Montag, 16. November 2020

Gagliarducci: Der McCarrick-Bericht und die Folgen

In seiner montäglichen Kolumne in Monday in the Vatican kommentiert A. Gagliarducci den McCarrick-Bericht und vergleicht die derzeitige Lage der Kirche mit der im Jahr 2010.
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"PAPST FRANZISKUS VOR EINEM 2010 - 2.0 ?"

Die Veröffentlichung des McCarrick-Reports hätte zu keiner unpassenderen Zeit kommen können. Der 416-Seiten Bericht, der die Beurteilungsfehler, Oberflächlichkeiten und großen Fehler bei der Auswahl von Bischöfen dokumentiert, kam einen Tag nachdem in Polen eine kritische Dokumentation über Kardinal Dziwicz gesendet wurde, heraus. Die Dokumentation hat am Morgen des 10. Novembers Dziwicz wegen angeblicher Vertuschung von MIßbrauch angegriffen. Als der McCarrick-Bericht veröffentlicht wurde, schaffte es ein weiterer Bericht, der sich auf Kardinal Nichols, Erzbischof von Westminster wegen fehlerhafter Handhabung von Mißbrauchsfällen in der Vergangenheit bezieht, bis in die Nachrichten. Am Abend des 10. Novembers begann in Frankreich der Prozess gegen den päpstlichen Nuntius Erzbischof Luigi Ventura: Ventura wird sexueller Übergriffe beschuldigt. 

Am Ende ist der McCarrick-Bericht nur ein Thema in einem breiteren Rahmen. Es scheint unausweichlich, daß weitere Anschuldigungen- eine nach der anderen- auftauchen werden, weil die Angriffe auf die KIrche sicher noch nicht beendet sind. 

Ohne in Verschwörungstheorien zu verfallen, scheint es offensichtlich zu sein, daß da einige Manöver stattfinden, die in der Öffentlichen Meinung ein negatives Bild von der Kirche verbreiten wollen. Das geschah 2010, dem annus horribilis der Kirche wegen der Mißbrauchskrise. Und das kann jetzt wieder passieren. 

Warum ist 2020 2010 so ähnlich und welches sind die Unterschiede? 

Die Ähnlichkeiten finden sich hauptsächlich in den Angriffen gegen die Kirche. Es sind Beschuldigungen wg. Mißbrauchs und Vertuschung, oft anonym, die sich auf Ereignisse beziehen, die viele Jahre zurück liegen. Die Fälle der Kardinäle Philippe Barbarin und George Pell waren in diesem Schema gefangen - sie wurden beide von allen Vorwürfen freigesprochen. 

Das Ziel scheint jetzt Kardinal Stanislaw Dziwicz zu sein- und durch ihn Johannes Paul II. Es sieht wie die systematische Zerstörung des Pontifikats von Johannes Paul II aus. Davor sah sich auch Papst Franziskus mit dem Fall Chile Mißbrauchsfällen gegenüber. Am Anfang ignorierte der Papst die  Berichte, dann sandte er einen Spezialbeauftragten nach Chile und berief zweimal die Chilenischen Bischöfe nach Rom ein - und alle traten zurück.

Sogar Papst Franziskus könnte  in einige alte Fälle verwickelt werden. Manche sagen, daß er - als Erzbischof von Buenos Aires-einen Mißbrauchsfall nicht ordnungsgemäß handhabte- John Allen hat darüber gesprochen.  Darüber hinaus  ist jetzt Erzbischof Gustavo Zanchetta, den der Papst zum Assessor der APSA ernannte, in einen Prozess in Argentinien verwickelt. Es hat auch Mißbrauchsvorwürfe gegen enge Mitarbeiter von Papst Franziskus gegeben, 

So scheint der Rückblick auf die Jahre von Johannes Paul II nicht der Weg zu sein,  auf die Gegenwart zu schauen. Es ist jedoch keine Belagerung gegen den Papst, wie manche irrtümlich denken. Es ist das Papsttum, das belagert wird. Es wurde unter Benedikt XVI angegriffen, unter Papst Franziskus wird es noch mehr attackiert, weil Papst Franziskus individuelle Themen vor institutionelle Themen stellt. 

Für die Zeit vor Papst Franziskus könnte es verführerisch sein, zu sagen daß eine vaticanische Realpolitik das Veröffentlichen von Mißbrauchsfällen verhinderte. Das ist aber nicht richtig, Es viel richtiger, zu sagen, daß auch Papst Franziskus eine Realpolitik hat. Franziskus´ Realpolitik verteidigt jedoch nicht die Kircheninstitutionen oder das Papsttum sondern eher sein Pontifikat. 


Der McCarrick-Bericht ist ein Schlüssel dazu. Der Bericht ist aus der Notwendigkeit entstanden, die Geschichte zurück zu weisen, daß Papst Franziskus McCarrick zuerst unterstützt und die Sanktionen (es ist angemessener Empfehlungen zu sagen) gegen ihn ignoriert hat. Der McCarrick-Bericht wirft jedoch mehr Fragen auf, als er beantwortet. 

Bei den Unterhaltungen zwischen Erzbischof Viganò und Papst Franziskus über McCarrick ist der Bericht vage - es wird gesagt, daß es keinen Beweis für das Gespräch gäbe, Sicher- weil es kein offizielles Gespräch war und es gibt kein Dokument darüber, was gesprochen wurde. Warum es dann aber im Bericht erwähnen? 

Der Bericht bezieht sich auf diverse Interviews, aber es gibt im Text nur Zitate aus diesen Gesprächen. Gleichzeitig gibt es kein vollständiges Transskript von den Interviews am Ende des Berichts, was es unmöglich macht, den Kontext und die Fragen zu erkennen, die zu den zitierten Antworten führten. 

Am Ende scheint der Bericht mit den Fingern auf die Vergangenheit zeigen zu wollen, um nicht die Gegenwart anzugehen. War die vergangene Geschichte so schlecht? 

Ja und nein. Es hat Fehler und viele Skandale dabei gegeben, wie der Mißbrauch behandelt wurde, Das darf nicht unterschätzt werden. Andererseits müssen wir wissen, daß die Auswahl von Bischöfen ein Beratungsprozess ist, der voll auf dem guten Glauben der betroffenen Menschen beruht und auf ihren Fähigkeiten, Berichte zu bewerten und zu analysieren, Das ist nicht immer eine einfache Aufgabe. In McCarricks Fall war es eine mühsame Aufgabe.

McCarrick erfreute sich weltweit großer Wertschätzung und wurde wegen seiner Fund-raising-Fähigkeiten weithin geschätzt. Es gab Gerüchte über ihn, aber sie haben nie zu formalen Beschuldigungen geführt. Auch betrafen die Gerüchte Beziehungen zu jungen Erwachsenen, nicht zu Kindern. 

Die Beförderung McCarricks wurde jedoch dreimal unterbrochen, McCarrick wurde nicht Erzbischof von Chicago, New York -und zuerst mindestens- auch Washington. Die letzte Ernennung wurde vorübergehend durch einen Brief von Kardinal O´Connor gestoppt. Darin bemerkte der Erzbischof von New York O´Connor, daß angesichts der Gerüchte die Ernennung McCarricks für Washington einige Risiken beinhalten könnte. 

Die Geschichte zeigt, daß das System des Berichtens funktioniert hat. McCarrick andererseits besaß solide Informationen aus dem Vatican. Er erfuhr von den Gerüchten über ihn und schrieb direkt an Dziwicz, den damaligen Privatsekretär des Papstes, und schwor, daß er niemals etwas Ungehöriges oder Unkluges getan habe.

McCarricks Proteste erschienen plausibel. Der Grund liegt im Anti-Kirchen-Klima zu der Zeit. Einige Jahre vorher (nicht sehr viele) war Kardinal Joseph Bernardin von Chicago zu Unrecht wegen Mißbrauchs beschuldigt worden und das Vorurteil gegen ihn blieb bestehen, bis die Vorwürfe gegen ihn fallen gelassen wurden.  Außerdem müssen wir uns daran erinnern, daß Johannes Paul II aus Polen kam. Die Kommunisten pflegten die Kirche wegen sexueller Themen anzugreifen, um ihre Autorität zu untergraben. So konnte Johannes Paul II die Möglichkeit ungerechter Angriffe wahrnehmen und aus diesem Grund von einer Verurteilung McCarricks absehen. 

Der Entschluss McCarrick zu glauben und ihn in die Auswahlliste der Kandidaten für den Erzbischofssitz von Washington aufzunehmen, basiert auf zwei Überlegungen: der Notwendigkeit zu glauben, daß ein Sünder erlöst werden kann und der Notwendigkeit, die Kirche vor unnötigen Skandalen zu schützen.

Laut der allgemeinen Überzeugung war die Kirche so lange vor Skandalen geschützt, so lange die Bischöfe sie vertuschten. Das ist nicht richtig. 

Indem sie die Mißbrauchsvorwürfe vertuschten, unterschätzten oder nicht beachteten, haben die Bischöfe die Institution Kirche nicht unterstützt, sondern sich meistens selber geholfen. Voreingenommen mit dem Bild ihrer eigenen Position haben die Bischöfe oft beschlossen, Mißbrauchsfälle nicht nach Rom zu berichten- und so falsch gehandelt, Als Johannes Paul II in Folge des US-Mißbrauchsskandals beschloss, daß jeder Bericht über delicta graviora an die Glaubenskongregation gerichtet werden mußte, tat er das, um jede mögliche Vertuschung zu vermeiden. Das ist eine Zentralisierung, um das Thema anzugehen, nicht um das Problem zu verbergen. 

Johannes Paul II hat die Glaubenskongregation dafür verantwortlich gemacht, die Berichte über Mißbrauch zu sammeln, zu betonen, daß die Mißbrauchstäter Sünder sind und daß homosexuelle Beziehungen eine Sünde sind. Dennoch scheint der McCarrick-Bericht stillschweigend zu akzeptieren, daß die Bischöfe unpassende Beziehungen zu Seminaristen haben können, weil das kein Verbrechen ist. Ja, kein Verbrechen, aber eine Sünde und unmoralisches Verhalten. Und wenn es kein Bewußtsein für das Böse gibt, ist das gefährlich für die Kirche. 

Und dennoch konzentriert sich der Bericht nicht darauf, McCarrick wegen seines Verhaltens zu tadeln. Statt dessen scheint er einen Sündenbock zu suchen, ohne die möglichen Konsequnezen für die Kirche zu bedenken. 

Zu den Konsequenzen gehört:

 - daß es jederzeit Forderungen nach weiteren Berichten geben wird, wenn Kirchenmänner des Mißbrauch beschuldigt werden und der Hl. Stuhl wird darauf eingehen und jeden Schritt erklären müssen, auch wenn die Aktionen und der Entscheidungprozess im Fall unbewiesener Anschuldigungen diskret und respektvoll sein müssen- nach dem Prinzip der Unschuldsvermutung.

 - die Möglichkeit, daß es weitere Angriffe gegen den Hl. Stuhl geben wird- basierend auf fehlerhafter Behandlung wohlbekannter Mißbrauchstäter, um den Hl. Stuhl durch sein Rechtssystem zu schwächen und das könnte weitere Folgen für den Einfluss des Hl. Stuhls in der internationalen Arena haben;

 - in Folge der Schwächung in der internationalen Arena werden die Gläubigen seinen Schutz verlieren, besonders jene, die in kritischen Gegenden zu Unrecht verfolgt werden.

So sehr der McCarrick-Beriucht zu loben und eine bedeutende Anstrengung ist, könnte er die Kirche auch schwächen. Jeder strebt danach, sich selbst zu verteidigen, weil es keine Institution mehr gibt, die ihn verteidigt, sondern eiue Institution, die ihn bloßstellt. Es ist also wichtig, ein Gleichgewicht zwischen Rechenschaftspflicht und Schutz der Kirche zu finden. 

Es gibt also einen substantiellen Unterschied zwischen 2010 und 2020. Heute beschuldigt sich die Kirche selbst, zu Recht oder zu Unrecht,- je nach Fall. Die Kirche scheint eine Art ehrfürchtige Angst vor dem Medien-System und der Öffentlichen Meinung zu haben, die wichtiger sind als die Wahrheit. Am Ende wurde der McCarrick-Bericht in einer Zeit zum Thema gemacht, in der es zu viele Untersuchungen und Prozesse gibt, die zu öffentlichen Konfrontationen von Kirchenmännern führen. Als ob die Kirche an der Zerstörung des Hl. Stuhls mitarbeiten würde. "

Quelle: Monday in the Vatican, A. Gagliarducci 

 

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