Freitag, 12. Mai 2023

Unterscheidung & Moral in der heutigen Theologie

Stefano Fontana veröffentlicht in La Nuova Bussola Quotidiana einen Leitartikel über die neue Moral-Theologie und die Auswirkung des Begriffs der Unterscheidung - der in diesem Pontifikat in die theologischen Texte eingeführt wurde und eine wichtige Rolle spielt. 
Hier geht´s zum Original:  klicken

"UNTERSCHEIDUNGSVERMÖGEN IST DIE NEGATION DER MORAL"

"Unterscheidung" ist heute das Schlüsselwort der neuen Moraltheologie. Es wird in einem agnostischen und protestantischen Sinne verstanden: die moralische Norm ist nicht mehr absolut, sie ist immer historisch und niemals endgültig, sie hat immer subjektiv und ist nicht nur objektiv. Aber am Ende macht die Unterscheidung die Morallehre unmöglich.

Zu den magischen Worten der Kirche gehört heute "Unterscheidung". Die Kirche muss zur Unterscheidung erziehen, mit allen gemeinsam gehen, sich gegenseitig zur Unterscheidung erziehen, Synodalität dient der Unterscheidung und umgekehrt, wir dürfen das Gewissen nicht ersetzen, sondern es zur Unterscheidung erziehen, Geschiedene und Wiederverheiratete gehen einen Weg der Unterscheidung, die Seelsorge erfordert die Unterscheidung der Gemeinschaft, ungerechte Gesetze müssen nach einer Unterscheidung auf der Grundlage des Dialogs bewertet werden und so weiter.

Unterscheidung ist das Schlüsselwort der neuen Moraltheologie und ist tägliches Brot für die Theologen der theologischen Fakultäten von Mailand und Padua und nach der Wende auch für die Lehrer des Johannes Paul II. Instituts für die Wissenschaften von Ehe und Familie. Aber es ist jetzt auch in der einfachen pastoralen Praxis der Basiskirche tägliches Brot. Das Problem ist, daß hinter der neuen Bedeutung des Wortes "Unterscheidung" eine völlige Veränderung in der katholischen Morallehre verbirgt.

Es gibt keine Spur von diesem neuen Sinn für Unterscheidung in Johannes Paul II. Veritatis splendor oder in der gesamten traditionellen katholischen Morallehre. Eine neue Bedeutung, die eine radikal andere und neue Moral vermittelt. Der Weg des Wandels war lang. Für Italien geht der entscheidende Wendepunkt auf das Jahr 1971 zurück, als Enrico Chiavacci sagte, daß der Mensch die Natur hat, die Natur nicht zu haben, womit er die Natur als finalistische Quelle ethischer Kriterien leugnete, was selbst Maurizio Chiodi, um nur einen von vielen zu nennen, heute in seinem "Handbuch der Fundamentaltheologie" tut.

Was ist dann diese neue Bedeutung des Wortes Unterscheidung? Es basiert auf einer agnostischen Annahme: Unser Wissen ist immer partiell und unvollkommen, weil es historisch und situativ ist. Es ist und bleibt Interpretation. Die traditionelle Moral wird daher systematisch des Intellektualismus beschuldigt, weil sie glaubte, daß der Mensch, so wie er die Natur der Dinge und sich selbst kennt, auch die Prinzipien des moralischen Lebens kennt, beginnend mit dem goldenen Gesetz: Gutes tun und Böses vermeiden. Die neuen Handbücher der Moraltheologie zerstören auf wenigen Seiten ganze Teile der Summa Teologica des Thomas und beschuldigen ihn gerade des Intellektualismus. Dieser Vorwurf würde bedeuten, dass die alte Moraltheologie dem Intellekt eine kognitive Rolle des Guten auf Kosten anderer menschlicher Kräfte wie des Willens oder der Leidenschaften zuweisen würde, äußerlich zwischen Mitteln und Zwecken und zwischen Norm und Situation unterscheiden würde. Die Moral hätte also eine abstrakte, theoretische, doktrinäre, objektivierende Grundlage und würde nicht aus dem ganzen Leben des Menschen hervorgehen, sondern nur aus seiner Intelligenz.

Offensichtlich ist das eine Karikatur des Hl. Thomas, der jeder menschlichen Macht das zuerkannte, was ihr zustand und die Erkenntnis gehört sicher zum Intellekt, der- während er nicht von anderen menschlichen Fähigkeiten getrennt ist- dennoch seine Rolle spielen kann.  So wurde es möglich, das Moralgesetz und moralische Vorschriften zu kennen, ohne die konkrete Verwobenheit aller ihrer Fähigkeiten der Person auszuschließen. Unterscheidungsvermögen war dann die Begegnung zwischen der objektiv bekannten Norm und den konkreten und besonderen Situationen, in denen das Bewußtsein sich bewegen muß. Das ist keine Sache des Widerspruchs zwischen Abstraktem und Konkretem, weil die Norm hier lebt, die Lebenssituation erhellt und den Willen lenkt- nicht bewegt. 

Die neue Moraltheologie will die Unterscheidung zwischen subjektiv und objektiv und zwischen Absicht und Handlung überwinden. Die Regel, nach der man auf der Grundlage dessen handelt, was man denkt, gilt nicht mehr, denn Handeln wäre auch die Quelle ethischen Wissens und nicht nur der Absicht. Die Situation mit ihren verschiedenen Umständen wäre nicht mehr nur der Anwendungsbereich des moralischen Urteils, sondern würde zur Kenntnis der Norm beitragen. Aus diesem Grund muss der Begriff der "an sich bösen Handlungen" überwunden werden, der nach Ansicht der neuen Theologen als gültig angesehen wird, wenn man glaubte, daß das materielle Objekt der Handlung (das, was getan wird), das vom Intellekt ans Licht gebracht wird, das grundlegende Kriterium des moralischen Urteils ist.

Wie wohl bekannt ist, wurden die Dubia (alle moralischen Charakters), die die vier Kardinäle Papst Franziskus vorlegten, nicht beantwortet. Die zeitgenössische Moraltheologie erklärt also diese mangelnde Antwort des Papstes: Wie konnte man auf die so formulierte Dubia reagieren? Das heißt, auf eine intellektualistische, objektivistische, abstrakte Weise? Franziskus hat daher nicht geantwortet, weil es diesen Dubia an Unterscheidungsvermögen mangelte und Unterscheidung verhinderten. Daraus folgt, daß die neue agnostische Unterscheidung eine moralische Lehre unmöglich macht."

Quelle: S. Fontana, LNBQ

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