In seiner heutigen Kolumne bei Monday at the Vatican kommentiert A.Gagliarducci den derzeitigen Stand der Dinge beim vaticanischen Immobilien-Prozess.
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"PAPST FRANZISKUS - EIN WENDEPUNKT IM VATICAN- PROZESS, DER KONSEQUENZEN HABEN KÖNNTE"
Die Änderung des Narrativs die die Anwälte der früheren Spitzenvertreter der Vaticanischen Finanzaufsicht für den Prozess über die Fonds der Staatssekretariates erzwungen haben, könnten auch für den Hl. Stuhl Konsequenzen auf internationaler Ebene haben. Die Anwälte des früheren Präsidenten René Bruelhart und des früheren Direktors Tommaso di Ruzza haben die Fakten stringent neu interpretiert und drei fundamentale Themen beleuchtet, die nicht zu übersehen sind, wenn man die Prozess-Dokumente liest.
Das erste ist das Thema der Kollaboration zwischen Körperschaften des Vaticans und des Hl. Stuhls, die n aufgerufen sind, ihre Kompetenzen auszuüben (und im Fall der AIF die richtige Autonomie und Unabhängigkeit zu bewahren) aber zur gleichen Zeit durch ihre Konstitution verpflichtet sind, in Einheit zum größeren Wohl des Hl. Stuhls zusammen zu arbeiten. Das Thema der Zusammenarbeit wird durch Pastor Bonus, der Apostolischen Konstitution, die zur Zeit der Ereignisse in der Kurie galt präzise eingeführt. Dennoch hat Papst Franziskus das in diesem Pontifikat oft betont.
Das zweite Thema ist das des größeren Wohles, das des Hl.Stuhls, das auch die Entscheidung betrifft, keinen Rechtsstreit vor der Wiedererlangung des Eigentums am Londoner Gebäude, dem Gegenstand des Prozesses, zu beginnen. Es stellte sich u.a. auch heraus, daß die Entscheidung, nicht mit einem Rechtsstreit fortzufahren, ausdrücklich vom Hl. Vater getroffen und vom Staatssekretariat, als der in der Sache betroffenen Körperschaft, ausgeführt wurde. Papst Franziskus´ ausdrückliche Zustimmung wurde dem Substituten des Staatssekretariats Pena Parra, Bruelhart und Di Ruzza mitgeteilt wurde.
Dieser modus operandi hat auch gezeigt, wie die Vaticanischen Organe dazu gebracht wurden, so zusammen zu arbeiten, wie es Pastor Bonus vorsieht. Das Staatssekretariat - das handelte, nachdem es den Papst konsultiert hatte- eine Tatsache die vom Substituten Pena Parra in seiner oft-zitierten Aussage sehr klar beschrieben wird, in seiner Rolle als Koordinator und rief das AIF dazu auf, bei der friedlichen Lösung des schmerzlichen Themas zu helfen.
Schließlich ist da noch das Thema des internationalen Ansehen des Hl. Stuhls und daß, das warum und wie der Prozess gehandhabt wurde, der internationalen Glaubwürdigkeit des Hl. Stuhls einen schweren Schlag verpaßt hat.
Diese entscheidenden Themen tragen dazu bei, die Fakten aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Wenn das Staatssekretariat, also der Heilige Stuhl, die Financial Intelligence Authority um Zusammenarbeit bittet, warum sollte die Behörde dann nicht beratend zur Seite stehen? Insbesondere da die Stellungnahmen der Behörde nicht bindend sind – die Entscheidungen werden immer vom Staatssekretariat selbst getroffen. In ähnlicher Weise bat das Staatssekretariat das Institut für religiöse Werke, die sogenannte „Vatikanbank“, um ein Darlehen zur Deckung einer bestehenden Hypothek auf dem Londoner Grundstück gebeten, als es die Kontrolle über das Grundstück übernahm. Es handelte sich um eine Aufforderung zur Zusammenarbeit, um alles "im Haus“ zu haben, wie der Stellvertreter des Staatssekretariats, Pena Parra, während des Verhörs erklärte.
War die Operation für das IOR wirklich nicht durchführbar? Das IOR – das daraufhin (mit einem „sehr merkwürdigen“ Zeitpunkt, wie einer aus dem Verteidigungsteam sagte) die Situation meldete, sich über Unregelmäßigkeiten beschwerte und die Ermittlungen einleitete, die diesem Prozess zugrunde liegen – hat mehrfach erklärt, daß es das Darlehen dem Staatssekretariat hauptsächlich aus zwei Gründen nicht gewährt habe: weil es verfassungsgemäß keine Kredite vergeben konnte; und weil es "dunkle“ oder "vage“ Seiten in der Finanzoperation sah. Die Verteidigung stellte jedoch fest, daß diesen Begriffen niemals ein rechtlicher Inhalt oder eine rechtliche Bedeutung beigemessen wurde.
Das IOR hätte die Operation ausführen können, weil gezeigt wurde, daß es die nötigen Rücklagen besaß und die Operation finanziell vorteilhaft war. Immerhin hätte sie ZInsen erwirtschaftete und die Immobilie selbst diente als Garantie.
Schließlich muß das IOR nicht wissen, wie das Staatssekretariat seine Finanzen managt, Es muß nur entscheiden, ob es nach der Autorisierung den Kredit gewährt. Genau wie das AIF nicht dafür verantwortlich ist, die Operation des Staatssekretariats zu bewerten sondern nur bzgl. des besten Weges zu beraten. Dieses Verhalten war für den Hl. Stuhl teuer, der weiterhin eine unnötig teure Anleihe bezahlte. Gleichzeitig - scheint es, dass die Kardinalskommission von den Laienleitern des Instituts weder über die Situation noch über den Darlehensantrag oder die Entscheidung des IOR, das Problem zu melden, vollständig informiert wurde.
Einerseits gibt es also einen Prozess, der die Bereitschaft des Papstes zeigen will, jegliche illegalen Aktivitäten zu beenden. Andererseits zeigen die Rekonstruktionen, dass wir es nicht mit illegalen Operationen, sondern mit Entscheidungen zu tun hatten, die nicht der funktionalen Einheit der Absichten folgten, zu der die Institutionen des Heiligen Stuhls verpflichtet sind. Angenommen, der Deal war falsch oder der Heilige Stuhl wurde manipuliert – und das muss noch nachgewiesen werden –, warum haben die Institutionen des Heiligen Stuhls, angefangen beim IOR, nicht versucht, dem Heiligen Stuhl aus der Situation zu helfen? Warum haben wir uns stattdessen in einem scheinbar eher inneren Kampf verirrt?
Die darauffolgenden Ermittlungen stellten eine Gefahr für den Heiligen Stuhl dar, weil er gerade aufgrund der Ermittlungen und Razzien in den AIF-Büros, die zur Beschlagnahmung von Dokumenten der FIU führten, an internationaler Glaubwürdigkeit verloren hat. Dort wurde die Autonomie der Behörde so sehr verletzt, daß die Egmont-Gruppe den AIF vom sicheren Informationsaustauschsystem ausschloss und nur eine Absichtserklärung zwischen dem Staatsanwalt und der neuen Behörde ihm erlaubte, wieder in den Kreislauf einzutreten .
Diese Rekonstruktion verdeutlicht, dass es auf internationaler Ebene nicht um den Ruf von Bruelhart und Di Ruzza geht, sondern um den internationalen Ruf des Heiligen Stuhls. Bekanntlich hat sich der Heilige Stuhl dem gegenseitigen Bewertungssystem zur Einhaltung der globalen Anti-Geldwäsche-Standards des MONEYVAL-Komitees des Europarates unterworfen. Der MONEYVAL-Bericht, der dem Beginn der Untersuchungen folgte, hob bereits mehrere kritische Punkte hervor, und das war ein Bericht mit Licht und Schatten, der sicherlich schädlicher war als die anderen Berichte über die Compliance-Fortschritte des Heiligen Stuhls im Laufe der Jahre. Das signalisiert einen nicht zu unterschätzenden Rückschritt, weil er zeigt, daß das derzeitige System eine Schwäche hat.
Der aktuelle MONEYVAL-Bericht für 2021 hebt unter anderem auch die bescheidenen Ergebnisse der vatikanischen Justiz nach den AIF-Berichten hervor. Darüber hinaus stellt die neue AIF-Geschäftsführung im 2020 veröffentlichten Geschäftsbericht (aktuell) mit Bezug auf die im Jahr 2019 durchgeführten Aktivitäten fest: "Der AIF spielt eine zentrale Rolle innerhalb des Geldwäsche- und Terrorismusfinanzierungspräventionssystems der ' HS/VCS. Seine Analyseberichte sind die Hauptquelle, die der Promoter of Justice nutzt, um Geldwäscheermittlungen einzuleiten. Der Projektträger ist davon überzeugt, dass diese Analyseberichte von guter Qualität und für Untersuchungen nützlich sind.“ Nun beklagt der Promoter of Justice, dass die AIF es versäumt habe, Bericht zu erstatten. Tatsächlich verlangt kein internationales Protokoll einen Bericht in der Untersuchungsphase. Es wurde auch darauf hingewiesen, dass „die Ergebnisse vor Gericht bescheiden sind: zwei Verurteilungen wegen Selbst-Reinwaschung, eine im Jahr 2018 und eine im Jahr 2019“.
Eine Schwäche, die der Prozess selbst zeigt. In einer normalen Situation arbeiten typischerweise AIF, der Promotor der Gerechtigkeit, staatliche Stellen und die vatikanische Polizei zusammen, wobei jeder seine Autonomie und Kompetenz behält. Dies ist nicht geschehen, und dies kann auf internationaler Ebene nur Verwirrung stiften. Denken Sie nur an die Tatsache, dass eine Aufsichtsbehörde, die IOR, die Aufsichtsbehörde, die AIF, denunzierte und eine „Razzia“ der Gendarmerie auf die Büros der AIF veranlasste, was deren Unabhängigkeit und Autonomie beeinträchtigte. Dieses Detail reicht aus, um die „Seltsamkeit“ der Situation im Vatikan zu zeigen.
Hinzu kommen die Risiken, die mit dem Prozess selbst verbunden sind. Man könnte sich fragen, ob die vatikanische Justiz unabhängig ist. Vatikanische Richter sind fast alle Juristen oder Universitätsprofessoren aus den Reihen der italienischen Justiz oder stammen aus einem kleinen Kreis. Nach der bedeutenden Reform von 2020 änderte Papst Franziskus im Jahr 2023 das Justizsystem des Vatikans und hob mit einem Federstrich eine der wichtigsten Neuerungen des Gesetzes vom 16. März 2020 auf, nämlich die Vollzeitpräsenz mindestens eines der Richter ordentliche Richter des Gerichts und eines der Mitglieder des Büros des Staatsanwalts.
Die Richter des vatikanischen Gerichts können auch im Dienste der Justizsysteme anderer Länder stehen. Sie können sogar unterschiedliche Rollen übernehmen, beispielsweise als Anwälte in Italien und als „Staatsanwälte“ im Staat Vatikanstadt. Es bleibt abzuwarten, wie dies auf internationaler Ebene von Moneyval, dem Ausschuss des Europarates, beurteilt wird, der im jüngsten Bericht über den Heiligen Stuhl auf Interessenkonflikte zwischen Rechtsanwälten und Richtern des Vatikanischen Gerichtes hingewiesen hat, weil sie nicht Vollzeit für den Heiligen Stuhl arbeiten.
Es stellt sich die Frage, ob ein vatikanisches Tribunal aus Teilzeitrichtern bestehen kann. Sie sind sicherlich nicht in allen Bereichen Experten – einige praktizieren Familienrecht außerhalb des Staates, leiten jedoch komplexe Finanzverfahren. Bisher wurde die Teilzeitbeschäftigung der Richter damit gerechtfertigt, dass das Prozessaufkommen im Vatikan nicht so hoch sei. Doch mittlerweile ist dies nicht mehr der Fall. Die Änderungen stellen einen Rückschritt im Reformprozess dar.
Schließlich stellt sich noch die Frage des Gerichtsverfahrens selbst. Der Papst intervenierte mit vier Reskripten und änderte damit irgendwie die Spielregeln. Aber der Papst hatte die Operationen genehmigt, und alles war durch seinen souveränen Willen entschieden worden. Es ist nicht zu verhindern, daß diese Reskripte, die die Untersuchungsmöglichkeiten erweitern, als eine Änderung des Prozesses selbst durch den Souverän zu erscheinen.
Das sind brennende Fragen, und jetzt besteht die Möglichkeit, die Fakten aus einer anderen Perspektive zu betrachten. Es geht nicht um die Verwaltung der Gelder oder den möglichen Skandal. Die Frage ist, ob der Staatsanwalt einer Lawine von Verbrechens-Hypothesen nachgegangen ist, die nie bewiesen wurden, und damit letztlich ein funktionierendes und international anerkanntes System angegriffen hat."
Quelle: A. Gagliarducci, Monday-at-the-Vatican
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