHÖFE DER VEREINIGTEN STAATEN VON AMERIKA ZU DEREN BESUCH  "AD LIMINA APOSTOLORUM"

                                             Liebe Mitbrüder im Bischofsamt!

Ich begrüße euch alle mit brüderlicher Zuneigung und bete dafür, daß diese Pilgerfahrt der geistlichen Erneuerung und vertieften Gemeinschaft euch im Glauben und im Einsatz für eure Aufgabe als Bischöfe der Kirche in den Vereinigten Staaten von Amerika bestärken wird. Wie ihr wißt, beabsichtige ich, im Laufe dieses Jahres mit euch über einige geistliche und kulturelle Herausforderungen der Neuevangelisierung nachzudenken.


Einer der denkwürdigsten Aspekte meiner Pastoralreise in die Vereinigten Staaten war die mir dabei gebotene Gelegenheit, über Amerikas historische Erfahrung mit der Religionsfreiheit und im besonderen über die Beziehung zwischen Religion und Kultur nachzudenken. Im Zentrum jeder Kultur gibt es, ob dies wahrgenommen wird oder nicht, einen Konsens über das Wesen der Wirklichkeit und das moralisch Gute und somit über die Voraussetzungen für eine gedeihliche menschliche Entwicklung. In Amerika beruhte dieser Konsens, so wie er in den Gründungsdokumenten der Nation enthalten ist, auf einer Weltanschauung, die nicht nur vom Glauben, sondern von der Verpflichtung zu bestimmten ethischen Grundsätzen geprägt war, die sich von der Natur und vom Schöpfer der Natur herleiten. Heute ist dieser Konsens beträchtlich ausgehöhlt angesichts mächtiger neuer kultureller Strömungen, die nicht nur in direktem Gegensatz zu den zentralen Morallehren der jüdisch-christlichen Tradition stehen, sondern auch gegenüber dem Christentum selbst immer feindseliger eingestellt sind.


Die Kirche in den Vereinigten Staaten ist ihrerseits dazu aufgerufen, ein Evangelium zu verkünden, das, gelegen oder ungelegen, die unveränderlichen moralischen Wahrheiten nicht nur verkündet, sondern sie eben als den Schlüssel zu menschlichem Glück und sozialem Gedeihen vorlegt (vgl. Gaudium et spes10). Angesichts dessen, daß einige aktuelle kulturelle Strömungen Elemente enthalten, die die Verkündigung dieser Wahrheiten dadurch beschneiden würden, daß sie sie auf die Grenzen einer rein wissenschaftlichen Rationalität einschränken oder sie im Namen einer politischen Macht oder Mehrheitsregelung unterdrücken, stellen sie nicht nur für den christlichen Glauben, sondern auch für die Menschlichkeit selbst und für die tiefste Wahrheit über unser Dasein und unsere endgültige Berufung, unsere Beziehung zu Gott eine Bedrohung dar. Wenn eine Kultur versucht, die Dimension des höchsten Geheimnisses zu unterdrücken und die Türen zur transzendenten Wahrheit zu verschließen, wird sie unvermeidlich ärmer und, wie Papst Johannes Paul II. es zuletzt so deutlich erkannte, zum Opfer verkürzender und totalitärer Auffassungen vom Menschen und vom Wesen der Gesellschaft.

Mit ihrer langen Tradition der Achtung für das richtige Verhältnis zwischen Glaube und Vernunft spielt die Kirche eine entscheidende Rolle dabei, kulturellen Strömungen entgegenzuwirken, die, auf der Grundlage eines extremen Individualismus, von der moralischen Wahrheit losgelöste Freiheitsbegriffe zu fördern versuchen. Unsere Tradition spricht nicht von blindem Glauben, sondern von einer vernünftigen Perspektive, welche unsere Verpflichtung zum Aufbau einer wirklich gerechten, menschlichen und gedeihlichen Gesellschaft mit der endgültigen Zusicherung an uns verbindet, daß der Kosmos von einer der menschlichen Vernunft zugänglichen inneren Logik beherrscht wird. Die Verfechtung eines auf dem Naturgesetz beruhenden moralischen Denkens durch die Kirche gründet auf ihrer Überzeugung, daß dieses Gesetz keine Bedrohung für unsere Freiheit ist, sondern eher eine »Sprache«, die uns dazu befähigt, uns selbst und die Wahrheit unseres Daseins zu verstehen und so eine gerechtere und humanere Welt zu gestalten. Sie legt daher ihre Morallehre nicht als eine Botschaft des Zwanges, sondern der Befreiung und als Grundlage für den Aufbau einer sicheren Zukunft vor. Daher ist das Zeugnis der Kirche seiner Natur nach öffentlich: Sie bemüht sich darum, durch die Vorlage vernünftiger Argumente im öffentlichen Raum zu überzeugen. Die berechtigte Trennung von Kirche und Staat kann weder in dem Sinn ausgelegt werden, daß die Kirche zu bestimmten Problemen schweigen müsse, noch daß der Staat wählen könne, ob er sich von den Stimmen engagierter Gläubiger in die Pflicht nehmen lasse oder nicht, wenn es darum geht, die Werte zu bestimmen, die die Zukunft der Nation prägen sollen.

Im Licht dieser Überlegungen ist es geboten, daß es der gesamten katholischen Gemeinschaft in den Vereinigten Staaten gelingt, die ernsten Bedrohungen für das öffentliche moralische Zeugnis der Kirche zu begreifen, die ein radikaler Säkularismus darstellt, der sich zunehmend in den politischen und kulturellen Bereichen Ausdruck verschafft. Der Ernst dieser Bedrohungen muß auf jeder Ebene des kirchlichen Lebens richtig eingeschätzt werden. Von besonderer Bedeutung sind gewisse Versuche, die unternommen werden, um jene Freiheit, die in Amerika am höchsten geschätzt wird, nämlich die Religionsfreiheit, einzuschränken. Viele von euch haben darauf hingewiesen, daß gemeinsam abgestimmte Anstrengungen unternommen worden sind, um das Recht auf Einspruch aus Gewissensgründen seitens einzelner Katholiken und katholischer Einrichtungen bezüglich der Mitwirkung an in sich verwerflichen Praktiken zu verneinen. 

Andere haben mir von der besorgniserregenden Tendenz berichtet, die Religionsfreiheit auf eine bloße Kultfreiheit zu verkürzen, ohne jede Garantie für die Achtung der Gewissensfreiheit. Hier sehen wir einmal mehr den dringenden Bedarf an einem engagierten, überzeugenden und gut ausgebildeten katholischen Laienstand, der mit einem ausgeprägten kritischen Geist gegenüber der herrschenden Kultur und mit dem Mut ausgestattet ist, einem verkürzenden Säkularismus entgegenzuwirken, der der Kirche das Recht auf Beteiligung an der öffentlichen Debatte über Fragen, welche über die Zukunft der amerikanischen Gesellschaft entscheiden, absprechen will. Die Vorbereitung engagierter führender Laien und die Präsentation einer überzeugenden Darstellung der christlichen Sicht des Menschen und der Gesellschaft bleiben eine vorrangige Aufgabe der Kirche in eurem Land; als wesentliche Elemente der Neuevangelisierung müssen diese Anliegen die Sicht und die Ziele der katechetischen Programme auf jeder Ebene prägen.

In diesem Zusammenhang möchte ich anerkennend eure Bemühungen erwähnen, Kontakte zu Katholiken, die im politischen Leben engagiert sind, zu unterhalten und ihnen zu helfen, ihre persönliche Verantwortung zu begreifen, öffentlich von ihrem Glauben Zeugnis zu geben. Das gilt besonders im Hinblick auf die großen moralischen Fragen unserer Zeit: Achtung für das Gottesgeschenk des Lebens, Schutz der Menschenwürde und die Förderung verbürgter Menschenrechte. Wie das Konzil anmerkte und ich während meines Pastoralbesuchs wiederholte, muß die Beachtung der richtigen Autonomie der zeitlichen Dinge auch die Wahrheit berücksichtigen, daß es keinen Bereich weltlicher Angelegenheiten gibt, der nicht vom Schöpfer und seinem Einfluß abhängt (vgl. Gaudium et spes, 36). Es kann kein Zweifel daran bestehen, daß ein konsequenteres Zeugnis seitens der Katholiken Amerikas von ihren tiefsten Überzeugungen ein großer Beitrag zur Erneuerung der Gesellschaft als ganzer sein würde.

Liebe Mitbrüder im Bischofsamt, in diesen kurzen Ausführungen wollte ich einige der dringenden Probleme, vor denen ihr in eurem Dienst für das Evangelium steht, und ihre Bedeutung für die Evangelisierung der amerikanischen Kultur ansprechen. Niemand, der realistisch auf diese Probleme blickt, kann die ernsten Schwierigkeiten leugnen, vor denen die Kirche zur Zeit steht. Doch um die Wahrheit zu sagen: Im Glauben können wir aus dem wachsenden Bewußtsein der Notwendigkeit, eine klar in der jüdisch-christlichen Tradition verwurzelte zivile Ordnung aufrechtzuerhalten, ebenso Mut schöpfen wie aus der Verheißung einer neuen Generation von Katholiken, deren Erfahrung und Überzeugungen eine entscheidende Rolle bei der Erneuerung der Anwesenheit und des Zeugnisses der Kirche in der amerikanischen Gesellschaft spielen werden.

Die Hoffnung, die uns diese »Zeichen der Zeit« bieten, ist selbst ein Grund dazu, unsere Anstrengungen wiederzubeleben, um die intellektuellen und moralischen Ressourcen der ganzen katholischen Gemeinschaft im Dienst der Evangelisierung der amerikanischen Kultur und des Aufbaus der Zivilisation der Liebe zu mobilisieren. Mit großer Liebe empfehle ich euch alle und die eurer Sorge anvertraute Herde den Gebeten Mariens, Mutter der Hoffnung, und erteile euch von Herzen meinen Apostolischen Segen als Unterpfand der Gnade und des Friedens in Jesus Christus unserem Herrn."

Quelle: LBNQ, La Santa Sede, LEV  

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